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Fraenkel, Eduard David Mortier 

Geb. 17.3.1888 in Berlin, gest. 5.2.1970 in Oxford (Freitod).[1]

 

Trotz sei­ner Begeisterung für die klassische Philoso­phie, die bes. durch eine »Bildungsreise« durch Italien nach dem Abitur 1906/1907 bestimmt war, begann F. 1906 zunächst ein Jurastudium in Berlin, weil er für sich als praktizierenden Juden[2] keine Chance einer akade­mischen Karriere sah. Nebenher hörte er aber klass. Philologie, vor allem bei Wila­mowitz und wech­selte schließlich doch mit dem Ziel des Schuldienstes die Studienrichtung. Seit 1909 studierte er in Göt­tingen, vor allem bei Fried­rich Leo, bei dem er 1912 promovierte (s.u.) und dessen Arbeiten zum Altla­teinischen er später fortführte (1960 gab er dessen »Kleine Schriften« heraus). Seine fachliche Ausrichtung war von der Sprachwissenschaft bestimmt: in Göttin­gen von Wac­kernagel; in Berlin von W. Schulze, dem er auch später noch sein großes Werk über die la­teinische Akzentuierung (1928) widmete. Seine Dis­sertation war im Thema literaturge­schichtlich ausgerichtet (»De media et nova comoedia que­stiones se­lectae«),[3] rekonstruiert aber Abhän­gigkeiten späterer Au­toren (Plautus...) durch die direkten (Zitate) sowie die indirekten (Anspielungen) Formen der Bezug­nahme.

1913-1915 arbeitete er am lateinischen Thesaurus in Mün­chen, wo er me­thodisch wichtige Artikel redi­gierte (u.a. dies, fi­des); er ging dann in den Schuldienst und habili­tierte schließlich 1917 für klassische Philo­logie in Berlin. Danach unternahm er eine Reihe grundlegender Untersu­chungen zur (vor allem altlateinischen) Me­trik, die 1928 in »Iktus und Akzent im lateini­schen Sprachraum«[4] mün­deten, wo er auf­grund rigo­roser (auch statistischer) Aufberei­tung des Mate­rials (vor allem aus Plautus) die satzphonetische Akzentuie­rung in Spannung zum (fe­sten) Wortakzent rekonstruiert und dazu satzpho­netische Transformationsre­geln auf­stellt; er verweist dabei auf die Pro­bleme der Über­lagerung in der spä­ten Über­lieferung, die bei ansonsten phono­logisch gewandel­ten Struktu­ren z.T. literarische Iktus­muster tra­diert, neben »poetischen Lizenzen«, die aber eben doch alle in ei­nem vorgegebe­nen sprachlichen Horizont de­finiert sind. Die Reak­tion auf das Werk war widersprüchlich: J. B. Hofmann rühmte es für seine methodische Sorgfalt;[5] P. Maas un­terwarf es ei­ner stren­gen Detailkri­tik, die F. spä­ter auch überzeugt hat. Auch noch F.s letzte größere Veröf­fentlichung: »Leseproben aus Reden Ci­ceros und Catos«[6] ist neben ex­tensiven grammati­schen Texterläuterun­gen in der Hauptsache prosodi­schen Fragen ge­widmet; insbes. der Gliede­rung der Sätze in Kola (im Zusammenspiel von rhythmischen und gramma­tisch-syntak­tischen Faktoren); damit führte er explizit die Untersu­chungen Nordens zur »Kunstprosa« fort.

1920 wurde er in Berlin zum a.o. Professor er­nannt, 1923 zum o. Professor f. Klass. Philolo­gie in Kiel, 1928 nach Göttin­gen, 1931 nach Freiburg berufen. 1933 wurde er aus rassisti­schen Gründen entlassen. Trotz erfahrener Diskriminierung auch durch Kollegen (auch schon vorher in Göttingen) hatte er Schwierigkeiten, sich zur Auswanderung zu entschließen.[7] 1934 emigrierte er nach England, wo er in Oxford kolle­giale Auf­nahme fand, sich zeitweise aber auch in Skandi­navien auf­hielt. 1935 er­hielt er in Oxford den Lehrstuhl für Lateinische Sprache und Litera­tur, den er bis zur Emeritierung 1953 inne­hatte. Auch nach der Emeritierung setzte er seine Lehr­tätigkeit fort: in Oxford, wo er (s. Lloyd-Jones, Q) ge­wissermaßen den Typus des deut­schen Seminars ein­führte, vor allem aber in zahlreichen Gastpro­fessuren in Deutschland, der Schweiz und Italien (wo er einen großen Teil seiner späteren Arbeiten auch publizierte, bzw. wo seine Werke übersetzt wurden).

