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Wittgenstein, Ludwig Josef Johann

geb. 26.4.1889 Wien, gest. 29.4.1951 Cambridge

 

W. stammte aus einer der reichsten österreichischen Familien vor dem Ersten Weltkrieg, mit einem entsprechenden häuslichen Bildungsumfeld. 1906 machte er das Abitur (Matura) in Linz und begann danach ein Ingenieursstudium mit dem Schwerpunkt bei der Flugzeugtechnik an der TU Berlin, Abschluß 1908, fortgesetzt an der U Manchester. Für eine eigene Konstruktion erhielt er 1911 ein Patent; auch später beschäftigte er sich noch mit solchen Dingen. 1911 nahm er ein Studium der Logik in Cambridge (bei Russell) auf, wobei er von vorneherein an der Ausarbeitung eines eigenen Systems arbeitete. Seit damals schrieb er an einem entsprechenden Manuskript, vor allem in einem Ferienhaus in Norwegen, das er mit seinem damaligen englischen Lebensgefährten dort gekauft hatte.[1]

Seine Lebenssituation war in jeder Hinsicht von Spannungen bestimmt. Der Vater stammte aus einer jüdischen Familie aus Prag und war konvertiert; W. wurde strikt katholisch erzogen.[2] W. selbst war gesundheitlich labil (er leistete allerdings seinen Wehrdienst an der Front); drei seiner sieben Geschwister verübten Freitod. Seine Homosexualität konnte er ohnehin nicht öffentlich ausleben. Sein geerbtes Vermögen verteilte er zuerst als Mäzen, später verzichtete er ganz darauf zugunsten seiner Geschwister. Der rassistischen Verfolgung entkam er anders als seine anderen Familienangehörigen durch seinen Aufenthalt in England, wo er 1939 auch die Staatsbürgerschaft erhielt (eine in Österreich verbliebene Schwester kaufte sich eine Bescheinigung der „arischen“ Abstammung).

Am Ersten Weltkrieg nahm er als Freiwilliger an der österreichischen Front in Galizien teil. Nach der Rückkehr aus der italienischen Kriegsgefangenschaft 1918 stellte er sein erstes Werk fertig, das 1921 als „Tractatus Logico-Philosophicus“ erschien.[3] Mit ihm hielt er zunächst sein philosophisch orientiertes Werk für erledigt.[4] Vielmehr machte er noch eine Volkschullehrerausbildung am Institut von Bühler in Wien (1919/20). Bis 1926 unterrichtete er in Dorfschulen im ländlichen Raum (in der Gegend des Semmering), wobei ihn sein autoritäres Lehrerverhalten in Konflikte mit den Eltern brachte, sodaß er diese Tätigkeit wieder aufgab (er kam damit wohl einem drohenden Disziplinarverfahren zuvor). Ein Dokument seines pädagogischen Selbstverständnisses ist sein „Wörterbuch für Volksschulen“,[5] das indirekt auch seine sprachphilosophische Grundpositionen spiegelt. Es sollte als Grundlage für den Rechtschreibunterricht dienen; es enthält aber keine formulierten Regeln, sondern zeigt im Aufbau der Einträge die sprachlichen Regularitäten: mit dem Stichwort wird jeweils eine Wortfamilie (Ableitungen und andere Wortbildungen) präsentiert, grammatische Zusammenhänge, z.B. die Majuskelschreibung, werden durch die Kombination mit Artikelformen motiviert u.dgl. mehr. Dabei versuchte er, den Ausgang bei der den Schülern vertrauten Sprache zu nehmen, nahm aber auch vor allem technische Fachwörter auf, meist ohne deren Erläuterung.[6]  W. hatte das Bändchen für die Hand der Lehrer gedacht, die es (wie er es auch selbst praktiziert hatte), den Schülern diktieren sollten, damit diese ein kostensparendes Nachschlagemittel hätten und so zugleich in die schriftliche Form (ausgerichtet auf die Wortbilder) eingeübt würden.[7] 

Nicht zuletzt aufgrund der für ihn irritierenden Reaktionen auf den „Tractatus“, vor allem auch im sog. „Wiener Kreis“ (s. die von Waismann protokollieren Reaktionen in WK), nahm er seine philosophischen und dabei sprachanalytischen Reflexionen Ende der 1920er Jahre wieder auf und kehrte nach Cambridge zurück, wo er 1929 bei B. Russell (1872 - 1970) und G.E.Moore (1873 - 1958) mit dem Tractatus promoviert wurde.[8] Seitdem hatte er an der U Cambridge auch einen Lehrauftrag, lebte aber (nachdem er sein Erbe abgegeben hatte) von Stipendien, bis er 1939 dort zum Professor ernannt wurde (als Nachfolger von Moore). Auf dieser Stelle lehrte er bis 1947. Das philosophische Werk und die die ausgedehnte Sekundärliteratur dazu, deren Umfang dem eponymischen Status von W. für die sprachanalytische Neuausrichtung der neueren Philosophie entspricht (deren sog. „linguistic turn“), kann hier nicht dargestellt werden.[9] Im Folgenden geht es um W. als Sprachforscher bzw. die Anschlußmöglichkeiten seines Werks an die Sprachwissenschaft, die in der einschlägigen Literatur herausgestellt wird, weshalb ein Eintrag zu W. hier aufgenommen ist.

