David Anderson: ‘Novel-seeming goods’: RE-READING SALMAN RUSHDIE’S ‘MIDNIGHT’S CHILDREN’ AND PATRICK SÜSKIND’S ‘DAS PARFUM’ 40 YEARS LATER

In a 1984 essay, the American critic Fredric Jameson famously diagnosed postmodernism to be ‘the cultural logic of late capitalism’. Among its distinguishing features was a new mode of ‘aesthetic populism’ grounded in an

effacement […] of the older (essentially high-modernist) frontier between high culture and so-called mass or commercial culture, and the emergence of new kinds of texts infused with the forms, categories and contents of that very Culture Industry so passionately denounced by all the ideologues of the modern.[1]

A new alignment between the twin spheres of culture and the marketplace meant that ‘aesthetic production today has become integrated into commodity production generally’. Wherever one looked, one saw ‘the frantic economic urgency of producing fresh waves of ever more novel-seeming goods (from clothing to airplanes), at ever greater waves of turnover’ (Jameson, p. 56). „David Anderson: ‘Novel-seeming goods’: RE-READING SALMAN RUSHDIE’S ‘MIDNIGHT’S CHILDREN’ AND PATRICK SÜSKIND’S ‘DAS PARFUM’ 40 YEARS LATER“ weiterlesen

Moritz Neuffer/Morten Paul: Periodische Formgebung. ZEITSCHRIFTEN UND ÖFFENTLICHKEIT IN DER FRÜHEN BUNDESREPUBLIK

In der Geschichte moderner Gesellschaften sind Zeitschriften und Öffentlichkeit so eng aufeinander bezogen, dass sie nahezu synonym erscheinen. Schließlich soll Öffentlichkeit derjenige Raum sein, in dem freie Menschen sich als Gleiche begegnen und über Belange kommunizieren, die von allgemeinem Interesse sind. In Gemeinwesen, in denen gesellschaftliche Auseinandersetzung und Selbstvergewisserung nicht durch unmittelbaren Kontakt garantiert sind, helfen Zeitschriften dabei, Öffentlichkeit – oder ausdifferenzierte Teilöffentlichkeiten – herzustellen. Sie tun dies, indem sie Texte und Bilder, Gattungen und Disziplinen, Stimmen und Stimmungen versammeln und bündeln, und indem sie in mal mehr, mal weniger regelmäßiger Folge öffentlichen Austausch auf Dauer stellen. „Moritz Neuffer/Morten Paul: Periodische Formgebung. ZEITSCHRIFTEN UND ÖFFENTLICHKEIT IN DER FRÜHEN BUNDESREPUBLIK“ weiterlesen

Oliver Precht: GIBT ES EINE »BRAZILIAN THEORY«?

Leicht lässt sich das Nachträgliche und Artifizielle an Konstruktionen wie French Theory (oder in jüngerer Zeit auch Italian Theory)[1] herausstellen: Sie unterstellen eine Einheit, wo es keine gibt, scheren Theoretiker*innen verschiedenster Hintergründe und mit unterschiedlichsten Interessen über einen Kamm.[2] Dennoch bietet die Rede von einer French Theory – im Gegensatz zu den ebenfalls außerhalb von Frankreich entstandenen und popularisierten Sammelbegriffen Poststrukturalismus oder Postmoderne – einige Vorteile. Sie verpflichtet die disparaten Theorien erstens nicht auf ein gemeinsames Programm und verweist zweitens darauf, dass die Produktion von Theorie an einem bestimmten Ort geschieht, in diesem Fall im Frankreich der 1960er und 1970er Jahre, und ihre Entstehung an einen gesellschaftlich-politischen Kontext sowie an institutionelle Rahmenbedingungen gebunden ist. In jüngerer Vergangenheit drängt sich zunehmend die Frage nach einer möglichen Brazilian Theory auf. Bereits 2014 erschien in Deutschland, allerdings in englischer Sprache, unter dem Titel The Forest and the School eine erste Anthologie.[3] In den folgenden Jahren nahm das Interesse an Theorie aus (und über) Brasilien spürbar zu, was sich nicht zuletzt in einer Reihe von Übersetzungen niederschlug.[4] Als Timo Luks diese Entwicklung 2020 unter dem Titel »Brasilianische Interventionen« im Merkur reflektierte, konnte er bereits feststellen: »Brasilen ist Gegenstand unseres Nachdenkens und Provokation für unser Denken«.[5] Selbst von einer sich andeutenden »Brasilianisierung der Theorie« ist hier die Rede. „Oliver Precht: GIBT ES EINE »BRAZILIAN THEORY«?“ weiterlesen

Leander Scholz: SYMBIOTISCHE EXISTENZEN – ZUR GESCHICHTE DES ÖKOLOGISCHEN IMAGINÄREN

I.

