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Herzfeld, Ernst Emil

Geb. 23.7.1879 in Celle, gest. 21.1.1948 in Basel.

 

H. markiert im Corpus den Grenzfall eines Archäologen, der eher zwangsläufig auch philologisch-sprachwissenschaftliche Probleme bearbeitete. Nach dem Abitur in Berlin studierte er zunächst an der dortigen TH Ar­chitektur. Nach dem Abschlußexamen 1903 unternahm er in München und Berlin ein Zweitstudium der Archäologie, Geschichte und Orien­talistik (bes. Arabistik/Islamkunde). Im Rahmen dieses Studiums hatte er 1903-1906 bei Delitzsch an der großen archäologischen Expe­dition in Assur als Grabungsarchitekt teilgenommen, die er unter z.T. abenteuerlichen Umständen zu einer eigenen Exkursion nach Kurdistan/Persien nutzte (Pasargadai und Persepolis bei Shiraz). Auf der Grundlage der dabei angestellten Untersuchungen promovierte er 1907 in Berlin; 1909 habilitierte er dort für historische Geo­graphie. Er unternahm weiterhin regelmäßig Forschungsreisen in den Vorderen Orient, bei denen zunächst rein archäologische und kunstgeschichtliche Interessen im Vordergrund standen, wenn man seinen Berichten folgt.[1]

Im ersten Weltkrieg diente er als Offizier im Nahen Osten. 1918 wurde er in Berlin zum Professor, 1920 zum ordentlichen Professor für Historische Geographie ernannt. Er entfaltete eine umfangreiche archäologische Forschungsaktivität im gesamten altislamischen Raum, auf der Grundlage von Forschungsrei­sen nicht nur nach Mesopotamien (vor allem Syrien) und in den Iran, son­dern auch in die Türkei (Konstantinopel), nach Indien und Afghanistan. Sein detaillierter Bericht über eine achtmonatige Reise quer durch den riesigen Raum vom Irak bis nach Ostindien zeigt die Spannweite seines wissenschaftlichen Horizontes.[2] Er registriert alle kulturgeschichtlich interessanten Denkmäler, gleichgültig ob sie aus der islamischen oder vorislamischen Zeit stammen, christlicher oder zoroastrischer Provenienz sind. Dabei stehen für ihn zunehmend die Inschriften im Vordergrund, neben denen er aber auch durchaus aktuelle ethnologische Fragen behandelt.

Die abenteuerlichen Umstände der Reisen werden hier sehr deutlich, und auch sein oft frustrierender Kampf mit den Behörden um die Konservierung der entdeckten und durch archäologische Arbeiten oft ja erst freigelegten Denkmäler. Dabei machen die sehr unterschiedlichen Erfahrungen mit den Obrigkeiten zugleich auch sehr einsichtig, daß sich sein Forschungsinteresse zunehmend auf den Iran konzentrierte, wo er die größte Unterstützung, nicht nur bei den kolonialen Behörden, sondern auch bei den einheimischen Intellektuellen fand. Das spiegelt sich z.B. auch in seinem Bericht über buchkundliche Befunde: »Einige Buchschätze in Persien«,[3] wo er sich eingehend mit den überlieferten Fälschungen auseinandersetzt.

Seine umfangreich dokumentierten Publikationen über Samarra, Aleppo, Persepolis u.a. sind in der Archäologie bis heute wohl noch Standardreferenzen (s.u. Q. die Würdigungen).[4] Daneben publi­zierte er auch eine Reihe Sachbücher zu orientalistischen Themen. Die Publikation der Inschriften verband er nicht nur mit epigraphi­schen (schriftgeschichtlichen) Analysen, sondern eben auch mit de­taillierten sprachwissenschaftlichen Untersuchungen, etwa zur dia­lektalen Einordnung, so daß seine Arbeiten auch in genuin sprachwissenschaftlichen Untersuchungen zugrundegelegt wur­den.[5] Bereits die Dissertation (»Pasargadae. Aufnahmen und Untersuchungen zur persischen Archäologie«)[6] enthält etymologische Erklärungen der in den Quellen vorkommenden Namen u. dgl. Ausführlich so (mit der Diskussion des Verhältnisses der arabischen Wortformen zum parallelen Persischen) in seinen »Inscriptions et Monuments d’Alep (Matériaux pour un Corpus Inscriptionum Arabicarum)«.[7] Instruktiv für sein Verhältnis zu sprach­wissenschaftlich-formalen Fragen ist sein Nachruf auf seinen lang­jährigen Kollegen und Freund Max van Berchem, der sich in seinen letzten Jahren auf diese Fragen beschränkt hatte.[8]

