Fillenbaum, Samuel
Nachdem der Vater 1938 aus rassistischen Gründen nach Polen deportiert worden war (nach Zbąszyń , b. Posen), emigrierte die Familie 1939 nach England. Eine geplante Weitermigration in die USA scheiterte zunächst an der Unmöglichkeit, ein Visum zu erhalten, und kam erst nach dem Krieg zustande: 1946 migrierten sie weiter in die USA. Dort beendete F. die Schulausbildung in New York (1952 B.A.), Studium der Psychologie an der Univ. of California in Berkeley, Calif. (1954 M.A.), 1956 mit dem Ph.D. abgeschlossen, vorher dort schon auf einer Assistentenstelle tätig. Seitdem Forschungs- und Lehrtätigkeit an psychologischen Institutionen mit der Spezialisierung in Psycholinguistik: 1956-1958 McGill Univ., Montreal; seit 1958 an der Univ. of North Carolina in Chapel Hill. Vielfache Forschungsaufenthalte (u.a. 1964/1965 an der Harvard Universität, an der Univ. of California in Berkeley 1975/1976, in Wassenaar/NL 1981/1982).
In der psycholinguistischen Forschung gehört F. zu den entschiedenen Parteigängern der Chomskyschen generativen Richtung. Er untersuchte experimentell Gedächtnisleistungen, um zu zeigen, daß diese nicht formkonstant, wohl aber »meaning-preserving« sind; darin sah er den Beweis für die generative Ableitung von Oberflächen- aus Tiefenstrukturen (gegen behavioristische Traditionen in der US-Psychologie), so etwa in »Syntactic Factors in Memory?«.[1] Seine Exploration von semantischen Problemen steht aber (von ihm auch ausdrücklich so reklamiert) in der Tradition von U. Weinreich: die sprachliche Artikulation von Bedeutungen erfolgt in einem Beziehungsfeld, das er in operationalen Tests zu erschließen versucht, wobei er graphentheoretische Darstellungsmöglichkeiten nicht nur metasprachlich nutzt, sondern den Probanden als Aufgabe zur Explikation ihrer Intuitionen vorgibt (um die Resultate dann statistisch auszuwerten), so auf der Basis einer Reihe von Einzelstudien aus den 60er Jahren in »Structures in the subjective Lexicon«.[2]
F. versuchte formale (grammatische) Kategorien psycholinguistisch zu validieren, so z.B. die Korrelation von Zugriffsmöglichkeiten des Gedächtnisses mit syntaktischer Bindung (größere Robustheit substantivischer Formen gegenüber dem Vergessen als bei anderen Wortarten), s. »A further study of grammatical class as a variable in verbal satiation«.[3] In dieser Richtung hat F. seine Forschung dann auf pragmatische (sprechakttheoretische, angelehnt an Grice) Probleme ausgeweitet, so in einer Reihe von experimentellen Studien zur Nutzung konditionaler Äußerungsstrukturen, die er in den 70er Jahren publizierte, etwa »How to do some things with IF«,[4] wo er methodologisch gegen das übliche psycholinguistische Experimentaldesign zeigt, daß auch dort Äußerungen nicht kontextfrei interpretiert werden; zusammenfassend zu diesen Studien »The use of conditionals in inducements and deterrents«.[5] Er zeigt einerseits, daß die Deutung solcher Äußerungen (»wenn p, dann q«,»q, außer wenn p« u. dgl.) vom Kontext abhängt (vom Partizipantenwissen), daß aber nicht jede Äußerungsform in jeder pragmatischen Funktion nutzbar ist, insofern partiell der Kontext auch von Dritten aufgrund der (semantischen, syntaktischen) Binnenstruktur der Äußerung in Verbindung mit allgemeineren Wissensstrukturen erschlossen werden kann.
Von dieser Position aus verfolgte er auch späterhin die Forschungsentwicklung, s. etwa seinen Bericht »Psycholinguistics at the Max Planck Institute for Psycholinguistics«.[6] In der Zweisprachigkeitsforschung hat er in Montreal zusammen mit W. Lambert Pionierarbeit geleistet (»A pilot study of aphasia among bilinguals«).[7] Auch später hat er sich gelegentlich noch mit aphasischen Problemen beschäftigt und z.B. die Reorganisation des Sprachwissens in Reaktion auf (partiellen) Sprachverlust mathematisch zu modellieren versucht, wobei die empirischen Befunde seiner Tests eine große interindividuelle Variation zeigen, die für ihn die Trennung von lexikalischem, syntaktischem und pragmatischem Wissen notwendig macht, s. »Some linguistic features of speech from aphasic patients«.[8]
Sein Schriftenverzeichnis aus dem Jahr 2008 weist 80 Titel auf, meist Ergebnisse experimenteller Forschung (oft gemeinsam mit anderen).
Q: BHE; IfZ, München; schriftliche Mitteilung (Lebenslauf, Bibliographie) von F. (2008).
[1] Den Haag: Mouton 1973.
[2] New York usw.: Academic Press 1971.
[3] In: Language and Speech 7/1964: 233-237.
[4] In: J. W. Cotton/R. L. Klatzky (Hgg.), »Semantic Factors in Cognition«, Hillsdale, N.Y.: L. Erlbaum 1978: 169-214.
[5] In: E. Closs Traugott (Hg.),»On Conditionals«, Cambridge: Univ. Press 1986: 179-195.
[6] In: Psychological Science 4/1993: 24-27.
[7] In: Canadian Journal of Psychology 13/1959: 28-34. Die allerdings auch nur explorierend gemeinte Studie ist wegen ihrer zu simplen neurologisch intendierten Modellierung kritisiert worden, s. M. Paradis, in H. Goebl u.a. (Hgg.), »Handbuch Kontaktlinguistik«, Bd. 1, Berlin: de Gruyter 1996: 61.
[8] In: Language and Speech 4/1961: 91-108.