Im Tractatus bewegte W sich argumentativ weitgehend auf dem Boden der damaligen Logik, wie sie seit G. Boole (1815 – 1864) als symbolische Repräsentation gedanklicher Strukturen systematisch entwickelt wurde, wozu insbesondere Russell ein formales System vorgelegt hatte. Zugrunde lag dem ein Abbildungsverständnis der Semantik, mit den Namen für Gegenstände als Kern. W. steuerte dazu die Darstellung der logischen Verknüpfung von Propositionen mit Wahrheitstabellen bei, die seitdem Standard ist (T: 4.31).[10] Mit seiner sehr weit getriebenen Rekonstruktion der Prämissen der logischen Analyse beindruckte er vor allem auch Russell, der ihn seitdem konsequent förderte (s. auch im Anhang zu TB detaillierte formale Ausführungen in der Korrespondenz zwischen beiden und auch aus der damaligen Diskussion mit Moore). Dabei macht er aber auch schon deutlich, daß er mit dieser, letztlich ontologisch zu verstehenden Darstellung an eine analytische Grenze gekommen war, die ihn zunächst dazu brachte, diese Arbeit nicht mehr weiter verfolgen zu wollen. Es war für ihn fraglich, was der Gewinn einer solchen formalen Konstruktion sein sollte – ein Sprung auf die Ebene einer Metasprache mit dem Ziel, dort Grundlagen der „objektsprachlichen“ Verhältnisse zu definieren, war für ihn offensichtlich sinnlos: sprachliche Strukturen zeigen sich in dem, was mit ihnen praktiziert wird – nicht in dem, was über sie gesagt wird.[11] Daher war W. auch aufs äußerste irritiert über die Aufnahme, die der Traktat im Wiener Kreis fand – für ihn ein groteskes Mißverständnis, nachzulesen passim in WK. Umgekehrt war die Irritation nicht geringer: Carnap, der nach außen quasi als Sprachrohr des Wiener Kreises agierte, reklamierte W.s Arbeit zwar als grundlegend, distanzierte sich aber ausdrücklich von seiner philosophischen Position, s. bei diesem (vor allem in Carnap 1934/1936).

Seinem im 'Tractatus' entwickelten Grundgedanken ist W. in seinen Reflexionen seitdem immer weiter nachgegangen – konsequenterweise ohne sie in einem formalen System zu fixieren. So faszinierend die von ihm dabei entwickelten Überlegungen im einzelnen auch sind, sie zeigen immer wieder letztlich nur die paradoxe Grundstruktur dessen, was er gelegentlich auch „philosophischen Unsinn“ nennt. Insofern ist es auch nicht möglich, seine späten Überlegungen dem Kanon linguistischer Grundlagenliteratur einzuverleiben.[12] W.s philosophische Reflexion zielt darauf, jeden formalen Versuch einer Selbstbegründung ad absurdum zu führen – und sie findet dafür auch eine adäquate paradoxe Form, die sich einem Versuch einer systematischen Modellierung konzeptueller Zusammenhänge verweigert, die auf eine konsistente Form angewiesen ist.[13] 

So müssen eben auch die von W. durchgängig genutzten argumentativen Figuren gelesen werden, die in der Sekundärliteratur zu einer Art alternativer Kategorien stilisiert werden, wie insbes. seine Rede von Sprachspielen. Der W.sche Ausdruck ist im Gegensatz zu dem oft Hineingelegten als eine Variante von Beispiel zu lesen: als narrativ gestrickte Exkurse, mit denen W. jeweils eine seiner Überlegungen durchspielte.[14] Mit diesen zeigte er, daß Sprache sich in der Sprachpraxis zeigt, in der sie gespielt wird. Aus seinen beigebrachten Beispielen kann keine Typologie von Sprachspielen extrapoliert werden, wie es die sprachwissenschaftliche Forschungsliteratur mit Verweis auf ihn öfters versucht. Es gibt für W. auch keine Notwendigkeit, daß seine verschiedenen Sprachspielexkurse gleichsinnig sein müßten (eher noch: im Gegenteil …). In seinen nach-Tractatus Arbeiten dient ihm das Spielkonzept zur Distanzierung von der ihn vorher leitenden Kalkülvorstellung. Dabei hat der Ausdruck durchaus einen analytischen Status: W. entwickelte damit ein diskursives Konzept von Bedeutung, entsprechend einem Zug in einem (Brett- o. ä.) Spiel, der seinen spezifischen Wert in Hinblick auf die damit eröffneten Möglichkeiten (bzw. Beschränkungen) von weiteren Spielzügen erhält – im Gegensatz zu einem statischen Bedeutungskonzept, das fix durch die Repräsentation eines Sachverhalts expliziert wird.[15]

Mit dieser Argumentationsform artikulierte W. seine Abkehr von dem letztlich ontologisch definierten Begründungsversuch der Analyse im Tractatus, der sich vor allem am Konzept des Namen mit einem eindeutigen Denotat festmacht, das dort (wie auch bei Russell) gewissermaßen die Verankerung der Interpretation sicherstellen soll (s. z.B. T: 3.203 und die explizite Kritik daran in PU: 46). Mit seinen Sprachspielen stellte er sich in die "mäeutische" Tradition sokratischer Dialoge, die er im übrigen auch öfters explizit anführt: er nimmt argumentative Figuren, die scheinbar selbstverständlich sind, auf und spielt sie in ihren Konsequenzen durch, bei denen sich zeigt, daß die vordergründig evidenten Analogien zu Widersprüchen führen. So immer wieder bei dem offensichtlich naheliegenden Rückgriff auf Regeln oder das "pragmatische" Kriterium der Wirkung einer Äußerung, z.B. mit der Parallele von Regeln für das Kochen (PG 133) und sprachlichen Regeln (Regularitäten): die so in den Blick genommenen Zusammenhänge erweisen sich dabei als Nebengleise für eine Reflexion auf Sprache, die sich immer als unhintergehbare Voraussetzung zeigt, weil die Reflexion auf Sprache notwendig selbst sprachlich artikuliert ist. Aus dem alltäglichen Sprachhandeln sind die Wirkungen der Äußerungen nicht wegzudenken - aber von ihnen aus erschließt sich nicht, was dieses ermöglicht.  

