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Elliott, Ralph Warren Victor

(bis 1943: Rudolf W. H. V. Ehrenberg)

Geb. 14.8.1921 in Berlin, gest. 27.6.2012 in Canberra.

 

E. wuchs in einer protestantischen Familie auf und besuchte bis 1936 ein Gymnasium in Karlsruhe, bis er vor der rassistischen Verfolgung zu Verwandten nach England floh. Er lebte bei seinem Onkel Max Born[1] in Edinburgh, wo er das Studium der Anglistik aufnahm. 1940 wurde er interniert und nach Kanada deportiert, 1941-1945 machte er seinen Militärdienst bei der britischen Armee, wobei er schwer verwundet wurde. 1943 ließ er seinen Namen ändern. Im Anschluß daran studierte er in Edinburgh Anglistik (Abschluß des Studiums mit dem M.A. 1949). Danach unterrichtete er an der Universität dort, später in Keele. 1959 emigrierte er nach Australien, wo er als Dozent in der Anglistik die Flinders Universität in Adelaide mitaufbaute, seit 1964 als Professor. 1974 wechselte er an die Australische Nationaluniversität in Canberra, wo er auch nach seiner Emeritierung einen Forschungsstatus beibehielt.

Sein Arbeitsgebiet war die Anglistik im traditionellen Sinne, also umfassend sowohl Literaturgeschichte wie Sprachgeschichte, mit einem Schwerpunkt beim Mittelenglischen. Bewußt pflegt er die philologische Tradition des sprachlichen Kommentars literarischer Texte. In »The Gawain Country«[2] analysiert er das Vokabular der Ortsbeschreibungen im mittelenglischen »Sir Gawain and the Green Knight«, um jenseits der literarischen Topoi toponymische Indikatoren für die Heimat des Autors zu suchen.[3] Er findet sie i. S. einer Lokalisierung des Epos in den nördlichen Midlands (nördlich von Staffordshire, also der Umgebung der Universität Keele), wobei er die toponymischen Termini ausführlich etymologisch bestimmt (insbesondere in Hinblick auf ihre skandinavischen Elemente). In »Chaucer’s English«[4] praktiziert er eine minuziöse Stilanalyse, die er wohl unter dem Eindruck der jüngeren Entwicklung in der Sprachwissenschaft dieser nicht mehr zurechnet.[5]

Dort entwickelt er Chaucers Sprachpraxis vor der Folie der sich in dieser Zeit (dem späten 14. Jhd.) in London entwickelnden englischen Verkehrssprache mit der methodischen Schwierigkeit einer drohenden Zirkularität: einerseits ist diese Londoner Verkehrssprache aus Texten wie denen Chaucers zu extrapolieren, andererseits aber nutzt Chaucer sie, um vor ihrem Hintergrund sprachliche Sonderformen zu profilieren. In einem ersten Schritt rekonstruiert er Chaucers eigene Sprachpraxis, wobei ihm vor allem die Prosatexte als Kontrolle dessen dienen, was in den gebundenen Texten der metrischen Form geschuldet ist. Dabei zeigt sich auch bei Chaucer die in dialektaler Hinsicht deutliche Inhomogenität der in London damals gesprochenen Sprache. Hinzu kommen weitere Ebenen der Stilisierungen: die gattungsspezifische Stilisierung i. S. der durch die traditionelle Rhetorik definierten Stilregister, wobei dialektale Elemente zur Abgrenzung des Derb-Komischen dienen (hier in der Tradition der französischen Fabliaux); bei Chaucer werden derartige Sprachindikatoren mit ihren spezifischen Konnotationen genutzt, um die einzelnen Figuren seiner Texte zu profilieren. Die Analyse führt er auf den unterschiedlichsten Ebenen durch: von der Phonetik (vor allem zur Bestimmung dialektaler Züge) über die Morphologie (in Hinblick auf den paradigmatischen Ausgleich im Mittelenglischen), die Syntax, bei der orate Züge noch durchgängig ungeschieden von denen des literaten Ausbaus sind, bis hin zum Wortschatz, der die klarsten Abgrenzungen erlaubt. Dabei entwickelt er eine Fülle von z.T. sehr detaillierten Wortgeschichten, die mit einem umfangreichen Register erschlossen werden (S. 429-438).

