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Hertz, Rudolf (früherer Familienname: Hirtz)

Geb. 3.4.1897 in Düsseldorf, gest. 22.6.1965 in Bonn.

 

Nach dem Abitur in Bonn 1914 Kriegsdienst (mit Auszeichnungen).1918-1925 Stu­dium in München und Bonn, wo er 1925 bei R. Thurneysen mit einer keltologischen Arbeit promovierte. In erweiterter Form er­schien die Dissertation als »Beiträge zur Syntax der irischen Begründungssätze« in der Z. celt. Ph. in zwei Teilen: Teil I in Bd. 18/1930: 121-158, Teil II in Bd. 19/1933: 231-293; weiteres ist dort angekündigt, aber nicht mehr erschienen. Trotz des eingeschränkten Titels handelt es sich um den grundlegenden Versuch zur Haupt-/Nebensatzabgrenzung im Irischen. Ausgehend primär von altirischem Material in Hinblick auf die mittelirischen (und z.T. auch neuirischen) Entwicklungen, versucht H. hier, die Sprache in der Dynamik ihrer Entwicklung zu charakterisieren. Deskriptiv genau in der Kasuistik morphologischer syntaktischer Erscheinungen (mit einem ausführli­chen Beitrag zur morphosemantischen Entwicklung der einschlägigen Subjunktionen) zeigt die Arbeit den Philologen: im Rückgang auf die handschriftliche Überlieferung, in der Diskussion von Texte­mendierungen (bes. bei [ortho-]graphischen Problemen) sowie in der Kontrolle der Übersetzungseinflüsse bei evtl. lateinischen Vorla­gen bzw. bei irischen Glossierungen zu lateinischen Texten. 1930 habilitierte er in Bonn mit einer (mir nicht zugänglichen) Arbeit zum Relativsatz im Altirischen.[1] Gemeinsam mit Lehmacher führte er das große Unernehmen eines irischen Wörterbuchs fort, das ein anderer Thurneysen-Schüler, Hans Hessen (1889-1915), begonnen hatte, der im Ersten Weltkrieg gefallen war: »Hessens Irisches Lexikon: Kurzgefaßtes Wörterbuch der Alt- und Mittelirischen Sprache mit deutscher und englischer Übersetzung«.[2] H. verfaßte von den erschienen Teilen über ein Viertel.[3]

H.s letzte veröffentlichte Arbeit geht anscheinend auf seinen Lehrer Thurneysen zurück, der mit ihm gemeinsam 1935 einen Aufsatz: »Air. INDAAS – ›als er ist‹« veröffentlichte.[4]

 

Es handelt sich um eine Auseinandersetzung mit den strittigen Deutungsversuchen für die Komparativ-Partikel indaas, bei der es naheliegt, in aas die spezifische Relativsatzform der Kopula des Altirischen zu sehen, was allerdings Probleme bei dem mutmaßlichen Vorderglied aufwirft, für das unterschiedliche Kontaminationserklärungen beigebracht wurden. H. konnte hier an seine Habilitationsschrift zu den altirischen Relativsätzen anschließen und eine sehr differenzierte Zusammenstellung von kritischen Belegen beibringen. Thurneysen stellt dem gemeinsamen Beitrag eine Vorbemerkung voran, die aufschlußreich genug ist, wenn man die traumatischen Umstände berücksichtigt: »Die folgenden Ausführungen beruhen z.T. auf einem Gespräch, das ich vor mehreren Jahren mit Dr. R. Hertz über den Gegenstand hatte. Namentlich äußerte er über in- und a- ähnliche Vermutungen wie die unten vorgetragenen, ohne daß ich mich an alle Einzelheiten erinnere. Da er mir mitteilt, daß er in der nächsten Zeit eine Veröffentlichung nicht im Sinn habe (sic! U. M.), möchte ich die Erklärungen den Fachgenossen vorlegen. Für manches Einzelne und namentlich für die ganze Formulierung bin ich allein verantwortlich« (S. 244).

Im September 1933 wurde H. aus rassistischen Gründen die Lehrbefugnis entzogen; wegen der Ausnahmeregelung für WK I-Veteranen wurde er 1934 wieder eingestellt und blieb  bis 1938 weiterhin im Dienst. Obwohl er bis 1939 mehrere (genehmigte) Auslandsreisen (zu Kongreßteilnahme u. dgl.) absolvieren konnte, stand für ihn eine Emigration außer Frage. Diese war wohl auch mit seiner deutschnationalen Einstellung nicht verträglich, die er insbesondere auch als Mitglied des Stahlhelm (dem »Bund der Frontsoldaten«) vertrat. Nach seiner endgültigen Entlassung (und Universitätsverbot) lebte er weiterhin als »Privatgelehrter« (so in seinem Lebenslauf) in Bonn. 1943 wurde er als Hilfsarbeiter zwangs»arbeitsdienst«verpflichtet und arbeitete in Bonner Fabriken. Im September 1943 entzog er sich der eskalierenden Repression durch die Flucht und blieb bis zur Befreiung durch die einmarschierenden Alliierten im März 1945 in verschiedenen Verstecken. 1945 amtierte er zunächst in Bonn als Leiter des »Amtes für die aus rassischen oder politischen Gründen Geschädigten«,