Die Argumentationen zum Regelbegriff, die sich von T bis zu seinen späten Arbeiten, insbesondere auch zu ÜG durchziehen, haben bei ihm einen systematischen Status. Sie sind immer parallel entfaltet: mit umgangssprachlich artikulierten Sprachspielen, vor allem so in seinen Ausführungen über die Grundlagen der Mathematik. Diese dürften auch den härteren Block in seinen Überlegungen bilden, der auch seine Rückkehr zur Philosophie Ende der 1920er Jahre bestimmt hat. Seine Abkehr vom philosophischen Geschäft war durch seine Kritik an Russell bestimmt gewesen, den er im Vorwort zu T „meinen Freund“ nennt – im bemerkenswerten Kontrast zu dem dort herausgestellten Einfluß der „großartigen Werke Freges“. Die Kritik richtete sich gegen Russells Unternehmen, die logischen (und damit auch mathematischen) Grundlagen durch ein Abspecken der (nicht formalisierten) sprachlichen Argumentationsformen von ihren sprachidiosynkratischen Formen zu entwickeln; dieses fand in allen späteren „logizistischen“ (wie es vor dem 2. Weltkrieg hieß) Bemühungen eine Fortsetzung, die Grundlagen in einer formalen Metasprache zu explizieren, also in einem Regelsystem. Ein solcher Zugang führte für W. in einen unendlichen Regreß, da so aufgestellte Regeln ihrerseits wieder Regeln benötigen, um zu funktionieren, und so ad infinitum.

Offensichtlich fand er in den damaligen Anläufen zu einer intuitionistischen Neubegründung der Mathematik den Ansatz für einen alternativen Zugang; entscheidend war dafür wohl ein Vortrag von Brouwer am 10.3.1928 in Wien, den er gehört hat (s. WK: 16).[16] Wie die Intuitionisten wandte er sich von allgemeinen Aussagen über die unendliche Menge der möglichen Strukturen (also eines Aktual- Unendlichen) ab und sah den Gegenstand in der Reflexion auf den praktischen Vollzug mathematischer Aktivitäten (Berechnungen …), die in der damit verbundenen Sicherheit, daß sie zum Erfolg führen, ihre Grundlage haben. Die theoretisch ausgerichtete Reflexion muß verankert beiben im praktischen Vollzug der analytischen Arbeit: ein "totalisierendes" Herausspringen (wie es Sartre bezeichnet hat) führt nur in sinnlose Gedankenspiele.

Das machte für ihn die Sprachpraxis (also die „naive“ Ausübung der Sprache) aus. So bewegen sich seine Ausführungen immer wie ein Weberschiffchen zwischen relativ formalen mathematischen Argumentationen und eher alltagssprachlichen Sprachspielen (so z.B. auch in BM). Der Vorzug der mathematischen Sprachspiele bestand für ihn (wie auch für dei Intuitionisten) nur in der konkreten Überschaubarkeit der dort auch formal geregelten Vorgaben, die wegen der dazu geforderten Instruktionen für das Mitspielen (bzw. Lernen) einen gewissen Modellcharakter haben. Aber er kommt immer wieder darauf zurück, daß auch die „Regeln“ der Mathematik nur in ihrem Vollzug Sinn machen, der (wie bei den Intuitionisten) immer nur eine endliche Abfolge von Schritten darstellt. Dabei stellt er heraus, daß die mathematischen Strukturen ihr Fundament im Alltag haben, wo sie gebraucht werden (in beiden Bedeutungen des Wortes), vgl. z.B. BM: I.3 – 4 und auch V.2 („Es ist der Mathematik wesentlich, daß ihre Zeichen auch im Zivil gebraucht werden“ [Hervorhebung im Text]). Auf die Alltagssprache umgelegt entspricht dem bei ihm die Figur der Familienähnlichkeit: gegen das Postulat „wesentlicher“ Eigenschaften als Grundlage für Klassenbildungen stellt er das Fortschreiten in einer Reihe von Beobachtungen, die Korrespondenzen feststellen.

Allen „philosophischen“ Bemühungen, sich mit einer metasprachlichen Reflexion aus der Affäre zu ziehen, hält er entgegen, daß sie sich damit, statt die Sprache im Blick zu behalten, nur in eine andere (von ihnen konstruierte) Sprache flüchten. Das analytische Geschäft muß bei der analysierten Sprache bleiben – und bei der Isolation von sprachlichen Momenten deren Vollzug in den Blick nehmen, wie er es in der inzwischen zum geflügelten Wort gewordenen Stelle in PU: 43 ausdrückte: „die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache“ – und nicht das, was eine metasprachliche Explikation vorgibt. Daher finden sich bei ihm keine analytischen Erklärungen, sondern Sprachspiele, die den sprachlichen Vollzug exemplarisch (und rhapsodisch) vorzeigen. Gegen die in der reichen Sekundärliteratur oft herausgestellten Unterschiede im Werk (dem "frühen" gegenüber dem "späten" W. - das erste zielt dann i.d.R. auf T) gibt es keinen Bruch in seiner Argumentationslinie: bereits in T stellt er heraus, daß Sprache nicht formal zu explizieren ist, vgl. z.B. T: 4.121 "Was sich in der Sprache spiegelt, kann sie nicht darstellen. Was sich in der Sprache ausdrückt, können wir nicht durch sie ausdrücken. Der Satz zeigt die logische Form der Wirklichkeit. Er weist sie auf." (Hervorhebungen im Original). Das gibt seinen frühen Texten einen Janus-Charakter: einerseits sind sie artikuliert im Format axiomatischer Modellierung, wie es damals David Hilbert (1862-1943) für die Mathematik kanonisiert hatte, andererseits zeigen sie die Grenzen einer solchen Modellierung auf.

