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Bühler, Charlotte

Geb. 20.12.1893 in Berlin, gest. 3.2.1974 in Stuttgart.

(geb. Malachowski)

B. stammte aus einer jüdischen Familie, war aber protestantisch getauft. Als Studentin von Külpe in München wurde sie nach dessen Tod von Karl Bühler betreut (s. bei diesem), den sie auch heiratete und bei dem sie 1918 promovierte. Die Dissertation war im Rahmen des denkpsychologischen Forschungsprogramms von Külpe definiert, ds in dieser Hinsicht aber nicht von dem K. Bühlers zu trennen ist. [1] In der Dissertation extrapolierte sie Muster für gedankliche Verknüpfungen und dabei auch die Rolle syntaktischer Muster anhand von Protokollen, in denen ihre Versuchspersonen (vor allem die Mitarbeiter am Institut: sie selbst, ihr Mann und andere...) ihre Überlegungen zu Papier bringen, wie sie aus vorgegebenen Wörtern Sätze bilden, . Obwohl sie die einschlägigen Autoritäten der damaligen kognitiven Ansätze anführt (außer ihrem Mann auch Selz, Husserl u.a.), bleibt sie in ihren Ausführungen bei der Beschreibung der psychischen »Erlebnisse« bei der Aufgabenlösung, also dem, was im Sinne Husserls (und auch K. Bühlers) gerade ausgeklammert werden sollte. Zwar bemüht sie K. Bühlers Schemakonzept, bleibt aber in der Analyse im Rahmen der Begrifflichkeit einer anderen Münchener Autorität: H. Paul; in dessen Sinne geht sie auch auf Faktoren wie die prosodische Gliederung der Äußerungen, Fragen der Habitualisierung von Äußerungsmustern u. dgl. ein. In der Arbeit wird deutlich, daß die formale Analyse nicht ihr Ding war. Außerdem wird es später für sie problematisch geworden sein, sich so wie hier als (junge) Schülerin ihres gerade erst 1915 kennengelernten und 1916 geheirateten Manns zu bekennen. Ihre späteren Arbeiten schließen denn auch nicht mehr an das sprachanalytische Arbeitsfeld der Dissertation an.

1918 folgte sie ihrem Mann nach Dresden, und von dort aus später dann nach Wien. In Dresden habilitierte sie 1920 mit einer ganz anderen Ausrichtung mit einer Venia für Ästhetik und Pädagogische Psychologie; in Wien wurde sie 1923 umhabilitiert und 1929 zur a.o. Professorin ernannt. Zunächst hatte sie eine Anstellung beim städtischen Schulamt in Verbindung mit den Verpflichtungen, die K. Bühler für den Aufbau seines Forschungsinstituts dort eingegangen war (s. bei diesem), was auch die pädagogisch-praktische Ausrichtung ihrer weiteren Forschungen dort erklärt. Zwischen 1924-1935 absolvierte sie mehrere Forschungsaufenthalte in den USA, mit denen sie die Voraussetzungen für die relativ großzügige Förderung der Wiener Forschungen durch die Rockefeller Stiftung schuf.[2]

 Anfang 1938 war sie zu Forschungen in London und schließlich zu Vorträgen in Oslo, wodurch sie der drohenden rassistischen Verfolgung in Wien entkam. Dadurch, daß sie im gleichen Jahr eine Professur an der pädagogischen Hochschule in Trondheim erhielt, konnte sie ihren Exil-Status festigen und von Norwegen aus sich um die Entlassung aus der Haft und eine Ausreisemöglichkeit für ihren Mann kümmern, so daß dieser in die USA auswandern konnte. Erst als 1940 die Besetzung Norwegens durch die Deutschen bevorstand, folgte sie ihrem Mann  in die USA. Dort konnte sie allerdings in ihrem akademischen Fach nicht mehr Fuß fassen, was wohl nicht zuletzt in ihrer in der Wiener Zeit gefestigten Ablehnung der Psychoanalyse begründet war, die in der damaligen US-amerikanischen Psychologie zunehmend orientierend wurde. So war sie zunächst nur als Psychologin an Krankenhäusern tätig, worüber sie allerdings in therapeutischen Zusammenhängen zunehmend zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit tiefenpsychologischen Ansätzen kam (in Verbindung mit der geänderten Schwerpunktsetzung durch die Arbeit mit erwachsenen Patienten). Dadurch konnte sie 1958 in Verbindung mit ihrer klinischen Tätigkeit eine Professur für Psychiatrie an der Univ. South California in Los Angeles erhalten. 1971 kehrte sie nach Deutschland zurück, wo sie sich bessere Therapiemöglichkeiten für ihre inzwischen ausgebrochene schwere Krankheit erhoffte (dort lebten inzwischen auch ihre Kinder).

Schwerpunkt ihrer Wiener Forschungen war die Kinder- und Jugendpsychologie, für die sie eine empirische Basis in Selbstdarstellungen in Tagebüchern sah, verbunden mit systematischen Verhaltensbeobachtungen. Das baute sie zu einem großen Projekt aus, das die Strukturen des Lebenslaufs auf der Basis der systematischen und vergleichenden Auswertung zahlreicher Verlaufsprotokolle extrapolierte. Die von ihr in diesem Rahmen angeregten Arbeiten bestimmten das Forschungsprogramm der »Wiener Schule«. Dabei hatte bei ihr aber, anders als bei ihrer Mitarbeiterin Hildegard Hetzer, die sprachliche Form keinen eigenen Stellenwert. Insofern fand die ihrem Mann geschuldete Ausrichtung ihrer Dissertation keine Fortführung mehr. Daher ist  sie hier auch im Gegensatz zu Hetzer nicht als Sprachforscherin im engeren Sinne zu bezeichnen.

In den USA konnte sie zwar nicht mehr an ihre so erfolgreiche Zeit der früheren Forschungsaufenthalte anschlie­ßen, aber mit ihrer späteren therapeutisch ausgerichteten Neuorientierung,  einer von ihr gegen die orthodoxe Psychoanalyse ge­stellten »humanistischen Psychologie«, hatte sie dann doch noch einen ge­wissen öffentli­chen Erfolg; allerdings waren ihre Mitstreiter in diesem Feld eben­falls marginalisierte Emigranten wie Goldstein – in der wis­senschaftlichen Forschung war sie wohl weiterhin nur durch ihre älteren (vor der Emigration ver­faßten) empirischen Arbeiten prä­sent.

Q: Autobiographie in: L. J. Pongratz, W. Tra­xel, E. G. Wehner (Hgg.), »Psycholo­gie in Selbstdarstellungen«, Bern usw.: Huber 1972: 9-42; G. Bühring in: Volkmann-Raue/Lück 2002: 183-198; E. Probst, »Ch. B. Die Wegbereiterin der humanistischen Psychologie«, online zugänglich, s. http://www.med-kolleg.de/charlotte_buehler.html (Mai 2012).>

 


[1] Die Promotion erfolgte 1918; die Dissertation ist (ohne dort so ausgewiesen zu sein) in zwei Teilen publiziert: »Über Gedankenentstehung« (in: Zt. f. Psychologie 80/1918: 129-200) und »Über die Prozesse der Satzbildung« (in: Zt. f. Psychologie 81/1919: 181-206).

[2] Ausführlich dazu, auch zur kritischen Einstellung der Stiftung zu ihr (im Gegensatz zu Karl B.), s. G. Benetka, Psychologie in Wien. Sozial- und Theoriegeschichte des Wiener Psychologischen Instituts 1922 - 1938. Wien: WUV-Universitätsverlag 1995

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