Babinger, Franz
Geb. 15.1.1891 in Weiden/Bayern, gest. 23.6.1967 in Durrës/Albanien (Badeunfall).
Studium der Orientalistik und Turkologie (aber auch der vergleichenden Sprachwissenschaft/Germanistik) in München. 1914 (am 23.7.) legte er seine Dissertation vor mit einer historiographischen Arbeit zur Orientalistik.[1] Bei Kriegsausbruch meldete er sich als Kriegsfreiwilliger und wechselte 1915 in den türkischen Heeresdienst. Nach vorübergehender Rückkehr nach Deutschland zur Genesung von einer Erkrankung bis Kriegsende - die Promotion erfolgte in München 1917 - erneut als »osmanischer Oberleutnant« in der Türkei (s. die Vita in der Dissertation). Nach dem Krieg Vorbereitung der Habilitation (1921). Nach Heiber (1991: 330) soll B. auch bei den Freicorps (im Umfeld von Epp) aktiv gewesen sein; s. auch die nach Heiber (a.a.O.) von B. unter dem Pseudonym »Ernst Fraenger« verfaßte bramarbasierende Darstellung »Köpfe der Politik: Franz Ritter von Epp«.[2]
1921 habilitierte B. in Berlin für Islamwissenschaft (bei Sachau) und wurde dort 1924 zum a.o. Professor für orientalische Sprachen und Kulturen ernannt. Von dieser Position aus bemühte er sich, Einfluß auf die Wissenschaftspolitik zu nehmen: 1925 legte er gemeinsam mit dem Hethitologen Forrer eine Denkschrift für die Einrichtung eines deutschen turkologischen Forschungsinstituts in Istanbul vor (im Vorfeld des 1927 tatsächlich eingerichteten Deutschen Archäologischen Instituts in Istanbul, s. Bittel 1979: 74), 1933 legte er gemeinsam mit dem Iranisten Walther Hinz einen Vorschlag zur Umstrukturierung der Orientalistik zu einer Art »area studies« vor, gegen die traditionell auf die Sprachen ausgerichteten Seminare, [3] womit er Fachvertreter wie Landsberger gegen sich aufbrachte (s. bei diesem). 1935 wurde er aus rassistischen Gründen entlassen, nachdem auf der Grundlage von Denunziationen u.a. im „Stürmer" eine Hetzkampagne gegen ihn veranstaltet worden war.[4] Daraufhin emigrierte B. zunächst nach Bulgarien, 1937 aufgrund einer Einladung zu einer Gastprofessur nach Bukarest (Rumänien); danach o. Professur und Leitung des turkologischen Instituts der Univ. in Iasi (Jassy, Nordostrumänien), wo er „Spionagetätigkeiten" für das Deutsche Reich unternommen haben soll (so Ellinger). Nach dem Beitritt Rumäniens als kriegsführende Partei auf der Seite Deutschlands kehrte B. 1943 nach Deutschland zurück [5]. Von1948 bis zur Emeritierung 1958 war er o. Professor für Geschichte und Kultur des Nahen Ostens und der Türkei in München.
