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Skutsch, Otto

Geb. 6.12.1906 in Breslau, gest. 9.12.1990 in London.

 

1925-1932 Studium der klassischen Philo­logie und der indogermanischen Sprachwissenschaft in Breslau, Kiel, Berlin und Göttingen. 1932 Staatsexamen und Promotion in Göttingen.

Früh im Studium legte S. seinen Schwerpunkt auf Latein fest und folgte damit seinem Vater,[1] der auch als wissenschaftliches Über-Ich in allen seinen späteren Arbeiten spürbar ist, nicht zuletzt in der Schwierigkeit, eine größere Arbeit als abgeschlossen zu betrachten. Schon in seiner Dissertation setzte er sich explizit mit den Auffassungen des Vaters auseinander: »Prosodische und metrische Gesetze der Jambenkürzung«.[2] Dem entsprach sein lebenslanger Arbeitsschwerpunkt bei den sprachlichen Verhältnissen im älteren Latein und ihrer literarischen Umsetzung besonders in der Metrik. Ausgehend von einer systematischen Auswertung der Verhältnisse bei Plautus rekonstruiert er »metrische Freiheiten« vor der Folie der altlateinischen Prosodie, die durch die Dominanz eines starken Druckakzentes mit einer quantifizierenden Metrik inkongruent ist; da die Dichter die griechische Metrik mechanisch replizierten,[3] können gegebenenfalls Längen (im Sinne der griechischen Metrik bzw. der Grammatiker) als Kürzen gemessen werden. Insofern ist diese Arbeit auch ein Beitrag zu einer systematischen Untersuchung des Verhältnisses von geschriebener und gesprochener Sprache.

Nach der Promotion ging S. mit einem Stipendium nach München, um dort am Thesaurus Linguae Latinae zu arbeiten. 1933 wurde ihm das Stipendium aus rassistischen Gründen gestrichen.[4] In München hatte er Kontakt zu dem englischen Latinisten Baxter bekommen, der ihm eine Mitarbeiterstelle an seinem geplanten spätlateinischen Wörterbuch in St. Andrews gab (das Wörterbuch wurde allerdings nicht abgeschlossen).[5] 1938 erhielt S. eine Dozentenstelle in Belfast, 1939 in Manchester, wo er intensiven Kontakt auch zu anderen Emigranten aufnahm: zu G. Zuntz, vor allem aber auch zu Eduard Fraenkel (damals in Oxford), zu dem er zeitlebens ein gespanntes Verhältnis hatte (das auch schon vom Vater geerbt war). Fraenkel vermittelte ihm 1939 die Aufgabe, für Oxford University Press eine neue Ausgabe von Ennius (3. Jhd. v. d. Z.) zu erstellen, die fast 50 Jahre in Anspruch nahm: »The Annals of Q. En­nius«,[6] die im umfangreichen Kom­mentar nicht nur minutiöse philologisch-sprachwissenschaftliche Erläuterungen enthält, insbes. in Hinblick auf die zu extrapolie­rende lautliche Form der Enniusschen Metrik, sondern in Verbindung mit kulturgeschichtlichen Fragen der Interpretation auch extensiv vergleichende sprachliche Untersuchungen durchführt (intern zur Entwicklung vom archaischen zum klassischen Latein, zu den lateinischen Formen im Horizont der anderen italischen Sprachen, bes. der oskisch-umbrischen Überlieferung, sowie auch, etwa in Hinblick auf Gräzismen, der etymologische Vergleich zum Griechischen).[7] In diesen Jahren hatte er eine Fülle von kleineren Studien, vor allem auch zur Erläuterung schwieriger Textstellen vorgelegt, die, beginnend mit seiner Antrittsvorlesung an der Universität London 1951, später auch gesammelt publiziert wurden, neben metrisch-phonologischen Detailfragen vor allem auch kulturhistorische Fragen in einem übergreifenden Sinne, s. seine »Studia Enniana«.[8]

1940 wurde er als Deutscher für drei Monate interniert. Nach dem Krieg nahm er mehrere Gastprofessuren und Vortragseinladungen in die USA, Schweden und vor allem auch in die Bundesrepublik wahr. Sein Status als Autorität auf dem Gebiet des Lateinischen wird nicht zuletzt auch durch seine Beiträge in der Realenzyklopädie der klassischen Altertumswissenschaft und auch der Encyclopædia Britannica deutlich. In den letzten Jahren hatte S. in einem autobiographischen Vortrag (»Recollections...«, Q) sein Verhältnis zu den Fachkollegen dargestellt, bemerkenswert durch z.T. sarkastische Bemerkungen auch über Leidensgenossen (ausführlich zu H. Fraenkel und E. Fraenkel [392-393; 398-399], zu Norden [395] u.a.), aber auch durch verständnisvolle Bemerkungen zu Fachkollegen, die »im Reich« im Dienst blieben, vorausgesetzt, sie waren keine Antisemiten (was er wiederum immer explizit registriert).

Q: BHE. Autobiographische Erinnerungen: »Recollections of scholars I have known«, in: Harvard Studies in Classical Philology 94/1992: 387-408. Nachrufe: H. D. Jocelyn in: Gnomon 63/1991: 746-749; G. P. Goold in: Proceedings of the British Academy, Volume 87 (Lectures and Memoires), Oxford UPS 1995: 473-489. Schriftenverzeichnis (bis 1980) in: University of London: Bulletin of the Institute of Classical Studies No. 27, London 1980 (=FS); ergänzt in: N. Horsfall (Hg.), »Vir Bonus Discendi Peritus: Studies in celebration of Otto Skutsch’s eightieth birthday« (=University of London: Bulletin of the Institute of Classical Studies No. 51 (Suppl.) 1988): ix.



[1] Franz Skutsch (1865-1912), Professor für Klassische Philologie (Latein) in Breslau.

[2] Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht 1934.

[3] Ähnlich wie im Lateinunterricht heute die deutsche Fußbildung zur Replik der antiken quantifizierenden Metrik dient.

[4] S. hatte keine spezifische Bindung an das Judentum; bereits der Vater hatte sich taufen lassen, s. dazu ausführlich Goold (Q).

[5] Zu den Umständen der Vermittlung der Stelle und seiner Arbeit dort, s. die Erinnerungen (Q: 401-405).

[6] Oxford: Clarendon 1985, 885 S.

[7] Zum Rang dieser Ausgabe und der grundlegenden Forschungen von S., s. die Würdigung durch S. Timpanaro in der FS (1988, Q): 1-5.

[8] London: Athlone 1968.