Lewy, Julius
Geb. 16.2.1895 in Berlin, gest. 19.6.1963 in Cincinnati.
L. kam aus einer jüdischen Familie und war wie diese zionistisch orientiert; so war er auch mit einer Jüdin verheiratet (s. Hildegard Lewy). Er studierte Orientalistik/Semitistik (Schwerpunkt Assyriologie) in Berlin. Dort 1921 Promotion (Dissertation: »Das Verbum in den ›Altassyrischen Gesetzen‹ mit Berücksichtigung von Schrift-, Lautlehre und Syntax«).[1] 1922 habilitierte er in Gießen für Assyriologie, entsprechend seiner Beschäftigung mit Religions- und allgemeiner Geschichte wurde die Venia auf »Geschichte des Alten Orients« erweitert (er stellte insbes. eine umstrittene Theorie über ein altassyrisches Großreich auf). Seitdem lehrte er dort, seit 1930 auf einer Professur. Zugleich war er seit 1929 Kurator für die Keilschriftsammlung der Universität Jena. 1933 wurde er aus rassistischen Gründen entlassen und emigrierte nach Frankreich, wo er ein Jahr an der Sorbonne Assyriologie las und im Louvre Keilschrifttafeln faksimilierte (»Tablettes capadociennes«, Bd. 1, Nr. 1-81;[2] Bd. 2, Nr. 82-195, ebd. 1936, Bd. 3, Nr. 196-275 und Siegelabdrücke Nr. 1-113, ebd. 1937); die Bände enthalten jeweils ein Register mit Hinweisen auf Absender und Empfänger der Schreiben bzw. zu den Siegelführern, sonst aber keine Einleitung bzw. Kommentare. 1934 emigrierte er weiter nach Palästina (wohin früher bereits sein Vater emigriert war), wo er aber keine Stelle fand, daraufhin im gleichen Jahr weiter in die USA, wo er zunächst mehrere Gastprofessuren hatte (u.a. an Johns Hopkins). Aufgrund seines zionistischen Engagements hatte er Probleme, eine feste Anstellung zu erhalten (Meyer 1976: 360), bis er 1936 am Hebrew Union College in Cincinnati eine Professur erhielt (von wo aus er weltweit zahlreiche Gastprofessuren wahrnahm).
Seine Migrationsgeschichte hat seine wissenschaftliche Arbeit offensichtlich nicht sonderlich beeinträchtigt. Seine Publikationen, vor allem zu dem kulturellen Amalgam der assyrischen Außenprovinzen in Anatolien mit ihren semitisch-indogermanischen (hethitischen) Kultur- und Sprachkontakten, wurden in diesen Jahren selbst in Deutschland fortgesetzt (bes. zu den Ausgrabungen von Kültepe, die er 1925 schon besucht hatte). Hierzu hat er eine ganze Reihe grundlegender Editionen vorgelegt. Schon seine Dissertation berührte diesen Komplex – und auch die oben erwähnte Pariser Edition betrifft solche altassyrischen Texte aus Kültepe: sie steht in einer bruchlosen Reihe zahlreicher, z.T. monumentaler Editionen seit 1926, die wegen ihrer philologisch-sprachwissenschaftlichen Akribie als standardsetzend gerühmt werden, so vor allem auch die Editionen aus Privatsammlungen, in denen damals oft Expeditionsfunde landeten, z.B. die gründlich edierte, mit sprachwissenschaftlichem wie kulturgeschichtlichem Kommentar und faksimilierten Reproduktionen versehene Ausgabe »Die Kültepetexte aus der Sammlung Frida Hahn, Berlin«.[3] Seine Bemühung um eine umfassende kulturgeschichtliche Analyse zeigt sich auch in der Zusammenarbeit bei der Edition mit Georg Eisser »Die altassyrischen Rechtsurkunden von Kültepe« (mit Übersetzung und ausführlichem Kommentar),[4] deren rechtsgeschichtlicher Teil zugleich die Gießener Habilitationsschrift von Eisser (1898-1964) war.
L. war wohl schon früh eine unbestrittene Autorität – als Sprachwissenschaftler nicht anders denn als Kulturgeschichtler; so gehörte er auch zu dem festen Mitarbeiterstab des Chicagoer akkadischen Großwörterbuchs. Als praktizierender Jude las er auch über die biblischen Texte – mit der wissenschaftlichen Rigorosität des Sprachwissenschaftlers, der kulturgeschichtlich behutsam die Textüberlieferung zu erklären versucht, statt sie der Interpretation durch Emendierung zu opfern (so in seinen Arbeiten zu der masoretischen Überlieferung) – er blieb in den Worten von Petuchowski (Q) bis zuletzt trotz aller Erfolge in den USA »the European Herr Professor«.
Q: LdS: temporary; Jakob J. Petuchowski, »In memoriam J. L.«, in: Central Conference Amer. Rabbis Journal 11/1963: 4-5, Karl Hecker, »J. L.«, in: H. G. Gundel/P. Moraw/V. Press (Hgg.), »Gießener Gelehrte in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts«, Bd. 2, Marburg: Elwert 1982: 626-633; DBE 2005; Hanisch 2001: 53; E/J 2006; Ellinger 2006; Jewish Virtual Library (http://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/judaica/ejud_0002_0012_0_12442.html abgerufen am 10. Juni 2013).
[1] In vervielfältigter (handschriftlicher) Form als Heft I,4 der Berliner B. Kulturf., Berlin: Selbstverlag von H. Ebeling 1921.
[2] Paris: Geuthner 1935.
[3] Leipzig: Hinrich 1930.
[4] Leipzig: Hinrich 1930 (= Mitt. Vorderasiat.-ägypt. Ges. 33).