Collitz, Klara H.
(geb. Hechtenberg; auch: Hechtenberg Collitz)
Geb. 31.5.1863 in Rheydt bei Mönchengladbach, gest. 23.11.1944 in Baltimore/Maryland.
Nach dem Lehrerinnenexamen in Neuwied ging sie für anderthalb Jahre nach Lausanne zum französischen Sprachstudium, schließlich 1889 nach London zur Vorbereitung eines englischen Universitätsstudiums, das sie von 1891-1895 in Oxford, London und Cambridge absolvierte und mit dem B.A. abschloß. 1896 unterrichtete sie romanische Sprachen an einem College in Belfast, von 1897-1899 »Germanic Philology« am Smith College Northampton, Mass. (USA), war allerdings 1898 auch wieder zum Studium in Bonn. Seit 1899 studierte sie in Heidelberg »Moderne Philologie« (Germanistik, aber auch Anglistik und Romanistik: unter ihren Lehrern nennt sie Hoops und Neumann); abgeschlossen mit der Promotion 1901. Danach war sie bis 1904 in Oxford »Lecturer in Germanic Philology« (so auf den Titelblättern der Arbeiten von 1903 und 1904). Im August 1904 heiratete sie Hermann Collitz und wanderte in die USA ein, wo sie zunächst auch als Dozentin für germanische und romanische Sprachen an der Universität Baltimore lehrte. Später hat sie allerdings als verheiratete Frau Collitz offensichtlich keine unterrichtende Stelle mehr wahrgenommen und seitdem unter dem Namen C. publiziert.[1]
Die Dissertation »Das Fremdwort bei Grimmelshausen«[2] wurde von Braune betreut, von ihr aber neben einem »Direktor Clemens Mohl« ihrem Oxforder Lehrer, dem Altgermanisten Joseph Wright, gewidmet. Sie bietet dort in Listen die Fremdworte der verschiedenen Grimmelshausenschen Werke (nach den Erstdrucken) neben fünf anderen Werken/Autoren des 17. Jahrhunderts und wertet sie statistisch aus, sowohl für ihr absolutes Vorkommen, wie für die relative Texthäufigkeit (bezogen auf 1000 Wörter) für types sowohl wie tokens gerechnet. Die herausgezogenen Wörter werden von ihr etymologisch (in Bezug auf die Herkunftssprache) bestimmt sowie in Hinblick auf die heutige Gebräuchlichkeit (die sie für Grimmelshausen überwiegend konstatiert). Im Ergebnis zeigt sie Grimmelshausen in der Mitte des zeitgenössischen Usus (wobei die Schriften an die Adresse der »höheren Stände« mehr Fremdworte aufweisen als die anderen). In der Argumentation wandte sie sich (vor ihrer Biographie nachvollziehbar!) gegen den Fremdwortpurismus des Allgemeinen Deutschen Sprachvereins, und zeigte insbesondere, daß dessen Berufung auf Grimmelshausens »Teutschen Michel« nicht zulässig ist (bes. S. 43-46).
In späteren Arbeiten komplettierte sie diese Untersuchung: »Der Briefstil des siebzehnten Jahrhunderts«[3] führt eine komplementäre Untersuchung für die Briefe durch, die bei grundsätzlich gleichem Befund eine sehr viel größere Häufigkeit des Fremdwortgebrauchs dort ergibt. Indem sie mit einem hierarchischen Gefälle von konservativ kontrollierter Sprachpraxis in der Bandbreite von Prosa über Briefstil zu der (von ihr aus dem letzteren extrapolierten) Umgangssprache argumentiert, erklärt sie, daß die zeitgenössischen sprachkritischen Angriffe auf den alamodischen Fremdwortgebrauch nicht an literarischen Texten wie bei Grimmelshausen zu verifizieren sind, sondern vielmehr auf die Umgangssprache zielten.