B. war in erster Linie Historiker, der einen Schwerpunkt bei biographischen Arbeiten sowie der Buch- und Bildungsgeschichte hatte - auf dem ganzen Gebiet des alten osmanischen Reiches, vom Balkan bis Nordafrika. Seine Arbeiten hatten publizistischen Erfolg (sie wurden z.T. vielfach übersetzt) – und vielleicht auch deswegen fachwissenschaftlich z.T. sehr heftig kritisiert. Trotzdem war er eine Autorität in diesem Feld, die zahlreiche internationale Akademien zu ihrem Mitglied machten. Er schrieb nicht nur zahlreiche Beiträge zu den großen Nachschlagewerken (Enzykl. d. Islam, Int. Encycl. of Soc. Sciences), sondern auch populäre Darstellungen im Feuilleton und landeskundliche Reiseführer. Daß er dabei systematisch Sprach- bzw. philologische Kenntnisse ins Werk setzte, ist offensichtlich: Er arbeitete mit Quellen aus diesem Raum in Türkisch, Arabisch, Hebräisch, Ungarisch, Rumänisch, Bulgarisch, Albanisch, Italienisch. . . (und publizierte auch in diesen Sprachen). Systematisch genutzt hat er diese Kenntnisse vor allem in vielen Editionen von Urkunden, Briefen sowie Herausgaben historiographischer Werke (mit Übersetzung). Sprachwissenschaftlich im engeren Sinne sind eine Reihe kleiner etymologischer Studien, die vor allem kulturelle Beziehungen westlicher Sprachen zum Orient zeigen (so im Hochdeutschen nicht anders als im Ungarischen). Besonders mit toponymischen Problemen hat er sich beschäftigt. Es handelt sich aber im umfangreichen Gesamtwerk (das Schriftenverzeichnis von 1962 hat 49 S.!) um eher marginale Nebenprodukte mit einem Hang zum Kuriosen (Runen auf dem Balkan; oriental. Wörter in frühneuzeitlichen Reiseberichten u. ä.).
Explizitere sprachwissenschaftliche Argumentationen finden sich vor allem in sprachpolitischen Beiträgen wie in seiner Stellungnahme »Zur Einführung der Lateinschrift in der Türkei«,[6] wo er einerseits auf die Probleme einer gesamtturkvölkischen Schrift (vor allem in Hinblick auf die Turkvölker in der Sowjetunion) verweist, auf der anderen Seite die »übertriebene phonetische Methode« (S. 3) kritisiert, die einer Standardschriftsprache unangemessen sei.
B. ist ein Beispiel dafür, daß im Bereich der Orientalistik zu seiner Zeit keine professionelle Ausgrenzung der Sprachwissenschaft erfolgt war - ohne daß er aber i. e. S. hier als Sprachwissenschaftler anzusprechen wäre.
Q: LdS: unplaced; BHE; DBE 2005. Nachrufe von H. J. Kissling in: Südostforschungen 26/1967: 375-379 und in: Jahreschronik der Ludwig-Maximilian-Universität, München 1968: 17-19, sowie H. W. Duda in: Almanach der Österr. AdW, Wien 1968: 317-323; Festschrift „Serta Monacensia“, hgg. von H. J. Kissling/A. Schmaus, Leiden: Brill 1952; Schriftenverzeichnis dort S. 1-45; sowie erweitert in: H. J. Kissling/A. Schmaus (Hgg.): »F. B.: Aufsätze und Abhandlungen zur Geschichte Südosteuropas und der Levante«, München: Südosteuropa Verlagsges. 1962, Bd. I: 1-51; s. auch Hanisch 1995; Ellinger 2006.
[1] »Gottlieb Siegfried Bayer . Ein Beitrag zur Geschichte der morgenländischen Studien im 18. Jhd.«, München: Schön 1915.
[2] In: Der Vorstoß 2, Heft 14/1932: 536-538.
[3] „Die Morgenlandforschung im neuen Deutschland - Stand und künftige Aufgaben", s. dazu Hanisch in: Elvert / Nielsen-Sikora 2008: 511.
[4] S. dazu Ellinger (2006: 55); Heiber (1991: 330) führt B.s fehlende Qualifikation an, u.a. seine damals drohende Entlassung "wegen Unfähigkeit". Als Quelle verweist er auf ein negatives fachliches Gutachten in Zusammenhang von B.s Bewerbung auf die Bergsträsser-Nachfolge in München.
[5] Ellinger (2006: 435) gibt seine Spionageaktivitäten als Hintergrund an, Duda (1968) spricht davon, daß er das Land verlassen mußte.
[6] In: Mitt. d. dt.-türk. Vereinigung 10/1929: 1-3.