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Bravmann, Max Meir

Geb. 3.7.1909 in Eppingen/Baden, gest. 16.9.1977 in New York.

 

In der Vita ver­merkt er explizit »Ich bin Jude«. Nach dem Abitur 1927 Studium der Semiti­schen Philologie, Assyrio­logie, Persisch und Philosophie in Bres­lau (parallel mit seiner Ausbildung an der dortigen Hoch­schule des Ju­dentums). Pro­motion 1932, Dissertation (betreut von C. Broc­kelmann) »Materialien und Untersu­chungen zu den phoneti­schen Leh­ren der Ara­ber«.[1] 1932/1933 war er Assistent am Orien­tal. Seminar der Univ. Gießen; 1933 (1934?) emi­grierte er nach Palästina, wo er an der Hebräi­schen Univer­sität in Jerusalem un­terrichtete und eine Stelle als Forschungs­assistent hatte. Nachdem er keine Aussicht auf eine Er­nennung zum Professor hatte, emigrierte er 1951 in die USA, wo er sich zunächst mit Gelegenheitsbe­schäftigungen durchschlug, bis er 1952 als Bi­bliothekar an der Colum­bia Univ. in New York ange­stellt wurde. Diese Stelle be­hielt er zeit­lebens; daneben unter­richtete er Semitistik und insbes. Arabisch an der Columbia Univ. und am Drop­sey College, Phil­adelphia.

B. war ausgesprochener Sprachwissenschaftler unter den Semi­tisten, der z.B. auch an dem In­ternationalen Linguisten­kongreß 1948 in Paris teil­nahm. In seiner Dissertation unternahm er eine systematische Zusam­menstellung der phonetischen Be­grifflichkeit und faktischen Aussagen der arabi­schen grammatischen Tradition. Die Begriff­lichkeit führte er auf die Re­zeption der griechischen Naturphilo­sophie zurück (Ari­stoteles), vor allem in der Dominanz des Silben­begriffs, der ge­genüber es nur spät zu einer »modernen« Lautana­lyse kam. Durchge­hend zieht er die faktischen phonetischen Aussa­gen der Grammatiker auch als Quellen für die histo­rische semiti­sche Sprach­vergleichung heran; ge­gen ihre verbreitete anachroni­stisch-normative Abwertung kann er so den Wert die­ser Grammatik­tradition herausstellen.

Diese von seinem Lehrer Brockelmann übernommene Hoch­schätzung der einheimischen arabischen grammati­schen Tradi­tion bestimmte auch seine späteren Arbei­ten, vor al­lem zur Syntax. Er be­mühte sich um eine deskriptive Herangehensweise und wies sowohl anachronisti­sche Über­tragungen von Katego­rien der (lateinisch-griechischen) Schulgrammatik zugunsten einer immanenten Ana­lyse zu­rück, wie die damals ver­breiteten Versu­che direkter psy­chologischer Erklä­rungen syn­taktischer Erscheinungen (etwa bei Havers), ob­wohl er gelegent­lich auch selbst psycholo­gisch argu­mentierte, etwa in seiner Studie »The Forms of the Imperative (and Jussive) in the Semitic Langua­ges« (1951/1952).[2]

In die vergleichend-etymologische Forschung der Semiti­stik hat er syste­matische Kategorien der de­skriptiven Sprachwis­senschaft einge­führt, so bes. die der Phonetik aufgrund der beobachtba­ren Varia­tion der modernen Dia­lekte, die er in ei­nem silben­strukturellen Analyserahmen aufnimmt (in Anleh­nung an eine Argu­mentation, wie sie etwa Sievers ver­trat),[3] s. insbes. seine materi­alreiche Stu­die »The vowel i as an auxi­liary accent vo­wel; an investiga­tion of the relation between accent and vowel in Se­mitic languages« (1938);[4] das glei­che gilt für seine auch typo­logischen Hinweise auf Entwick­lungen in anderen Sprachfa­milien, s. etwa »Some Aspects of the De­velopment of Semitic Diphthongs«[5] – ohnehin sind nicht nur in diesen frühen, von Jerusa­lem aus in Rom pu­blizierten Aufsätzen die deut­schen semitistischen Ar­beiten sein wissenschaftlicher Ho­rizont. Orthographi­sche Differen­zen etwa im Schriftarabischen kann er so diachron i. S. ei­ner von ihm eta­blierten relativen Chro­nologie der rekonstru­ierten Entwicklung in­terpretieren (s. bes. »Aspects«, 1939, Teil I: 252/253).