Dafür nutzt er durchgängig (seit dem T) die Figur des Bildes: (z.B. "Wir machen uns Bilder der Tatsachen", T: 2.1), das nicht auf der Schiene der traditionellen Erkenntnistheorie mißvestanden werden darf, gegen die sich seine Argumentation ja richtete. Es geht bei ihm nicht wie dort um das Verhältnis der Vorstellungen / Gedanken zu ihrem "Urbild" in der Welt, sondern um die Strukturen des "Bildes", die in der Form seiner (sprachlichen) Darstellung zu fassen sind. Bild ist im Sinne der mathematischen Funktionentheorie zu verstehen, als Exponent von Zuordnungen formal definierter Einheiten. "Metaphysische" Fragen nach dem "Urbild" machen für ihn keinen Sinn, da sie dieses ja auch nur als "Bild" zu fassen bekommen.

Zur aporetischen Form seiner Überlegungen gehört auch, daß er es als unzureichend herausstellte, die Reflexion nur auf das empirisch bereits Vollzogene zu beschränken (vgl. „Es ist eine Hauptquelle unseres Unverständnisses, daß wir den Gebrauch unserer Wörter nicht übersehen“, PU: 122 – Hervorhebung im Text; und auch schon in T: 5.555: „mit dem muß ich es zu tun haben, was es mir möglich macht, sie (d.h. die Formen, UM) zu erfinden“). Gerade auch die theoretisch intendierte Reflexion muß bei ihrem nicht abschließbaren Vollzug (bzw. Voranschreiten) ansetzen, statt anschaulich Greifbares (bereits Vollzogenes) zu fetischisieren.

In diesem Sinne sprach W. bei analytischen Argumentationen von der Sprache als Kalkül (auch noch in seinen späteren Schriften, z.B. in PG)  - im wörtlichen Sinne von Rechnen, nicht von algebraischen Strukturen wie in der Konstruktion der Mengenlehre, die sie als aktual Unendliches modelliert. Die Regeln des Kalküls stellen nur sicher, daß das Rechnen unbegrenzt fortschreiten kann. Nur in diesem Sinne sind verallgemeinernde Aussagen über Sprache für ihn sinnvoll, vgl. "Eine allgemeine Satzform bestimmt den Satz als Glied eines Kalküls" (PG 80).[17]  

Ein Ergebnis dieser Reflexion ist für ihn, daß der praktische Vollzug die für ihn notwendige Sicherheit nur haben kann, wenn er sich der Übereinstimmung mit den andern sicher ist, die ihn ebenfalls praktizieren. Das schließt nicht nur solipsistische Begründungen aus – es partikularisiert auch diese Sicherheit in ihrer Bindung an die Gemeinschaft derer, die den gleichen Vollzug praktizieren. In diesem Sinne fungiert bei W. die Lebensform als letzte Instanz der Begründung,[18] verstanden als Gesamtheit solcher Überstimmungen in der Praxis – auch das nur ein von ihm negativ eingeführter Terminus in Abgrenzung zu einer formalen Begründung mit einem Axiomensystem (i.S. der zeitgenössischen Arbeiten von D. Hilbert, gegen die sich auch die Intuitionisten richteten). Die jeweilige Lebensform zeigt sich in den Sprachspielen - das ist ein Fundierungsverhältnis, das die beiden Begriffe bei W. nicht austauschbar macht, wie es in manchen Darstellungen erscheint.

Diese Partikularisierung der Fundierung führt in Aporien: sie erlaubt ggf. nur, die Andersartigkeit in einer nicht übereinstimmenden Praxis zu konstatieren – es gibt damit keinen Rückgriff auf eine kritische Ressource. Das wird besonders deutlich in W.s Versuchen, mit Problemen „magischer“ Denkweisen zurechtzukommen, für die er sich Anfang der 1930er Jahre mit ethnologischen Schriften befaßt hat (vor allem von J.G.Frazer, 1854 - 1941). Für ihn lassen sich magische Denkformen nicht auf der Ebene eines Vergleichs etwa nach richtig oder falsch beurteilen: wo sie befremdlich sind, handelt es sich eben nicht um Erfahrungsätze in „unserer“ Sprache, die von unseren "grammatischen Sätzen" getragen werden, sondern sie zeigen nur eine andere Grammatik.[19] Dabei verwendet er Grammatik im weiten Sinne für eine eingespielte Sprachpraxis. In seinen Sprachspielen bringt W. es fertig, diese Überlegung bis zu einer monadologischen Position durchzuspielen, für die das Bild einer Fliege im Fliegenglas geradezu sprichwörtlich geworden ist, die dort ebenso wenig heraus kann wie wir aus unserer Grammatik (s. PU: 309), vgl. auch schon T: 5.62 „Daß die Welt meine Welt ist, das zeigt sich darin, daß die Grenzen der Sprache (der Sprache, die allein ich verstehe) die Grenzen meiner Welt bedeuten.“ (Hervorhebungen im Text).

Die Bindung der Grammatik an die Übereinstimmung mit denen, mit denen eine gemeinsame Praxis besteht, wird in der jüngeren Diskussion öfters als Grundlage dafür genommen, W. als Kronzeugen für die neuere (vor allem auch generativistische) Sprachwissenschaft zu reklamieren - wogegen aber schon die oben angeführte Grundfigur des Kalküls bei W spricht. Als Ansatzpunkt für diese Sichtweise dient W.s Argument von der unmöglichen „Privatsprache“.[20] An dem „privatesten“ Gegenstand von Äußerungen: psychischen Empfindungen und Erlebnissen, führte W. immer wieder vor, daß sie nur in einer öffentlichen Form thematisch werden können: nur in der Form, in der sie „lebensweltlich“, also in der Verständigung mit andern darüber, Gegenstand werden, sind sie auch für mich ein Gegenstand. Extensiv durchgespielt hat W. das in einer umfangreichen Folge von Notizen, die er 1946 - 1949 niedergeschrieben hat (BP) - von den Herausgebern mit dem zumindest im Deutschen irreführenden Titelwort Psychologie publiziert, das auf eine wissenschaftliche Disziplin zu verweisen scheint, um die es W. aber nicht ging.[21] Nach der kognitiven Wende in der Generativen Grammatik (festzumachen an Chomskys „Aspects of the theory of syntax“, 1965) wurde daraus ein Beleg dafür, daß W. mit dieser Argumentation mit Chomskys „competence“-Konzeption vom Gegenstand sprachwissenschaftlicher Theoriebildung (in Abgrenzung von der sprachlichen „performance“) übereinstimme.[22]

