Jahresthema DIVERSITÄT Archive – ZfL BLOG https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/category/jahresthema-diversitaet/ Blog des Leibniz-Zentrums für Literatur- und Kulturforschung, Berlin Wed, 22 Feb 2023 08:34:11 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=6.6.1 https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/wp-content/uploads/2019/01/cropped-ZfL_Bildmarke_RGB_rot-32x32.png Jahresthema DIVERSITÄT Archive – ZfL BLOG https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/category/jahresthema-diversitaet/ 32 32 Dirk Naguschewski: DIVERSITÄT, PHILATELISTISCH https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2023/02/22/dirk-naguschewski-diversitaet-philatelistisch/ Wed, 22 Feb 2023 08:20:37 +0000 https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/?p=2841 I. Seit mehr als 40 Jahren erscheinen in Deutschland Briefmarken, die sich dem widmen, was wir heute gesellschaftliche Vielfalt oder Diversität nennen. Im November 2022 wurde unter dem Titel »Vielfalt in Deutschland« eine neue Marke präsentiert. An deren Motiv, vor allem aber ihrer Präsentation durch die Deutsche Post DHL Group (wie die Deutsche Post heute Weiterlesen

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I.
Briefmarke der Deutschen Post zu 85 Cent. Mittig ist eine aus bunten Symbolen geformte Deutschlandkarte zu sehen, links der Schriftzug »Vielfalt in Deutschland«.
Abb. 1: Sondermarke »Diversität. Vielfalt in Deutschland«, Entwurf: Bettina Walter*

Seit mehr als 40 Jahren erscheinen in Deutschland Briefmarken, die sich dem widmen, was wir heute gesellschaftliche Vielfalt oder Diversität nennen. Im November 2022 wurde unter dem Titel »Vielfalt in Deutschland« eine neue Marke präsentiert. An deren Motiv, vor allem aber ihrer Präsentation durch die Deutsche Post DHL Group (wie die Deutsche Post heute offiziell heißt) wird deutlich, wie schwer es ist, zeitgemäße Bilder für ›Diversität‹ zu finden. 1981 gab es zum ersten Mal eine Sondermarke mit dem Bild zweier Familien und der auch als Aufforderung zu verstehenden Aufschrift »Integration ausländischer Arbeitnehmerfamilien«. Dass Deutschland ein Einwanderungsland sein könnte, wurde seinerzeit noch hartnäckig bestritten. In den Jahren nach der deutschen Einheit entwickelte sich dann der als Fremdenfeindlichkeit diskutierte Rassismus zu einer gesamtgesellschaftlichen Herausforderung. In Hoyerswerda und anderorts wurden mehr und mehr Menschen (vermeintlich) nichtdeutscher Herkunft angegriffen, woraufhin 1994 eine Marke mit unmissverständlichem Appellcharakter erschien: Elf Menschen unterschiedlicher Haut- und Haarfarbe stehen nebeneinander und halten gemeinsam ein Banner vor sich, auf dem »Miteinander leben!« zu lesen ist. 2012 verausgabte die Deutsche Post eine Briefmarke, die das Motiv der gesellschaftlichen Diversität zum dritten Mal aufgriff. Auf dem Klingelschild einer Gegensprechanlage sind sechs Namen zu lesen, die von mutmaßlich unterschiedlichen Herkünften und nachbarschaftlichem Zusammenleben erzählen: Yilmaz, Kaminski, Hanke, Peters, Krüger und Tozzi. Als Aufschrift ein Claim, der von dem gemeinsam zurückgelegten Weg kündet: »Vielfalt« und »in Deutschland zu Hause«.[1]

Briefmarke zu 50 Pfennig. Links der Schriftzug »Integration ausländischer Arbeitnehmerfamilien«, in der Mitte sind sechs Personen an einer geöffneten Tür zu sehen. Drei von ihnen haben dunkle Haare und dunklere Haut, drei blonde bis weiße Haare und hellere Haut. Die Person am rechten Bildrand hält einen Blumenstrauß in der Hand.
Abb. 2: Sondermarke »Integration ausländischer Arbeitnehmerfamilien«, Entwurf: Albrecht Ade*
Briefmarke zu 100 Pfennig. 11 Personen vor einer Mauer halten ein großes weißes Stoffbanner, auf dem in roter Schreibschrift »Miteinander leben!« steht.
Abb. 3: Sondermarke »Miteinander leben!«, Entwurf: Fritz Haase, Sibylle Haase*
Briefmarke zu 55 Cent. Auf einem Klingelschild mit insgesamt 6 Klingeln stehen die Namen Yilmaz, Kaminski, Hanke, Peters, Krüger und Tozzi. Darunter sind die Schriftzüge »In Deutschland zu Hause« und »Vielfalt« zu sehen.
Abb. 4: Sondermarke »In Deutschland zu Hause: Vielfalt«, Entwurf: Karen Adams, Jens Müller*

Das Massenmedium Briefmarke hat sich in den letzten Jahrzehnten verändert. Die Digitalisierung hat dazu geführt, dass Menschen weniger Briefe und Postkarten schreiben und folglich immer weniger Marken verklebt werden. Seit der Privatisierung der Post in den 1990er Jahren hat die Briefmarke zudem als Teil der staatlichen Selbstdarstellung und damit der politischen Ikonographie an Bedeutung eingebüßt. So wird nur noch ein Teil der Marken vom Finanzministerium und dem Kunstbeirat für Postwertzeichen verantwortet, der andere wird von der Deutschen Post herausgegeben. In der Konsequenz bedeutet dies, dass manche Motive aus primär kommerziellen Gründen gewählt werden und nicht mehr, um spezifische gesellschaftliche Anliegen zu repräsentieren, die der Staat sich zu eigen macht. Infolge dieser Kommerzialisierung haben sich neue Motivgruppen und Darstellungsstile etabliert, die offenbar als marktgängiger empfunden werden. Schließlich hat die Einführung eines individuellen Matrixcodes, der seit 2021 in Deutschland auf allen neuen Briefmarken zu finden ist, dem Design der Marken ein neues Element hinzugefügt. Dieses mag zwar der Nachverfolgung von Postsendungen dienen und Fälschungssicherheit garantieren, gestalterisch indessen bringt es dieses Kunstwerk in Miniaturformat, als das es Walter Benjamin einst ansah, in die Bredouille. Doch trotz des nicht zu leugnenden Prestigeverlusts: Die Briefmarke ist und bleibt ein Massenmedium, mit dessen Hilfe sich die Staaten dieser Welt nach innen wie nach außen ein bestimmtes Image geben wollen. Was also sagen uns die Marken zur Diversität?

II.

Die jüngste Sondermarke zur gesellschaftlichen Vielfalt stammt von der Bonner Gestalterin Bettina Walter.[2] Ihr Entwurf schreibt den Prozess der Zurückdrängung der Individualität, der auf den bisherigen Diversitätsmarken zu beobachten ist, fort: Waren 1981 noch zwei Familien zu sehen, deren einzelne Mitglieder mit prononcierten Merkmalen versehen wurden (Alter, Geschlecht, Hautfarbe), sind die Gesichtszüge der Protestierenden 1994 schon nicht mehr zu erkennen; ob es sich um Männer oder Frauen, Alte oder Junge handelt, lässt sich bestenfalls anhand der Kleidung mutmaßen. Die 2012er Marke verzeichnet schon nur noch die Namen der Bewohner*innen eines Mehrfamilienhauses. Die aktuelle Marke treibt die Tendenz zur Abstraktion noch weiter, indem sie sich nur noch farbenfroher Symbole bedient: der Regenbogen als Symbol der Lesben- und Schwulenbewegung, eine blaue Friedenstaube (leicht zu verwechseln mit dem Twitter-Icon), das Zeichen für Intersexualität, ein auseinanderdriftendes Yin-Yang-Zeichen, das Gleichheitszeichen, ein Smiley, sich haltende Hände. Aufgefüllt mit Puzzleteilen (möglicherweise Sinnbild eines ›Alles greift ineinander‹), Kreisen, Sternen und anderen geometrischen Formen (die sich übrigens auch im Logo der Deutschen Post wiederfinden) sind diese Symbole so angeordnet, dass sich eine Deutschlandkarte ergibt. Mittendrin drei geschlechtslose ›menschliche‹ Figuren in Lila, Türkis und Orange. Die Farben sind zwar bunt, aber doch nicht grell. Es herrscht die ästhetische Anmutung eines Kindergeburtstags. Die Deutschland-Grafik sitzt mittig in der Briefmarke und die andern Gestaltungselemente geben Rahmung und Halt.[3] Wo auf den vorangegangenen Marken Menschen und Mehrfamilienhäuser zwischenmenschlichen Kontakt und Austausch suggerierten, wird jetzt ein vielfarbiges Sammelsurium von Konzepten und Ideen präsentiert, die sich in ihrem störungsfreien Nebeneinander gegenseitig bekräftigen sollen. Von konkreten Lebensrealitäten ist die aktuelle Marke weit entfernt, für gelebte Nachbarschaft (wie 1981 oder 2012) hier kein Raum. Das könnte aber auch daran liegen, dass die auf dieser Briefmarke thematisierte Vielfalt gar nicht mehr auf ethnische Diversität abzielt, sondern eher auf die Vielfalt der Genderkonzeptionen. Ausländische Herkünfte, unterschiedliche Religionen bleiben jenseits von unspezifischen Gleichheitszeichen ausgespart. Der Eindruck, dass wir es hier – in Fortsetzung der Perspektive, die sich aus der Reihung der anderen drei Marken ergibt – eventuell mit einem idealistischen Gegenentwurf zu den demographischen Folgen der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 und des Kriegs in der Ukraine zu tun hätten, bestätigt sich beim näheren Hinschauen also nicht. Die Vielfalt, die 2012 in Deutschland zu Hause war und ›konkrete‹ Menschen meinte, bezieht sich 2022 also nur noch auf ›abstrakte‹ Konzepte.

III.

Sechs Personen stehen vor einer Glaswand. Alle tragen gelbe T-Shirts mit verschiedenen Firmenprints der Deutsche Post DHL Group. Die dritte Person von rechts hält eine überdimensionierte Briefmarke vor sich, auf der eine aus Symbolen zusammengefügte Deutschlandkarte und der Schriftzug »Vielfalt in Deutschland« zu sehen sind.
Abb. 5: »Diversität bei Deutsche Post DHL mit Personalvorstand Thomas Ogilvie«, © Deutsche Post DHL Group

Gleichwohl sind die Menschen bei der Herausgabe dieser Briefmarke nicht völlig abwesend. Sie sind offenbar nur ausgewandert in ein Foto, das im Rahmen der Pressemitteilung der Deutschen Post zur Einführung der Briefmarke unter dem Titel »Diversität bei Deutsche Post DHL mit Personalvorstand Thomas Ogilvie« zum Download angeboten wird. Darauf sind sechs Menschen zu sehen, über deren Identität im aktuellen gesellschaftlichen Diskursklima keine substantialisierenden Aussagen zu treffen sind, die aber dennoch ›zu lesen‹ gegeben werden. Drei von ihnen sollen vermutlich als männlich, die anderen drei als weiblich gelesen werden. Sie alle tragen ein gelbes T-Shirt, auf vieren davon steht mittig gut lesbar »Diversity & Inclusion« (selbstverständlich auf Englisch, der Muttersprache des Diversitätsdiskurses), darüber »Deutsche Post DHL Group«. Zwar gibt es das T-Shirt auch auf Deutsch, die Frau am linken Bildrand trägt es, doch der Schriftzug »Diversität & Inklusion« wird zur Hälfte von ihrem blauen Blazer verdeckt, sodass es kaum auffällt. Das Post-Gelb vereint diese Menschen, aber es macht sie nicht gleich. Der jünger wirkende Mann in der linken Bildmitte soll im Kontext dieser Darstellung wohl als ›Mensch mit Behinderung‹ gelesen werden, ein anderer Mann (je nach identitätspolitischer Haltung) als ›schwarz‹ oder ›Schwarz‹. Eine Frau trägt einen Hijab[4] und wird somit als Muslima markiert. Sprache und Gesellschaft befinden sich im Wandel, das war schon immer so und wird sich auch niemals ändern. Doch die Schwierigkeiten, adäquat und für die gesamte Sprachgemeinschaft zu beschreiben, was wir auf einem so absichtsvoll inszenierten Foto wie diesem sehen, sind nicht von der Hand zu weisen. Die Sensibilitäten aller zu berücksichtigen ist ein aussichtsloses Unterfangen.

Der dritte Mann schließlich hält ein vergrößertes Bild der Briefmarke vor sich, wodurch das Foto (vermutlich unbeabsichtigterweise) mit der Briefmarke von 1994 korrespondiert, auf der die Protestierenden »Miteinander leben« einforderten; nur geht es hier konkreter um »Miteinander arbeiten«. Dieser Mann und die Frau ganz rechts tragen übrigens ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Delivered with pride«, der direkt unterhalb der Regenbogenfarben mit integriertem Schriftzug »DHL« bzw. »Deutsche Post« angebracht ist. »Pride« hat hier eine bewusst doppelte Bedeutung, denn das Wort lässt sich sowohl auf die Leistung der Post beziehen, die mit Stolz ihren Dienst erfüllt, wie auch als Chiffre für den Selbstbehauptungswillen der LGBTQI+-Community verstehen, der sich u.a. in Bezeichnungen wie gay pride ausdrückt. Beanspruchen diese beiden Personen für sich eine Identität, die als schwul, lesbisch, bi, queer, wie auch immer bezeichnet werden könnte, und haben sie dieses T-Shirt deshalb ausgewählt? Oder handelt es sich hier um einen Fall von Pinkwashing? Der Mann, der das Bild von der vergrößerten Briefmarke hält, ist übrigens Thomas Ogilvie, der Personalvorstand.

IV.

Deutsche Post DHL wirbt also mit der Herausgabe dieser Marke für Vielfalt und für sich als Unternehmen, das Vielfalt unterstützt. »Die Vereinnahmung des Begriffs«, so haben es Ernst Müller und Falko Schmieder in einer begriffsgeschichtlichen Skizze zur Diversität formuliert, »kommt in den Bemühungen vieler Unternehmen um ein neues ›Diversitätsmanagement‹ zum Ausdruck, also um Maßnahmen und Strategien einer neuen Unternehmenskultur, die Vielfalt als wertsteigernde Ressource entdeckt«.[5] Vielfalt mag eine Ressource sein. Wird sie jedoch als Doktrin oder Ideologie verstanden, ist schnell vergessen, dass gesellschaftliche Vielfalt immer auch eine Herausforderung ist und auf der Ebene des menschlichen Miteinanders enormes Konfliktpotential birgt. Davon zeugen die beiden ersten Sondermarken, auch wenn sie es nur andeutungsweise zeigen. Dies gilt auch für die aktuelle Marke, die ja ebenfalls auf eine gesellschaftliche Debatte reagiert. Möglicherweise täten aber nuanciertere Bildprogramme, die Raum für Ambivalenzen lassen, der Akzeptanz von Diversität einen besseren Dienst als das naive Feiern derart systematisch reduzierter Vielfalt, wie sie auf der neuesten Marke der Deutschen Post zu sehen ist.

Man kann natürlich einwenden, dass es gar nicht die Aufgabe der Post ist, ein Bild für die Diversität der deutschen Gesellschaft zu finden. Nur hat sie hier eben gleich zwei solche Bilder produziert, die beide auf ihre je eigene Art und Weise problematisch sind. Das eine ist ausschließlich symbolhaft und kehrt die mit gesellschaftlicher und geschlechtlicher Vielfalt einhergehenden Konflikte unter einen bunten Teppich, das andere zeigt fotorealistisch auf Menschen, die etwas verkörpern, was bei aller Feier von Vielfalt und Diversity doch immer noch als anders gesehen und deshalb zu lesen gegeben werden kann. Differenzen werden dadurch nicht abgebaut, sondern fortgeschrieben, Gleichheit wird – bei aller möglicherweise guten Absicht – nicht hergestellt.

Der Sprach- und Kulturwissenschaftler Dirk Naguschewski ist am ZfL zuständig für Wissenstransfer und Kommunikation und der Redaktionsleiter des ZfL Blog.

*Abbildung mit Genehmigung des Bundesministeriums der Finanzen. Aus urheberrechtlichen Gründen ist bei einer Nutzung der Abbildung zwingend eine Abbildungserlaubnis einzuholen. Anfragen zur Nutzung der Bilder bitte an LC5@bmf.bund.de.

[1] Die Briefmarke mit dem Klingelschild habe ich für die von Christina Ernst und Hanna Hamel herausgegebene Online-Anthologie Nachbarschaften einer eingehenderen Betrachtung unterzogen, vgl. Dirk Naguschewski: »Die Namen der Nachbarn«, in: Nachbarschaften, 31.8.2020.

[2] Vgl. Margret Baumann: »Hauptsache Vielfalt! ›Diversity‹ als Briefmarkenmotiv«, in: Blog der Deutschen Gesellschaft für Post- und Telekommunikationsgeschichte, 6.12.2022. Baumann stellt dort auch einige Marken anderer Länder vor, auf denen das Thema gesellschaftlicher Diversität präsentiert wurde.

[3] Wie schon bei der von Jens Müller und Karen Weiland gestalteten Marke von 2012 hat Bettina Walter für »in Deutschland« unterschiedliche Schriftschnitte gewählt, »in« in Normalschrift, »Deutschland« gefettet. Denn das Toponym ist nicht nur Landesname, sondern auf der Briefmarke die Bezeichnung des herausgebenden Staates.

[4] Oder auch einen Hidschab … Der Duden listet beide Schreibweisen für ein Wort, das orthographisch offenbar noch nicht vollständig in der deutschen Sprache eingebürgert ist.

[5] Ernst Müller/Falko Schmieder: »Diversität, begriffsgeschichtlich«, in: ZfL BLOG, 1.4.2017.

 

VORGESCHLAGENE ZITIERWEISE: Dirk Naguschewski: Diversität, philatelistisch, in: ZfL BLOG, 22.2.2023, [https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2023/02/22/dirk-naguschewski-diversitaet-philatelistisch/].
DOI: https://doi.org/10.13151/zfl-blog/20230222-01

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Stefani Engelstein: HOW TO WRITE AS AN OUTSIDER ABOUT WHAT IT MEANS TO BE GERMAN https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2021/12/17/stefani-engelstein-how-to-write-as-an-outsider-about-what-it-means-to-be-german/ Fri, 17 Dec 2021 08:52:33 +0000 https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/?p=2413 First as a student of comparative literature with a focus on German and then as a professor of German Studies, I’ve been traveling back and forth to Germany for three decades, almost exactly the age of the reunified German state. I have stayed for weeks, for months, or for more than a year at a Weiterlesen

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First as a student of comparative literature with a focus on German and then as a professor of German Studies, I’ve been traveling back and forth to Germany for three decades, almost exactly the age of the reunified German state. I have stayed for weeks, for months, or for more than a year at a time. I have lived in Leipzig, in Cologne, and in Munich, but I have spent by far the most time in Berlin, a place that I have come to consider a second home. Throughout that time, Germany has changed enormously, both demographically and attitudinally. In relation to diversity in general and in its relationship to Jews.

It is 1992, the gates of the Weißensee Jewish Cemetery are locked. In the window of the gatekeeper’s booth is a hand-written note instructing visitors to ring the bell of an apartment across the street. In exchange for a passport, the gatekeeper brings the heavy metal key down from his home and lets us in. A small portion of the cemetery near the gate has been in use by East Berlin’s Jewish community. Behind this patch, a vast forest has sprung up within the walls. We wander alone among a strange undergrowth of aging gravestones and nettles. The paths have disappeared. Is the cemetery haunted by those who were buried here or by those who weren’t? Placing pebbles at a relative’s or friend’s grave is meant as a sign that the buried have not been forgotten. And yet now those pebbles, left undisturbed for half a century and covered in cobwebs, have become a stinging last trace of the unnamed visitors who placed them here—visitors who, in many cases, faced a violent death without burial or gravestone. Thirty years have passed since this visit. Today, in 2021, the cemetery has regular open hours and steady foot traffic. The forest remains, but it gives the impression of tending. Paths between the graves have been cleared. The German Army cares for the section laid with graves of Jewish soldiers who fell in World War I. And the many new graves mark the life of a new and different Jewish community.