Er selbst sah sprachwissenschaftliche Analysen als unverzichtbares Arbeitsinstrument bei seinen kulturgeschichtlichen Forschungen an, wie er in einem geradezu lyrisch gehaltenen Kommentar zu seiner großen Publikationsreihe deutlich macht: »Archäologische Mitteilungen aus Iran«.[9] erschienen nur bis zu Bd. 8/1936 – weitere geplante Bände konnten dann aufgrund seiner Vertreibung nicht mehr erscheinen. Die persönlich gehaltenen Kommentare zu methodischen Fragen finden sich in Bd. 2/1930, bes. S. 103. In den Kommentaren zu den publizierten Inschriften, aber auch in der Auseinandersetzung mit längeren Texten literarischer oder religiöser Orientierung demonstriert er ein souveränes Verfügen über das Methodeninstrumentarium der vergleichenden Sprachwissenschaft, wobei die Arbeiten über die ganze Bandbreite der Iranistik streuen, angefangen bei keilschriftlichen Überlieferungen des Altpersischen (die er auch in den Abbildungen abdruckt) über awestische Überlieferungen bis hin zu mittelpersischen Inschriften und Handschriften (immer auch mit schriftgeschichtlichen Kommentaren), wobei die methodischen Kommentare vor allem durch volksetymologische Umdeutungen bei Namen oder durch syntaktische Ambiguitäten in den Texten provoziert sind. Namenkundlichen Fragen widmet er auch eigene Aufsätze, z.B. »Awestische Topographie«,[10] mit ausführlichen etymologischen Analysen. Einer seiner Hauptgewährsleute in diesem Feld ist Tedesco.[11] Fachgenossen gegenüber, die das sprachwissenschaftliche Methodeninstrumentarium nicht zu nutzen wissen, ist er ausgesprochen kritisch eingestellt, wie er vor allem bei seiner sorgfältigen Trennung zwischen ethnologischen bzw. historiographischen Befunden und sprachgeschichtlichen deutlich macht.[12]

Von der rassistischen Verfolgung bedroht, blieb er als Weltkriegs­veteran bis 1935 (oder nur 1934 – so Moray, s.u.) auf seiner Professur, war allerdings schon seit 1923 andauernd für archäologische Grabungen beurlaubt.[13] In dieser Zeit leitete er u.a. auch eine archäologische Expedition für das orientalische Institut der Universität Chicago in Persepolis (1931-1934). Nach seiner Entlassung emigrierte er nach London, wo er ohne Stelle und institutionell-wissenschaftliche Arbeitsmöglichkeit an seinen Pu­blikationen vor allem über Persepolis (weiter-)arbeitete. 1936 migrierte er weiter in die USA, wo er in Boston eine Gastprofessur hatte. Seit­dem war er bis zu seiner Emeritierung 1944 Professor am Institute for Advanced Studies in Princeton. Obwohl er weiter außer in Eng­lisch auf Deutsch schrieb und publizierte, kehrte er nicht mehr nach Deutschland zurück. Als er 1947 bei einer Arbeit über die In­schriften von Halab (Aleppo) in Ägypten erkrankte, zog er sich in die Schweiz zurück, wo er 1948 starb.

Q: BHE; NDB (R. Ettinghausen); DBE 2005; Fück 1955: 291-292. Schriftenverzeichnis von G. C. Miles in: Ars Islamica 7/1940: 82-92. Nachruf und Ergänzungen zum Schriftenverzeichnis in: G. C. Miles (Hg.), »Archäologica Orientalia in memoriam E. H.«, Locust Valley, N.Y.: 1952; Artikel zu H. von S. R. Hauser, H. von Gall, D. Stronach, P. O. Skjaervo, in: Encclopædia Iranica 12/2003: 290-302; Hanisch 2001: 39; Ellinger 2006; Ein großer Teil des wissenschaftlichen Nachlasses ist beim Smithonian Institute in Washington, D.C., zugänglich, s. http://sirismm.si.edu/siris/sackler/Herzfeld/HerzfeldTop.htm.

 



[1] S. z.B. Sitzungsbericht der archäologischen Gesellschaft Berlin 34/1909: 13-22; Wochenschrift für klassische Philologie Heft 51/1910: Sp. 1410-1413.

[2] »Reisebericht«, in: Z. dt. Morgenländ. Ges. NF 5 (80)/1926: 225-284.

[3] In: Ephemerides Orientales 28/1928: 1-8.

[4] R. Schmitt (»Iranian Studies in German: Pre-Islamic Period«, in: Encyclopaedia Iranica 10/2001: 530-543) würdigt ihn als den Begründer der iranischen Archäologie überhaupt.

[5] S. z.B. die Hinweise in F. Rosenthals Forschungsbericht zum Aramäischen, 1939: 77.

[6] Tübingen: Laupp 1907.

[7] 3 Bde., Kairo: Institut français d’archéologie orientale 1954 -1956.

[8] In: Der Islam 12/1922: 206-213.

[9] Bd. I/1929 (1930), Berlin: Reimer.

[10] In Bd. II/1930: 49-98.

[11] Vgl. etwa Bd. II/1930: 110 oder Bd. VII/1935: 64.

[12] So zu Fragen mittelpersischer Dialektologie in Bd. VII/1935: 9-64.

[13] S. dazu und zu den institutionellen Verhältnissen in Berlin Renger 1979: 186.

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