Kaiser, Karl
geb. 23.9.1906 in Bad Schwalbach (Nassau) - gest. 22.6.1940 (gefallen an der Front in den Vogesen)[1]
Nach dem Abitur 1925 studierte er Germanistik (mit dem Schwerpunkt Nordistik und Volkskunde), Romanistik, Geschichte und auch Theologie in Frankfurt, Wien und Greifswald. In Greifswald war er von 1929 - 1931 Mitarbeiter von L. Mackensen am Volkskundlichen Archiv für Pommern; danach bis Ende 1932 dem Atlas für deutsche Volkskunde (Berlin) zugeordnet. Mackensen betreute auch (zusammen mit Stammler) die Dissertation: Mundart und Schriftsprache. Versuch einer Wesensbestimmung in der Zeit zwischen Leibniz und Gottsched.[2] Es handelt sich um eine ungemein ambitionierte Arbeit, die gegen die junggrammatische Traditionslinie (explizit gegen H.Paul) gerichtet ist und ausdrücklich i.S. einer historischen Sprachsoziologie argumentiert, mit der Differenzierung von:
- gesprochener gegenüber geschriebener Sprache (die explizit nicht als Verschriftung verstanden wird),
- lokalen Sprachvarietäten gegenüber der (nationalen) Einheitssprache,
- sozialen und anderen Schichtungen in der Sprachpraxis.
Gegen alle Art romantisierender Sprachbetrachtung arbeitet K. die grundsätzliche Autonomie mündlicher Kulturformen (ggf. in dialektaler Ausprägung) gegenüber dem schriftsprachlichen Sprachausbau heraus. Ein Schwerpunkt der materialreichen Arbeit ist das Niederdeutsche im Verhältnis zum Hochdeutschen, wobei er ausgiebig die historischen Quellen der Sprachreflexion aufarbeitet.
1933 habilitierte er sich in Greifswald und übernahm als Privatdozent die Leitung des dortigen Volkskundlichen Archivs.[3] Seine weitere Karriere wurde von den lokalen Parteiinstanzen abgeblockt. Zwar war K. (wohl auch in Verbindung mit seiner Habilitation) 1933 in die SA eingetreten, aber der NS-DozBund wertete 1935 seine Teilnahme an einem Dozentenlager als „Versagen", weil er „ganz in seiner wissenschaftlichen Arbeit lebt" (sinngemäß zitiert). Daraufhin wurde er nicht verbeamtet und mußte mit seiner relativ großen Familie von recht kümmerlichen Beihilfen und Lehrvergütungen leben. Obwohl K. sogar Unterstützung beim Amt Rosenberg hatte (dem im Konflikt mit der Universität das „Pommersche Archiv für Volkskunde" unterstand), blieben die Widerstände vor allem beim REM. K. bemühte sich, sich zu arrangieren: 1936 leistet er das für die Verbeamtung geforderte Treuegelöbnis auf A. Hitler und trat im Mai 1937 in die NSDAP ein; aber er weigerte sich zunächst, Parteiämter zu übernehmen (er war nur in „zivilen" Organisationen tätig: NSV, Reichsluftschutzbund).
1937 kam es zu einem Eklat, als er in einem volkskundlichen Artikel das Verhältnis von autochthoner slawischer Bevölkerung und deutschen „Kolonisatoren" in Pommern nicht i.S. der offiziellen Linie darstellte. Zwar erklärte 1938 das Amt Rosenberg diesen Artikel für vom Parteistandpunkt aus unbedenklich, und K. wurde daraufhin ihm auch das Referat der „Gauarbeitsgemeinschaft für Deutsche Volkskunde" übertragen, aber er erhielt immer noch keine universitäre Stelle. Im WS 1938/39 meldete K sich freiwillig zur Wehrmacht und wurde am 1.7.1939 Soldat. Daraufhin verwendete sich auch der NS-DozBund in einem Gnadengesuch für K. an das REM. Im Dezember 1939 wurde er auf einen erneuten Antrag der Fakultät hin zum „Dozenten neuer Ordnung" ernannt. Bei den Kämpfen an der Front in den Vogesen ist er am 22.6.1940 gefallen.
Q: V; Recherchen von Frau R. Hermann-Winter in Greifswalder Archiven, die sie mir übermittelt hat.
[1] Seinen Vornamen hat er in den frühen Arbeiten zu Kaare danisiert: er war mit einer Dänin verheiratet, der er seine Dissertation auch auf Dänisch widmet.
[2] Leipzig: Eichblatt 1930 (in der von Mackensen hg. Reihe „Form und Geist. Arbeiten zur germanischen Philologie").
[3] Mackensen war 1932 von Greifswald nach Riga gegangen.