Ein modernes Gegenstück dazu findet sich in »Thomas Hardy’s English«,[6] in dem er die dialektisierenden und archaisierenden Elemente dieses viktorianischen Autors (1840-1928) analysiert, wobei er wieder die literarische Technik von dem dabei genutzten sprachlichen Material trennt: die inszenierten dialektalen Züge (in diesem Fall Hardys Heimatdialekt von Dorset) müssen ja für den nicht dialektsprechenden Leser verständlich bleiben. Insofern stellt er diese stilistischen Mittel (insbesondere im Bereich von Lexikon und Phonologie) den spezifischen Idiosynkrasien Hardys entgegen (insbesondere seinen Neologismen in der Wortbildung). In dieser Linie von Stilanalysen verfaßte er auch literarische Kommentare für den Schulgebrauch, etwa »Critical commentary on Dickens’ ›A Tale of two Cities‹«[7] sowie »Chaucer’s Prologue to the Canterbury Tales«[8]. In diesem Übergangsbereich von Sprach- und Literaturbetrachtung schrieb (schreibt) er auch Beiträge zum Feuilleton.

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt sind bei ihm die Runen als Feld der Analyse des skandinavischen Einflusses auf das ältere Englische. Für ihn sind die Runen (im Gegensatz zu der wohl vorherrschenden Auffassung) eng an das Nordgermanische gebunden, das allerdings auf englischem Boden eine Sonderentwicklung nimmt, die sich in der spezifischen Runenform und der Differenzierung des Runenalphabets zeigt, s. seine »Runes: an introduction«[9] und auch seinen Überblicksartikel in dem Handbuch von Daniels/Bright.[10] In diesen Bereich gehört auch eine Studie zum Runengebrauch in der altenglischen Literatur, in der er bei dem ausgesprochen christlich orientierten Autor Cynewulf, der aber seine Werke in Runenschrift unterzeichnete, zeigt, wie die Verwendung von Runen im Text gewissermaßen eine ideographische Leseweise als besondere Textebene herstellen.[11]

Wie sehr E. sich trotz einer erfolgreichen Emigrantenkarriere noch in der deutschen Herkunftskultur zuhause fühlt, macht seine Autobiographie (Q) deutlich – bis hin in dramatische Erinnerungen an Weltkriegsereignisse.

Q: BHE; Who is who in Australia; Autobiographie in: A. Oizumi/T. Kubouchi (Hgg.), »Medieval English Language Scholarship: Autobiographies by Representative Scholars in our Discipline«, Hildesheim etc: Olms 2005: 31-47; Hinweise von M. Clyne.



[1] Max Born (1882-1970), Physiker (1954 Nobelpreis). 1933 war er aus rassistischen und politischen Gründen von seiner Professur in Göttingen entlassen worden und nach England emigriert, wo er zunächst in Cambridge, seit 1936 in Edinburgh lebte und lehrte.

[2] Leeds: Leeds UP 1984.

[3] Eine ironische Darstellung seiner lebenslangen Beschäftigung mit diesem Gegenstand gibt er in »Sir Gawain and the Wallabies: A Mystery in Seven Scenes«, in: L. Rasmussen u.a. (Hgg.), »Our Medieval Heritage« (FS J. Tillotson), Cardiff: Merton Priory Press 2002: 157-163.

[4] London: Deutsch 1974.

[5] Er definiert sein Ziel als »to look critically rather than linguistically at some of the forms Chaucer used« (S. 9).

[6] Oxford: Blackwell 1984.

[7] London: McMillan 1966.

[8] Oxford: Blackwell 1960.

[9] Manchester: Manchester UP 1959.

[10] »The runic script«, in: P. T. Daniels/W. Bright (Hgg.), »The World’s Writing Systems«, Oxford: Oxford UP 1996: 333-339.

[11] »Coming back to Cynewulf«, in: A. Bammesberger (Hg.), »Old English Runes and their continental background«, Heidelberg: Winter 1991: 231-247.