Bei diesem Mißverständnis von W.s Unternehmung bildet die Rede von der Grammatik (bzw. von grammatischen Sätzen) eine falsche Fährte. Bei W. handelt es sich um eine argumentative Figur zur Exploration der fundierenden Übereinstimmung in der Lebenswelt. Im Gegensatz zu einem „Erfahrungssatz“, der gewissermaßen einen kontingenten (anekdotischen) Sachverhalt ausdrückt, zeigen grammatische Sätze die sprachlichen Voraussetzungen dafür, solche Sachverhalte zur Sprache zu bringen: an ihnen zeigt sich das "Netz" der Sprache (PG 102). Sie haben zwar die gleiche Form wie die Erfahrungssätze (sonst wären sie ja keine Sätze einer Sprache), aber sie werden von Erfahrungssätzen vorausgesetzt, sodaß ihre alltagspraktische Äußerung sinnlos ist; es macht z.B. alltagspraktisch keinen „Sinn“ zu sagen „Ich weiß, daß ich zwei Hände habe“ (so in vielfach variierter Form in ÜG; bei W. kommen solche Sätze nur in „sinnlosen“ philosophischen Sprachspielen vor) – aber sie sind in der Sprachpraxis (und damit gewissermaßen von jedem Erfahrungssatz) impliziert.[23]

Diese W.sche Redeweise ist im Kontext von der von W. seit Beginn seiner philosophischen Unternehmung gesuchten Abgrenzung zu Russell zu sehen (s.o.). Dieser hatte das philosophische Geschäft, insbesondere die Grundlegung der Logik, explizit als Auseinandersetzung mit den Strukturen der (Umgangs-) Sprache angelegt: als Extrapolation einer reinen (bei ihm: „philosophischen“) Grammatik, die alle sprachidiosynkratischen Formen abstreift.[24] Während Russell sich ausdrücklich darum bemühte, die formale (logische bzw. mathematische) Argumentation an die Umgangssprache, also die alltagspraktische Argumentation, rückzubinden und daher auch die Entsprechungen systematisch explorierte, blendete W. (hier tatsächlich in den Fußspuren von Frege) solche Fragen der sprachlichen Form aus – und damit eben gerade das, was das sprachwissenschaftliche Grammatikprogramm definiert.[25]

Obwohl W. in seinen „Sprachspielen“ z.T. sehr eigenwilligen (umgangs-) sprachlichen Ausdrucksformen nachgeht, bleibt er letztlich auf einer aussagenlogischen Ebene, die von der Zerlegung der Propositionen in ihre grammatisch artikulierten Bestandteile abstrahiert. Das ist umso bemerkenswerter, als gerade sein Vorbild Frege den grammatischen Formen die Artikulation der „Gedanken“ zuschrieb und damit ein analytisches Programm vorgegeben hatte. Bei W. finden sich davon nur lakonische Bemerkungen wie T: 3.251 „Der Satz ist artikuliert“; für die Form der Artikulation hat er zwar öfters den Verweis auf die Syntax, verstanden als die sprachlichen Muster, mit denen Äußerungen („Sätze“) zu bilden sind – ohne das aber weiter zu explizieren.[26] Immerhin spielt er in seinen Sprachspielen durchaus Implikationen von formalen Strukturen durch, z.B. durch die Umstellung von Wortstellung u.ä., am ausführlichsten so in PG.

Gerade die Fülle kursorisch vorgetragener „Sprachspiele“ macht deutlich, daß eine Analyse der sprachlichen Form nicht W.s Ziel war. Die besondere Architektur in seiner Reflexion spiegelt sich schon im Tractatus, der nach den analytischen Argumentationen in Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Logik mit einem Abschnitt über Ethik und Mystik endet, der die meisten W.adepten ratlos läßt. Er ist ein Indiz dafür, daß W.s Unternehmen nicht von der formalen Seite her verstanden werden kann (jedenfalls nicht seinem eigenen Verständnis nach).[27] Das zeigen auch seine letzten Niederschriften, an denen er noch bis unmittelbar vor seinem Tod schrieb (ÜG): seine Frage nach der „Gewißheit“ reformuliert die cartesische Grundfrage der neueren Philosophie, deren Bindung an ihre sprachliche Artikulation allerdings der kritische Punkt für W. war. Anders als bei Husserl, der von der gleichen cartesischen Grundfrage ausging, wurde bei W. die sprachliche Form kein zentraler Untersuchungsgegenstand.[28]  

W. verstand sein Unternehmen explizit immer als philosophisch - und nicht (sprach-)wissenschaftlich-erklärend. Die sprachanalytische Seite seiner Analysen richtete sich kritisch gegen die akademische Philosophie, vgl. "die Aufgabe der Philosophie ist (es) ..., den Sprachgebrauch unserer Sprache - der bestehenden - zu klären" (PG 72). Das implizierte für ihn durchaus eine Sprachkritik: schließlich "werden wir eben von der Ausdrucksweise unserer Sprache irregeleitet" (PG 109), wofür er immer wieder Beispiele durchspielt. Gewissermaßen potenziert wird für ihn diese Irreführung in der schulgrammatischen Begrifflichkeit (etwa der Wortarten), am ausführlichsten so in BB.
 
