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Bossert, Hellmut Theodor

 

Geb. 11.9.1889 in Landau, gest. 5.2.1961 in Istan­bul.

B. stu­dierte nach dem Abitur (in Karlsruhe) in Heidelberg, Straßburg, München und in Freiburg im Hauptfach Kunstge­schichte, in dem er 1913/1914 auch mit einer Untersuchung über einen Tiroler Altar bzw. dessen Bildhauer promo­vierte. Da­nach war er zwei Jahre beim Frei­burger Museum angestellt. Im Ersten Welt­krieg war er Reserveoffizier. In den folgenden Jah­ren arbeitete er im Bereich der Kunstge­schichte bei dem Berliner Verlag Wasmuth. Er veröf­fentlichte mehrere volks- bzw. völkerkundlich aus­gerichtete Werke über orna­mentale Kunst, die auch inter­national Verbreitung fanden (Übersetzungen ins Engli­sche, Franzö­sische und Spanische).[1] Mit diesen Werken verdiente er ein kleines Vermögen, das ihm eine Existenz als Privatgelehrter erlaubte. Bemer­kenswert ist da­bei sein Inter­esse für moderne doku­mentarische Techni­ken, das sich nicht nur in diesen historischen Bildbänden zeigt, sondern auch in gegenwartsorientierten Werken: So veröffentlichte er drei Bände zur Geschichte der Fotographie »Aus der Früh­zeit der Photogra­phie 1840-1870«;[2] »Kamerad im We­sten. Ein Be­richt in 221 Bil­dern«[3] und »Wehrlos hinter der Front. Lei­den der Völ­ker im Krieg«;[4] von denen die beiden letztgenannten von der Zusam­menstellung der oft (nach eigenen Angaben im Vor­wort) »von der Zensur unterdrück­ten« Aufnah­men und der Bildunter­schriften Antikriegsbücher sind.[5]

B. begann sich früh systematisch in die alt-medi­terranen Kulturen einzuarbeiten, mit dem Plan eines enzyklo­pädischen Werkes dazu, von dem 1921 als er­ster Teil ein Band über »Altkreta«[6] er­schien. Schon damals be­schäftigten ihn systematisch Entzifferungspro­bleme, wie seine Studie über mutmaß­liche Göt­ternamen in der hieroglyphen-kretischen- und hethitischen Überlie­ferung »Santas und Ku­papa«[7] zeigt (mit Entsprechungen bei Meriggi). Den Abschluß des be­gonnenen zweiten Bandes über den zyprisch-sy­rischen Kul­turkreis stellte er zurück, um systematischer zu den damals intensiv diskutierten kleinasiatischen Funden zu arbeiten. Seine Anträge auf Finanzierung einer eigenen Forschungsreise dazu hatten zunächst keinen Erfolg, aber 1933 erlaubte ihm die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft in Verbindung mit der Bayrischen Akademie der Wissenschaften, sich an der Expedition von Kurt Bittel nach Boğazköi zu beteiligen. Hier trat er offen als NSDAP-Mitglied und Aktivist auf, offensichtlich bestimmt auch von der Hoffnung, so Karriere machen zu können.[8] Als B. später allerdings in Istanbul gegen den Direktor des dortigen Deutschen Archäologischen Instituts, Schede, und seinen Assistenten, Bittel, intrigierte, um selbst auf diese Stelle zu kommen, wurde er aus der Partei ausgeschlossen, so Güterbock, was auch dem Hinweis in dem Scurla-Bericht entspricht. Persönlich zeigte er offensichtlich, wie Güterbock berichtet, keinerlei Anzeichen von rassistischen Verhaltensweisen.[9] Er hatte aller­dings bis Kriegsende offen­sichtlich keinerlei Probleme, in Deutsch­land zu publi­zieren (s.u.) – wobei er auch seine jüdischen Fachkollegen gebührend zitierte (so z.B. Güterbock).[10]

