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Guttmann(-Marle), Walter

Geb. 26.1.1873 in Hirschberg (Schlesien, heute Jelenia Góra), gest. 18.9.1941 in Berlin.

 

G. schloß sein Medizin-Studium 1896 mit der Promotion in Berlin ab und machte im Anschluß daran Karriere als Militärarzt, bis er vermutlich 1923 (als 50-Jähriger) im Rang eines Generaloberarztes (oder auch Regierungs-Medizinalrates) aus dem aktiven Dienst ausschied. Seit 1902 war er mit Unterbrechungen an der Kaiser-Wilhelms-Akademie für ärztliche Fortbildung tätig, wo er seine umfangreiche Produktion an medizinischen Lehr- und Handbüchern begann: »Zoologie für das Physikum« (zuerst 1895), »Grundriß der Physik« (zuerst 1896), »Medizinische Terminologie« (zuerst 1901),[1] »Elektrizitätslehre für Mediziner« (zuerst 1904 – vor allen Dingen in Hinblick auf die neue Röntgentechnik verfaßt), »Spezielle Diagnostik und Therapie« (zuerst 1912), »Lexikon der gesamten Therapie« (zuerst 1915), »Taschenwörterbuch der medizinischen Fachausdrücke für Nichtärzte« (zuerst 1921)[2] wie auch »Einführung in die klinische Medizin« (zuerst 1921). Diese Werke erreichten z.T. hohe Auflagen und wurden auch in andere Sprachen übersetzt. Im Vorwort der 22. Auflage der »Medizinische[n] Terminologie« spricht er 1927 von 50 000 verkauften Exemplaren seit 1901.

Für die Sprachforschung sind die lexikographischen Anteile seiner Veröffentlichungen einschlägig, in Hinblick auf die er wohl auch zurecht eine Pionierrolle reklamierte.[3] Neben ausführlichen Sacherläuterungen mit Abbildungen (systematisch auch mit Tafeldarstellungen im Anhang), wozu auch Erläuterungen zu eponymischen Persönlichkeiten bei entsprechenden Fachbezeichnungen gehören, finden sich auch systematische sprachlich orientierte Kommentare: vor allem im Taschenwörterbuch mit Aussprachehilfen (nicht nur bei Fremdgraphien, sondern auch in Hinblick auf die Betonung, die Auflösung von Hiaten durch eine glottalisierte Silbentrennung u. dgl.). In der »Medizinische[n] Terminologie« finden sich zudem auch ausführliche etymologische Hinweise, etwa zur Wortbildung im Griechischen. Bemerkenswert sind auch seine Hinweise zur Integration der Fremdausdrücke, für deren Graphie er eine konsistente Adaptierung fordert und umsetzt (im Gegensatz zum Zitieren lateinischer oder griechischer Ausdrücke, die mit ihren Kasusformen repräsentiert werden und dann auch nur transliteriert erscheinen). Er erläutert auch grammatische Probleme der Adaptierung, z.B. die Bewahrung des Genus der Herkunftssprache gegenüber der Anpassung an das Genus der deutschen Entsprechungen, also die cervix wie im Lateinischen neben der cervix entsprechend zum Deutschen der Hals.[4] Diese Fragen sprachlicher Umsetzung waren wohl auch seinem eigenen Selbstverständnis nach sein spezifisches Arbeitsgebiet. In anderen Veröffentlichungen, z.B. dem enzyklopädisch aufgebauten »Lexikon der gesamten Therapie des praktischen Arztes mit Einschluß der therapeutischen Technik«,[5] stützte er sich auf Beiträge von Fachleuten, die ihre Artikel auch namentlich kennzeichnen – und bei denen sich auch keine vergleichbaren sprachlichen Erläuterungen finden. Das kontrastiert mit den von ihm selbst verfaßten Werken, vor allen Dingen denen für das nicht-ärztliche Personal im Gesundheitswesen, das nicht über die bildungssprachlichen Ressourcen zum Entschlüsseln der medizinischen Fachsprache verfügt. Entsprechend erfolgreich waren diese Unternehmungen: die »Medizinische Terminologie« erschien noch 1951 in der 35. Auflage, das »Taschenwörterbuch« erschien noch 1975.

G. war in seiner Person und auch in seinem Werk Opfer der rassistischen Verfolgung. Diese wirkte sich bei den naturwissenschaftlichen (hier: medizinischen) Verlagen weniger rasch aus als bei der geisteswissenschaftlichen Produktion, und so wurden seine Werke noch bis 1937 unter seinem Namen aufgelegt. Dabei benutzte er seit 1921 auch den Namen seiner Mutter (Marle), z.T. auch als Doppelname (Guttmann-Marle). Nach 1937 begann die »Arisierung« seiner Werke, im Jahre 1941 erschien sein Name noch in einer ersten Druckquote der »Medizinische[n] Terminologie« auf dem Titelblatt, in einer zweiten Druckquote wurde der Name dort getilgt. Folgeauflagen erschienen z.T. nur noch unter dem Namen der (entsprechend linientreuen) Bearbeiter.[6]

G. mußte die zunehmende Repression gegenüber Juden in den Kriegsjahren erdulden, was sich allerdings nur an seinen wechselnden Wohnungen ablesen läßt. Voswinckel, der seine Biographie recherchiert hat und auf den ich mich hier stütze, geht davon aus, daß G. sich an dem Tag, an dem das Tragen des Judensterns für Juden verpflichtend gemacht wurde, das Leben genommen hat.

Q: Peter Voswinckel, »Um das Lebenswerk betrogen: Walter Guttmann (1873-1941) und seine ›Medizinische Terminologie‹«, in: Medizinhistorisches J. 32/1997: 321-354; Hinweise von P. Voswinckel (Berlin).



[1] »Medizinische Terminologie. Ableitung und Erklärung der gebräuchlichsten Fachausdrücke aller Zweige der Medizin und ihrer Hilfswissenschaften«, Berlin: Urban und Schwarzenberg 221927.

[2] »Taschenwörterbuch der medizinischen Fachausdrücke für Nichtärzte insbesondere für das Krankenpflegepersonal«, Berlin: Urban und Schwarzenberg 1921.

[3] »[dieses Buch ist...] in der deutschen medizinischen Literatur das erste seiner Art«, »Medizinische Terminologie« 221927: IV.

[4] S. »Medizinische Terminologie«, 221927: IV Anm.

[5] Berlin: Urban und Schwarzenberg, 2 Bde., 1915.

[6] Einzelheiten dazu bei Voswinckel (Q).

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