Am zweiten Wochenende des Oktobers 1913 versammelten sich weit über zweitausend junge Frauen und Männer auf dem Hohen Meißner in Hessen. Eingeladen zu diesem Treffen hatte eine lose Vereinigung von Jugendbünden, die den patriotischen Auswüchsen des Kaiserreichs etwas entgegensetzen wollten. Denn im gleichen Monat fanden die offiziellen Festakte zum hundertjährigen Jubiläum der sogenannten Völkerschlacht bei Leipzig statt, in der die napoleonischen Truppen ihre entscheidende Niederlage erlitten hatten. Anlässlich des Rückblicks auf dieses historische Ereignis sollte ein monumentales Denkmal eingeweiht werden. „Leander Scholz: SYMBIOTISCHE EXISTENZEN – ZUR GESCHICHTE DES ÖKOLOGISCHEN IMAGINÄREN“ weiterlesen

Maud Meyzaud: AL-ANDALUS – EINE GEGENWELT INMITTEN EUROPAS

I.

Noch in den 1980er Jahren stand in französischen Geschichtslehrbüchern dieser Satz: »732: Charles Martel arrête les Arabes à Poitiers.« Wie konnte ein Mann namens Charles Martel im Alleingang so viele Menschen auf­halten, mag sich so manches Schulkind gefragt haben. Und was machten die sogenannten Araber überhaupt im tiefen französischen Westen? Der Satz über die Schlacht von Poitiers fand im 19. Jahrhundert Eingang in Unterrichtsmaterialien, als die Kolonialpolitik Frankreichs sich auf den Maghreb ausdehnte. Er brachte die mutmaßliche Überlegenheit des Westens über die vermeintlich rückständige islamische Welt zum Ausdruck und fügte sich somit nahtlos in jenen Orient-Diskurs ein, den Edward Said in seinem grundlegenden Werk Orientalism analysiert hat. So erklärt sich auch, dass der Satz in Algerien noch während des Unabhängigkeitskriegs 1954–­1962 von den einheimischen Kindern auswendig gelernt werden musste.[1] „Maud Meyzaud: AL-ANDALUS – EINE GEGENWELT INMITTEN EUROPAS“ weiterlesen

Oliver Precht: GEGEN-WELTEN UND ULTRA-DINGE: DON QANON DE LA MANCHA

Gegenwelten, so eine sozialwissenschaftliche Definition, entstehen, wenn sich Teile der Gesellschaft von »etablierten Denk- und Verhaltensweisen« abwenden und »alternative Vorstellungen über bestehende politische, soziale oder kulturelle Gegebenheiten« entwickeln.[1] Häufig verweist das Wort auf das viel diskutierte und schwer fassbare Phänomen des ›Postfaktischen‹. Zugleich legt die Rede von ›Gegenwelten‹ die Frage nahe, ob jene Teile der Gesellschaft tatsächlich nur »alternative Vorstellungen« entwickeln oder nicht vielmehr ›in ihrer eigenen Welt leben‹. „Oliver Precht: GEGEN-WELTEN UND ULTRA-DINGE: DON QANON DE LA MANCHA“ weiterlesen

Eva Axer: ZfL-JAHRESTHEMA 2022/23 – GEGENWELTEN

Die Pandemie hat uns einen neuen Zeitgenossen beschert – den ›Corona-Leugner‹. Wo etwas geleugnet wird, gibt es eine Wahrheit, die verdeckt, verfälscht oder verneint wird. Schon beim Begriff ›Klimawandel-­Leugner‹ drängte sich die Einsicht auf, dass uns eine gemeinsame Welt abhanden gekommen ist, in der man auf der Grundlage allseits anerkannter Fakten verschiedene Meinungen haben und unterschiedliche Ansichten vertreten kann. Die Rede von Corona- und Klimawandel-Leugnern verweist auf die Existenz von Gegenwelten. Das Spektrum reicht von tendenziell paranoischer Wissenschaftsskepsis bis hin zur Negation anerkannter Tatsachen. „Eva Axer: ZfL-JAHRESTHEMA 2022/23 – GEGENWELTEN“ weiterlesen