German views on their history and their future have evolved. During this time, I have been an observer and a conversationalist. I like to talk and to listen. I strike up conversations with people at bus stops and in train stations, in bars, in cafés, and in universities. I invite near-strangers to lunch. And I haunt cemeteries, Jewish and non-Jewish, wherever I travel. But what do I know as a result? Do my experiences allow me to say something about how a country that is not mine thinks about its identity? Do they allow me to say something about those in this society who are not me, those who exist on the ever-shifting margins of German identity in ways that I do and do not share?

Professionally, I am an interpreter of texts. I write scholarly books and articles on literature and on the history of science, often together. The period that I investigate stretches from the Age of Goethe into the twentieth century. I do research in archives, although increasingly my sources are digitalized and available online. I am not a social scientist. I don’t put polls in the field. What is the status of the feeling I have for a country from my own lived experience? Is that knowledge? What is the evidentiary value of a memory? Is it something I can write about, and if so, how?

I collect experiences like postcards. Like one used to collect postcards, once upon a time.

It is 1992 in Leipzig. The Jewish community that shows up at the last remaining synagogue for the High Holidays amounts to fewer than 30 members, all over 60 years old. To find out the address of the synagogue, which has no street-facing windows and no sign, you have to persuade an employee at the city information center that you have a legitimate reason for asking.

It is 2000 in Cologne, the city of Germany’s oldest Jewish community, and I am welcomed to a Passover Seder at a synagogue that has been re-built and re-opened since 1959. I also visit an archeological site: a Mikvah, a Jewish ritual bath built in the eighth century. The first mention of Jews in Cologne dates back to the fourth century.

It is 2003 in Berlin and I am summarily called to account by a stranger for Israeli politics. A country I visited once, as a child, for two weeks and where I cannot vote. In what worldwide conspiracy has she imagined that I participate? And yet, it is true that Israel claims to act in my name too. What kind of responsibility do I therefore have and who is allowed to invoke it?

It is 2014 in Berlin and I am assured—not for the first time—that Christmas is not a Christian holiday, but is universally celebrated in Germany regardless of one’s religious background or identity. I have never seen a woman in a headscarf at a Christmas Market.

It is 2018, and a fleeting acquaintance defends the decision of the Hessian Court (upheld in 2020 at the federal level) that bars women wearing headscarves from representing the state in legal proceedings, even as interns. The head coverings would undermine the appearance of impartiality required to inspire trust in state institutions. I explain that in this extremely diverse country, a justice system composed only of people who look like my conversation partner himself radically fails to inspire me with trust in its courts’ impartiality. He remains polite but unpersuaded. He understands his own appearance as an absence of difference rather than as the presence of a particular identity.

In 2021, I listen to Deutschlandfunk. A guest is introduced as Jewish. Instead of as of Jewish background. In my experience, this is a first. The pleasure I feel is palpable. I am thrilled to visit a winter market and to be greeted in my multiethnic gym by a sign celebrating a beautiful wintertime instead of a Merry Christmas. Both are also firsts. Such little things. Such huge things. But I also visit a Christmas market. Where else in Berlin will I find the potato pancakes that are traditional for Hanukah? First, I try Gendarmenmarkt—where I stand in a long line to have my Covid vaccination checked—but, alas, no Kartoffelpuffer this year. So, the following week at a conference in Bonn, my friendly host brings me to his favorite Reibekuchen stand at the local Christmas market. They are delicious.

The same year, a friend tells me about precautions she takes before leaving the Berlin city limits to visit Brandenburg. Her German is excellent. She is not wearing a headscarf. It is also not her skin color that is responsible for potential conflict. It is attitudes towards her skin color on the part of Bandenburgians that are the problem.

It is not only Germany that has changed drastically over the past thirty years. My own country has changed as well, and I have changed too. The ways that I have changed are not independent from the ways that Germany or the US have changed, but intertwined with my experiences of them. Does that make my interpretations even more partial? What would it mean not to be partial? To be complete? Is that what a judge should strive for in judging? What scholars should strive for as they formulate critical perspectives on the world? Or is it our very partiality, our wounded edges, that allow us to make sense of the world, and to convey it?

As I embark on my current project, I embrace the fragmentary nature of experience as a valuable kind of knowledge, one that differs from the knowledge gained from sociological and historical scholarship. In Reflections from Germany on Diversity and Violent Pasts: An Essay in Six Cemeteries, my goal is to use memories as stepping stones for reflections on how society imagines itself, where boundaries are set, and how inclusion and exclusion function. What I write is, I hope, not just a memoir, but an exploration of how the social fabric in Germany is expressed. The project is also, necessarily, an account of my ever-developing perception of my own changing country. Recently, in the United States, there has been talk of using German Vergangenheitsbewältigung regarding the Holocaust as a model for facing our own history of slavery. While each of these national crimes is unique, there is in both cases a need to face the past and to recognize the way it continues to inhabit the present. My position in these two constellations is distinct. Since my vantage point in each country is partly derived from my knowledge of the other, Reflections from Germany will necessarily also set up an interplay of reflections between the two. What will emerge from this interplay remains to be seen.

Stefani Engelstein is a Professor of German Studies at Duke University. Since June 2021 she has been working at the ZfL as a visiting scholar.

 

VORGESCHLAGENE ZITIERWEISE: Stefani Engelstein: How to Write as an Outsider About What It Means to Be German, in: ZfL BLOG, 17.12.2021, [https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2021/12/17/stefani-engelstein-how-to-write-as-an-outsider-about-what-it-means-to-be-german/].
DOI: https://doi.org/10.13151/zfl-blog/20211217-01

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A “MODEST MONUMENT” AWAITING COMPLETION. Gianna Zocco talks to Jean-Ulrick Désert and Dorothea Löbbermann about the W. E. B. Du Bois Memorial at the Humboldt University of Berlin https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2020/07/16/a-modest-monument-awaiting-completion-gianna-zocco-talks-to-jean-ulrick-desert-and-dorothea-loebbermann-about-the-w-e-b-du-bois-memorial-at-the-humboldt-university/ Thu, 16 Jul 2020 07:37:39 +0000 https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/?p=1503 A picture from the late nineteenth century showing about one-hundred students (fig. 1) – all of them male and similarly dressed in suits and neckties, some of them wearing hats. They display a degree of homogeneity unusual by today’s standards. An attentive observer will nonetheless detect that one of the students differs from his colleagues: Weiterlesen

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W. E. B Du Bois in Berlin
Fig. 1: W. E. B. Du Bois in Berlin, ca. 1894 © Department of Special Collections and University Archives, W. E. B. Du Bois Library, University of Massachusetts Amherst, reproduced by permission

A picture from the late nineteenth century showing about one-hundred students (fig. 1) – all of them male and similarly dressed in suits and neckties, some of them wearing hats. They display a degree of homogeneity unusual by today’s standards. An attentive observer will nonetheless detect that one of the students differs from his colleagues: he has significantly darker skin. The young man, seated in the second row from the top, is the African-American W. E. B. Du Bois (1868–1963), who was enrolled at the University of Berlin from 1892 to 1894.[1] When, in the hopefully not too distant future, the bustling university life resumes, when students cram into crowded lecture halls again, push through full corridors, past perhaps intimidating, perhaps inspiring sculptures, portraits, and other visual reminders of the apparently glorious past their alma mater is connected to, students of the Humboldt University will come across a memorial for Du Bois, one of the first American sociologists, co-founder of Pan-Africanism, civil rights activist, and prolific author of books such as The Souls of Black Folk (1903).

Particularly in the light of the ongoing debate about structural racism in Germany, it may seem surprising that Du Bois spoke in exceptionally positive terms about his experiences at a German university. He was, after all, enrolled in Berlin shortly after the Congo Conference (1884–1885) and attended the lectures of controversial figures such as the nationalist and anti-Semite Heinrich von Treitschke.[2] The several occasions on which he later returned to the city include an extended sojourn to fascist Berlin in 1936, the year of the infamous summer Olympics, and a visit to communist Berlin, when he was awarded the honorary degree of Doctor of Economics in 1958. In his last autobiography written a few years before his death, he commented on his student years:

Of greatest importance was the opportunity which my Wanderjahre in Europe gave of looking at the world as a man and not simply from a narrow racial and provincial outlook. This was primarily the result not so much of my study, as of my human companionship, unveiled by the accident of color. […] From this unhampered social intermingling with Europeans of education and manners, I emerged from the extremes of my racial provincialism. I became more human; learned the place in life of “Wine, Women, and Song”; I ceased to hate or suspect people simply because they belonged to one race or color; and above all I began to understand the real meaning of scientific research […].[3]

In a time when ‘internationalization’ and ‘diversity’ have become key areas universities are expected to excel in, it may seem an almost self-evident endeavor to install a memorial for a figure as influential and internationalist as Du Bois, whose connection to the Humboldt University outlasted two ideologically very different political systems. Planned to be positioned in the ground floor of the main building, the memorial, which will start production as soon as the last funding has been secured, reveals an image right at its center that “exist[s] in virtually every student’s life and family album, and commonly serve[s] as vehicle[s] of recognition, remembrance and commemoration”: the class photograph.[4] What are the main considerations underlying the W. E. B. Du Bois Memorial’s concept and design? How has it evolved so far? And what can such a memorial realistically achieve?

As Du Bois’s experiences in Germany – and their effects not only on his own writings but on African-American and Black diasporic literature in general – are highly relevant to my research on the “Images of Germany and German History in African-American Literature,” it was of great interest to me to discuss these questions with two of the creative minds behind the memorial: the Berlin-based Afro-Caribbean conceptual and visual artist Jean-Ulrick Désert, who was entrusted with its realization, and Dr. Dorothea Löbbermann, faculty member of the American Studies Program at the Humboldt University. Due to the current circumstances, I originally conducted separate conversations with each of them digitally, which were later edited to the present form. I wish to thank both of them for their participation and their feedback on the original manuscript!

Gianna Zocco

 

Gianna Zocco: Dorothea, the American Studies Program at Humboldt University honors Du Bois’s legacy with two lecture series, the “W. E. B. Du Bois Lectures” and the “Distinguished W. E. B. Du Bois Lectures,” which were both established in 1998. What was the reason for you to take the initiative of commissioning a memorial, and what is the current state of the project?

Dorothea Löbbermann: Anecdotally, I ran into a group of Black American tourists who were searching the university’s main building for “the W. E. B. Du Bois statue” of which they had read in a guide. All I could do was take them to the second floor of the building and show them the Du Bois portrait we had once ordered from a poster website. It was embarrassing to see them take selfies in front of that cheap frame, hanging amongst our semester announcements. That’s how the idea for a plaque commemorating Du Bois’s student years at Humboldt University was born. We knew that we did not want a simple plaque and so asked Jean-Ulrick, with whom we have had a long creative relationship, to design a somewhat more expressive, or rather explorative, piece. After the first few drafts, it became clear that the word plaque would no longer fit. As a site, we found a niche next to the university’s International Club “Orbis Humboldtianus,” which we think is very fitting for a memorial to a former international student. We talked to the university’s technical department and to the president, all of whom were extremely supportive, and started raising funds. So far, we have received amazing sponsorship from mainly US American sources (institutions and individuals); we need to be more successful with German institutions. With about 5.000 Euros that we still need to acquire, and with the corona virus dominating the university’s activities, we have not yet been able to enter the production phase of the memorial.

GZ: Jean-Ulrick, in the brief video available on the website of the university that shows the development of the memorial, one can see that the large image at the center is a class photograph. It shows Du Bois and his class at Humboldt University from presumably 1894 and is flanked by two portraits on the left and right. Why did you choose the class photograph as central image of the memorial?

Jean-Ulrick Désert: In my research for the memorial, I went through hundreds of archival photographs, but when I found this class photo, I had no doubt that it needed to be the central image of the memorial. On the one hand, a class photograph is something everyone can relate to, perhaps sometimes with horror but mostly also with some affection and nostalgia. It is a format you can find in Europe, America, on the African continent, even in the Caribbean, where I’m from. In my work as an artist, I like to employ elements with a certain familiarity, even banality, which – when you use them in a certain way – can have a special power. This brings me to another goal I had for the memorial: I was always interested in somehow touching the nineteenth century, in reaching back to Du Bois’s time in Germany while not avoiding the 21st century altogether, either. The technique we’re using with the class photograph would have been impossible even fifty years ago: We are taking the digital image of the class photograph and are connecting the computer with a laser machine, which will then very accurately etch the image into stone. The use of direct materials such as real stone – a black marble or black stone – for the class photograph, and thick glass, polished brass, and white marble for other elements of the memorial, is in itself reminiscent of the aesthetics of the nineteenth century. Moreover, the black-on-black image of the class photograph develops this complicated, difficult quality of seeing that we know from nineteenth century daguerreotypes: You have to look, really look, and then there is this one moment of magic, because you have to put your head in the right focal point to see, back into the past if you will, with special focus and concentration.

GZ: Left and right from the class photograph, you plan to position two portraits of Du Bois. One of them shows him as a young person, and the other as an older man. The latter is a very well-known image of him from later life, when he had already become the distinguished “elder statesman”[5] of not only the Harlem Renaissance but also the American civil rights movement and Pan-Africanism. On the video, I saw that you plan to put these images behind glass in – at least for a memorial – surprisingly bright colors: red and green. What were your thoughts behind this?

W. E. B. Du Bois's visiting card
Fig. 2: Visiting card of W. E. B. Du Bois, ca. 1892; © Department of Special Collections and University Archives, W. E. B. Du Bois Library, University of Massachusetts Amherst, reproduced by permission

JUD: I was attracted to the idea of this kind of double portrait, because I did not want to show only the iconic image of how he is probably remembered by most people. Again, I found it important to confront the students with someone their own age, of giving them this hopefully very positive, inspiring idea that they are in the moment of their own genius, that they can do meaningful work in their twenties and don’t have to wait until they reach old age. Then there was the question of how to express this not only with beauty, but also with symbolism. I wanted to relate the project as closely as possible to Du Bois as he was in Berlin, to this period in his life that he later called his “Lehrjahre.” The most direct link to the man himself is his signature on the very top, which will be cut out of a golden brass panel so that it is literally turned into air – a very minimalist way of creating a presence of someone who is absent. The signature reflects his own handwriting in the 1890s. I found those visiting cards with his name and notes on how to introduce himself in German (fig. 2), so I wanted to really inscribe his own hand in the work.

Another important anchor was the year 1900, still fairly close to his student years in Germany: 1900 is not only the year of the first Pan-African conference in London, where Du Bois gave a speech titled “To The Nations of the World,”[6] but also the date of the 1900 Paris Exposition, where he helped to install “The Exhibit of American Negroes.” The coloring of the images discreetly alludes to the colors of the Pan-African flag with its three bands in red, black, and green. The flag has a very complicated history and was altered several times, but what remained constant was, significantly, the black in the center. For the red and the green there is more flexibility, and I tried to create a little bit of a feeling of these colors while avoiding kitsch or a cartoonish appearance.

GZ: The years around 1900 were when Du Bois was an aspiring scholar, when he was most dedicated to combating racism through empirical work in sociology. In 1895, one year after his return from Germany, he became the first African-American to receive a Ph.D. from Harvard University. And shortly after that, in 1897, he began a professorship in the American South, at the historically Black Atlanta University in Georgia, where he taught until leaving academia for a job with the National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) in 1909. It was here that he worked on his contribution to the Paris exhibition,[7] which included not only a set of detailed charts, maps, and graphs on aspects such as the economic power and literacy among African-Americans in Georgia but also a series of photographs, which his biographer David Levering Lewis aptly described as subverting “conventional perceptions of the American Negro by presenting to the patronizing curiosity of white spectators a racial universe that was the mirror image of their own, uncomprehending, oppressive white world.”[8] How did the exhibit at the World Fair in Paris inspire your design for the monument?

BILDUNTERSCHRIFT?
Fig. 3:  Screen capture (at 2:30 min) from the Work in Progress Presentation (Courtesy Jean-Ulrick Désert).

JUD: There are several subtle references that relate to the visuality of the exhibit in Paris. One reference point is the elaborate system of pivoting panels that Du Bois and his students constructed for the exhibit specimens, which enabled visitors to absorb a lot of content quickly and decide what to focus on in more detail. This inspired the arrangement of the different elements of the memorial, which emulates Du Bois’s inventively practical system rotated 90 degrees (fig. 3). Another element that I found interesting about the maps and graphics related to Du Bois’s sociological studies is the use of very bright colors. This made me think that we should not be too shy about colors ourselves and that we could afford to, yes, bring in the gold, and the red, and the green, and liberate us from the typical model of the dark bronze plaque that one finds ubiquitously for such commemoratives.

GZ: In these different stages of developing the memorial, how was the collaboration with the colleagues from the American Studies Program?

DL: The team directly involved with the memorial consists of professors, academic staff, and Ph.D. students; it is in constant conversation with the other American Studies colleagues, and has also received support from the rest of the Department of English and American Studies. We have organized two small events to discuss and contextualize the memorial; the first in the year of Du Bois’s 150th anniversary, where we invited five wonderful students from the historically Black Albany State University, Georgia, as well as scholars and activists of color from Berlin (“The Legacy of W. E. B. Du Bois: Interdisciplinary Responses,” October 2018). In October 2019, we met under the title “Traveling Ideologies: W. E. B. Du Bois in Germany, the USSR, and the People’s Republic of China.” Jean-Ulrick participated in both events, providing the artist’s perspective on the memory of Du Bois. I am convinced that artists, scholars, and activists should foster interdisciplinary exchange and share questions, visions, and methods they apply for their work.

JUD: Right from the beginning of working on the memorial, I felt the weight of a certain responsibility, because I knew of Du Bois as a very complex, immensely productive intellectual and activist, whose work some scholars spend their lives studying. I was aware that I could not fulfill the many roles required. So, I felt that this was not the type of project that would just come out of my own studio, but that it needed multiple collaborative engagements – with a local graphic designer, someone to help me with the research and production, and, most of all, with the American Studies Program because, ultimately, this reflects an aspect of their research mission. I’m an artistic bridge with a particular kind of knowledge and an ability to engage with symbols and forms, but I ultimately desire the American Studies Program of Humboldt University to fully embrace the memorial and to be in shared agreement with its emerging logic. I can definitely confirm that it grew more refined through our many discussions. For example, the original design was a timeline, which certainly has some advantages like a great deal of flexibility. The current scheme with its origins conceptually anchored to Du Bois’s Paris pavilion, is without question a more refined solution.

GZ: The lettering at the bottom of the memorial is very brief. Apart from his name, dates of birth and death, and a note on his connection to the university, you describe his ‘profession’ in three words: “Sociologist, Historian, Civil Rights Activist.” I imagine it was very difficult to decide on the exact wording because – apart from these three terms – he was so many things in the different stages of his long life: author of almost erotic novels following the conventions of the chivalric romance, communist, writer of often poetic essays and non-fiction books, Pan-Africanist, founding editor of the prolific Black periodical The Crisis, promotor of the Harlem Renaissance, and more. Was it you and your colleagues, Dorothea, who finally decided on what to write?

DL: Yes, it’s a shame we did not get to mention the eroticism of his novels! It is impossible to describe a person as multifaceted and contradictory as Du Bois with such a limited space. I think his work as a sociologist, historian, and Civil Rights activist had the most profound impact; that’s why we decided on these three “professions.” We hope, though, that Jean-Ulrick’s artwork illuminates other facets of Du Bois’s creativity.