Aufgrund eines durch weitere Exzerpte erweiterten Corpus legte sie 1904 eine lexikalisch angeordnete Auflistung von 3380 Fremdwörtern des 17. Jahrhunderts vor, von denen sie konstatiert, daß sie etwa zur Hälfte heute noch gebräuchlich seien (»Fremdwörterbuch des 17. Jahrhunderts«).[4] Auch ihre späteren Arbeiten in den USA hatten den gleichen lexikographischen Gegenstand, den sie dann aber mit systematischen semantischen Fragestellungen anging. Das gilt so für ihre Monographie »Verbs of Motion in their semantical divergence«,[5] wo sie wiederum aufgrund eines umfangreichen Corpus (Latein, Griechisch, Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch) eine allgemeine Entwicklungstendenz im Wortschatz nachzeichnet, konkrete Aktivitätsverben für Abstrakta zu nutzen, von ihr in drei Dimensionen systematisiert: Emotion (A) / Eigenschaften (B) / Intellekt (C), wie etwa bei dt. schlagen: er ist niedergeschlagen (A), das schlägt in sein Fach (B), und er ist sehr beschlagen (C). Eine Vorstudie zu dieser Monographie war bereits 1928/1929 unter dem Titel »Propriety in the Light of Linguistics«[6] erschienen.
Eine weitere lexikologische Arbeit über »Verba dicendi: A chapter in comparative synonymics« wurde von ihr im Manuskript noch fertiggestellt, eine postume Publikation kam nicht mehr zustande.[7] Daneben hatte C. sich auch in die (vergleichende) germanische Sprachwissenschaft eingearbeitet. So publizierte sie eine originelle Studie »Syllabication in Gothic«,[8] aufgrund einer Auswertung der Wortbrechungen in den Handschriften (deren Unterschiede sie registriert). Vor der Folie der abweichenden Grammatikregeln für die Wortbrechung im Lateinischen schließt sie auf darin faßbare Silbenstrukturen des gesprochenen Gotischen. Ihre etwas zu kursorische Auswertung der Texte (und wohl auch Verlesungen) sind kritisiert worden – eine parallele (und später veröffentlichte) Untersuchung von W. Schulze zu diesem Gegenstand gilt heute als zuverlässiger. Das mindert aber nicht ihre Pionierleistung. Daneben publizierte sie zum Frauenstudium (bibliographische Hinweise bei Thornton, Q).
C. war wie ihr Mann bei der Gründerversammlung der Linguistic Society of America anwesend, wurde aber erst 1928 deren aktives Mitglied (bis zu ihrem Tod), das regelmäßig die Jahresversammlungen besuchte – auch die Linguistic Institutes (u.a. besuchte sie eines zum Türkischen); sie hielt öfters Vorträge und diskutierte bei Veranstaltungen mit. Für ihr Verhältnis zur Sprachwissenschaft ist instruktiv, daß sie ihr Vermögen weitgehend der LSA für die Errichtung einer Professur für »Vergleichende Sprachwissenschaft« vermachte (als »Hermann und Klara H. Collitz Professorship« nach ihrem Tod eingerichtet und 1948 wohl zum letzten Mal mit E. H. Sturtevant besetzt): Im Kontext des damals in der LSA sich aggressiv durchsetzenden Strukturalismus war es wohl nicht zufällig, daß sie in ihrem Testament ausdrücklich den deutschen Ausdruck für die Widmung der Stelle verwandte.[9]
Q: V; Falk 1994: 467-468; IGL (Th. P. Thornton) Eine 1938 publizierte Bibliographie (als Privatdruck Oxford 1938) war mir nicht zugänglich. Ihr Nachlaß liegt in der Johns Hopkins Universität in Baltimore.
[1] Ihre frühe Biographie ist für mich nicht ganz eindeutig rekonstruierbar. Auch die Recherchen von J. S. Falk (s. Falk 1994: 467-468) sind nicht ganz schlüssig.
[2] Heidelberg: Hösning.
[3] Berlin: Behr 1903.
[4] Berlin: Behr 1904.
[5] Als Beiheft zu Language von der Ling. Soc. Amer. 1931 (Philadelphia, Penn.: LSA) veröffentlicht.
[6] In: Mod. Ph. 26/1928/1929: 415-426. Diese Publikation ist durchaus thematisch parallel zu anderen dort gleichzeitig vor allem wohl unter dem Einfluß von Sapir erschienen!
[7] H. Collitz' Schüler E. H. Sehrt hatte sie 1946 der LSA vorgeschlagen; aber nicht nur Bloch, der sie »bad«, »no real scientific merit« fand, lehnte sie ab, offensichtlich auch der um ein Gutachten gebetene H. Sperber, s. Falk 1994: 468.
[8] In: J. Engl. Germ. Ph. 6/1906-1907: 72-91.
[9] Zum ambivalenten Umgang der LSA mit ihrer Stiftung s. Julia S. Falk, »Women, Language and Linguistics: Three American Stories from the First Half of the Twentieth Century«, London/New York: Routledge 1999: 14-15.