Dirk Naguschewski: Entwicklungshilfe 2.0? AFRIKANISCHES KINO IN BERLIN

Am letzten Tag der Veranstaltungsreihe Kizobazoba! im Berliner Humboldt Forum kam sie dann endlich, die provozierend, leicht nervös vorgetragene Frage aus dem Publikum an die südafrikanische Kino-Aktivistin Sydelle Willow Smith, wie sie sich denn damit fühle, dass sie eine Partnerschaft mit dieser doch so umstrittenen Einrichtung eingehe. Angesichts der Kontroversen um den richtigen Umgang mit geraubten Kulturgütern und so … Die Antwort war so entspannt wie souverän. Wo, wenn nicht an Orten wie diesem, ließe sich der Dialog über die komplizierten Beziehungen zwischen dem ›Globalen Norden‹ und dem ›Globalen Süden‹ besser führen? In nuce steckte in dieser Auseinandersetzung jedoch auch das Dilemma, in dem sich das afrikanische Kino seit Anbeginn befindet. Die Kunstform Film, das Kino als soziale Institution sind existenziell auf nicht unerhebliche Finanzmittel angewiesen. Wo es an Geld mangelt, hat es das Kino schwer. ›Kizobazoba‹ stammt übrigens aus dem Lingala und bedeutet so viel wie ›Mach das Beste draus!‹. „Dirk Naguschewski: Entwicklungshilfe 2.0? AFRIKANISCHES KINO IN BERLIN“ weiterlesen

Katrin Trüstedt: PROZESS DES ERSCHEINENS. Vom Rande des NSU-Verfahrens

Vor gut zehn Jahren rückte der NSU-Komplex ins Licht einer ahnungslosen Öffentlichkeit. Mit jedem neuen Detail der Mordserie, die bis zu diesem Punkt in den hinteren Mediensegmenten ein belangloses Dasein als ›Dönermorde‹ fristete, sandte eine Terrororganisation, die sich Nationalsozialistischer Untergrund nannte und die Morde nun öffentlich für sich reklamierte, nachträglich Schockwellen ins öffentliche Bewusstsein. Als Antwort auf den Terror, der sich direkt vor ihren Augen und doch jenseits ihrer Aufmerksamkeit abgespielt hatte, eröffnete die Gesellschaft, vertreten durch die Bundesanwaltschaft, dann am 6. Mai 2013 einen Prozess. Den Strafprozess als jenes öffentliche Verfahren, das die Ausübung legaler Gerechtigkeit verspricht – Gerechtigkeit durch Prozess und Gesetz –, nennt die amerikanische Literaturtheoretikerin Shoshana Felman »die angemessenste und wesentlichste, letztlich bedeutsamste Antwort der Zivilisation auf die Gewalt, die sie verwundet«.[1] Das Verfahren dieser Antwort verfolgt aber nun einen dezidiert eigenen Zweck, mit einem durchaus anderen Fokus als dem der gesellschaftlichen Aufarbeitung. Die Spannung zwischen dem innerrechtlichen Ziel einerseits – der Feststellung individueller Schuld – und dem gesellschaftlichen Bedarf an Aufarbeitung andererseits durchzieht den gesamten NSU-Prozess und prägt nicht zuletzt die Art, wie der gesamte NSU-Komplex dabei in Erscheinung und auf die Bühne der Welt tritt. „Katrin Trüstedt: PROZESS DES ERSCHEINENS. Vom Rande des NSU-Verfahrens“ weiterlesen

Tobias Wilke: VERZETTELTES DENKEN. Ein neues Buch zur Kulturtechnik des Notierens

Ganz am Ende von Hektor Haarkötters Kulturgeschichte des Notierens (Notizzettel: Denken und Schreiben im 21. Jahrhundert, Frankfurt a. M.: Fischer, 2021) haben sich Autor und Verlag einen kleinen Spaß erlaubt. Zwischen Personenregister und hinterem Einbandspiegel stößt die Leserin auf zwei Leerseiten, überschrieben nur mit dem Vermerk »Raum für Ihre Notizen«. Ein Scherz im Angesicht dieser überaus umfangreichen Studie, die auf 590 Seiten materielle Praktiken des Notierens auf verschiedensten Trägermedien wie Zetteln und Notizbüchern, Hauswänden und Bodendielen, Statuen und Videobändern von der Antike bis ins 21. Jahrhundert verfolgt. Ein Scherz, keine Frage, und zugleich einer, der auf ein – mittlerweile überlebtes – Phänomen in der Geschichte von Druck und Buchproduktion rekurriert. Denn welcher Leser wäre nicht schon andernorts eben solchen Vakatseiten begegnet, so vor allem in kostengünstig hergestellten Büchern, die mithilfe der Rubrik »Raum für eigene Notizen« primär eins zu kaschieren suchen: dass der papierene Leerstand am Schluss das Resultat einer letztlich fehlgegangenen Satz- bzw. Druckbogenkalkulation darstellt. Es handelt sich um ein eigentlich überflüssiges Zuviel an Druckfläche, dem erst nachträglich eine (Ersatz-)Funktion zugewiesen wurde: in Gestalt eines Angebots an die Leserschaft, die unbeschriebenen Blätter nun doch, sofern gewünscht, selbsttätig von Hand zu füllen. „Tobias Wilke: VERZETTELTES DENKEN. Ein neues Buch zur Kulturtechnik des Notierens“ weiterlesen