JUD: My conversations with the graphic designer, Detlev Pusch, explored how to use a certain type of lettering/font and format that recognizes the materiality of nineteenth century book-culture and locates Du Bois within the sphere of scholarship, as a man of letters. The butterfly arrangement of the memorial reminds the viewer of holding an open book, with the German text to the left and the English version on the right page of an implied book.

Berlin memorial plaque, Oranienstraße 130, Berlin-Kreuzberg
Fig. 4: Berlin memorial plaque, Oranienstraße 130, Berlin-Kreuzberg; © Wikimedia Commons, CC-BY-SA-3.0,2.5,2.0,1.0

GZ: The lettering also shows that your approach is quite different from the plaque that was installed last year at Oranienstraße 130 in Kreuzberg (fig. 4). It, for example, spells his first name as “William E. B.” whereas you chose the abbreviation “W. E. B.,” and describes his accomplishments in two full sentences. As the Stadtmuseum Berlin has recently started a project on postcolonial remembrance in the city and as controversial monuments linked to white supremacy are currently becoming the subject of mass protests and – in some cases – attacks, it is tempting to think about the memorial in this broader context of public remembrance. Do you intend to position the memorial within this larger project, the project of revealing Germany’s non-white past, of making the presence of Black people and their entanglement with Berlin more visible? More generally speaking, if you think of the students contemplating the memorial in the near future – many of them young white Germans but also some with minority or non-white backgrounds – what, ideally, is the reception you are hoping for?

JUD: When conceiving the memorial commission, I began an online research for as many Du Bois monuments as I could find. I also explored around the main building of the Humboldt University to look at various other commemorative sculptures, plaques, and models, and I attended the unveiling of the public plaque on Oranienstraße. It is a completely different object and context because the house that he lived in no longer exists. The organizers had to mount the plaque on the exterior wall of a new building that is part of the Otto-Suhr-Siedlung, a social housing project built between 1956–1963. But ultimately, the Humboldt University memorial is unconcerned with replicating any of these previous models. It has emerged on its own terms, in the terms described by the historical situation of Du Bois at Humboldt. I don’t see it as taking a strong position against any other plaques or monuments of white scholars that you can see in the vicinity. I think of it as something that is more than a plaque. It has grown into a monument, but, nonetheless, remains a modest monument re-inscribing Du Bois’s humanity, presenting him not as a distant icon but as someone with a real, lived experience that we can be inspired by, and in particular the students, who can personally relate by the virtue of their mutual youth. As regards your question of the presence of the Black or non-white body in European and German spaces, I’m not sure that the memorial is directly able to address this in any manner other than for me to state clearly that even during Du Bois’s initial tenure at Humboldt University there were people of color in the city – though not many – living their lives here in Berlin and contributing to the machine that makes a cultural capital (several decades later even the self-exiled American Josephine Baker would perform in Weimar Berlin and return to the Friedrichstadt-Palast when it was part of the GDR). Beyond that, in any kind of explicit way, I think that’s not the agenda of this kind of monument. You also have to keep in mind that from the different people of color who lived in Germany and contributed to its culture in this period, the experience of Du Bois as an American is probably different from most others, whose multiple roots were somehow connected to the complicated history of European colonialism. My research for other artistic projects on this topic has taught me this.[9] Through it I have begun to understand that the role of the Black body in German history is very complicated and ambivalent, and dates back to unexpected constellations such as the odd status of certain Black people at European courts. This is a history that many people, European and beyond, are completely unaware of because they think about race and racism primarily through the Eurocentric American lens.

DL: We do believe that the memorial will be an important corrective to the plaques and busts of the main building, as it addresses the diversity of the university. We want to recognize both students and scholars of color. Their numbers are far too small compared to the proportion of non-white people living in Germany. Their realities and their knowledges need to become part of academia, they need to be represented in this shared space. The American Studies Program understands its mission as providing a platform for discussion and the exchange of knowledge in the contexts of decolonization, anti-racism, and other movements that fight systems of oppression. I agree with Jean-Ulrick that Germany has deferred racism to the US. This is an interesting aspect of the transatlantic relationship that is not always acknowledged. Du Bois used Germany as a strategic other in order to address race, justice, and social equality in the US; today we can use Du Bois, the Civil Rights Movement, and Black Lives Matter in order to address racism in Germany.

GZ: Dorothea, when we met for our first video conversation, you told me that the current pandemic had slowed the production and installation of the memorial. One and a half months later, the corona pandemic still continues to dominate the global news, but it has received some competition from the “pandemic of racism,” as Benjamin Crump, the attorney for the family of George Floyd, recently described the cause of Floyd’s death. Has this, in any way, changed your prospects? When, and under what circumstances, do you expect to celebrate the opening of the memorial?

DL: The local protests responding to police violence against Black bodies in the US show me that a public discourse is developing in Germany that takes responsibility for Germany’s colonial history and systemic racism. Whether this will speed up completion of the Du Bois memorial remains to be seen. Since we last spoke, our funding has increased by 350 Euros. At this point, everyone involved is struggling with the consequences of either one or the other “pandemic.” The academic team tried to respond to the political situation[10] at the same time as it is managing the mayhem of the digital semester; the artistic team has had to battle both kinds of “pandemics” in various ways. So at this point in time, I cannot possibly say when we can come together to celebrate the unveiling of the memorial! Send me an email and I will let you know when we get there 😉

Gianna Zocco is a Marie Skłodowska-Curie fellow, currently working at the ZfL on her project “Of Awful Connections, East German Primitives, and the New Black Berlin Wall. Germany and German History in African-American Literature.”

[1] Founded in 1809 as “Universität zu Berlin,” today’s “Humboldt-Universität zu Berlin” was named “Friedrich-Wilhelms-Universität” from 1810 to 1945.

[2] Although Du Bois recounts in his autobiography how von Treitschke – possibly unaware of the African-American’s presence – elaborated on the “inferiority” of “mulattoes” in a lecture, he describes him as “by far the most interesting of the professors” and “one of the most forcible and independent minds on the faculty.” W. E. B. Du Bois: The Autobiography of W. E. B. Du Bois. A Soliloquy on Viewing My Life from the Last Decade of Its First Century. New York: International Publisher 2003 [1968], pp. 164–165.

[3] Ibid., pp. 159–160.

[4] Marianne Hirsch / Leo Spitzer: “The Afterlives of Class Photos. School, Assimilation, Exclusion.” In: Markus Winkler (ed.): Partizipation und Exklusion. Zur Habsburger Prägung von Sprache und Bildung in der Bukowina 1848 – 1918 – 1940. Regensburg: Verlag Friedrich Pustet 2015, pp. 19–40, here p. 22. According to Hirsch and Spitzer, the uniformity characteristic of class photographs such as Du Bois’s can be related to the assimilationist and integrationist ideologies structuring the medium. For this reason, they also describe class photos as “anti-portraits,” arguing that they remain tied to an institutional gaze and therefore tend to negate the uniqueness of the individual subject, which is typically consolidated through the “increase of being” (Hans-Georg Gadamer) produced by portraits (p. 24).

[5] Adolph L. Reed Jr.: W. E. B. Du Bois and American Political Thought. Fabianism and the Color Line. New York / Oxford: Oxford University Press 1997, p. 3.

[6] In the opening paragraph of this speech, Du Bois used the phrase: “The problem of the twentieth century is the problem of the colour-line,” which became famous when he later reused it in the “Forethought” of The Souls of Black Folk (1903). As Brent Edwards argues, “reading The Souls of Black Folk as an echo to the prior usage at the Pan-African Conference necessitates coming to terms with the ways that the phrase emphatically frames the ‘color line’ not in the U.S. debates and civil rights struggles that are commonly taken to be its arena, but in the much broader sphere of ‘modern civilization’ as a whole.” Brent Edwards: The Practice of Diaspora: Literature, Translation, and the Rise of Black Internationalism. Cambridge: Harvard University Press 2003, p. 1–2.

[7] A reconstruction of some of the highlights of “The Exhibit of American Negroes” at the World’s Fair in Paris is available online in Eugene F. Provenzo’s “The Exhibit of American Negroes. An Historical and Archival Reconstruction.”

[8] David Levering Lewis: “A Small Nation of People: W. E. B. Du Bois and Black Americans at the Turn of the Twentieth Century.” In: The Library of Congress (ed.): A Small Nation of People. W. E. B. Du Bois & African American Portraits of Progress. New York: Harper Collins 2003, pp. 23–49, here p. 29. This volume also includes about 150 of the circa 500 photographs that were part of the exhibition. They show African-Americans in their homes, churches, businesses, and in community life, and are committed to an agenda of defying the image of Blacks as impoverished, lazy, or uneducated by exemplifying dignity, accomplishment, and progress.

[9] An example for this is Désert’s artwork “Guten Morgen Preußen / Good Morning Prussia”, which is currently on display at the Kunstverein Braunschweig. It is a series of analogue cyanotypes in “Prussian blue”, which narrates the story of the Afro-German band conductor and restaurateur Gustav Albrecht Sabac el Cher (1868–1934), who lived in Berlin at the same time as Du Bois and was “Kapellmeister” of the First Prussian Regiment of Grenadiers in Königsberg.

[10] https://www.angl.hu-berlin.de/news/events/invitation-town-hall-1.pdf

 

VORGESCHLAGENE ZITIERWEISE: A “Modest Monument” awaiting Completion. Gianna Zocco talks to Jean-Ulrick Désert and Dorothea Löbbermann about the W. E. B. Du Bois Memorial at the Humboldt University of Berlin, in: ZfL BLOG, 16.7.2020, [https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2020/07/16/a-modest-monument-awaiting-completion-gianna-zocco-talks-to-jean-ulrick-desert-and-dorothea-loebbermann-about-the-w-e-b-du-bois-memorial-at-the-humboldt-university/].
DOI: https://doi.org/10.13151/zfl-blog/20200716-01

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Matthias Schwartz: GESCHICHTE ALS UNUNTERBROCHENE PERFORMANCE: Das Queer Archives Institute https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2019/09/03/matthias-schwartz-geschichte-als-ununterbrochene-performance-das-queer-archives-institute/ Tue, 03 Sep 2019 07:41:35 +0000 https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/?p=1199 Zum 50. Jahrestag des Stonewall-Aufstands berichteten die Medien einmal mehr über die angespannten und vielerorts sich sogar verschlechternden rechtlichen und sozialen Lebensumstände queerer Menschen in Osteuropa. Regelmäßig gibt es Meldungen von LGBTIQ*-Demonstrationen in den Hauptstädten der Ukraine, Russlands, Polens oder Georgiens, die von nationalistischen und religiösen Gruppierungen attackiert werden oder nur mithilfe von massivem Polizeieinsatz Weiterlesen

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Zum 50. Jahrestag des Stonewall-Aufstands berichteten die Medien einmal mehr über die angespannten und vielerorts sich sogar verschlechternden rechtlichen und sozialen Lebensumstände queerer Menschen in Osteuropa. Regelmäßig gibt es Meldungen von LGBTIQ*-Demonstrationen in den Hauptstädten der Ukraine, Russlands, Polens oder Georgiens, die von nationalistischen und religiösen Gruppierungen attackiert werden oder nur mithilfe von massivem Polizeieinsatz durchgeführt werden können – wenn sie nicht gleich ganz verboten werden. Der Aufstieg rechtspopulistischer Bewegungen und autoritärer Staatsführer, die ihre gottgewollte Ordnung und nationale Tradition durch ein aus dem Westen eindringendes Sodom und Gomorrha bedroht sehen, verschärft diese Lage noch.

Aus diesem Anlass veranstaltete das Theater HAU-Hebbel am Ufer in Berlin in Zusammenarbeit mit dem Schwulen Museum Berlin in der letzten Juniwoche das kleine Festival »The Present ist Not Enough. Performing Queer Histories and Futures«, das sich in Theatervorstellungen, Performances, Lesungen, Gesprächen, Filmvorführungen, Konzerten, Ausstellungen und Installationen vornehmlich Projekten aus Osteuropa widmete. Aus den dortigen Entwicklungen, so der ukrainische Journalist Maxim Eristavi, lasse sich generell etwas »über tektonische Veränderungen an der globalen LGBTIQ*-Front« lernen. Die Globalisierung und Digitalisierung aller Lebensbereiche habe nämlich keineswegs zu einer Verbesserung der Situation geführt. Ganz im Gegenteil sei ein Erstarken »international agierender homophober Gruppierungen« zu beobachten und steige die Anzahl queerer Geflüchteter, die immer seltener Asyl im Westen bekommen. Zudem hätten die globalen Veränderungen zu einer immer effektiveren Unterdrückung durch die international vernetzten Polizeiregime und dem Siegeszug der Identitätspolitik geführt, deren Anhänger im Namen der Verteidigung konservativer Werte‹ immer erfolgreicher Falschinformationen verbreiteten. Solchen Tendenzen entgegenzuwirken, war ein zentrales Anliegen des Festivals, das mit seinem Programm Visionen – »Manifestos« – für eine queere Geschichte und Zukunft präsentierte.

Eine dieser Geschichtsvisionen liefert das Queer Archives Institute (QAI), das der Warschauer Künstler Karol Radziszewski seit 2015 gestaltet. Es ist noch bis Ende September 2019 im Schwulen Museum Berlin zu sehen und präsentiert Dokumente queeren, vor allem schwulen Lebens aus verschiedenen Ländern Osteuropas in der Spätzeit des Staatssozialismus und während der ersten Jahre nach dessen Untergang. Die Schau ist nicht groß; ein einziger Raum bietet den Ausstellungswänden, Bildschirmen, Schaukästen, Vitrinen und einem Sofa Platz, auf dem man in dem von Radziszewski herausgegebenen ersten und einzigen Hochglanzkunstmagazin aus Osteuropa schmökern kann, das sich Homosexualität und Maskulinität widmet: dem DIK Fagazine. Und doch bekommt man einiges zu sehen, vor allem Zeugnisse von weitgehend unbekannten oder längst vergessenen Lebenswelten, die mehr oder weniger geschützt vor Repression und Diskriminierung existieren konnten und können. So kann man beispielsweise Ryszard Kisiels »POLISH GAY GUIDE on the europeans socialists countries« [sic] bestaunen, den er auf seinen zahlreichen Reisen in den 1970er und 1980er Jahren durch Polen, in die DDR, nach Bulgarien, Ungarn, Rumänien und in die Tschechoslowakei angelegt hat. In dem selbstgebastelten Heft erstellt er handschriftlich und durch Schwarzweißfotos ergänzt ein ausführliches Verzeichnis schwuler Bars, Badehäuser, Parks und anderer Cruising-Orte jener Zeit. Es enthält den Namen des Establishments, Adresse, Öffnungszeiten, die sexuelle Orientierung der Besucher*innen und manchmal vergibt Kisiel auch Sterne. In Ostberlin scheint ihm demnach am besten das »Café Schönhauser Allee« in der Kastanienallee 2 am U-Bahnhof Dimitroffstraße gefallen zu haben, für das er gleich fünf ***** notierte.

Andere Vitrinen zeigen Hefte, aufgeschlagene Seiten oder auch nur Ausrisse aus Zeitschriften wie dem polnischen »Monatsmagazin für Männer« okay, dem »Monatsmagazin für anders Liebende« filo oder der »ersten weißrussischen Publikation für Schwule und Lesben« forum Lambda. Manche Ausgaben wurden im Selbstverlag, mit Schreibmaschine und Filzstift hergestellt und hektographiert, andere scheinen schon professionell gedruckt worden zu sein. Sie alle zeugen in den Texten, Fotos und Zeichnungen von einer lustvollen Zurschaustellung des eigenen queeren Körpers, der selbstbewusst und oft mit Selbstironie präsentiert wird. 2012 hat Radziszewski in einem Interview gesagt, dass es ihm bei dieser Beschäftigung mit der Vergangenheit um eine Suche nach der eigenen Herkunft gehe, nach einer »anderen Geschichte der Gründungsmythen der Identität«. Ihn interessiere die Spezifik des Homosexuellseins in Osteuropa, das sich von der »westlichen Gay-Kultur und Popkultur« und den dazugehörigen Bewegungen unterscheide. Zu dieser spezifischen eigenen Geschichte gehört für ihn die Zeitschrift filo, da sie keine dieser typischen »emanzipatorischen Zeitschriften« sei, wie sie nach 1989 überall erschienen. In einem Gespräch, das er mit Vojin Saša Vukadinović für Texte zur Kunst aus Anlass der Ausstellung geführt hat, hebt Radziszewski die »verrückte« Do-it-yourself-Kreativität von filo hervor, die so »campy and queer« sei, wie es das heute in der polnischen Kunst nicht mehr gebe.

Als paradigmatisch für diesen anderen Umgang mit westlicher Popkultur und Queerness in Osteuropa gilt ihm vor allem ein Werk von Ryszard Kisiel, das in einer kleinen Collage aus Donald-Duck-Aufklebern und den Buchstaben A, I, D, S besteht. 1989 hat Kisiel diese Arbeit für filo erstellt, eine Nachbildung der Zeitschriftenseite ist in der Ausstellung in einer Vitrine zu sehen. Auf ihr sieht man Donald redend, zwinkernd, verlegen lächelnd und verwundert die vier Buchstaben halten. Darüber steht in großen Filzbuchstaben auf Polnisch (und ohne Übersetzung) geschrieben: »ACHTUNG! VIEL SPASS UNGEFÄHRLICH!« Radziszewski hat aus ihr eine riesengroße farbige Tapete im Stil der Pop-Art gemacht, die eine ganze Wand bedeckt. Wie dieses Motiv zu deuten ist, erfährt man nirgends, doch Radziszewski hat es schon mehrfach in früheren Ausstellungen verwendet und auch ein Cover des DIK Fagazines (Nr. 8, 2011) damit gestaltet. In einem Interview hat er einmal erläutert, er sehe in dem Motiv eine eigenständige Auseinandersetzung mit dem Wort AIDS und vergleicht es mit dem eineinhalb Jahre zuvor entstandenen viereckigen Buchstabenbild AIDS des kanadischen Künstlerkollektivs General Idea. Dieses spielte wiederum auf das berühmte LOVE-Motiv des Pop-Art-Künstlers Robert Indiana aus den 1960er Jahren an. Während die Künstleraktivisten von General Idea mit der direkten Identifizierung von LOVE mit AIDS Ende der 1980er Jahre im Medium der Kunst erstmals plakativ darauf hinwiesen, dass die HIV-Infektion nicht nur eine Gefahr für Minderheiten und Randgruppen darstelle, sondern die Krankheit alle betreffe, sieht Radziszewski in Kisiels Bild vor allem die »sehr ironische Geste«. Statt zu skandalisieren, entblößt es an versteckter Stelle und von kaum jemandem beachtet in einer Undergroundpublikation für anders Liebende zwinkernd die Scheinheiligkeit westlicher Popkultur und ihrer Donald Ducks.[1] Direkt darunter findet sich in der Zeitschrift ein knapper, ebenfalls unübersetzter Dialog auf Polnisch, der diese morbid-spöttische Mischung aus Faszination und Furcht vor ›westlichem‹ Genuss noch im verstotterten Akronym aufnimmt: »– Hallo ich habe echte Adidase! / – Oh Gott! Das bringt dich um! / – Dummkopf, das sind nur Schuhe!«

In der Ausstellung wird außerdem ein Film mit Ryszard Kisiel präsentiert, in dem eine Serie von Fotografien zu sehen ist, für die er Cruisingorte an einer polnischen Küstenstadt aufgenommen hat. Versehentlich wurde der Film ein zweites Mal belichtet, so dass nun Straßenansichten spätsozialistischer Tristesse und erotische Aufnahmen nackter Männerkörper einander überlagern. Im Off erläutert Kisiel im Gespräch mit Radziszewski, wie es zu den Bildern gekommen ist. Diesen Film mag man sinnbildlich für eine weitere Intention des QAI nehmen: hinter den überlieferten Bildern vom grauen Alltag der sozialistischen Wirklichkeit das erotische Vergnügen, die Exzesse des Alltags dem Vergessen zu entreißen und so die kurzen Momente des Glücks wieder sichtbar und fühlbar zu machen.