W. zu lesen ist faszinierend, aber auch anstrengend. Läßt man sich darauf ein, ist die Flut akademischer Neuaufgüsse nur verdrießlich, bei denen nahezu jede(r), der (die) im intellektuellen Diskurs was hermachen möchte, für seine (ihre) Arbeit einen Anknüpfungspunkt bei W. sucht – und findet. Das ist auch nicht sonderlich schwierig, da W.s assoziativ gestrickten Überlegungen alle möglichen Gegenstände streifen. Wo es sich um technische Dinge handelt, spiegeln sich darin immerhin auch seine Ingenieursaktivitäten (s. z.B. zu Konstruktionsproblemen einer Dampfwalze, PG: I, 141). Bei vielen anderen Bemerkungen spricht aber nichts dafür, sie weiter auszudeuten, wie es der Fall ist, wenn W. beiläufig z.B. assoziative Bemerkungen über Lektüre (?)-Eindrücke bei einem Shakespeare-Text macht (Z: 501, 518 u.ö.), was eine inzwischen ausgedehnte Diskussion um W. als Literaturtheoretiker losgetreten hat.[29]  Auch W. ist nicht gegen eine solche Fledderei seiner „Werke“ gefeit.

 

Nicht zuletzt die sprachliche Form seiner Aufzeichnungen macht deutlich, daß W. im Exil lebte: seine Notizen schrieb er auf Deutsch; nur Texte, die für seine Lehrveranstaltungen bestimmt waren, diktierte er auf Englisch – und machte sich dann daran, sie anschließend auf Deutsch zu übersetzen, s. die Hinweise bei von Wright (Q).[30] Wie sehr er in seiner Heimatsprache verankert blieb, zeigen nicht zuletzt bei ihm durchgängig auftretende Austriazismen (z.B. bremseln "kribbeln o.ä.", PG 70).

W. ist zweifellos eine der großen Gestalten in der Tradition der Sprachreflexion seit den Vorsokratikern. Aber anders als z.B. Husserl gehört er nicht zu denen, die auf die Sprachwissenschaft im engeren Sinne Einfluß genommen haben - und auch nicht haben konnten.[31] Seine Position, daß die Sprachpraxis wie in seinen „Sprachspielen“ nur exemplarisch gezeigt werden kann, steht eben grundsätzlich gegen jeden Versuch einer konstruktiven Modellierung; daran ändert auch die Einschränkung nichts, daß diese wie bei der Sprachwissenschaft ihren Gegenstand nur partiell erfaßt. In diesem Katalog ist W. daher nur im weiteren Sinne von Sprachforschung zu berücksichtigen.  
 
 

Q: W.s Werke werden (bis auf das dort nicht abgedruckte Rechtschreib-Bändchen, 1926. s.u.) nach der Frankfurter Werkausgabe zitiert (Frankfurt: Suhrkamp 1960 ff.) mit den folgenden Kürzeln: BB = Das Blaue Buch. Eine philosophische Betrachtung (Ms. 1933 - 1935, Band 5/ 1970); BF = Bemerkungen über die Farben (Ms. 1950; Band 8/ 1989: 7 - 112); BM = Bemerkungen über die Grundlagen der Mathematik (Ms. 1937 – 1944; Band 6/ 1974); BP = Bemerkungen über die Philosophie der Psychologie / Letzte Schriften über die Philosophie der Psychologie (aus dem Nachlaß, Bd.7 / 1989); PB = Philosophische Bemerkungen (aus dem Nachlaß; Band 2/ 1964); PG = Philosophische Grammatik (Ms. 1931 – 1933; Band 4/ 1969); PU = Philosophische Untersuchungen (Ms. 1947 – 1949; Band 1/ 1960: 279 – 544); T = Tractatus (1921 / 1922; Band 1/ 1960: 9 - 83); TB = Tagebücher (1914 – 1916 [mit Ergänzungen]; Band 1/ 1960: 85 - 278); WK W. und der Wiener Kreis (aus dem Nachlaß von F. Waismann, Bd. 3/ 1967); ÜG Über Gewißheit (1949 - 1951, Band 8/ 1989: 113 - 257); Zettel und Vermischte Bemerkungen(aus dem Nachlaß, Band 8/ 1989: 259 - 443). Wenn W. seine Werke mit einer eigenen Gliederung (numerisch durchgezählt) versehen hat, wird danach zitiert, sonst mit Seitenangaben nach dieser Ausgabe.
Inzwischen gibt es auch andere Textgrundlagen, u.a. eine Wiener Ausgabe (Wien: Springer 1994 ff.), sowie vor allem auch die elektronisch zugänglichen Handschriften, veranstaltet vom Wittgenstein-Archiv in Bergen, s. dazu https://Wittgensteinreprository.org … (P.Keicher, Die Wittgenstein-Werkausgabe und ihre Quellen im Nachlaß).

Für die komplexe Publikationsgeschichte der Werke s. bes. Georg Henrik von Wright, Wittgenstein, Oxford: Blackwell 1982 (von Wright, der auch W.s Nachfolger in Cambridge war, war mit W. befreundet, sodaß seine Einschätzungen besonderes Gewicht haben). Für Hinweise danke ich M. Bierwisch und M. Lang.

 

[1] David H. Pinsent (1891 – 1918) hatte in Cambridge Mathematik studiert, wie W. auch bei Russell. Eine weitere Verbindung zwischen beiden war auch die Flugzeugtechnik. Pinsent arbeite dort, u.a. auch als Testpilot. Am 8.5.1918 starb er bei einem Absturz. W. widmete ihm den Traktatus – allerdings findet sich die Widmung in den späteren Ausgaben nicht.