Seit 1934 war er am Archäologischen Institut der Universität Istanbul tätig, wo er die Ab­teilung für alte Sprachen und Archäologie des Na­hen Ostens aufbaute. Sein späterer Arbeitsschwerpunkt waren entsprechend die altana­tolischen Sprachen, ausgehend vom Hethitischen, zu dem er in Istanbul auch Lehrwerke verfaßte. Sein um­fassendes kulturge­schichtliches Un­ternehmen bekam hier ein neues Fundament: 1942 erschien als zweiter Band »Altanatolien. Aufge­hen in der griechischen Kultur«,[11] als Lehr­buch mit breiter Fotodokumenta­tion (1217 Abb.) und einem umfassen­den Kom­mentarteil und Biblio­graphie,[12] dem auch noch auf Türkisch erschie­nene Lehrwerke an der Seite stehen. Für den vorher schon begonnenen dritten Teil zum östli­chen Mittelmeerraum war das Bild­material wäh­rend des Weltkrieges schon gesetzt; der Band konnte nach dem Kriegseintritt der Türkei von B. nicht mehr fertigge­stellt werden. Da B. nach dem Krieg durch seine Ausgra­bungen in Karatepe (s.u.) gebunden war, übertrug er die redaktio­nelle Bear­beitung N. Nau­mann: »Altsyrien«.[13] Das Buch bietet wiederum eine umfassende Doku­mentation (archäologisches Material aus Zypern, Sy­rien, Palästina, Transjordanien, Ara­bien, er­gänzt durch Karten, Schrift­tafeln u.dgl.) – im Vorwort protestiert B. gegen die Rezep­tion bei Fachkollegen, die in seinen Arbeiten nur »Bilderbücher« sehen wollen. In dieser Zeit nahm er seine frühen Studien zur Entzifferungs­problematik auf, zu der er einige monographi­sche Detailstudien beisteu­erte: In »Ein hethi­tisches Kö­nigssiegel«[14] dokumentiert und analy­siert er vollständig das über­lieferte Wortmate­rial (hier des Palaischen); »Asia«[15] ist eine etymo­logische Studie, die wie­derum auf eine um­fassende quel­lenkritische Do­kumentation der Be­lege (und ihre sprachwissen­schaftliche Be­schreibung) gestützt ist.

Durch die von ihm mit seinen türki­schen Mitar­beitern ent­deckten hethitischen Anlagen bei Ka­ratepe (östl. Tür­kei, bei Adana; die Anlagen stammen aus dem 8. Jhd. v. d. Z.) bekam seine Ar­beit eine neue Basis. Der türki­sche Staat über­trug ihm, der 1947 auch türki­scher Staats­bürger wurde, offizi­ell die Ausgrabung, über die er 1945-1950 in den Istanbuler Univer­sitätsschriften (auf Türkisch) pu­blizierte. Die Be­deutung der Funde lag insbes. bei den phöni­zisch/hierogly­phen-hethitischen Bi­linguen von Ka­ratepe, auf deren Grund­lage er wichtige Bei­träge zur Schriftgeschichte und Sprach­form bei­trug (s. etwa »Die phönizisch-hethitischen Bi­linguen von Ka­ratepe«).[16] Von hier aus erwei­terte er seine Untersu­chung sy­stematisch auf die weiteren altanatoli­schen Spra­chen, insbes. das Luwische, aber auch das Hurrische u.a., wobei er systema­tische sprachstrukturelle Argu­mente be­nutzte, s. etwa »Ist die B-L Schrift im wesent­lichen entzif­fert?«;[17] »Zur Vokalisation des Luwi­schen«;[18] »Scrittura e Lin­gua di Side in Pam­filia«[19] – wo er, wiederum an­hand von Bi­linguen, auf die Mög­lichkeit der Er­forschung ei­nes Substrats für das anato­lische Grie­chisch verweist. Später führte er noch weitere Ausgrabungen in Kilikien durch (in Misis, dem alten Mopsuhestia), die aber keine Ergebnisse brachten.

Die Einheit seines wissen­schaftlichen Projektes machte er bei die­sen Arbeiten immer wieder deut­lich: Auch da, wo er expli­zit die sprachliche Form analy­siert, war er be­müht, über Stilanaly­sen der Quellen kulturelle Zusammen­hänge zu er­fassen. So schon in einer frühen Arbeit über die prä-helle­nische medi­terrane Poetik »Gedicht und Reim im vorgriechi­schen Mittelmeerge­biet«,[20] wo er den Bogen von den Etrus­kern und Kelten über das minoische Kreta bis nach Anato­lien spannt, sowie an der Analyse von rei­henden Ausdrücken (wie bei Haus und Hof, Kind und Ke­gel), deren dominant auf- oder absteigende Form ihm ein Kri­terium für die Sonderstellung des He­thitischen im Feld der anderen altanatoli­schen Spra­chen/Kulturen liefert (»Über die Gra­dation in einigen altkleinasi­atischen Spra­chen«).[21] 1959 wurde er an der Univ. Istanbul emeri­tiert, las dort aber noch weiter. Die Ver­bindung zur deutschen Wissenschaft war für ihn wohl nie abgebro­chen: So gab er seit 1949 (gemeinsam mit F. Stein­herr) hier auch das Jahr­buch für Klein­asiatische For­schung heraus. Nach seiner Emeritierung wurde er in Freiburg/Br. zum Honorarprofessor ernannt.