Dabei weigert sich die Ausstellung nicht nur bei der AIDS-Collage konsequent, den Besucher*innen irgendeine Hilfestellung zu geben. Kein Katalog, kein Audioguide, keine genauen Quellenangaben werden geboten. Spärliche Annotationen deuten mehr an, als dass sie informieren, statt zu erklären, verwirren sie eher: Ein Schwarzweiß-Foto zeigt eine elegant gekleidete Frau wohl in ihren Zwanzigern, womöglich aus den 1950er, vielleicht aber auch aus den 1980er Jahren, und die Bildunterschrift lautet: »Jana Kocianová war Sportlerin. Sie spielte Volley- und Basketball und war Mitglied der tschechoslowakischen Nationalmannschaft im Tischtennis. Sie arbeitete als Sekretärin des Prager Bürgermeisters und war die Managerin von Hana Hegerová – die ›Piaf aus Prag‹. Heute lebt sie in Prag.« Wann ist sie geboren, wie lebte sie ihr Leben, warum Sport, wer ist Hana Hegerová, was ist mit dem Prager Frühling, worin besteht die unerträgliche Leichtigkeit des Seins, warum landete ihr Bild in den Queer Archives? All das erfahren wir nicht, noch nicht einmal, dass in der der Tschechoslowakei gewidmeten Ausgabe des DIK Fagazine (Nr. 9, 2014) ein langes Interview mit Kocianová erschienen ist.

Am Ende der Ausstellung findet man in einer großen Glaskiste einen Haufen scheinbar achtlos aufeinander geworfener, schon etwas ausgeblichener altmodischer Gewänder, prächtiger Kostüme und ausgefallener Verkleidungsartikel: Sich vorzustellen, welche opulenten Feste, exzessiven Orgien oder auch nur einsamen Selbstinszenierungen vorm Spiegel in ihnen möglicherweise einst stattgefunden haben, bleibt der Fantasie der Besucher*innen überlassen. Denn genau darum geht es Karol Radziszewski: die eigene Einbildungskraft, wie und wo ein queeres Leben im sozialistischen und postsozialistischen Osten Europas existiert haben könnte, in Bewegung zu setzen:

»Für mich ist bei der Arbeit mit den Archiven der Einfluss auf die Zukunft durch meine Arbeit mit der Vergangenheit wesentlich, in dem Sinn hat das auch ein politisches Potenzial. Mich interessiert die Suche nach alternativen Versionen bekannter Erzählungen, das Fantasieren über mögliche Wahrscheinlichkeiten. Geschichte ist eine ununterbrochene Performance.«

Insofern sind die Queer Archives auch kein Archiv im gewöhnlichen Sinne, kein gesicherter Ort des Aufbewahrens, Ordnens und Präparierens von Wissensbeständen, Fakten und Dingen, aber auch keine diskursive Institution, kein »Gesetz dessen, was gesagt werden kann« im Sinne von Michel Foucault, für den das Archiv genau jenes System darstellt, das bewirkt, dass alle Dinge sich »in distinkten Figuren anordnen, sich aufgrund vielfältiger Beziehungen miteinander verbinden, gemäß spezifischer Regelmäßigkeiten sich behaupten oder verfließen«:[2] Diese Archive par excellence sind im heutigem Osteuropa vor allem diejenigen der ehemaligen Geheimdienste, der Polizeidienststellen, der staatlichen Machtapparate, die jegliches Aufkommen von abweichendem Verhalten, dissidenten Einstellungen, nonkonformen Künsten und Lebensformen akribisch beobachtet, dokumentiert, angeordnet, bewertet, infiltriert und gegebenenfalls zerstört haben. Radziszewskis Archiv liefert den Gegenentwurf zu dieser Theorie und Praxis. Bei ihm gibt es keine Gesetze, kein System, keine Regelmäßigkeiten, sondern nur Wunscherfüllung:

»Die Arbeit mit der Geschichte, mit Archiven ist in mehrerlei Hinsicht interessant. Insbesondere, glaube ich, in den postkommunistischen Ländern, wo einige Verbindungen zerrissen sind oder niemals existierten, wo versucht wird, eine neue nationale Idee zu konstruieren, eine neue Narration zu schaffen. Mich interessiert genau dieses Konstruieren, Hinzufügen, Revidieren, jedoch aus einer ganz spezifischen Perspektive. Es gibt hierbei viel Platz für Interpretation. Ich bin kein Historiker, selbst wenn ich mich auf verschiedene Personen beziehe, rede ich im Grunde genommen von mir selber.«

Und in diesem Selbstgespräch mit anderen wird alles möglich:

»Ich suche tastend in der Vergangenheit die Elemente, die ich gerne in ihr finden würde. Und immer stellt sich heraus, dass es sie dort gibt

Das Queer Archives Institute ist so wenig Archiv wie Institut, sondern steht im besten Sinne quer zu allen Institutionalisierungen und Einordnungen. In der Berliner Ausstellung geht es höchstens indirekt um die realen Repressionen und Verfolgungen queerer Menschen im sozialistischen und postsozialistischen Europa, unter deren Bedingungen die hier präsentierten Objekte entstanden sind; die konkreten Umstände werden bis auf wenige Ausnahmen ausgeblendet. Das QAI muss von den Besucher*innen nicht verstanden, durchschaut, kategorisiert werden. Es bietet einen Kunstraum, in dem die Dinge ertastet werden wollen, die man gerne finden würde. Und insofern ist seine Geschichtsvision auch genau das Gegenteil von Historisierung: Aktualisierung einer möglichen Vergangenheit, die es so nie gegeben hat, aber in einer besseren Welt hätte geben sollen.

 

Der Slawist Matthias Schwartz bearbeitet am ZfL das Forschungsprojekt »Affektiver Realismus. Osteuropäische Literaturen der Gegenwart«. Gemeinsam mit Dirk Uffelmann (Gießen) organisiert er die Internationale Konferenz »Socialism’s Divergent Masculinities. Representations of Male Subjectivities in Soviet Constellations and Beyond«, die im Juni 2020 am ZfL stattfindet.

 

[1] Michał Witkowski hat diesen Lebensformen und abweichenden Körperinszenierungen queerer Selbstentwürfe im Spätsozialismus und den ersten Jahren danach seinen Roman Lubiewo (2004) gewidmet, der als erster »polnischer Tuntenroman« 2007 ins Deutsche übersetzt worden ist. Auch in ihm wird von den Protagonist*innen wiederholt diese Abgrenzung von der aus dem Westen kommenden Gay-Kultur vollzogen, die statt Genuss, Nachlässigkeit und Zeitverschwendung nur noch den disziplinierten Körpertechniken neoliberaler Karrierewege und kommerzieller Massenkultur folge. Für eine polnische Neuauflage des Buchs hat Karol Radziszewski 2006 eigene Fotos als Illustrationen beigesteuert.

[2] Michel Foucault: Archäologie des Wissens (1969), Frankfurt am Main 1981, S. 187.

 

VORGESCHLAGENE ZITIERWEISE: Matthias Schwartz: Geschichte als ununterbrochene Performance: Das Queer Archives Institute, in: ZfL BLOG, 3.9.2019, [https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2019/09/03/matthias-schwartz-geschichte-als-ununterbrochene-performance-das-queer-archives-institute/].
DOI: https://doi.org/10.13151/zfl-blog/20190903-01

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Sharon Macdonald: DIVERSE MUSEUM DIVERSITIES https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2018/10/20/sharon-macdonald-diverse-museum-diversities/ Sat, 20 Oct 2018 09:23:41 +0000 http://www.zflprojekte.de/zfl-blog/?p=916 ‘Diversity’ has become a lively key word in contemporary museum discourse and practice, with numerous policies and initiatives being conducted under its banner. Achieving ‘diversity’ is seen as something to be celebrated – a good thing in itself. But quite what ‘diversity’ refers to is itself heterogeneous, with this only rarely explicitly articulated or even Weiterlesen

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‘Diversity’ has become a lively key word in contemporary museum discourse and practice, with numerous policies and initiatives being conducted under its banner. Achieving ‘diversity’ is seen as something to be celebrated – a good thing in itself. But quite what ‘diversity’ refers to is itself heterogeneous, with this only rarely explicitly articulated or even recognised. As such, what exists is a shifting field of diverse diversities, which variously interlink and reinforce each other but which may also mask critical discrepancies, disconnects, incompatibilities and even contrary ambitions.

In some senses, museums might be seen as having always been ‘differencing machines’.[1] Through their classificatory activities – cataloguing, labelling and even deciding in which museum something belongs – they don’t just represent diversity but produce it. By acts of differentiation they make divisions between things – they slice up the world into categories – and flag these up for scholarly and public consumption. Differentiating and identifying, highlighting difference and sameness, are thoroughly intertwined.

But while it is useful – crucial even – to recognise the inherent differentiating work of museums, it is also important to not elide together the various forms that this may take. The contemporary discourse and practice of diversity is not just business as it always was in museums. The Kunstkammer, the nineteenth century encyclopaedic museum and the museum of migration do not ‘do difference’ in the same way as each other.[2] What persists is museums’ extraordinary capacity for differentiating work – conceptual, material, cultural, social and political – and for feeding this back into scholarly and public worlds in relatively durable form.

Diversity in museums today is an unsettled conglomeration of relatively new ideas and practices and older ones rebranded – sometimes running alongside each other, sometimes mashed-up or colliding, and all too often in at least semi-unawareness of the disconnects. Before turning to flag up some of these, I offer a brief prelude to explain the basis for my remarks.

Diversity as ethnographic object and charged concept

As a social anthropologist and ethnographer of museums and heritage, I look at discourse, as it circulates through texts and talk; and I draw on participant-observation in and around museums in order to try to get a handle on what happens ‘on the ground’ as different players’ assumptions and agendas meet and variously mutate or pass by one another unawares, as ambitions bump into budgets and space constraints, and as things happen that may bear only fleeting resemblance to what was originally imagined. Over some decades now I have semi-attentively watched the growing discourse and practice of diversity.[3] This interest informed the design of a research project that I currently lead in Berlin: ‘Making Differences: Transforming Museums and Heritage in the 21st Century’.[4] The project involves a team of researchers ethnographically exploring how ‘differences’ of various kinds are being produced and circulated, reconfigured and realised, in contemporary museum and heritage discourse and practice. Our main geographical focus is Berlin – including the Humboldt Forum. But this is not exclusive, not least as we follow concepts and practices in and out of our local fieldwork sites, and as we draw on our own resources of fieldwork elsewhere, including in other countries, as well as on work by other scholars.

One of our key concerns is with which differentiating concepts are deployed where, when and how, and with what effects. We are interested, for example, in how terms such as ‘alterity’ or ‘provenance’ are produced and deployed and with what other language and practices they are entangled, as well as which transformations in museums and heritage they help to prompt – or hinder.[5] We treat them, that is, as objects of ethnographic investigation – following them to find out where they come from and what they do, what they morph into, and what manner of dreams and activities nestle under their labels.

Some concepts are especially lively in our field: these are ‘charged concepts’ – indicted and electrified to do something different, something new.[6] Diversity is just such a charged concept. Rising in use gradually since the 1960s and then sharply since 1990, it has come increasingly to refer not just to any kind of difference or collection of differences but to a politically desirable identity-based variety that stands against attempts to homogenise. A product of identity-politics, this kind of diversity is typically understood as ‘already there’ – based in senses of shared identity – but in need of recognising, especially by the state, and even protecting or resuscitating. Diversity initiatives are thus charged with the task of rescuing those who have been marginalised, ignored or repressed by the dominant status quo.

This socio-politically charged sense of diversity has become widespread in contemporary museum and heritage discourse, deployed especially as a supplement and even antidote to the idea of unified, and especially national, narratives.[7] Because museums have played such important roles in the making of national identities, and in expressing and legitimating identities and values more widely, they have become prime sites for diversity work.

Diversity discrepancies

Here is not the place to describe any of this diversity work in detail or to track the playing out of diversity ethnographically. Instead, I want to highlight some different understandings of diversity – where it is to be found, what it looks like, how it should be treated – that are in play in museum work and talk today. Thus, I sketch three diversity discrepancies – that is, different tacks on diversity that can be the basis of misunderstandings or even struggles in museum work and outcomes but which may go unremarked or even undetected in practice.

Collections-based and lived diversities

Because many museums – art and archaeology as well as generalist and ethnological – hold collections and present objects from many parts of the world ­– they sometimes claim, not unreasonably, that they are already engaged in diversity work, and even that they are specialists in it. The Ethnological Museum in Berlin, for example, is advertised as ‘a gigantic archive of the world’s diversity’.[8] But the categories through which museums do their diversity are not necessarily those of the socio-politically charged diversities that there is call to include today. Indeed, in some cases, museum categories might be precisely those that contemporary diversity movements seek to disrupt.

Potential discrepancy is not limited to the classifications through which the collections operate. It can also result from a lack of objects relevant to addressing lived diversities, including of recent citizens who bring cultural histories that are not represented in the collections. As some of our Making Differences research shows, a museological emphasis on displaying the collections – which is often understood as a duty by curators and can be seen as a commitment to object-based diversity – does not easily lend itself to including more actively-lived social diversity.

Collections may thus need to be created or expanded in order to better enable museums to address this lived diversity. While this happens sometimes, it is rarely on a scale comparable with earlier collecting; limited in part by perceptions of already crammed storerooms and by resource increasingly directed to exhibition and activities. This can contribute to museums doing diversity-lite. That is, doing diversity in relatively tokenistic or superficial ways, such as flagging it only in some display text or in a temporary exhibition, but not making more substantial or far-reaching changes to the permanent collections, galleries or narratives.

This raises the important question of how deeply diversity burrows into museum practice. The discourse is often of ‘bringing in’ diverse ‘perspectives’ or ‘voices’ – suggesting an invitation to join the party but not to set its agenda or change its format. Here too, then, a shared discourse of diversity can mask widely and even wildly differing practices, ranging from ‘adding some non-mainstream colour’ through to diversifying the workforce itself.

Tidy and messy diversities

The very shape that diversity is seen to have also varies. Diversity discourse’s background in identity-politics – which itself is modelled through ideas of possessive individualism and the nation-state – has led to a strong tendency to think about diversity as a set of discrete, neatly bounded, social entities, in much the same way as species tend to be imagined.[9] Displacing terms such as ‘ethnic group’ and ‘tribe’, the currently predominant expression ‘community’ has the merit of being ostensibly self-ascribed and less biologistically conceived but it too tends to assume diversity as a series of separate enteties of globules.

Ethnological museums have been especially accused of peddling this kind of diversity but it is more widespread. Indeed, some ethnographic museum curators, like many other anthropologists, have long been arguing against only seeing diversity in this – Western – way. It fails, they say, to recognise fluidity, mixing and hybridity.[10] Despite such arguments, the globular way of perceiving diversity is stubborn, shored up not least by identity politics and by museum collections. Currently, indeed, it is being reinforced by preoccupations with indigeneity and source communities. While such preoccupations have their own legitimate political propulsion, the globular view can lead to a squeezing out of less clear-cut, more multiple and messy, identifications that many people live today. Moreover, it can be hard to accommodate with the fact of cross-cutting and intersecting diversities – of, say, gender, sexuality, abledness and religion. Here too, then, different takes on diversity can bump into one another in practice, as Making Differences researchers have seen in our fieldwork.

Objects and interpretive diversity

Another diversity disconnect concerns new museology’s assertion that objects do not have fixed meanings but are open to diverse interpretations.[11] This itself has been divergently interpreted.

Sometimes it fostered a move to pay more attention to audiences in order to investigate interpretations made by different members of the public. In sociological readings, this has meant researching how responses might relate to social differences, thereby linking to socio-political diversity debates. Others, however, have taken it to mean that individuals all have their own unique take on any object. This is often coupled with assertions about the inherent multivocality of objects. While friendly to objects, the assertion has not infrequently been used to draw the opposite conclusion, namely that one cannot take visitors into account as they will all just do their own thing anyhow. In a re-romanticising of the object this has also spurred on a search for exhibitionary forms that are perceived as releasing objects from restrictive mono-vocal or mono-perspectival modes of presentation. It was in this spirit, for example, that the Kunstkammer made a reappearance in museological theory and practice – and that has been part of its rationale for one format for the Humboldt Forum.[12]

Final comment

The question of which differences and which diverse groups get represented in museums – not just in their displays but also in their collections and workforces – is undoubtedly crucially important due to museums’ citizenly legitimation roles. Here, however, my aim was to also point out that diversity questions run deeper than who to put in and who to leave out. What is even identified as diversity and how it is done is itself diverse.

All of the discrepancies I noted above – and more – are at play in ongoing museum developments in Berlin, including the Humboldt Forum, as are struggles over which differences to represent. It is a space that matters – a space to watch!

 

[1] T. Bennett 2006 ‘Exhibition, difference, and the logic of culture’, in I. Karp et al. Museum Frictions. Public Cultures/Global Transformations, Durham NC: Duke UP, pp. 46–69, p. 46. His use is with reference to more recent developments but his wider arguments support the idea that they have always played such a role.

[2] This formulation is used by S. Hirschauer, e.g. 2014 ‘Un/doing differences. Die Kontingenz sozialer Zugehörigkeiten’, Zeitschrift für Soziologie 43(3): 170–191.

[3] The organizers of the ZfL conference pointed out in their introduction to my presentation that my co-edited (with G. Fyfe) book of 1996, Theorizing Museums (Oxford: Blackwell), has the subtitle Identity and Difference in a Changing World. A more recent piece (2016) is entitled ‘New constellations of difference in Europe’s contemporary museumscape’, Museum Anthropology 39(1): 4–19.

[4] Funded primarily by the Alexander von Humboldt Foundation, with further support from the Humboldt-Universität zu Berlin, the Berlin Museum of Natural History and the Prussian Cultural Heritage Foundation, the project runs October 2015–September 2020. For further detail see: http://www.carmah.berlin/making-differences-in-berlin/

[5] See www.carmah.berlin/wp-content/uploads/2018/07/CARMAH-2018-Otherwise-Rethinking-Museums-and-Heritage.pdf. These particular concepts are discussed by J. Tinius and L. Förster respectively.

[6] S. Macdonald 2018 ‘Introduction’ Otherwise.

[7] See, for example, I. Ang 2005 ‘The predicament of diversity. Multiculturalism in practice at the art museum’, Ethnicities 3(5): 305–320.

[8] https://www.berlin.de/en/museums/3109373-3104050-ethnologisches-museum.en.html. (Accessed 4.4.2018).

[9] I discuss some of these ideas, including those relating to C. B. MacPherson’s 1962 The Political Theory of Possessive Individualism, in Memorylands. Heritage and Identity in Europe Today 2013 (London: Routledge).

[10] See Macdonald ibid. Ch. 7; A. A. Shelton 2006 ‘Museums and anthropologies: practices and narratives’, in S. Macdonald A Companion to Museum Studies (New York: Wiley-Blackell), 64–80.

[11] See P. Vergo (ed.) 1989 The New Museology (London: Reaktion), especially his own chapter ‘The reticent object’.

[12] E.g. H. Bredekamp 2016 ‘Das Schloss und die Universität: eine nicht endende Beziehung’, in H. Bredekamp and P.-K. Schuster (eds) Das Humboldt Forum. Die Wiedergewinnung der Idee (Berlin: Wagenbach), pp. 104–132.

Sharon Macdonald is professor of Social Anthropology with an emphasis on Museum and Heritage Studies in the Institut für Europäische Ethnologie at the Humboldt-Universität zu Berlin.

