Goldmann, Emil
Geb. am 3.11.1872 in Karlsbad, gest. am 6.6.1942 in Cambridge/GB.
1897 Dr. jur. an der Universität Wien. 1905 Habilitation in Rechtsgeschichte (Schwerpunkt: deutschrechtliche Tradition); seit 1916 a.o. Professor dort. 1932 o. Professur. 1938 als »Nichtarier« entlassen. Wiederholte Bemühungen, ihm zu einer Ausreise nach Großbritannien, Norwegen oder in die USA zu verhelfen, scheiterten zunächst daran, daß sein Alter eine reguläre Einstellung aussichtslos machte (s. Feichtinger, Q). Erst im Sommer 1939 konnte er nach England mit der Absicht ausreisen, von dort weiter nach Norwegen zu emigrieren, wo er aufgrund seiner etruskologischen Arbeiten ein Stellenangebot erhalten hatte. Die deutsche Okkupation Norwegens Anfang 1940 machte die Weiteremigration allerdings unmöglich.[1] Er mußte in England bleiben, wo er in österreichischen Exilkreisen aktiv war (u.a. im Free Austria Movement), 1940 wurde er als »feindlicher Ausländer« interniert. 1942 hielt er noch eine Vorlesung an der Universität Cambridge.
G. verfaßte zahlreiche rechtshistorische Arbeiten, die immer auch philologisch-sprachwissenschaftliche Probleme behandeln (etwa zu den salischen und fränkischen Gesetzen); ebenso volkskundliche Beiträge, die eine besondere Aufmerksamkeit der sprachlichen Form des »Brauchtums« (Spruchdichtung) zuwenden. Der Vergleich der sprachlichen (»deutschrechtlichen«) Tradition mit mediterranen Überlieferungen ergab seinen sprachwissenschaftlichen Arbeitsschwerpunkt bei der altitalischen, insbes. auch der etruskischen Überlieferung. Als Außenseiter akkumulierte er mit enormem Fleiß jeweils die Gesamtheit der Forschungsliteratur, die er einer Sekundäranalyse unterzog, in die er eigenständige Überlegungen einbrachte: einerseits eine strikte epigraphische Kontrolle (mit Ablehnung der bequemen Konjekturen durch »Schreiberfehler«), andererseits eine rigide Kombinatorik aller Deutungsmöglichkeiten, unter denen er durch kulturgeschichtlich motivierte Vergleiche (Parallelen im Brauchtum, im Textaufbau, in stilistischen Mitteln der gebundenen »Spruchform« u.a.) selegierte. Strikt »linguistisch«-formale (etymologische) Kriterien kamen dann in zweiter Linie ins Spiel. Wo er sich dabei noch auf einigermaßen sicherem Boden befand, wie bei seinem Buch über »Die DUENOS-Inschrift« (1926),[2] legte er allseits respektierte Ergebnisse vor: das Buch ist bis heute ein Standard-Literaturhinweis, auch etwa im Etymologischen Wörterbuch des Latein von Ernout/Meillet (auch wenn seine »volkskundliche« Leseweise der Inschrift als Liebeszauber auf einem Räuchergefäß [S. 81-85] die Sprachwissenschaftler weniger überzeugt hat).[3] Problematischer waren seine etruskologischen Arbeiten (vor allem seine »Beiträge zur Lehre vom indogermanischen Charakter der etruskischen Sprache«),[4] die sich projektiv mit ad-hoc Gleichungen von Wort zu Wort hangeln und von methodologisch orientierten Fachvertretern wie Meillet oder Benveniste scharf kritisiert wurden,[5] auf die aber ein Großteil der internationalen Unterstützung zurückging, die er erfuhr (so bes. durch Marstander in Oslo).
Wie sehr sich G. (auch) als Sprachwissenschaftler verstand, zeigt nicht zuletzt seine Teilnahme am Internationalen Linguistenkongreß 1931 in Genf und 1933 in Rom und sein Kontakt zu Fachkollegen, in Wien z.B. zu Jokl.[6]
Q: DBE 2005; W. Brandenstein (Hg.), »E. Goldmann: Hochzeitsgebräuche – Seelenreisen«, Wien: Gerold 1956 (mit Bibliographie und einer Würdigung G.s als Sprachwissenschaftler); Feichtinger 2001: 271-273.
[1] Seine engen Verbindungen nach Norwegen zeigen sich darin, daß sein Nachlaß im Osloer Volkskundemuseum deponiert ist.
[2] »Die DUENOS-Inschrift«, Heidelberg: Winter 1926 – immerhin in der »Idg. Bibliothek« herausgegeben!
[3] So geht Pulgram in »Italic, Latin, Italian: 600 B.C. to A.D. 1260. Texts and Commentaries« (Heidelberg: Winter 1978: 167-171) bei seiner Diskussion der Inschrift nicht darauf ein.
[4] Heidelberg: Winter Teil I/1929, Teil II/1930.
[5] Z.B. Meillet in: Bulletin de la Société de linguistique 30/1930: 59; Benveniste in: Bulletin de la Société de linguistique 37/1936: 149-150.