[2] Zu den Familienverhältnissen, s. A. Waugh, Das Haus Wittgenstein: Geschichte einer ungewöhnlichen Familie. Frankfurt: Fischer 2009 (orig. engl. 2009). Fragen zum Jüdischen ziehen sich durch seine lebenslang geführten Notizen, s. „Vermischte Bemerkungen“, Z: 445 – 573.

[3] In: Ostwalds Annalen der Naturphilosophie.1922 erschien eine korrigierte engl.-deutsche Ausgabe. Zu der komplizierten (z.T. auch verworrenen) Publikationsgeschichte, s. von Wright (Q).

[4] Versuche von Freunden und Förderern, ihn zur Weiterarbeit daran zu bewegen, lehnte er zunächst ab, so z.B. in einem Brief an Keynes vom 4.7.1924: "Alles, was ich wirklich sagen mußte, habe ich gesagt (,) und damit ist der Quell vertrocknet." (zitiert in WK 12).

[5] Wien: Hölder-Pichler-Tempsky 1926, Nachdruck hg. von A.Hübner / W. und E.Leinfellner, Wien: Hölder-Pichler-Tempsky 1977.

[6] Das Werkchen (42 dreispaltig eingerichtete Seiten) wurde ministerial für den Schulgebrauch auch zugelassen – trotz einiger Bedenken bei dem Gutachter, der monierte, daß eine systematische Kontrolle des aufgenommenen Wortschatzes (etwa an Häufigkeitswörterbüchern) nicht erfolgt sei (abgedruckt in der Einleitung zur Neuausgabe 1977).

[7] In der philosophisch orientierten Wittgenstein-Diskussion wird dieses Werk in der Regel ignoriert. Die Folge sind auch problematische editorische Eingriffe in die publizierten Texte, bei denen W.s Rechtschreibung als „altertümlich“ und „manchmal offensichtlich inkorrekt“ qualifiziert wird, s. die Hgg. Anscombe / von Wright in BP: 7.

[8] Die sonstigen von der Prüfungsordnung verlangten Studienanforderungen wurden ihm erlassen.

[9] Für eine systematisch angelegte Einführung in das Werk, s. Hans-Johann Glock, A Wittgenstein Dictionary. Oxford: Blackwell 1996 (dt. Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 2000).

[10] Diese Matrizendarstellung wurde zwar schon vorher praktiziert, aber in der von W. vorgestellten Form seitdem zum Standard. W. hatte seinen Text mit einer fortlaufenden Dezimalzählung gegliedert, nach der ich hier zitiere.

[11] Eine nach wie vor ausgezeichnete Explikation des Tractatus hat Erik Stenius geliefert („Wittgensteins Traktat. Eine kritische Darlegung seiner Hauptgedanken“, dt. Frankfurt: Suhrkamp 1969, 1. A. engl. 1960).

[12] Wie es inzwischen durchgängig der Fall. Ein Beispiel mag genügen: bei L.Hoffmann (Hg.), Sprachwissenschaft. Ein Reader. Berlin: de Gruyter 1996) wird W. als einer der „Begründer der Pragmatik“ aufgelistet (d.h. der linguistischen Pragmatik – dort in der Einleitung, S.5) und mit Textauszügen vorgeführt.

[13] In der ausufernden Sekundärliteratur zu W. ist das von Vertretern einer formalen Modellierung schon oft herausgestellt worden; so von dem Frege-Spezialisten Michael Dummett (1925 – 2011), von ihm z.B. Wittgenstein’s philosophy of mathematics, in: The Philosophical Review 68/ 1959: 324 – 348. Er verweist darauf, daß ein sprachtheoretisches Wörtlichnehmen von W.s aporetisch entfalteter Argumentation es unverständlich macht, wie mit Sprache Neues ausgedrückt und verstanden werden kann.

[14] Dieser Hinweise darf allerdings nicht überstrapaziert werden, da solche etymologischen Zusammenhänge für W. vermutlich nicht transparent gewesen sein dürften: Beispiel kann als Modellwort in seiner im älteren Deutsch üblichen Bedeutung von bi-spelan dienen, mit spelan für „erzählen“ u.dgl.

[15] Das wird bei jüngeren sprachphilosophischen Arbeiten produktiv, die, statt W.s aphoristische Bemerkungen weiterzuspinnen, diese analytisch quasi implementieren, so z.B. Robert R. Brandom, Making it explicit. Reasoning, representing, and discursive commitment. Cambridge, Mass.: Harvard univ. pr. 1994.

[16] Zum Intuitionismus und L.E.J. Brouwer (1881 – 1966) s. hier auch bei Freudenthal.

[17] Die Angabe von Regeln für das unbegrenzte Fortschreiten ist zu unterscheiden von der für W. sinnlosen Rede über die unendliche Menge der Sätze einer Sprache (also ein aktual Unendliches), insbesondere mit der Konsequenz der dadurch postulierbaren Aussagen über ausgeschlossene Strukturen. Insofern kann W. auch nicht als Pate für das (jüngere) generativistische Unternehmen dienen.

[18] Vgl. z.B. PU: 23 „Das Wort Sprachspiel soll hier hervorheben, daß das Sprechen der Sprache ein Teil ist einer Tätigkeit, oder einer Lebensform.“ (Hervorhebung im Text)

[19] Befremdlicherweise sind die entsprechenden Niederschriften nicht in PU publiziert worden, sondern von einem von deren Hgg., R. Rhees, 1967 separat als (L.W.) “Bemerkungen über Frazers ‘The Golden Bough’”, in: Synthese 17 / 1967: 233-253.

[20] So vor allem S. Kripke, Wittgenstein on Rules and Private Language. Oxford: Blackwell 1982 (dt. Frankfurt: Suhrkamp 1987).

[21] Im Englischen (und daher auch in W.s eigenem Sprachgebrauch) ist die Abgrenzung zwischen psychisch und psychologisch nicht fest.