On the ZfL BLOG we document contributions of the annual conference 2017, Representing Diversity. So far we have published the Introduction to the conference by Mona Körte, Georg Toepfer and Stefan Willer, Ordnung des Diversen. Typeneinteilungen um 1900 by Jutta Müller-Tamm, ‘In the Name of Diversity.’ Zur Neuformierung studentischen Protests an amerikanischen Universitäten by David Kaldewey, and Albrecht Koschorke’s Auf der anderen Seite des Grabens.

 

VORGESCHLAGENE ZITIERWEISE: Sharon Macdonald: Diverse Museum Diversities, in: ZfL BLOG, 20.10.2018, [https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2018/10/20/sharon-macdonald-diverse-museum-diversities/].
DOI: https://doi.org/10.13151/zfl-blog/20181020-01

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Albrecht Koschorke: AUF DER ANDEREN SEITE DES GRABENS https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2018/08/30/albrecht-koschorke-auf-der-anderen-seite-des-grabens/ Thu, 30 Aug 2018 07:20:56 +0000 http://www.zflprojekte.de/zfl-blog/?p=870 1 Wer die öffentliche Debatte über populistische Bewegungen verfolgt, dem könnte leicht Karl Valentins Spruch in den Sinn kommen, es sei schon alles gesagt, nur noch nicht von allen. Seit Brexit und Trump laufen poli­tische Gegenwarts­analy­sen fast automatisch darauf hinaus, sich am Rätsel des Rechtspopulismus abzuarbeiten. Immerhin ist dabei eine anstei­gen­de Lernkurve zu verzeich­nen. Die Weiterlesen

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Wer die öffentliche Debatte über populistische Bewegungen verfolgt, dem könnte leicht Karl Valentins Spruch in den Sinn kommen, es sei schon alles gesagt, nur noch nicht von allen. Seit Brexit und Trump laufen poli­tische Gegenwarts­analy­sen fast automatisch darauf hinaus, sich am Rätsel des Rechtspopulismus abzuarbeiten. Immerhin ist dabei eine anstei­gen­de Lernkurve zu verzeich­nen. Die ersten Reaktionen auf rechtspopulistische Abstim­mungserfolge waren von Schock und völligem Unverständnis gekennzeichnet. Kommen­tato­ren mit akademischem Hintergrund (den Ver­fasser dieser Zeilen ein­ge­schlos­sen) glaubten sich einer Spezies »verrückter An­de­rer« gegen­über, von denen sie bis dahin keine Notiz genommen und mit denen sie keiner­lei soziale Berührung hatten. Die auch in den etablier­ten Medien vor­herr­schen­de Meinung war, dass hier Menschen nicht wussten, was sie taten, und bald aus ihrem Irrglauben aufwachen müssten.  

Inzwischen wurden die Hin­ter­gründe für den Umbruch der politischen Landschaft breit aus­ge­leuchtet – wenngleich das Bild, das sich ergibt, noch keineswegs vollständig ist. Eine Reihe von bequemen Er­klä­run­gen haben sich als irrig erwiesen. Unter den Leave-Befür­wortern, Trump-Wählern, An­hängern von Pegida und AfD, so stellt sich her­aus, sind nicht nur und nicht einmal mehr­heitlich solche, die blindlings der Demagogie popu­listi­scher Führer ver­fal­len. Die meisten von ihnen stehen zu dem, was sie als bewusste Wahr­neh­mung ihrer demokratischen Rechte betrachten, und wollen ihre Parteinahme nicht als ein Versehen oder eine einmalige Affekt­handlung verstanden wis­sen. Überdies handelt es sich keines­wegs nur um Ab­ge­hängte oder von sozialem Ab­stieg bedrohte Kleinbürger, wie man angesichts von frem­den­feindlichen Parolen, Schmähreden und gewalttätigen Über­grif­fen in bürger­lich distinguierteren Kreisen gern glauben will. Vielmehr reichen neu­rechte, illiberal-neo­auto­ritäre Tendenzen tief in den alten, wohlhabenden Mittelstand hinein. Mit Blick auf diesen Befund ist viel Kluges (und Kontroverses) über die Frage geschrieben worden, ob dem Erfolg des Rechts­populismus nicht eher kulturelle als ökono­mische Ursachen zu­grunde­liegen. Ist er vorrangig durch die Erschütterungen bedingt, die von einer verstärkt transnational agierenden Wirtschaft aus­gehen – durch freien Welt­handel, Lohn­konkur­renz mit Schwel­len­ländern und Arbeits­migran­ten, Deindustria­li­sierung, Abbau nationalstaatlicher Schutz­maß­nahmen und verschärfte Ungleichheit? Oder manifestiert sich in ihm vor allem ein kulturelles Be­fremden, eine gerade in gutbürgerlichen Kreisen um sich greifende Sorge vor dem Verlust der ver­trauten Lebensumgebung, der sie veranlasst, gegen die ver­meintliche Dominanz kosmopolitisch-multi­kultureller Eliten aufzubegehren? – Kurz: Richten sich populistische Bewegungen mehr gegen einen ökonomischen oder gegen einen kulturellen Libera­lismus? Und worin besteht der Zu­sam­men­hang zwischen beiden Spiel­arten des Libe­ralismus, weshalb lassen sie sich so erfolg­reich zu einem einheitlichen Feind­bild ver­schmelzen?

Aus solchen Fragen erwächst die Erkenntnis, dass, wer vom Populismus sprechen will, über den Liberalismus nicht schweigen darf (dieser im weitesten, nicht partei­politisch gebundenen Sinn verstanden). Das ist vielleicht der wichtigste Lern­fort­schritt in den letzten zwei Jahren. Er macht die Analyse komplexer, weil diejenigen, die sie be­trei­ben, sich nicht mehr als unbeteiligte Beobachter ausgeben können. Allein schon der Begriff Populismus markiert ja eine Per­spektive von außen, denn heutige Populisten nennen sich gewöhnlich nicht so. Wer den Begriff verwendet, ist unter den Vorzeichen eines sich immer weiter polarisierenden poli­tischen Feldes also in der Regel dem Gegen­lager der ›Libe­ralen‹ zuzurechnen. Dessen Vertreter sind an einer beide Seiten umgreifenden Dynamik beteiligt. Insofern ist auch die Art, wie sie über den Populismus sprechen, Teil des politi­schen Spieles. Deshalb reicht es nicht, das ›Narrativ des Popu­lis­mus‹ mit seinen charakteristischen Merkmalen – Beru­fung auf das ›Volk‹ als eine an­geb­lich einheitliche ethnonationale Entität, dessen In­schutz­­nah­me gegen die ›Eliten‹ und, im Fall rechts­populistischer Strömungen, gegen Fremde – zu isolieren und, was ein leichtes Spiel ist, als trügerisch zu entlarven. Das Bild muss ergänzt werden um eine Ana­lyse auch des ›libe­ra­len Narrativs‹: der perspektivi­schen Verzerrungen, die es enthält, seiner Leer­stellen und Ambivalenzen, vor allem aber der Gründe für seine ge­schwundene Inte­gra­tions­kraft sowohl im nationalen als auch im Welt­maßstab.

2

In der Konsequenz daraus hat eine breite Selbstproblematisierung des akademischen libe­ralen Main­streams (im Vokabular der in den USA geführten Debatte) eingesetzt. Es ist klarer ins Be­wusst­sein gerückt, dass der Diskurs über den Populismus in den meinungs­­bildenden Kreisen Züge einer alten, oft hinter einem paternalistischen Gestus versteckten Abscheu der Gebildeten gegenüber den Massen und ihren Artikulationsweisen trägt. Popu­lismuskritik erschöpft sich insoweit in »Stilkritik« (Philip Manow[1]), die sich zudem blind gegenüber der Tatsache verhält, dass auch und gerade die Privilegierten soziale Aus­gren­zung praktizieren. »Während in den vom Abstieg bedrohten Soziallagen Ressenti­ments gegen Unter­privi­le­gierte und Migran­ten offensiv vertreten werden«, bemerkt Cor­ne­lia Koppetsch dazu, »be­treibt die bürger­liche Mitte ihre Selbstabschließung eleganter, indem sie sich in exklu­si­ve Stadtviertel zu­rück­zieht. Dies erlaubt ihnen tolerant und liberal zu blei­ben, denn die tatsächlichen gesell­schaft­lichen Problemlagen bleiben draußen. Die Teil­habe an Privi­le­gien wird über den Preis pro Quadratmeter Wohnraum gesteuert.«[2]

Was bietet das liberale Narrativ, um in der aktuellen Situation die »tatsäch­lichen gesell­schaft­lichen Problemlagen« zu adressieren? Historisch ist der Liberalismus ein Kind der Auf­klärung und des aus ihr hervorgegangenen Bürgertums; er sah eine Sprecherposition vor, von der aus die durch Bildung Pri­vilegierten als Sachwalter des öffentlichen Interes­ses fungierten. Den noch unmündigen Teilen des Volkes wollte er den Weg zu höherer Einsicht wei­sen, um sie zu würdiger Teilnahme am öffentlichen Leben zu befähigen. Das Element von Distinktion, das in dieser Art von erzieherischer Vormundschaft der Weni­gen gegenüber den Vielen angelegt war, wurde so durch den Vorschein auf eine zu erwerbende Zugehörigkeit abgemildert. Auf dieser temporalen Struktur beruht der für die Weltsicht des Libera­lismus charakteristische ›Zug nach oben‹, wie er in den Leitideen individueller Ent­wicklung und gesellschaftlichen Fortschritts zum Ausdruck kam.

Wo jedoch der Zugang zu Bildungs- und Aufstiegschancen von den bereits Privilegierten monopolisiert wird, wo Wohlstands-Chauvinismus, Abstiegs­ängste und eine sich auf allen Ebenen ver­stär­ken­de Segregation das Bild bestimmen und wo sich überhaupt der kol­lek­tive Zukunftsprospekt schließt, verlieren die Versprechungen des Libera­lis­mus ihre Glaub­würdigkeit. In solchen Phasen wird sein Credo, so univer­sa­listisch es sich geben mag, leicht als die Besitz­stands­ideologie denunzierbar, die es immer auch war. Die gesamte linksliberale Agenda der zurückliegenden Jahrzehnte scheint dadurch in Miss­kredit zu geraten. Schon zu Beginn des neuen Jahrtausends hat die Phi­lo­sophin Nancy Fraser davor gewarnt, die »Grammatik« des politischen »claims-making« von der Verteilung hin zur Anerkennung, das heißt vom Ökonomischen zum Symbolischen hin zu verschieben.[3] In jüngster Zeit setzen sich vor allem Programme der identity politics und des diversity managements dem Vorwurf aus, die entscheidende Dimension sozialer Differenzbildung, nämlich materielle Ungleich­heit, zugunsten einer nur formellen Teilhabe aller mög­lichen Minderheiten aus dem Blickfeld zu drängen.

Dass eine weltoffene, globalisierungsfreundlich-kosmopolitische, sich in ihrer Toleranz gefallende Sicht der Dinge in häufig un­ein­gestan­dener Weise auf sozialer Privilegiertheit beruht, ist nicht die einzige Schwachstelle des liberalen Narrativs, in die polarisierende Gegenerzählungen eindringen können. Eine weitere besteht darin, dass es durch neoliberale Entgrenzung angreifbar geworden ist, und zwar ironischerweise mit seinen eigenen Waffen. Der Liberalismus klassischer Prägung gedieh in einem nationalstaatlichen Rahmen, durch den das freie Spiel der gesellschaftlichen Kräfte eingehegt war. Wie auch immer sich das Verhältnis zwi­schen Markt und Staat in der Praxis gestaltete – idealiter ist das libera­le Gesell­schaftsmodell ohne seine Rückbindung an überparteilichen Institu­tio­nen mit schieds­richter­­licher und Sanktionsgewalt nicht zu denken. Zu diesen zählen Justiz, freie Presse und Wissenschaft als objektivierende, normstiftende Instanzen, die – wiederum dem Ideal nach – nicht dem Hin und Her widerstreitender Interessen anheim­gestellt sind. Der Logik der Partikular­interessen steht so eine Logik der Norm, ein Appell an das öffentliche Interesse und die Allgemeinheit gegenüber.

Als eine praktisch wirksame Wirtschafts- und Gesellschaftsphilosophie arbeitet der Neoliberalismus, sehr verkürzt dargestellt, an einer Aushöhlung dieser Logik der Norm. Er delegitimiert die betreffenden, durch Globalisierung ohnehin unter Druck geratenen Staatsfunktionen und befördert auch auf anderen Feldern den Siegeszug marktlibera­ler Regulative. Damit unterminiert er aber den Anspruch auf Autorität, der in die Position des klassischen Liberalismus seit den Zeiten der Aufklärung einbeschrieben war. Im Bereich der Wissenschaft äußert sich dies in der Rede vom »Marktplatz der Ideen« – einem Paradigma, dem eine wichtige Rolle in der Post-Truth-Debatte zukommt.[4] Hier macht sich im Übrigen eine fatale Allianz zwischen neoliberalem und postmodernem Denken bemerkbar: Wenn jede Person, jede Gruppe ein Anrecht auf Anerkennung ihrer je eigenen Sichtweise hat, wenn folglich »die Funktion öffentlicher Institutionen – einschließlich Zeitungen und Univer­sitäten – einfach nur darin besteht, möglichst viele private Mei­nun­gen gegen­einander in Wettbewerb (›freier Austausch‹) treten zu lassen«[5], von welchem Standpunkt kann man populistische Lügen dann überhaupt noch als solche kenntlich machen und, ja, ver­urtei­len?

3

Wie in der Machtpolitik setzen sich erfolgreiche Narrative dort fest, wo bis dahin vor­herrschende semantische Großformationen Schwächen zeigen. Der Geländegewinn popu­listischer Be­we­gungen rückt deshalb vor allem die aktuellen Verlegenheiten des politi­schen Liberalis­mus ins Licht. Sie hängen in zweifacher Hinsicht mit der sich vertiefenden sozialen Spal­tung in spätmodernen Gesellschaften zusammen. Sozio­ökono­misch, weil der Liberalismus den Nichtprivi­le­gier­ten offenbar keine glaubhafte Per­spektive auf (künftige) Zugehörigkeit mehr verschafft. Argumentativ, weil der liberale Diskurs nicht ohne Berufung auf ein besseres Wissen – faktenbasierte Politik, neutrale Be­richt­­erstattung, auf Objek­tivität abzielende Wissenschaft –, ohne Bildung entsprechen­der professioneller Eliten­ und damit ohne ein Element von Hierarchie auskommt, während er sich zugleich damit aus­einander­zusetzen hat, dieses Wissen als das andere Wissen einer elitären Kaste desavouiert zu finden. Er tappt so in die Falle des Pluralismus, an deren Verfertigung er selbst beteiligt war. Das aktuelle Stichwort heißt: tribal epistemology.[6] Solange er aus dieser Falle nicht herauskommt, wird das, was er vom Populismus und von sich selbst zu erzählen weiß, auf der anderen Seite des Gra­bens keine Resonanz finden.

 

[1] Philip Manow, ›Dann wählen wir uns ein anderes Volk‹… Populisten vs. Elite, Manuskript, Bremen/Konstanz 2017, S. 3.

[2] Cornelia Koppetsch, Die Wiederkehr der Konformität. Streifzüge durch die gefährdete Mitte, Frankfurt / New York 2013, S. 9.

[3] Nancy Fraser, »Rethinking Recognition«, in: New Left Review 3 (2000), S. 107–120. Den Hinweis verdanke ich Albert Dikovich.

[4] Erik Baker und Naomi Oreskes, »It’s No Game: Post-Truth and the Obligations of Science Studies«, in: Social Epistemology Review and Reply Collective 6, no. 8 (2017), S. 1–10.

[5] Ebd., S. 1.

[6] David Roberts, »Donald Trump and the rise of tribal epistemology. Journalism cannot be neutral toward a threat to the conditions that make it possible«, in: Vox, 19. Mai 2017.

 

Albrecht Koschorke ist Professor für Neuere Deutsche Literatur und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz. Der Text geht zurück auf seinen Vortrag bei der Jahrestagung des ZfL, »Diversität darstellen« (11./12.1.2018), und ist erschienen in dem vom Exzellenzcluster »Kulturelle Grundlage von Integration« herausgegebenen Heft »Themen Thesen Texte« 07/18, S. 9-11. Die ›feindliche Übernahme‹ von Positionen der Postmoderne durch die neue
Rechte und das Dilemma, in das eine sich als linksemanzipatorisch
verstehende Wahrheitskritik dadurch gerät, wird Gegenstand einer von
Albrecht Koschorke mitveranstalteten Tagung am Berliner Haus der Kulturen
der Welt sein: »Concerning Matters and Truths. Postmodernism’s Shift
and the Left-Right-Divide«, 4. bis 6. Oktober 2018.

Auf dem ZfL BLOG dokumentieren wir in loser Folge die Beiträge der Jahrestagung. Bislang erschienen sind die »Einleitung« zur Tagung von Mona Körte, Georg Toepfer und Stefan Willer, »Ordnung des Diversen. Typeneinteilungen um 1900« von Jutta Müller-Tamm und David Kaldeweys »›In the Name of Diversity.‹ Zur Neuformierung studentischen Protests an amerikanischen Universitäten«.

 

VORGESCHLAGENE ZITIERWEISE: Albrecht Koschorke: Auf der anderen Seite des Grabens, in: ZfL BLOG, 30.8.2018, [https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2018/08/30/albrecht-koschorke-auf-der-anderen-seite-des-grabens/].
DOI: https://doi.org/10.13151/zfl-blog/20180830-01

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David Kaldewey: »In the Name of Diversity«: ZUR NEUFORMIERUNG STUDENTISCHEN PROTESTS AN AMERIKANISCHEN UNIVERSITÄTEN https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2018/07/16/david-kaldewey-in-the-name-of-diversity-zur-neuformierung-studentischen-protests-an-amerikanischen-unversitaeten/ Mon, 16 Jul 2018 11:25:12 +0000 http://www.zflprojekte.de/zfl-blog/?p=832 Diversität scheint auf den ersten Blick ein wenig umstrittener gesellschaftlicher Wert zu sein. Die jüngeren Entwicklungen in der politischen Landschaft der USA haben in den letzten Jahren jedoch gezeigt, dass ›Diversität‹ als hochgradig umkämpfter Begriff verstanden werden muss. Einen Tag nach der Wahl von Donald Trump am 8. November 2016 kursierte an der Texas State Weiterlesen

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Diversität scheint auf den ersten Blick ein wenig umstrittener gesellschaftlicher Wert zu sein. Die jüngeren Entwicklungen in der politischen Landschaft der USA haben in den letzten Jahren jedoch gezeigt, dass ›Diversität‹ als hochgradig umkämpfter Begriff verstanden werden muss. Einen Tag nach der Wahl von Donald Trump am 8. November 2016 kursierte an der Texas State University folgender Flyer:

Diese triumphierende Geste von Studierenden, die sich vom linksliberalen Konsens der amerikanischen Colleges und Universitäten distanzieren, macht die Spannung sichtbar zwischen einem im universitären Raum seit den 1990er Jahren stabilisierten identitätspolitischen Diskurs, für den Diversität und Multikulturalismus zentrale Werte sind, und einer alten sowie neuen Rechten, die sich, durchaus genussvoll, gegen die etablierte Political Correctness und angebliche Einschränkungen der Meinungsfreiheit wendet. Die Kritik an gewissen Formen des identitätspolitischen Diskurses kam in den Jahren vor der Wahl Trumps aber nicht nur von rechts, sondern auch aus dem linksliberalen Milieu: »I’m a liberal professor, and my liberal students terrify me«.[1] Was damit gemeint ist, lässt sich an Studierendenprotesten an unzähligen Colleges und Universitäten der USA zeigen. Die dort mittlerweile selbstverständlich gewordenen Forderungen nach trigger warnings bei der Lektüre von klassischen Texten mit potenziell belastenden Inhalten und nach safe spaces, in denen insbesondere Minderheiten sicher sind vor jeglicher Diskriminierung, bereiten sowohl konservativen als auch liberalen Professoren Sorgen um die Rede- und Meinungsfreiheit im universitären Raum. Dass diese Problematik sich auch im Begriff der Diversität bündeln kann, zeigt ein Brief, den die Hochschulleitung des Oberlin College im Dezember 2015 erhielt und in dem eine Gruppe schwarzer Studierender 50 nicht verhandelbare Forderungen aufstellte und folgenden Vorwurf formulierte:[2]

»You include Black and other students of color in the institution and mark them with the words ›equity, inclusion and diversity‹, when in fact this institution functions on the premises of imperialism, white supremacy, capitalism, ableism, and a cissexist heteropatriarchy.«

Unterstützung fanden die Forderungen keineswegs nur bei einer Minderheit, etwa den schwarzen Studierenden; vielmehr wurde eine entsprechende Petition im Internet von 700 Studierenden unterzeichnet. Anders als der eingangs erwähnte (anonyme) Flyer, der an der Texas State University kursierte, stehen solche (öffentlichen) Aussagen für die gängige Wahrnehmung und Darstellung von Diversität auf Seiten von Studierenden, insbesondere in den Elite-Colleges. Die Begrifflichkeit der Diversität erscheint also als gleichermaßen relevant für die Selbstbeschreibung von Protagonisten des neueren studentischen Protests wie auch für zynische bis feindliche Fremdbeschreibungen eben dieser identitätspolitisch motivierten Bewegungen. Auffallend ist, dass der Begriff der Diversität, anders als etwa der der ›Identität‹ oder der des ›Privilegs‹ durch die Rechte nur selten übernommen und neu besetzt, sondern schlicht als Feindbegriff verwendet wird.