1946-1947 war er Landtagsabgeordneter für die FDP in NRW, 1947-1948 war er dort im Kultusministerium tätig. Zum WS 1945/1946 war er wieder als Dozent der Univ. Bonn reaktiviert worden, wo er zum 1.1.1946 in Bonn zum a.o. Prof. für Keltologie ernannt wurde – in einer heiklen Spannung zu der Professur von Leo Weisgerber, der seit seiner Er­nennung (1942) als Bonner Keltologe firmierte. Faktisch nahm H. zugleich eine Gastprofessur an der Universität Mainz wahr und war danach längere Zeit Lektor für Deutsch an der Univ. Dublin. 1953 wurde er in Bonn rückwirkend ab 1941 zum o. Prof. für Keltologie ernannt – also noch vor dem Er­nennungsjahr von Weisgerber. Universitätsintern war das nicht ohne Konflikte abgegangen, entsprach institu­tionell  wohl aber auch Weisgerbers Bemühen um den Ausbau der Allgemeinen Sprachwissenschaft, dem durch diese Verselbständi­gung eines Teilbereichs seiner Stellendenomination Vorschub gelei­stet wurde.

Wie sich H. mit seinen politisch belasteten Kollegen arrangierte, habe ich nicht eruieren können. Porzig dankt ihm im Vorwort (da­tiert 5.9.1973) für die Unterstützung bei seinem Buch »Die Gliede­rung des indogermanischen Sprachgebietes«[5] und Weisgerber erwähnt ihn, ohne allerdings auf fach­liche Leistungen einzugehen, in fachgeschichtlichen Anmerkungen (in Verbindung mit ihrem gemeinsamen Lehrer Thurneysen). Für das Bonner Klima der »Verdrängung« der Vergangenheit[6] ist die offiziöse Darstellung seines »Falles« instruktiv: in der in FN 6 erwähnten Fest­schrift heißt es von ihm lapidar, daß er »seine Lehrtätigkeit unter­brechen mußte, um sie nach 1945 wieder aufnehmen zu können«.[7] Aufschlußreich für die Zäsur, die die Entlassung 1933 in seinem Leben bewirkt hat, ist in jedem Fall, daß er seitdem anscheinend keine eigenen fachlichen (zumindest keltologischen, s. Pokornys Nachruf) Beiträge mehr publiziert hat (dabei ist seine große Arbeit von 1930/1933 durchzogen von Ankündigungen ambitionierter weiterer Aus­arbeitungen syntaktischer Probleme!).

 

Obwohl H. seit 1953 als Mitherausgeber der Zeitschrift für celtische Philologie fungierte, hat er dort nicht wieder veröffentlicht. Die einzige Nachkriegsveröffentlichung, die sich bibliographieren läßt, war der Beitrag »Laut, Wort und Inhalt« in der von dem nicht-kompromittierten Lohmann herausgegebenen Zeitschrift Lexis.[8] Dort wendet er sich gegen eine rein lautgeschichtlich verfahrende Etymologie und fordert mit irischen Beispielen eine wortgeschichtliche Kontrolle, die auch Sachbezüge nicht ausblendet (in einem Fall sogar gegen eine von ihm für falsch angesehene keltophile Deutung!).

Q: Lebenslauf und Fragebogen der Militärverwaltung von 1946 im Univ. Archiv Bonn; Kürschner 1961; Wenig 1968; Pokorny in Z. celt. Ph. 30/1967: 362-363; Lerchenmüller 1997; DBE 2005.

 



[1] Der Titel der Habilitationsschrift war »Beiträge zur Formengebung und Geschichte des altirischen nasalierenden Relativsatzes«.

[2] mit S. Caomhánach u.a. (Halle/S.: Niemeyer 2 Bde. 1933-1940). Das Werk blieb unvollständig, weil es nach dem Weltkrieg nicht mehr in Konkurrenz zu dem Großwörterbuch der Irischen Akademie in Dublin fortgeführt wurde, s. dazu Ó Catháin (2010 – s. bei Lehmacher, Q).

[3] So Ó Catháin a.a.O, S. 256.

 

[4] Z. celt. Ph. 20/1935: 244-261, der von H. gezeichnete Abschnitt geht von S. 250-261.

[5] 2. Aufl. Heidelberg: Winter 1974.

[6] In der offiziel­len Festschrift der Universität von 1968 als die »Ereignisse« nach 1933 angesprochen , s. »Bonner Gelehrte« 1970.

[7] A.a.O., Einleitung von M. Braubach S. 7.

[8] Lexis 4/1954-1955: 62-69.