Gerzon, Jakob
geb. 27.12.1878 Köln – gest. 23.7.1943 Sobibor (umgebracht im KZ)
G. stammte aus einer jüdischen Familie und praktizierte sein Judentum auch. Er promovierte 1902 in Heidelberg (bei W. Braune) mit „Die jüdisch-deutsche Sprache. Eine grammatisch-lexikalische Untersuchung ihres deutschen Grundbestandes“.[1]Explizites Ziel ist für ihn, das (gerade auch in jüdischen Kreisen) als „Jargon“ abgewertete Jiddisch als genuine deutsche Varietät nachzuweisen, die sich in Osteuropa (in „fremdsprachiger“ Umgebung) ausgebildet hat und dabei auch ältere Sprachformen bewahrt hat (wie z.B. die adjektivische Bildung gesuntlex „gesund“, S. 121). Nach dem Muster der damals üblichen junggrammatischen Dialektdarstellungen entwickelt er die belegbaren Formen (bei ihm vor allem in zeitgenössischen jiddischen Drucken aus Litauen, Polen und Rußland) „gesetzmäßig“ aus dem Normal-Mittelhochdeutschen, wie es kanonisch bei Hermann Paul dargestellt war: in Kapiteln zur Lautlehre, Flexion, Syntax und ausführlich zum Wortschatz (S. 83 – 129). Gegen Bemühungen, darin direkte Spuren spezifischer deutscher Mundarten zu finden (wie es z.B. Sainéan 1889 für das Jiddische unternommen hatte), geht er davon aus, daß sich diese Sprachform als Resultat der Vertreibung der Juden aus Deutschland in Osteuropa ausgebildet hat, wobei allerdings ostmitteldeutsche Formen bestimmend waren.[2]
Nach der Promotion ging er in die Niederlande, wohin er auch familiale Beziehungen hatte: [3] u.a. war seine Schwester Selma dort verheiratet, mit der gemeinsam er dann in philosophischen Diskussionskreisen der Niederlande aktiv war. Seit 1912 hatte er eine Stelle als Deutschlehrer (zuerst in Den Haag, später in Overveen, westl. von Haarlem). Vor diesem Hintergrund publizierte er zu fremdsprachdidaktischen Fragen.[4] Bei der deutschen Okkupation wurde er festgenommen und ins KZ Sobibor verschleppt, wo er umgebracht wurde, während seine Frau Anna (geb. Caffé) mit den Kindern in einem Versteck in den Niederlanden überleben konnte (sie verstarb 1974).[5]
Q: https://www.joodsmonument.nl/nl/page/130172/jacob-gerzon
[1] Frankfurt: J. Kaufmann 1902.
[2] Bei aller positiver Würdigung findet sich eine methodisch ausgerichtete Detailkritik schon bei R.Löwe und später dann bei M.Weinreich.
[3] Mit ihm vertrauten Formen aus dem in den Niederlanden gesprochenen Jiddischen argumentiert er schon in der Dissertation (z.B. zu pofen „schlafen“).
[4] 1922 publizierte er ein Buch „Schwere Wörter. Eine Auswahl der wichtigsten dem Holländer nicht ohne weiteres verständlichen deutschen Wörter“, das mit späteren Bearbeitungen (durch C.Brouwer u.a.) einen Markterfolg hatte (1975 in der 28. Auflage).
[5] Ein Sohn war Soldat bei den Alliierten.