Im Juli 2016 veröffentlichte DIE ZEIT ein Dossier, dem zufolge sich derzeit weltweit die »größte Studentenbewegung seit 1968« formiere.[3] Das ist sicherlich überzogen, und aus soziologischer Sicht ist es fraglich, ob und inwieweit man hier überhaupt sinnvoll von einer neuen sozialen Bewegung sprechen kann. Dennoch bleibt die Frage, was das eigentlich für ein Phänomen ist, das offensichtlich seit Jahren den Alltag an US-amerikanischen Colleges prägt. Die Sozial- und Kulturwissenschaften bleiben bislang einigermaßen stumm und überlassen die Beobachtung weitgehend den Journalisten und Intellektuellen, die allerdings angesichts der teilweise absurden Forderungen und Ereignisse nur verwundert oder amüsiert den Kopf schütteln – man denke nur an die Ereignisse in Yale, wo Ende 2015 eine Diskussion darüber, ob es zu begrüßen ist, wenn die Verwaltung den Studierenden Vorschriften zu angemessenen Halloweenkostümen macht, zum Rücktritt des Masters des Silliman College führte.[4]

Vor diesem Hintergrund ist es hilfreich, sich dem Phänomen zunächst von der diskursiven und performativen Seite her zu nähern. Damit eröffnet man ein Spielfeld insbesondere für die Begriffsgeschichte, die das Vokabular der Bewegung historisieren und auf möglicherweise implizit bleibende akademische Quellen hin untersuchen kann. An die Stelle polemischer Kommentierung könnte dann etwa eine Art Historisches Wörterbuch des neuen studentischen Protests treten, das Einträge zu Leitbegriffen wie cultural appropriation, identity politics, intersectionality, microaggression, political correctness, rape culture, safe space, trigger warning oder white privilege enthielte. Natürlich dürfte in einer solchen Liste auch der Begriff der Diversität nicht fehlen. Allerdings handelt es sich bei ›Diversität‹ nicht um einen spezifisch mit der neuen Form studentischen Protests verknüpften Begriff. Zu verorten ist ›Diversität‹ zunächst in einem übergeordneten semantischen Feld, das beispielsweise auch die Begriffe ›Multikulturalismus‹, ›Identitätspolitik‹ und, auch wenn das eher eine polemische Fremdbeschreibung des Diskurses ist, ›Political Correctness‹ enthält. Dieses Feld verweist auf politische Leitplanken, die nicht nur den Aktivismus der Studierenden, sondern den politischen Diskurs der USA insgesamt prägen. Eine kursorische Analyse mit dem Google Ngram Viewer bestätigt dabei die Eindrücke, die sich auch von der Literaturlage her aufdrängen. Ende der 1980er Jahre kommt es demnach über einen Zeitraum von etwa zehn Jahren zur parallelen Karriere dieser vier zentralen Begriffe: Die Verwendungshäufigkeiten von diversity und multiculturalism steigen markant an; die Ausdrücke identity politics und politial correctness tauchen in diesem Zeitraum gewissermaßen aus dem Nichts auf.

Natürlich ist hier nicht der Ort, der Vielzahl der möglichen Einträge eines solchen Wörterbuches nachzugehen. Die folgenden Erläuterungen beschränken sich auf den Begriff der Diversität und beleuchten dessen Funktion und Verwendungsweise in vier verschiedenen Kontexten, die letztlich auch den Hintergrund abgeben für die gegenwärtigen Formen studentischen Protests an amerikanischen Hochschulen.

Diversität im US-amerikanischen Alltag

In »American Mosaic Project« wurden zwischen 2003 und 2014 Alltagskonzeptionen und Wahrnehmungen von Diversität in vier US-amerikanischen Metropolregionen untersucht. Dabei konnten verschiedene Widersprüche, Ambivalenzen und Spannungen sichtbar gemacht werden: Einerseits, so die Autoren der Studie, seien Amerikaner offen und euphorisch, wenn sie darauf angesprochen werden, was Diversität für sie bedeute. Andererseits zeige sich insbesondere in der Face-to-face-Kommunikation, dass die meisten Befragten trotz dieser grundsätzlich positiven Einstellung Schwierigkeiten haben, zu erklären, was genau sie an Diversität als positiv und nützlich erachten. Wenn nach konkreten Erfahrungen gefragt wurde, drehten sich diese meist um die Interaktion mit Angehörigen anderer Ethnien (»racial others«). Entsprechend beschreibt Douglas Hartmann, einer der Projektleiter, den US-amerikanischen Diversitätsdiskurs als »deeply structured and informed […] by the language and experiences with race.«[5] Diese Diagnose deckt sich mit der des Literaturwissenschaftlers Walter Benn Michaels, der darüber hinaus die These formulierte, dass die identitätspolitische Zelebrierung von kultureller Diversität – sowie die Engführung von Diversität auf die Kategorie »race« – die latente Funktion habe, nicht über ökonomische Ungleichheit sprechen zu müssen.[6]

Diversität in den US-amerikanischen Sozial- und Kulturwissenschaften

Im den US-amerikanischen Sozial- und Kulturwissenschaften ist Diversität untrennbar verbunden mit der Trias von race, class und gender. In einem 1992 erschienenen Band zur Political-Correctness-Debatte hatte Paul Berman die These formuliert, dass die seit den 1960er Jahren aus Frankreich und Deutschland importierte Philosophie und kritische Theorie in eine spezifisch US-amerikanische Melange transponiert wurde: An die Stelle von Marx, Nietzsche, Saussure, Heidegger, Foucault, Marcuse, Derrida etc. sei ein »race/class/gender-ism« getreten. Bemerkenswert ist, dass Berman hier eine Theorie ohne Autor präsentiert. Es gebe keinen Klassiker, keine Autorität, keine verbindliche Definition, so dass der neue theoretische Überbau nur als Karikatur zugänglich sei: »culture and language are themselves only reflections of various social groups, which are defined by race, gender, and sexual orientation.«[7] Gegenüber Berman spitzt Michaels die Kritik an dieser Trias zu und problematisiert die Parallelisierung von racism, sexism und classism – denn was, so Michaels, kann mit Klassismus in diesem Zusammenhang überhaupt gemeint sein? Seine Antwort: In der identitätspolitischen Logik sind Individuen nicht deshalb benachteiligt, weil sie arm sind und über keine Ressourcen verfügen, sondern weil ihre Mitmenschen sie diskriminieren, weil sie arm sind. Michaels stellt entsprechend die Frage, ob der Sache wirklich gedient sei, wenn es nicht mehr darum gehe, Ungleichheiten abzubauen, sondern Armut als eigene Diversitätsdimension, letztlich als bewahrenswerten Aspekt von Identität zu begreifen.[8]

Diversität in Urteilen des US Supreme Court

Ein dritter wichtiger Bereich, in dem Fragen der Diversität mit hochschulpolitischen Fragen verknüpft werden, sind die Urteile des US Supreme Court zur Frage, ob Affirmative Action eine Diskriminierung weißer Studierender bedeutet. Das historisch wahrscheinlich wichtigste Urteil hierzu erging im Verfahren Bakke vs. Regents of the University of California (1978), in dessen Verlauf die neun Verfassungsrichter insgesamt sechs verschiedene Meinungen vorlegten. Ausschlaggebend war am Ende die Stellungnahme von Richter Lewis P. Powell, die darauf hinauslief, dass zwar das in diesem Fall beanstandete Zulassungssystem nicht verfassungskonform sei, dass es aber grundsätzlich legitim sei, wenn Universitäten in ihrer Zulassungspolitik die Ethnizität eines Bewerbers als Kriterium verwenden. Als Begründung dafür präsentierte Powell die Idee, dass die Diversität des Studierendenkörpers insgesamt ein legitimes Interesse der Universität sowie der einzelnen Studierenden sei, da diese alle durch den Kontakt mit anderen Kulturen und Meinungen profitierten. Die Geschichte der Verbindung von Affirmative Action und Diversität ist mit diesem Urteil keineswegs abgeschlossen, eine Reihe von weiteren Prozessen in verschiedenen Bundesstaaten und auch weitere Supreme-Court-Urteile haben die Hürden für Formen positiver Diskriminierung weiter erhöht. Was bleibt, ist eine historisch bedingte Verflechtung des Diversitätsdiskurses mit Gerichtsurteilen und einer verfassungsrechtlich durchaus umstrittenen Antwort auf die Frage, weshalb Diversität an Hochschulen ein besonderes und schützenswertes Allgemeingut ist.

Diversität im Blick der Hochschulverwaltungen

Ein vierter wichtiger Kontext der Darstellung von Diversität sind die Selbstdarstellungen von Universitäten bzw. Universitätsverwaltungen. Im Blick auf die Diskussion um Affirmative Action ist es zunächst instruktiv, wie amerikanische Universitäten offizielle Statistiken und Schaubilder zur ethnischen Zusammensetzung der Studierenden sowie des Lehrkörpers publizieren. Differenziert wird in erster Linie nach den auf ethnischer Abstammung beruhenden identitätspolitischen Kategorien (»White«, »Hispanic«, »African American«, »Native American«). Insbesondere die hochkompetitiven Colleges und Universitäten publizieren Zulassungsstatistiken, die nach Geschlecht und Ethnizität differenzieren, wobei Ethnizität sich jeweils nur auf US-Bürger bezieht und unterschieden wird von »international students«. Diversität, so scheint es, wird durch nationale Minderheiten, nicht aber durch internationale Studierende gefördert. Einflussreicher als solche Darstellungen des Studierendenkörpers ist die Institutionalisierung des Ideals der Diversität in Form eines Diversity Managements. Zu diesem Phänomen, und eben auch zu diesem Begriff, wäre mehr zu sagen, als an dieser Stelle möglich ist. Erwähnt sei nur, dass die Etablierung von Diversity Management an Hochschulen in den USA oft als eine Art Konfliktberuhigung betrieben wird, also unmittelbar auf Forderungen von Studierenden reagiert, während es beispielsweise in Deutschland eher eine Top-down-Strategie ist, die auf einen einigermaßen stabilen politischen Konsens zurückgeführt werden kann – den Studierende und Lehrende weitgehend teilen, ohne sich aber sonderlich dafür zu engagieren.

Diversität der Diversität

Abschließend sei die Frage gestellt, ob dem Diversitätsbegriff im Kontext der amerikanischen Studierendenproteste eine verengende oder eine horizonterweiternde Funktion zukommt. Zunächst könnte man vermuten, dass der Begriff die identitätspolitische Verengung von Identität auf Ethnizität zu korrigieren vermag: Explizite Definitionen von Diversität verweisen ja immer auf die Vielzahl von Unterscheidungen neben der klassischen Kategorie der Ethnizität. Andererseits entsteht genau deshalb aber auch eine diskursive Verengung: Wenn der Begriff der Diversität sehr verschiedene Kategorien in die Form einer Liste bringt, dann kann dies dazu führen, dass alle items auf der Liste nach der identitätspolitischen Logik gedacht werden. Das war der Punkt, den Autoren wie Berman oder Michaels an der akademischen Diversitätstrias race, class und gender kritisiert hatten. Liest man vor diesem Hintergrund aktuelle Studien zum studentischen Aktivismus, dann stellt sich durchaus der Verdacht ein, dass gängige Vorstellungen von Diversität gewissermaßen wenig konzeptionelle Diversität in sich selbst zulassen. So schreibt Robert Rhoads in einem aktuellen Beitrag zur US-amerikanischen studentischen Protestkultur einleitend über sein Vorgehen im Text: »I pay particular attention to race and racial issues, but consider other aspects of diversity as well.«[9] – Die anderen Aspekte klingen damit sehr nach ›unter ferner liefen‹. Hier müsste sorgfältiger reflektiert werden, ob und inwieweit diese anderen Aspekte von Diversität auch anders konzipiert werden können als die besagten »racial issues« oder ob letztere eben die Vorlage, das Muster sind, nach dem sämtliche Diversitätskategorien gedacht werden. Wenn dem so wäre, dann wäre Diversität eine Semantik, die Kategorien eher vereinheitlicht und gerade nicht diversifiziert.

[1] Edward Schlosser: I’m a liberal professor, and my liberal students terrify me. Vox, 03.06.2015, https://www.vox.com/2015/6/3/8706323/college-professor-afraid.

[2] Heller, Nathan: The Big Uneasy. What’s roiling the liberal-arts campus? The New Yorker, 30.05.2016, http://www.newyorker.com/magazine/2016/05/30/the-new-activism-of-liberal-arts-colleges.

[3] Rudi Novotny/ Pham Khuê/ Marie Schmidt: Die neuen Radikalen. DIE ZEIT, 14.07.2016.

[4] David Kaldewey: Der Campus als ›Safe Space‹. Zum theoretischen Unterbau einer neuen Bewegung. Mittelweg 36 (2017), Heft 4/5, S. 132–153.

[5] Douglas Hartmann: Reflections on Race, Diversity, and the Crossroads of Multiculturalism. The Sociological Quarterly 56 (2015), Nr. 4, S. 623–639, hier S. 631.

[6] Walter Benn Michaels: The Trouble with Diversity: How We Learned to Love Identity and Ignore Inequality. New York 2006.

[7] Paul Berman (Hg.): Debating P.C. – The Controversy over Political Correctness on College Campuses. New York 1992, S. 14.

[8] Walter Benn Michaels: The Trouble with Diversity: How We Learned to Love Identity and Ignore Inequality, New York 2006, S. 106.

[9] Robert A. Rhoads: Student Activism, Diversity, and the Struggle for a Just Society. Journal of Diversity in Higher Education 9 (2016), Nr. 3, S. 189–202, hier S. 190.

 

David Kaldewey ist Professor für »Wissenschaftsforschung und Politik« und Direktor der Abteilung Wissenschaftsforschung am Forum Internationale Wissenschaft in Bonn.

Der Text geht zurück auf seinen Vortrag bei der Jahrestagung des ZfL, »Diversität darstellen« (11./12.1.2018), die wir auf dem ZfL BLOG in loser Folge dokumentieren. Bislang erschienen sind die »Einleitung« zur Tagung von Mona Körte, Georg Toepfer und Stefan Willer und »Ordnung des Diversen. Typeneinteilungen um 1900« von Jutta Müller-Tamm.

 

VORGESCHLAGENE ZITIERWEISE: David Kaldewey: »In the Name of Diversity«: Zur Neuformierung studentischen Protests an amerikanischen Universitäten, in: ZfL BLOG, 16.7.2018, [https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2018/07/16/david-kaldewey-in-the-name-of-diversity-zur-neuformierung-studentischen-protests-an-amerikanischen-unversitaeten/].
DOI: https://doi.org/10.13151/zfl-blog/20180716-01

 

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Jutta Müller-Tamm: ORDNUNG DES DIVERSEN. Typeneinteilungen um 1900 https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2018/06/07/jutta-mueller-tamm-ordnung-des-diversen-typeneinteilungen-um-1900/ Thu, 07 Jun 2018 08:02:15 +0000 http://www.zflprojekte.de/zfl-blog/?p=793 Mit einiger Berechtigung könnte man das 19. Jahrhundert nicht nur als Jahrhundert nationaler Einheitstendenzen, sondern auch als Jahrhundert der Diversität beschreiben: einerseits der biologischen Diversität, insofern die Anzahl der bekannten Arten exponentiell zunimmt und die Evolutionslehre den Naturprozess selbst als Entstehung organischer Diversität bestimmt, andererseits aber auch als Jahrhundert der kulturellen und sozialen Diversifizierung: Unübersehbarkeit Weiterlesen

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Mit einiger Berechtigung könnte man das 19. Jahrhundert nicht nur als Jahrhundert nationaler Einheitstendenzen, sondern auch als Jahrhundert der Diversität beschreiben: einerseits der biologischen Diversität, insofern die Anzahl der bekannten Arten exponentiell zunimmt und die Evolutionslehre den Naturprozess selbst als Entstehung organischer Diversität bestimmt, andererseits aber auch als Jahrhundert der kulturellen und sozialen Diversifizierung: Unübersehbarkeit des empirischen Wissens, Differenzierung der Disziplinen, Vervielfältigung der kulturellen Tendenzen, Pluralisierung der Lebensformen und Weltanschauungen, die – mit Nietzsches Formulierung – »unkräftige Vielseitigkeit des modernen Lebens«,[1] all das gehört jedenfalls zu den gängigen Selbstbeschreibungen der Zeit. Dabei taucht Diversität in den Gegenwartsdiagnosen um 1900 weniger als Wert oder gar Forderung auf, sondern vor allem als krisenhaft oder ambivalent wahrgenommenes Phänomen:

»Die geistigen Verhältnisse sind unendlich viel reicher, mannigfaltiger, verwickelter geworden. Das geistige Erbe der Väter ist gewaltig gewachsen. Die Bevölkerung hat ungemein zugenommen, in relativ noch viel stärkerem Maße aber die Schicht höherer Bildung und die literarische Produktion. Die Kulturnationen stehen in enger Berührung miteinander. Telegraph und Presse überschütten von einem Ende der Welt bis zum andern die Menschheit tagtäglich mit dem Neuesten des Neuen.
Dadurch ist eine solche Vielheit und Verschiedenartigkeit gleichzeitiger Tendenzen, ein solches Neben- und Durcheinander diskrepantester Interessen entstanden, daß es künftigen philosophischen Systemen kaum mehr gelingen wird, ihrer Zeit in dem Maße den Stempel ihres Geistes aufzuprägen, wie etwa Kant und Hegel es vermochten.«[2]

Wo Diversität herrscht (bzw. als beherrschend wahrgenommen wird), wächst auch das Streben nach Übersicht und Ordnung. Der für die großräumig gefasste Zeit um 1900 charakteristische Umgang mit dem – wie man sagen könnte – Diversitätsdruck ist das Typisieren und Typologisieren. Um 1900 haben Typenbildungen aller Art Konjunktur. Typenlehren kursieren nicht nur in naturwissenschaftlichen Disziplinen, sondern auch in Philosophie, Soziologie, Psychologie, Medizin, Anthropologie, Geschichte, Literatur- und Kunstwissenschaften sowie im populären kulturtheoretischen Schrifttum der Zeit. Dabei unterscheiden sich diese Typologien nicht nur nach ihrem Gegenstandsbereich, sondern auch nach dem zugrunde gelegten Typuskonzept und nach dem Verhältnis der Typologie zu Diversität und Differenz.