[22] So explizit Kripke (wie Fn. 20), vgl. in der dt. Ausgabe bes. S. 44 – 46 und S. 123. Im Kielwasser der damaligen Neuorientierung der Sprachwissenschaft in den früheren philologischen Fächern war ein solcher Versuch zur Harmonisierung der generativistischen Modernisierung mit einer kritischer Stoßrichtung, die in W. einen Kronzeugen suchte, häufiger zu finden, vgl. so z.B. auch M.Lang, Wittgensteins philosophische Grammatik. Entstehung und Perspektiven der Strategie eines radikalen Aufklärers (Den Haag: Nijhoff 1971), dessen differenzierten Bemühungen um eine Explikation von W. meine Argumentation ansonsten viel verdankt.

[23] Sinn ist einer der wenigen Ausdrücke bei W., bei denen er auch terminologisch systematisch differenzierte (anders z.B. bei Regel, dessen Bedeutung bei W. mit dem Kontext changiert). Sinn ist definiert durch einen Akt der sprachlichen Praxis – daher sind die dabei vorausgesetzten grammatischen Sätze sinnlos; aber sie sind eben nicht unsinnig, s. T: 4.461 und 4.4611.

[24] Systematisch so in seinen „Principles of mathematics“, 1. A. 1903, Nachdruck der 2. A. 1938 (New York: Norton o.J.); dort bes. in Kap. 4, überschrieben „Proper names, adjectives and verbs“.

[25] Das macht auch den Unterschied zu dem gleichzeitigen Programm bei Peirce aus, der noch konsequenter als Russell, der letztlich bei den schulgrammatischen Konzepten hängen blieb, sich auch um eine typologische Abklärung der Begrifflichkeit bemühte (vor allem so in seiner „Speculative grammar“), s. hier die Hinweise bei Husserl.

[26] An den Aufzeichnungen von Waismann (WK) gibt es in dieser Hinsicht die deutlichsten Formulierungen – mit dem Vorbehalt, daß dieser sie W. zuschreibt, vgl. bei der Rede von der „Gesamtheit von Möglichkeiten, also eine[r] Klasse von sinnvollen Sätzen“: „Eine Klasse von wahren Sätzen wird in ganz anderer Weise begrenzt als eine Klasse von sinnvollen Sätzen. Im ersten Fall wird die Grenze durch die Erfahrung gezogen, im zweiten Fall durch die Syntax der Sprache. Die Erfahrung begrenzt die Sätze von außen, die Syntax von innen“ (WK: 213).

[27] Das ist auch die These bei A. Janik / S. Toulmin, Wittgensteins Wien. München: Hanser 1984 (zuerst engl. 1973). Dort wird recht überzeugen rekonstruiert, daß die Grundfiguren der W.schen Argumentation im zeitgenössischen Intellektuellendiskurs fest verankert waren, von der moralischen Ausrichtung in Ablehnung der verlogenen Ausdrucksformen der bürgerlichen Gesellschaft bis zu einem argumentativen Purismus, der (wie vor allem auch in der darstellenden Kunst) verlangte, das, worum es geht, nur zu zeigen, statt darüber zu reden und sich in Explikationen zu ergehen. Stephen Toulmins Werk sollte ohnehin bei der Beschäftigung mit W eine Schlüsselrolle haben: Toulmin (1922-2009) war Mathematiker und Physiker. Er hatte bei W. in Cambridge gehört – und war wie auch W. ingenieurswissenschaftlich tätig. Anders als die vielen Wittgensteinexegeten, die dessen Aphorismen weiterspinnen, buchstabierte er W.s Ansatz analytisch aus, s. bes. von ihm  The Uses of Argument , Cambridge: Cambridge univ. pr. 1958.

[28] Husserls Unternehmen, die sprachlichen Ressourcen systematisch zu modellieren, konnte W. nur kategorisch ablehnen. Darüber äußerte er sich ausgesprochen abfällig in einem Gespräch mit Schlick: „Worte kann man ja erfinden; aber ich kann mir darunter nichts denken“ (WK: 68).

[29] Das ist zu unterscheiden von Namensnennungen, die auf eine systematische Auseinandersetzung schließen lassen und sich entsprechend durchgängig auch in seinen Werken finden, öfters mit Textverweisen zu Platon, z.B. PG 90 u.ö. Platon nimmt bei W. eine besondere Stelle ein, da dessen dialogische Inszenierung seiner Philosophie diese zeigt – im Sinne von W. grundsätzlicher Ablehnung deduktiv verfahrender Argumentation. Entsprechend machten bei ihm z.B. Verweise auf Aristoteles keinen Sinn (so z.B. auch von Wright, Q).

[30] S. die einleitenden Bemerkungen des Herausgebers von BB. Irritierend bei jemand, der sich wie W. intensiv mit der Orthographie auseinandergesetzt hat, sind orthographische Schnitzer in den edierten Texten, vor allem was die Interpunktion anbetrifft. Diese (bes. die Kommasetzung) entspricht oft nicht der strikt grammatisch geregelten deutschen Konvention, sondern der in dieser Hinsicht lockeren ("rhetorischen") englischen. Es bleibt zu prüfen, ob das auf W selbst zurückgeht oder ein Werk der Herausgeber ist, die nach eigenen Angaben sich in dieser Hinsicht mit den nachgelassenen Handschriften schwer taten, wie ihre entsprechenden Hinweise zeigen (von den Herausgebern: von Wright, Abercrombie und Rhees, war keiner im Deutschen zuhause).

[31] Die bemühten Hinweise auf W. in Teilen der neueren Diskussion , s. Fn. 20 und 22, ändern daran nicht viel. Hierher sind auch meine eigenen Versuche in der „studentenbewegten“ Zeit zu rechnen, als wir einen Neuanfang jenseits der festgezurrten akademischen Tradition suchten und dabei auch W. als Kronzeugen bemühten.

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