Q: Widmann 1973; DBE 2005. Nachrufe von U. B. Alkim in: »Ana­dolu Arastir­malari« (Gedenkschrift für H. Th. Bossert),[22] Istanbul: Ede­biyat Fakül­tesi Basi­mevi 1965, dort S. XIX-XXVII B.s Bibliogra­phie; E. Weidner in: A. f. Orientf. 20/1963: 305-306.Würdigung in der elektronischen Liste Hethitologie: www.hethitologie.de (Robert Oberheid, Jan. 2009).



[1] S. seine Bi­bliographie im National Union Catalogue Pre-1956.

[2] Frankfurt: Societät 1930.

[3] Frankfurt: Societät 1930.

[4] Frankfurt: Societät 1931.

[5] Die pazifistische Haltung ist bei dem 1931 erschie­nenen Band im Vorwort explizit: »Dieses Buch klagt den Krieg an«, heißt es da.

[6] »Alt Kreta. Kunst und Kunstgewerbe im Agäischen Kultur­kreise«, Berlin: Wasmuth 1921, das den geographi­schen Horizont bis nach Ägypten spannt, einen umfassen­den »technischen« Abbi­ldungsteil (u.a. auch Grundrisse zu Aus­grabungen) mit geschmäck­lerischen Illustrationen eines »Publikumsbuchs« verbindet. Sprachliche Interes­sen zei­gen sich hier bei den dokumentierten Quellentex­ten (S. 45-65).

[7] Leipzig: Harrassowitz 1932.

[8] Darüber zirkulieren verschiedene Aussagen, die auf ein Rundschreiben von Güterbock zurückgehen, mit dem dieser Kollegen in den USA nach dem Zweiten Weltkrieg über den Zustand der deutschen Altorientalistik in der Zeit des Nationalsozialismus informiert. Dieser bezeichnet B. dort als Nazi und berichtet ironisch von dessen enthusiastischem Auftreten dort, s. auch Bittel »Reisen und Ausgrabungen in Ägypten, Kleinasien, Bulgarien und Griechenland 1930-1934«, Stuttgart: Steiner 1998 (bes. S. 381ff.), sowie auch den Scurla-Bericht (Grothusen 1987: 131), nach dem er daraufhin aus der NSDAP ausgeschlossen wurde. Auf dieser Grundlage auch Hinweise bei S. Stadnikow, »Die Bedeutung des alten Orients für deutsches Denken. Skizzen aus dem Zeitraum 1871-1944«, dort Abdruck des Briefes von Güterbock S. 16-19 (http://archiv.ub.uni-heidelberg.de/propylaeumdok/volltexte/2007/40/, Jan. 2009).

 

[9] Ansonsten hatte er wohl ein gespanntes Verhältnis zu vielen Emigranten, wo er in Briefen als »ekelhafter[r] Nazi-Spitzel« bezeichnet wird, s. Hoss (2007: 120).

[10] Z.B. in: Geistige Arbeit 5 (Heft 18, Sept. 1938), passim.

[11] Berlin: Wasmut.

[12] Als zeitgenössisches Stilistikum darf wohl nicht überbewer­tet werden, wenn dort (S. 9) der »altanatolische Geist dem griechi­schen durch Sprache und Rasse (sic!) als engverwandt« be­hauptet wird.

[13] Tübingen: Wasmuth 1951.

[14] Berlin: Istanbuler Forschungen 1944 (= Bd. 18 die­ser Reihe).

[15] Istanbul: Universite Matbasi 1946.

[16] In: H. Kronasser (Hg.), »Mnemes Xarin. Gedenkschrift P. Kretschmer I«, Wien: Wiener Sprachge­sellschaft 1956: 40-51.

[17] In: Orientalia NS 29/1960: 423ff.

[18] In: Orientalia NS 30/1961: 314-322.

[19] In: La Parola di Passato 13/1950: 32-46 – zuerst auf Tür­kisch erschienen.

[20] In: Geistige Arbeit 5 (18)/1938: 7-10.

[21] In: Bibliotheca Orientalia 12/1955: 51-54.

[22] Für die Mithilfe bei der Durchsicht des türkisch redigier­ten Bandes danke ich F. D. Aslan.