Grob gesprochen gibt es zwei Extreme: Typologien, die Diversität tendenziell aufheben, eliminieren, und solche, die Diversität eher arrangieren, perspektivieren und in diesem Sinn bewahren. Letzteres tritt dann in den Vordergrund, wenn der Gegensatz der Typologie zur Klassifikation hervorgehoben wird, wenn es also darum geht, dass der Typus Wandlungen, Abstufungen und Intensitätsgrade kennt und dass fließende Übergänge zwischen Typen existieren. Das andere Ende des Spektrums markieren solche Typologien, die Systematizität beanspruchen, die essentialistisch angelegt sind, deren Einteilungen alle logischen (psychologischen, anthropologischen oder auch künstlerischen) Möglichkeiten erschöpfend erfassen wollen. An zwei maßgeblichen Denkern des typologischen Booms um 1900, Nietzsche und Dilthey, lassen sich diese verschiedenen Richtungen des Umgangs mit Diversität bzw. Perspektiven auf das Verhältnis von Typologie und Diversität ablesen.

Nietzsche ist in der Tat ein großer Typisierer: Historische Personen werden ihm zu Typen, von Sokrates als »Typus des theoretischen Menschen«[3] oder Jesus als dem »psychologischen Typus des Erlösers«[4] bis zum »Verbrecher-Typus« als dem »Typus des starken Menschen unter ungünstigen Bedingungen«.[5] Diese Typen sind, obwohl Nietzsche sie als bleibende bzw. wiederkehrende Möglichkeiten beschreibt, jeweils aus spezifischen historisch-kulturellen Konstellationen entstanden, ihr Miteinander bildet keine geschlossene Einteilung eines nach einem übergeordneten Kriterium klassifizierten Bestandes, die Typen selbst sind nicht unwandelbar. Man hat Nietzsches Denken in Typen plausibel als eine Alternative zur »verallgemeinernden Form des Philosophierens über den Menschen« gelesen; im Gegensatz zu anthropologischen Definitionen sollen diese Typenbildungen »die spontane und differenzierte Selbstgestaltung des Menschen offenhalten«.[6]

Eine der bekanntesten von Nietzsche entworfenen Typologien betrifft das Feld der Geschichtsbetrachtung. Ausgangspunkt ist die Kritik an der Verwissenschaftlichung der Historiographie, die dem modernen Menschen »eine ungeheure Menge von unverdaulichen Wissenssteinen« beschert habe; Historismus und Positivismus haben demnach die Geschichte in ein »unüberschaubares Schauspiel« verwandelt.[7] Der durch wissenschaftliche ›Objektivität‹ erzeugten, gleich-gültigen und lebensfeindlichen Anhäufung historischer Daten setzt Nietzsche drei dem Leben dienliche Arten von Geschichtsbetrachtung entgegen, die er wiederum drei Menschentypen zuordnet und nach ihren unterschiedlichen Funktionen bestimmt: die monumentalische, die antiquarische und die kritische Historie.

Für die hier interessierende Frage nach dem Verhältnis von Diversität und Typologie ist entscheidend, dass Nietzsches Typologie zu einer Pluralisierung der Historie führt. Auf die Unüberschaubarkeit der Wissensbestände antwortet Nietzsche mit einer doppelten Beziehungsstiftung der Geschichtsbetrachtung in der Typologie: Deren eine Achse bildet »die Constellation von Leben und Historie«;[8] jede lebensdienliche Geschichtsbetrachtung, heißt das, ist perspektivisch auf eine Lebensform bezogen. Geschichte wird dadurch notwendig plural und steht – dies ist die zweite Achse – immer im Verhältnis zu anders perspektivierten Gestaltungen von Geschichte. Die Wahrheit der einen Geschichte löst sich auf in unterschiedliche Arten der Geschichtsbetrachtung.[9]

In diesem Sinn hat Gilles Deleuze Nietzsche als Typologen gewürdigt und die Typologie überhaupt als »Meisterstück der Philosophie Nietzsches« bezeichnet.[10] Mit Deleuze lassen sich Nietzsches Typologien als perspektivische Ordnungen begreifen, die Heterogenitäten gruppieren, statt Gegenstände nach einem übergeordneten Gesichtspunkt zu klassifizieren und sie dadurch zu homogenisieren. Festzuhalten bleibt auch, dass Nietzsches typologische Methode keine anthropologische Fixierung beinhaltet, sie zielt »auf das Aufspüren anderer Typen, die andere Kräfteverhältnisse ausdrücken, auf die Entdeckung einer anderen Qualität des Willens zu Macht, die imstande ist, deren allzumenschliche Nuancen umzuwandeln«.[11]

Nietzsches Denken der Vielfalt im Zeichen der Typologie lässt sich der morphologischen Typenlehre Diltheys und ihrer Rezeption durch die geistesgeschichtliche Schule des früheren 20. Jahrhunderts gegenüberstellen. Besonders folgenreich war Diltheys Abhandlung Die Typen der Weltanschauung aus dem Jahr 1911, in der seine typologischen Bemühungen gipfeln. Ausgangspunkt ist auch hier die Beobachtung von Diversität: Die chaotische »Mannigfaltigkeit der philosophischen Systeme«[12] und der kulturellen Erscheinungen aller Zeiten führt laut Dilthey zu einem Verlust allgemeiner Geltungsansprüche und zieht zwingend die Typologie als einzige Denkmöglichkeit nach sich. Alle vorgefundenen Religionen und Philosophien lassen sich demnach ausnahmslos drei unterschiedlichen Weltanschauungstypen oder »Lebensstimmungen«[13] zuordnen: dem Naturalismus, dem Idealismus der Freiheit oder dem objektiven Idealismus. In jeder dieser Grundhaltungen herrscht einer der drei fundamentalen Aspekte unseres Weltbezugs – Verstand, Wille oder Gefühl – vor.

Diltheys Weltanschauungslehre inspirierte typologische Bemühungen der Kunst- und Literaturwissenschaften im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, etwa bei Oskar Walzel, Wilhelm Worringer, Robert Unger, Hermann Nohl oder Fritz Strich. Deren stiltypologische Ordnungsversuche markieren einen vorgeschobenen Posten in der geisteswissenschaftlichen Beherrschung von Diversität: Sie zeugen von dem Bedürfnis, den beschleunigten Wechsel der Kunstrichtungen und die empirische Fülle der vorgefundenen künstlerischen Gestaltungen als gesetzmäßige Wiederkehr elementarer Formen bzw. anthropologischer Gegebenheiten erklären zu können. Die Anhäufung des historischen Materials wie die verwirrende Vielfalt und schnelle Folge gegenwärtiger Kultur- und Kunsttendenzen reduziert sich damit auf eine überschaubare Polarität: von Klassik und Romantik, Abstraktion und Einfühlung, Renaissance und Barock, klassischem und orientalischem Menschen; der historische Prozess erscheint als eine aus typologischen Bedingungen zu erklärende gesetzmäßige Folge, in deren Verlauf Kunstströmungen und ganze Kulturen aufkommen und untergehen.

Eine dritte Variante des Verhältnisses von Diversität und Typologie könnte man schließlich dort erkennen, wo sich Diversität gegen den Willen zur typologischen Ordnung behauptet, so etwa in der Studie zu Persönlichkeit und Weltanschauung des Philosophen und Psychologen Richard Müller-Freienfels. In seiner vor dem Krieg verfassten, aber erst 1919 publizierten Studie beabsichtigt er, »die Riesenmassen von Tatsachen, die insbesondere die historischen Wissenschaften aufgespeichert haben, unter psychologischen Gesichtspunkten zu ordnen und neue Synthesen zu schaffen«.[14] Unter den Typen, die Müller-Freienfels als Veranlagungen psychischer oder psychophysischer Art fasst, unterscheidet er Typen des Affektlebens und solche des Intellektlebens. Zu ersteren zählt er die Typen des herabgesetzten und des gesteigerten Ichgefühls, der negativen, aggressiven und der positiven, sympathischen sozialen Affekte, dann die Typen der erotischen Gefühle. Im Bereich des Intellektlebens unterscheidet er die Typen der Stellungnahme (Gefühls-, Willens- und Verstandesmenschen), Statiker und Dynamiker, abstrakten und konkreten Denktypus; den konkreten Denktypus gliedert er wiederum in Sinnesmenschen und Phantasiemenschen. Aus diesen typologischen Bedingungen heraus erklärt er künstlerische Stile, Religionen und philosophische Weltanschauungen, immer in der Überzeugung, »dass wir in solchen Typen ein Mittel haben, in die unübersehbar flutende Fülle des Geisteslebens eine Ordnung zu bringen«.[15] Konsequenterweise findet sich in diesen typologischen Zusammenhang nun auch die Wahrnehmung und Darstellung von Diversität und das typologische Denken selbst eingeordnet:

»Mit dem Vorwiegen des konkreten Denkens verbunden ist in der Regel ein ausgesprochener Sinn für die Besonderheit und Mannigfaltigkeit des Seins. Dagegen pflegt der Abstrakte mehr die Gemeinsamkeiten und die jenseits aller Verschiedenheiten bestehende Einheit des Gegebenen zu beachten. […] So unterscheiden wir zunächst den ›Spezielldenker‹ einerseits und den ›Typendenker‹ andrerseits. […] Mit der konkreten, speziellsehenden Eigenart hängt meist ein lebhafter Sinn für Vielheit und Mannigfaltigkeit zusammen, während umgekehrt der abstrakte, typisch denkende Kopf nach Möglichkeit vereinheitlicht. […] Ich führe für den ersteren Typus die Bezeichnung ›Pluralisten‹, für den zweiten die Bezeichnung ›Vereinheitlicher‹ ein. Der Zusammenhang mit den vorigen Typen ist offensichtlich.«[16]

Gerhart Hauptmann – und mit ihm den ganzen Naturalismus – ordnet Müller-Freienfels dem konkret-spezielldenkenden Mannigfaltigkeitstypus zu; Racine, Goethe und Schiller hingegen werden dem typisierenden Vereinheitlichungstypus zugeschlagen. Allerdings fragt man sich nicht nur, was mit dieser Kategorisierung gewonnen ist, sondern wundert sich – unter anderem – über die verworrene Vielgliedrigkeit dieser Typologie insgesamt (deren Kategorien hier nur unvollständig wiedergegeben wurden). Wollte man die psychologische Perspektive von Müller-Freienfels übernehmen, würde man sagen, es handelt sich um den typologischen Entwurf eines spezielldenkenden Mannigfaltigkeitsfanatikers. Die Leserin von heute ist eher geneigt, darin weniger einen Kampf zwischen den psychischen Dispositionen des Autors zu sehen als vielmehr den Widerstand des Materials gegen die typologische Zurichtung, sozusagen die Rache der Diversität gegen den Versuch ihrer typologischen Beherrschung.

[1] Friedrich Nietzsche: »Unzeitgemässe Betrachtungen IV«, in: ders.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe in 15 Einzelbänden (= KSA), hg. von Giorgio Colli/Mazzino Montinari, Bd. 1: Nachgelassene Schriften, 1870–1873, Berlin/New York: De Gruyter 1988, S. 436.

[2] Erich Adickes: »Die Zukunft der Metaphysik. Ein Versuch, aus dem Wesen der Metaphysik und ihrer gegenwärtigen Lage die Richtlinien künftiger Entwicklung zu erschliessen«, in: Max Frischeisen-Köhler (Hg.): Weltanschauung. Philosophie und Religion, Berlin: Reichl & Co. 1911, S. 243.

[3] Friedrich Nietzsche: »Die Geburt der Tragödie«, in: KSA I, S. 98.

[4] Friedrich Nietzsche: »Der Antichrist«, in: KSA VI, S. 199.

[5] Friedrich Nietzsche: »Götzen-Dämmerung«, in: KSA VI, S. 146.

[6] Andrea Christian Bertino: »Vernatürlichung«. Ursprünge von Friedrich Nietzsches Entidealisierung des Menschen, seiner Sprache und seiner Geschichte bei Johann Gottfried Herder, Berlin/Boston: De Gruyter 2011, S. 208 f.

[7] Friedrich Nietzsche: »Unzeitgemässe Betrachtungen II«, in: KSA I, S. 272.

[8] Ebd., S. 271.

[9] Vgl. Kathrin Meyer: Ästhetik der Historie. Friedrich Nietzsches »Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben«, Würzburg: Königshausen & Neumann 1998, S. 155.

[10] Gilles Deleuze: Nietzsche und die Philosophie, aus dem Frz. von Bernd Schwibs, München: Rogner & Bernhard 1976, S. 40.

[11] Ebd., S. 87.

[12] Wilhelm Dilthey: »Die Typen der Weltanschauung und ihre Ausbildung in den Metaphysischen Systemen«, in: Max Frischeisen-Köhler (Hg.): Weltanschauung, Philosophie und Religion, Berlin: Reichl & Co. 1911, S. 4.

[13] Ebd., S. 11.

[14] Richard Müller-Freienfels: Persönlichkeit und Weltanschauung, Leipzig/Berlin: B. G. Teubner 1919, S. V f.

[15] Ebd., S. VI.

[16] Ebd., S. 183 f.

Jutta Müller-Tamm ist Professorin für Neuere Deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin.

Dieser Beitrag geht zurück auf ihren Vortrag bei der Jahrestagung des ZfL, »Diversität darstellen« (11./12.1.2018), die wir auf dem ZfL Blog in loser Folge dokumentieren. Bislang erschienen ist die »Einleitung« zu Tagung von Mona Körte, Georg Toepfer und Stefan Willer.

 

VORGESCHLAGENE ZITIERWEISE: Jutta Müller-Tamm: Ordnung des Diversen. Typeneinteilungen um 1900, in: ZfL BLOG, 7.6.2018, [https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2018/06/07/jutta-mueller-tamm-ordnung-des-diversen-typeneinteilungen-um-1900/].
DOI: https://doi.org/10.13151/zfl-blog/20180607-01

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Mona Körte, Georg Toepfer & Stefan Willer: Einleitung zur ZfL-Jahrestagung »Diversität darstellen« (11./12. Januar 2018) https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2018/05/24/mona-koerte-georg-toepfer-stefan-willer-einleitung-zur-zfl-jahrestagung-diversitaet-darstellen-11-12-januar-2018/ Thu, 24 May 2018 07:59:15 +0000 http://www.zflprojekte.de/zfl-blog/?p=735 Diversität – und mehr noch das englische diversity – ist ein Zauberwort, das für die verschiedensten Anliegen verwendet werden kann: vom bloßen Lobpreis der Vielfalt über den Appell bis hin zur regulativen Idee globalen politischen Handelns. Der Anthropologe Steven Vertovec sieht in diesem Wort Potential für ein »organizing concept« der Sozial- und Lebenswissenschaften.[1] In der Weiterlesen

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Diversität – und mehr noch das englische diversity – ist ein Zauberwort, das für die verschiedensten Anliegen verwendet werden kann: vom bloßen Lobpreis der Vielfalt über den Appell bis hin zur regulativen Idee globalen politischen Handelns. Der Anthropologe Steven Vertovec sieht in diesem Wort Potential für ein »organizing concept« der Sozial- und Lebenswissenschaften.[1] In der Tat ist Diversität nicht nur ein Bezugspunkt verschiedener Wissenschaften. Auch Körperschaften wie Schule und Universität regeln Chancengleichheit und Zugang im Namen von Diversität, und Unternehmen betreiben ein sogenanntes Diversitätsmanagement, bei dem heterogene Belegschaften zu einer wirtschaftlichen Ressource funktionalisiert werden. Vermutlich ist es gerade der vielfachen Adressierbarkeit geschuldet, dass wir es bei ›Diversität‹ mit einem politisch hochgradig überformten, theoretisch jedoch weithin unterbestimmten Begriff zu tun haben.

Dabei fehlt es nicht an Versuchen, ihn zu konzeptionalisieren, so etwa in der Gleichung »Diversität = Differenz plus Inklusion« oder in der Formel, Diversität sei »Individualität im Plural«. Letztere hat der Soziologe Stefan Hirschauer auf der Sommerakademie des ZfL zu »Genealogien der Diversität« vorgeschlagen. Seine Formel enthält den Vorschlag, Individualität gerade nicht nur als Singuläres (Unveräußerliches/von anderen Unterschiedenes), sondern in der Mehrzahl, als ein Mehr- oder gar Vielfaches zu denken. Damit liegt der Akzent auf Individualisierung als einem Vorgang in actu. Diversität wäre demnach vor allem als Diversifizierung zu verstehen: eine offene, womöglich unendliche Bewegung, die eine Essentialisierung von Individualität gerade zu vermeiden sucht.

In diesem Zusammenhang wäre an philosophische Theorien über die Vervielfältigung von Unterschieden zu denken, auch wenn diese in aktuellen Diversitätsdebatten eher vernachlässigt werden. So plädiert Jean-Luc Nancy in seinem Buch mit dem sprechenden Titel Être singulier pluriel (dt. Singulär plural sein) angesichts einer Welt, die nur noch bloße »Aufzählung« sei, für eine »offene Artikulation«, die sich unmöglich wieder zu einer Identität verschließen lasse, und optiert für ein Gemeinsames und für die Gemeinschaft als ein »Mit-ein-ander-sein«.[2]

Hirschauers Formel von Diversität als »Individualität im Plural« erinnert aber auch an ein anderes Erbe aktueller Debatten: an Beschreibungen soziopolitischer Ungleichheit, an das Vokabular der Antidiskriminierungsbewegungen und an wirkungsmächtige Differenzen wie class, gender und race. Es ist in letzter Zeit bereits kritisch angemerkt worden, dass solche Differenzen im Begriff Diversität neutralisiert werden, dass sie sich geradezu darin auflösen. Vorsichtiger könnte man sagen, dass sich in Diversität als politischem Programm identitätspolitische Forderungen mit jenen der Antidiskriminierungsbewegungen vermengen, ohne dass beide Stränge hinreichend auseinandergehalten würden.

Allerdings wird der fehlende Rückbezug mitunter auch als Vorteil betrachtet, da das Konzept der Diversität gewissermaßen noch »in der Mache« sei.[3] »Individualität im Plural« erinnert immerhin an politisch ähnlich aufgeladene Beschreibungsmodelle von Differenz wie den auf Koexistenz setzenden Multikulturalismus bzw. kulturellen Pluralismus oder an den Begriff der Heterogenität, der anders als das affirmative Konzept der Diversität eher neutral die uneinheitliche Zusammensetzung einer Entität (sei es ein Objekt, ein Gebilde, eine Vorstellung) aus verschiedenen Bestandteilen beschreibt.[4] Der Plural, die Vielzahl, Präfixe wie multi oder hetero fokussieren ein Verhältnis zwischen dem Einen oder Einzelnen und seinem Vielen oder Vielfachen und nähren die Vorstellung von etwas Zähl- oder Messbarem, durch die dieses Vielfache gebändigt und unendliche Differenzierung in anschauliche Ordnung überführt werden kann.

Besonders augenfällig ist dieses Verhältnis im Fall der Biodiversität. Sie ist ein interessanter Fall für Fragen der Darstellung von Diversität, weil sich in ihr Quantitativ-Wissenschaftliches mit Qualitativ-Anschaulichem verbunden hat: Der Begriff bezeichnet sowohl eine biologische Messgröße – ›biologische Diversität‹ bezeichnet die Anzahl und Gleichverteilung von Arten in einem Ökosystem – als auch die ökonomische, ethische und ästhetische Dimension des Mensch-Natur-Verhältnisses. Wie jede Form der Diversität beruht auch Biodiversität auf Operationen der Typisierung und Klassifizierung. Keine Diversität ohne Unterscheidungen und Gruppenbildungen, ohne Behauptung von Differenzen zwischen den Gruppen und Homogenität innerhalb der Gruppen.