Entsprechend seinen Lehraufgaben sind seine späteren Pu­blikationen breit philologisch ange­legt: als ex­tensive Kom­mentare im Stile seines Lehrers Wilamo­witz; zur la­teinischen Literatur (Plautus, Horaz), aber auch zur griechischen (Aeschylos, Aristophanes) – so sehr er die Ei­genständigkeit der römischen Li­teratur betonte, so sehr lag ihm daran, die klassi­sche Philolo­gie als Ein­heit zu ver­treten. Au­ßer literari­schen Gegenständen be­arbeitete er gelegent­lich auch andersgeartete kulturge­schichtliche Themen – u.a. im Sinne seines frühen Jura­studiums auch sol­che der römischen Rechts­überlieferung. Seine Kleinen Schriften (»Kleine Beiträge zur Klas­sischen Philolo­gie«, 2 Bde.)[8] zeigen die Aus­richtung seiner Ar­beiten deutlich: auch wenn der Untertitel aus­drücklich »Zur grie­chischen Literatur« (Bd. 1) und »Zur rö­mischen Litera­tur« (Bd. 2) vermerkt, verber­gen sich dahinter doch vorwiegend Untersuchungen zu literaturge­schichtlich re­levanten Autoren – die hier neben der Be­arbeitung anderer (vor allem juristi­scher) Texte stehen, sowie systematische Bei­träge zur Wortbildung, Wortge­schichte und Syn­tax (wieder vor allem in Hinblick auf prosodi­sche Fragen).

Die Vertreibung aus Deutschland ist für ihn of­fensichtlich trauma­tisch gewesen. Die Nachrufe spre­chen direkt, mehr noch indirekt seine Schwierigkei­ten an, sich einer ihm außerordent­lich wohl ge­sonnenen und ihn als Autorität re­spektierenden aka­demischen Umge­bung an­zupassen. Die Schroff­heit, mit der er andere behandelte, Studie­rende (s. dra­stisch Lloyd-Jones [Q], S. 638 f.), be­sonders aber seine Fach­kollegen (alle seine Arbeiten sind von aggressiven, z.T. pole­mischen Kritiken durch­setzt), drückt wohl die eigene Verletzt­heit aus.[9] Of­fensichtlich kam er mit seiner Situa­tion erst bes­ser zu­recht, als er nach Kriegsende zumindest wieder den Kon­takt zur kontinentalen Heimat aufnehmen konnte (wobei er die Verhaltenswei­sen seiner Kollegen im ehemaligen »Reich« nicht ver­gaß, s. Lloyd-Jones [Q]: S. 638, Anm. 3). So wollte er auch den Tod seiner Frau Ruth von Velsen, die er 1910 im Seminar von W. Schulze kennenge­lernt hatte, nicht überleben und nahm sich bald dar­auf das Leben.

Q: V; BHE; Nachrufe von W. H. Friedrich, in: Jb. d. A.d.W. in Göttin­gen, Jg. 1970: 65-70; H. Lloyd-Jones, in: Gno­mon 43/1971: 634-640; Vol­behr/Weyl 1956; E. Hof­mann u.a. (Hgg.), Uni­versität Kiel, Bd. V, 2: 244-249; Wegeler 1996.



[1] Eine Schwester war mit Herman Fraenkel verheiratet, den F. aus seiner Göttinger Studienzeit kannte.

[2] In seiner Vita schreibt er »fidem profiteor mosaicam« (ich bekenne mich zum Mosaischen Glauben).

[3] Göttingen: Dieterich 1912.

[4] Berlin: Weidmann.

[5] In: Idg. F. 49/1931: 307-310.

[6] Rom: Ed. di Storia e Letteratura 1968.

[7] S. Wegeler 1996: 106-112, detailliert auch zu seiner Arbeit in Göttingen, fachübergreifend (mit Juristen und Historikern) sowie vor allem auch engagiert in der Lehrerausbildung. In Freiburg gab es allerdings auch Unterstüzung in der Universität: so setzte sich insbesondere auch der damalige Rektor M. Heidegger für F. beim Kultusminsterium ein, s. dessen persönliches Schreiben vom 12.7.1933 und auch die förmllich auf den Weg gebrachte Stellungnahme der Philos. Fakultät vom 19.7. 1933, abgedruckt in M. Heidegger, Gesamtausgabe, Bd. 16, Frankfurt: Klostermann 2000: 140 - 141 und 144 - 146.

[8] Rom: Ed. di Storia e Letteratura 1964.

[9] Diese Schroffheit findet sich aber auch schon in früheren Ar­beiten, s. etwa die ver­nichtende Re­zension der Dissertation von W. Rechnitz (1925), die er 1927 in der Savigny-Zeit­schrift veröf­fentlichte (wieder abgedruckt in den »Kleinen Schriften« II: 491-514). Zu seiner unangepaßten Art als Hochschullehrer in Oxford, s. den anekdotischen Bericht von S. West, E. F. in Oxford, in: »Magistri et Discipuli«, Kapitel zur Geschichte der Altertumswissenschaften im 20. Jhd., Toruń: Wydawnictwo Uniwersytetu Mikołaja Kopernika 2002: 51-70.

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