Sein US-amerikanisches Exil war für ihn wohl Ergeb­nis eines dop­pelten Scheiterns: zu der Vertreibung aus Deutschland kam noch das Scheitern der berufli­chen Kar­riere in Israel. So war er persönlich wohl sehr isoliert (so die Hinweise von E. L. Greenstein in der Gedenk­schrift 1978, Q) und paßte auch in seinem wissenschaftli­chen Selbstver­ständnis nicht zu dem De­skriptivismus US-amerikanischer Prägung: das macht der breite the­matische Horizont seiner zahlrei­chen Arbei­ten deutlich, vor allem aber auch seine Art, Belege für seine Argumentation zu akkumulieren. In der Syntax versucht er ge­genüber einer rein formalen Beschrei­bung den »notionellen« In­halt der Konstruk­tionen zu be­stimmen (insofern kongruent zu den typologi­schen Ansätzen, wie sie etwa von E. Lewy vertre­ten wur­den), s. in diesem Sinne auch die postum er­schienene Stu­die »A specific type of plu­rality in Ara­bic«,[6] die eine semantisch-no­tionelle Erklä­rung für attri­butiv verwendete Quantoren ver­sucht. Seine verglei­chenden Rekonstruk­tionen basie­ren auf der arabischen grammatischen Tra­dition (für ihn der grundlegende Zugang zum jeweili­gen Sprachbewußt­sein) ebenso wie auf den vielfäl­tigen dia­lektalen Verhält­nissen (s. z.B. »Studies in Arabic and General Syntax«).[7] Dabei bemühte er sich, über eine funk­tionalistische Analyse die ins Werk gesetz­ten Kate­gorien ty­pologisch abzuklären, wobei die indo-europäischen Spra­chen (und hier bes. das Neuhochdeutsche) eine bevorzugte Ver­gleichsbasis bilden, so etwa in seiner Studie »The Arabic Elativ. A new Ap­proach«,[8] die wiederum dem Altarabischen (vorislamische Dich­tung und Koran) gewidmet ist. Bei den jüngeren Arabisten (z.B. bei A. Bloch) figurierte B. mit die­sen Arbei­ten als eine der wich­tigsten Auto­ritäten (in seiner Gedenkschrift sind denn auch Beiträge einer gan­zen Reihe prominenter Semiti­sten versammelt, darunter auch Ben-Hajjim und Blau).

Neben diesen formalen Untersuchungen stehen eine Reihe lexiko­logischer Arbeiten (mit etymo­logisch-wortge­schichtlichem Kontext), die zu di­rekt kulturgeschichtli­chen Arbeiten (zur Ge­schichte des Islam) überleiten, wie insbes. seine Sammlung von wortgeschichtli­chen Studien zu Schlüssel­begriffen des Islam, die er von altarabi­schen, vorislami­schen Traditionen her rekonstruiert.[9] So auch (mit Ex­zerpten der altarabischen Dichtung) die posthum er­schienene Arbeit »Some motifs and terms in Arabian fatalism«.[10]

Q: LdS: unplaced; Teilbibliographie bei Bakalla 1976: 35-37; Ellinger 2006; Eine von E. L. Green­stein hg. Gedenkschrift, die als Festschrift geplant war, ist als Band 11/1979 des J. o. the Ancient Near Eastern Soc. o. Columbia Univ. (New York) erschienen (biographische Notiz des Herausgebers dort S. 1-2).



[1] Gedruckt Göttingen: Dieterich 1934 – mit Unterstützung der S. Neumann-Stif­tung auf Ver­mittlung von E. Mittwoch.

[2] Repr. in seinen »Studies of Semitic Philology«, Leiden: Brill 1977: 195-199.

[3] Sie­vers ist ohnehin die wichtigste sprachwissen­schaftliche Autorität in seinen älteren Ar­beiten, des­sen Schallanalyse er sogar aufnimmt, und von dem er die genaue Differenzierung von satzphonetisch be­dingten Dubletten übernimmt.

[4] Damals auf Deutsch publiziert; überarbeitet in sei­nen »Studies« 1977: 3-93.

[5] 2 Teile, in: Orientalia 8/1939: 244-253 und 9/1940: 45-60.

[6] In: Bull. School o. Orient. a. Afric. St. 41/1978: 343-347.

[7] Kairo: Institut français d'Archéologie Orientale 1953.

[8] Leiden: Brill 1968.

[9] »The spiri­tual background of Early Islam. Studies in the ancient Arab con­cepts«, Leiden: Brill 1972.

[10] In: Museon 92/1979: 171-195.

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