In zwei wesentlichen Punkten unterscheidet sich Biodiversität aber von sozialer Diversität: Erstens wird in der Biologie davon ausgegangen, dass Gruppenbildungen naturgegeben sind. Natürliche Mechanismen sorgen demnach dafür, dass die Formenvariation der organischen Natur diskontinuierlich in Ähnlichkeitsgruppen gegliedert ist. Klassifikationen von Menschen sind dagegen sozial konstruiert. Sozialwissenschaftler sprechen folglich vom Prozess des doing differences: Manche Humandifferenzierungen wie die nach Geschlecht oder ethnischer Zugehörigkeit, können als Zumutung empfunden werden, weil mit ihr Rollenzuweisungen und Verhaltenserwartungen einhergehen. Oft sind diese Kategorisierungen mit Diskriminierungen verbunden, und für viele gesellschaftliche Prozesse sind sie auch unnötig. Daher ist das doing differences von einem undoing differences begleitet. Für den Diversitätsdiskurs ist allerdings kennzeichnend, dass er an der Aufrechterhaltung von Differenzen hängt – paradoxerweise auch dann, wenn er gegen Diskriminierung gerichtet ist: Um von Rassendiskriminierung zu sprechen, müssen Rasseneinteilungen vorausgesetzt werden. Im schlimmsten Fall perpetuiert und essentialisiert die Rede von Diversität das, was es zu überwinden gilt.

Derartige Paradoxien des doing und undoing von differences finden sich im Biodiversitätsdiskurs nicht. »Abschaffung der Arten« ist kein biologischer Schlachtruf. Biodiversität ist auch nicht – das ist eine zweite Differenz gegenüber der Humandiversität – mit Identitätspolitiken verbunden. Es geht in ihr nicht um binäre Oppositionen des ›Wir‹ versus die ›Anderen‹; überhaupt fehlt der Biodiversität das Andere und Gegenüber. Biodiversität ist maximal inklusiv, allumfassend – der Begriff ist praktisch synonym mit ›Leben‹ in all seiner Vielfalt und Verschiedenheit.

Gemeinsam ist dem Diskurs um Bio- und Humandiversität aber wiederum eine politische Stoßrichtung: die Anerkennung des Anderen in seinem Anderssein. Die Rede von ›sozialer Diversität‹ zielt nicht zuletzt auf den Schutz von Minderheiten. Es geht um das Bewahren der Differenz, nicht um die Integration des Anderen, also um eine Ethik des Respekts, des anerkennenden Nebeneinanders, nicht unbedingt des leidenschaftlichen Miteinanders. Dass auch Biodiversität die Anerkennung und Schutzwürdigkeit von Lebewesen anderer Arten in ihrem Eigenwert bedeuten kann, manifestiert sich besonders in den Formen ihrer Darstellung: Biodiversitätsinstallationen, die man inzwischen in vielen Naturkundemuseen findet, überwinden die Ganzheits- oder Systeminszenierungen, die für klassische Dioramen kennzeichnend sind. Inszeniert wird nicht mehr eine behauptete harmonische Einheit von Pflanzen und Tieren in bestimmten regional typischen, typisierten Landschaftsausschnitten, sondern die offene und egalitäre Nebenordnung von Tieren verschiedener Arten in ihrer nicht selten antagonistischen Individualität.

Es sind solche Formen der Darstellung von Diversität, für die wir uns interessieren. Dabei geht unser Verständnis von Darstellung nicht im empirischen Sondieren, Messen und Quantifizieren von »Einzelheiten« im Verhältnis zu ihrem Vielfachen auf. Vielmehr möchten wir in einem umfassenden Sinne die Erzählbarkeit von Diversität erkunden und dabei verschiedene literarische, künstlerische, mediale und museale Formen und Formate einbeziehen. Insbesondere stellt sich die Frage, wie das jeweilige Diverse als Diverses, also sich der Universalisierung Widersetzendes, in seiner irreduziblen Vielfalt präsent zu halten und zu repräsentieren ist. Denn ›Diversität‹ heißt zunächst einmal Verschiedenheit: Nicht mehr als diese karge Bestimmung zeigt der lexikalische Befund für das 19. Jahrhundert, etwa in den Enzyklopädien von Pierer und Brockhaus. Mit dem Begriff werden also Differenzen anerkannt – und damit gerade nicht integriert.

Die Frage, ob und wenn ja wie diese Nicht-Integration des Diversen dargestellt werden kann, impliziert auch Erkundungen der Perspektive, also des Standpunkts, von dem aus Diversität überhaupt wahrgenommen wird – ob aus dem Inneren der Vielfalt oder möglicherweise von einem externen Standpunkt. In den Beiträgen zum Thema »Diversität darstellen« werden diese Fragen wiederum auf sehr unterschiedliche Weise perspektiviert: aus diversen Fachdisziplinen, mit Blick auf heterogene Gegenstände und mit ganz verschiedenen theoretischen Voreinstellungen. Da wir das Zentrum für Literatur- und Kulturforschung sind, haben wir uns erlaubt, einen Schwerpunkt auf literatur- und kulturwissenschaftliche Fragestellungen zu legen – wobei ja schon mit dem »und« zwischen Literatur und Kultur eine gewisse Weitläufigkeit der Zugangsweisen gegeben ist. Daraus ergeben sich die weiterführenden Fragen nach sprachlicher, künstlerischer und auch biologischer Diversität.

Nach all dem fragen wir vor dem Hintergrund der sozialen und politischen Dringlichkeit des Themas. Gerade weil es bei Diversität um so viel geht, weil damit so viel auf dem Spiel steht, wird das Problem der Darstellung überhaupt erst akut und virulent. Da Darstellungen auf einem Bündel an Vorentscheidungen beruhen, wirft ihre Analyse ein Licht auf politische Voraussetzungen, historische Anleihen und aktuelle Verwendungszusammenhänge von Diversität. Wir versprechen uns also von dem Fokus auf Darstellungsweisen, ein theoretisch vages, politisch jedoch höchst operatives (und mitunter auf ein Lob der Vielfalt verengtes) Konzept auf seine Unbestimmtheitsstellen untersuchen zu können. Auf diesem Weg begegnen wir möglicherweise auch der einen oder anderen Grenzbestimmung dieses entgrenzenden Konzepts, z.B. Versuchen, Diversität einzuhegen und zu bändigen. Dazu gehören auch Bestimmungen dessen, was nicht divers ist oder sein will, und dazu gehört die Auseinandersetzung mit Gegenbegriffen zu Diversität, z.B. mit auf Vereinheitlichung zielenden Konzepten wie ›System‹ oder ›Ganzheit‹. Gerade Darstellungsfragen – und Darstellungsdilemmata – können uns schließlich Hinweise darauf geben, ob Diversität als analytisches Ordnungsinstrument mit vielen Fragezeichen oder doch als Handlungskonzept mit einem Ausrufezeichen zu versehen ist.

[1] Steven Vertovec: Formulating Diversity Studies, in: Routledge International Handbook of Diversity Studies, New York 2015, S. 1–20, hier S. 4.

[2] Jean-Luc Nancy: singulär plural sein, Berlin 2004 (frz. 1996), S. 11–14 und 57 f.

[3] So in Vertovecs Einleitung Formulating Diversity Studies zum Handbuch: „For many of the interviewers one advantage of the concept is, that diversity, at present, comes without luggage“, S. 4.

[4] Vgl. Glossar, in: Diversität. Geschichte und Aktualität eines Konzepts, hrsg. von André Blum, Nina Zschocke, Hans-Jörg Rheinberger, Vincent Barras, Würzburg 2016, S. 409-412, hier S. 410.

 

VORGESCHLAGENE ZITIERWEISE: Mona Körte, Georg Toepfer & Stefan Willer: Einleitung zur ZfL-Jahrestagung »Diversität darstellen« (11./12. Januar 2018), in: ZfL BLOG, 24.5.2018, [https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2018/05/24/mona-koerte-georg-toepfer-stefan-willer-einleitung-zur-zfl-jahrestagung-diversitaet-darstellen-11-12-januar-2018/].
DOI: https://doi.org/10.13151/zfl-blog/20180524-01

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Stefan Willer: Zum »Europäischen Jahr des Kulturerbes« (I): KULTUR ALS ERBE https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2018/03/05/stefan-willer-zum-europaeischen-jahr-des-kulturerbes-i-kultur-als-erbe/ Mon, 05 Mar 2018 13:15:52 +0000 http://www.zflprojekte.de/zfl-blog/?p=691 2018 ist das »Europäische Jahr des Kulturerbes«. Mit dem Begriff ›Kulturerbe‹ bezeichnet die Europäische Kommission »kulturelle und kreative Ressourcen materieller oder immaterieller Art, deren Wert für die Gesellschaft öffentlich anerkannt wurde, damit sie für künftige Generationen bewahrt werden.« Damit wird einmal mehr ein Verständnis von kulturellem Erbe bekräftigt, das mit der am 16. November 1972 Weiterlesen

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2018 ist das »Europäische Jahr des Kulturerbes«. Mit dem Begriff ›Kulturerbe‹ bezeichnet die Europäische Kommission »kulturelle und kreative Ressourcen materieller oder immaterieller Art, deren Wert für die Gesellschaft öffentlich anerkannt wurde, damit sie für künftige Generationen bewahrt werden.« Damit wird einmal mehr ein Verständnis von kulturellem Erbe bekräftigt, das mit der am 16. November 1972 verabschiedeten World-Heritage-Konvention der Unesco international verbindlich wurde. Darin verpflichtet sich jeder Unterzeichnerstaat zu »Erfassung, Schutz und Erhaltung in Bestand und Wertigkeit des in seinem Hoheitsgebiet befindlichen […] Kultur- und Naturerbes« sowie zu dessen »Weitergabe an künftige Generationen« (Artikel 4).

Wenn heute vom Kulturerbe die Rede ist, ob im europäischen oder im globalen Maßstab, wird also die Vorstellung eines aus der Vergangenheit stammenden Vorrats betont, den man zu inventarisieren, zu bewahren und an kommende Generationen weiterzugeben habe. Das gilt für das ›materielle‹ wie für das ›immaterielle‹ Erbe, das im EU-Beschluss eigens erwähnt wird und dessen Erhalt sich auch die Unesco bereits seit 2003 widmet. Die Berufung auf künftige Generationen ist eine stehende Formel, nicht nur in den Konventionen von EU und Unesco, sondern überhaupt in Rhetoriken der Bewahrung auf den unterschiedlichsten gesellschaftspolitischen Feldern – mit fließenden Übergängen zu dem, was man heute ›Nachhaltigkeit‹ nennt. Damit wird das Erbe als eine denkbar weit reichende Logik der transgenerationalen Übertragung erkennbar.

Indem diese Weitergabe unter den Vorzeichen von Schutz und Erhaltung steht, wird sie auf lange Dauer eingerichtet – wenn nicht gar auf Ewigkeit. So zumindest formulierte es einmal der frühere Direktor des World Heritage Center, Francesco Bandarín: Wenn man von der Konservierung des Erbes spreche, dann denke man »per definitionem langfristig – nicht für ein oder zwei Jahre, sondern für immer«.[1] Dieser zeitliche Imperativ ist keineswegs unproblematisch. Schutz »für immer« heißt, dass dem zu schützenden und zu bewahrenden Erbe ein sehr weitgehendes Recht an der Gegenwart und der Zukunft eingeräumt wird. Genau in dieser begrifflichen Allianz von Erbe, Nachhaltigkeit und Konservieren offenbart sich das eigentümliche Zeitregime einer konservatorischen und damit auch konservativen Futurisierung. In diesem maximalen Sinn verstanden, muss das kulturelle Erbe in eine grenzenlose Zukunft hinein bewahrt werden.

Gegenüber dieser Emphase der Bewahrung ist an die Komplexität des Konzepts ›Erbe‹ zu erinnern. Gemeinsam ist allen als Erbe klassifizierten Übertragungen, dass sie ein vielschichtiges Verhältnis zwischen Vererbendem, Vererbtem und Erbendem erzeugen. Gemeinsam ist ihnen auch, dass sie eine Zäsur voraussetzen: Erst durch eine Unterbrechung in der Kette der Wesen, Dinge oder Ereignisse kommt es überhaupt zur Übertragung. Am deutlichsten ist dies in der juristischen Definition des Erbes als einer Übertragung von Todes wegen, aber auch andere Formen der Vererbung – ob kulturell oder biologisch – bedürfen der Zäsur. So ist auch die kulturelle Überlieferung kein kontinuierlicher Vorgang, sondern geprägt von Umbrüchen, Konflikten und Widersprüchen. Eine Zäsur ist historisch grundlegend für das Unesco-Konzept des kulturellen Erbes. Seine Entstehung ist nicht zu trennen von der Zerstörung materieller wie immaterieller kultureller Werte durch jenen Weltkrieg, in dessen Folge die internationalen Organisationen der Vereinten Nationen erst entstanden sind.

Auch für zahlreiche Stätten, denen seit der Konvention von 1972 der Status des Welterbes zugesprochen wurde, ist das Moment ihrer Zerstörung konstitutiv. Besonders prominent wurde dies im Fall der Buddha-Statuen im afghanischen Bamiyan, einem Fall, der zugleich eine interessante Paradoxie des konservatorischen Denkens liefert. Sie zeigt sich darin, dass die Statuen, die erst zwei Jahre nach ihrer Zerstörung durch die Taliban (2001) in die berühmte Unesco-Liste aufgenommen wurden, sogleich als World Heritage in Danger klassifiziert wurden. Der Begriff der Gefährdung wurde somit auf den Zustand vor der Zerstörung zurückprojiziert. Demnach kann der Imperativ von Schutz und Erhaltung in diesem Fall nicht dem Zustand gelten, in dem das Monument sich zum Zeitpunkt seiner Aufnahme befand, sondern dem Zustand, der der Zerstörung vorausging – wobei hinzuzufügen ist, dass ebendiese Zerstörung die Aufnahme des Monuments ins Weltkulturerbe politisch entscheidend mitbegründete.

Während ›Erbe‹ das Problem des kulturellen Transfers und damit das grundsätzliche Problem der Zeitlichkeit benennt, wird mit ›Europa‹ oder der ›Welt‹ zusätzlich eine räumliche Komponente adressiert. Jedenfalls scheint der Ausdruck ›Welt‹ – um bei diesem zu bleiben – zunächst einmal so etwas wie globale Ausdehnung zu bedeuten; er benennt den weltweiten Anwendungsbereich der Kulturpolitik, die von der Unesco als einer internationalen Organisation betrieben wird. Allerdings ist der Begriff ›Welt‹ keineswegs nur nach seinem Umfang, also nach der globalen Ausdehnung, zu bestimmen, sondern auch nach seinem Inhalt. Die ›Welt‹ des ›Welterbes‹ zielt auf Universalität und Allgemeingültigkeit, auf maximale Inklusion der Gesamtheit aller Menschen. Es geht also um das Erbe der Menschheit als Ganzer, wie die Präambel der World-Heritage-Konvention von 1972 formuliert: »the world heritage of mankind as a whole«. Wenn man also die Welt als Erbe versteht, dann gilt das in jenem Doppelsinn, den das Wort ›Erbe‹ im Deutschen hat: Die Welt ist Erbe, insofern sie selbst erbt – ›Welt‹ hier metonymisch verstanden als Gesamtheit der »peoples of the world« (so wieder die Präambel). Und: Die Welt ist Erbe, insofern sie ein Erbteil ist. Man könnte also sagen: Die Welt erbt die Welt.

Trotz dieser immer wieder betonten Gesamtheit und Ganzheit sind die einzelnen Stätten auf der Welterbeliste der Unesco in der Regel einzelnen Nationen zugeschrieben und befinden sich außerdem oft in regionalem, kommunalem oder auch privatem Eigentum. Ähnliches gilt für die Einträge auf anderen Listen, etwa das bereits erwähnte Immaterielle Kulturerbe (Intangible Cultural Heritage) oder das Weltdokumentenerbe (Memory of the World Register). Inwiefern soll aber die einzelne Welterbestätte (oder schriftliche Hinterlassenschaft oder Kulturtätigkeit) in ihrer Partikularität dennoch eine Erscheinungsform von Globalität und Universalität sein?

Die Unesco und ihre angeschlossenen Prüforganisationen ermitteln und bewerten kulturelle Exzellenz. Die dafür angelegten Kriterien sind allerdings immer auch solche der Repräsentation und der Exemplarität. Das betrifft vor allem die zehn Kriterien für die Auswahl einer Welterbestätte. Gefordert wird etwa, dass das betreffende Kulturgut »ein Meisterwerk der menschlichen Schöpferkraft«, »ein einzigartiges oder zumindest außergewöhnliches Zeugnis einer kulturellen Tradition« darstellt, dass es »ein hervorragendes Beispiel eines Typus von Gebäuden«, einer Siedlungsform oder Landschaftsnutzung ist; auch »überragende Naturerscheinungen« kommen in Betracht (»outstanding universal value«, »unique or at least exceptional testimony«, »exceptional natural beauty«, »outstanding example«).

Es ist bemerkenswert, wie hier das Außergewöhnliche, das Herausragende und das Exemplarische fortwährend miteinander enggeführt werden. Ganz offenkundig ist »outstanding« nicht nur ein Qualitätskriterium, sondern auch ein räumliches Phänomen, eine Angelegenheit von Territorialität und Begrenzung – insofern das Herausragende immer ganz konkret von seiner unmittelbaren Umgebung unterschieden werden muss, die nicht Teil des Welterbes ist. Damit eine Stätte als Stätte exemplarisch werden kann, muss sie aus den umgebenden Umständen – den ökonomischen, infrastrukturellen und Lebens-Umständen – herausgenommen werden, ganz im lateinischen Sinn des Wortes ›exemplarisch‹: von ex‑imere, ›herausnehmen‹.

Bei jedem neuen Vorschlag für eine solche Stätte und bei den jährlich abgehaltenen Entscheidungssitzungen des World Heritage Committee wird deutlich, dass Welterbe viel mit Wettbewerb und Rivalität zu tun hat. Die Art, in der das World Heritage Center in seinen Publikationen und seinem Internetauftritt immerfort auf die Liste des Welterbes hinweist, zeigt an, dass es hier nicht um eine beliebig fortzuführende Auflistung geht. Auch wenn mehr und mehr Regionen und historische Überlieferungen aufgenommen werden sollen, geht es doch um eine im starken Sinn begrenzte und begrenzende Liste, und das heißt: um Kanonbildung. Die Frage, was auf der Liste steht, führt zwangsläufig immer die Frage mit sich, was darauf nicht zu finden ist.

[1] Francesco Bandarín, »Protecting Heritage«, in: Our Planet 14, H. 2 (2003), S. 11-12, hier S. 12 (»conservation is by definition long term – not for a year or two, but for ever«).

Stefan Willer ist stellvertretender Direktor des ZfL. 2014 erschien sein Buch »Erbfälle. Theorie und Praxis kultureller Übertragung in der Moderne«.

 

VORGESCHLAGENE ZITIERWEISE: Stefan Willer: Zum »Europäischen Jahr des Kulturerbes« (I): Kultur als Erbe, in: ZfL BLOG, 5.3.2018, [https://www.zflprojekte.de/zfl-blog/2018/03/05/stefan-willer-zum-europaeischen-jahr-des-kulturerbes-i-kultur-als-erbe/].
DOI: https://doi.org/10.13151/zfl-blog/20180305-01

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