Liebenthal, Walter
Geb. 12.6.1886 in Königsberg, gest. 15.12.1982 in Tübingen.
L. brach sein Jura-Studium 1907 ab, um als Bildhauer tätig zu sein. 1914 wurde er mobilisiert, im Krieg verwundet und war 1918-1920 in französischer Gefangenschaft. Nach seiner Rückkehr nach Berlin hielt er sich und seine Familie mit unterschiedlichen Aktivitäten (vom Betrieb eines Kinos bis zur Schokoladenfabrikation) am Leben. Nebenher begann er sich mit dem Buddhismus zu beschäftigen. 1928 nahm er dann ein systematisches Studium der dafür einschlägigen Sprachen auf (Sanskrit, Pali, Chinesisch und Tibetisch), zunächst in Berlin, dann in Breslau, wo er 1933 mit einer indologischen Arbeit zur buddhistischen Philosophie promovierte (s.u.).
Betroffen von der rassistischen Verfolgung konnte er danach in Deutschland keine Anstellung finden. Deswegen emigrierte er nach China, wo er von 1934-1936 an der Universität Peking eine Forschungsstelle hatte und an einem Chinesisch-Sanskrit Wörterbuch arbeitete. Bei der japanischen Besetzung Pekings ging das Manuskript verloren. Von 1937-1946 lehrte er an den verschiedenen Standorten der ausgelagerten Universität Peking Sanskrit und Deutsch; außerdem hielt er sich verschiedentlich länger in buddhistischen Klöstern auf. Die Ergebnisse seiner Forschungen publizierte er 1948 in einem Buch über Chao (s.u.), mit dem er international als Sinologe bekannt wurde. 1952 folgte er einer Einladung auf eine Forschungsstelle an die Universität Santiniketan (Bengalen, Indien), der sich von 1955-1959 eine Professur für Sinologie-Indologie anschloß. 1959-1961 hatte er Gastprofessuren in Jerusalem und Paris. Seitdem lebte er in Tübingen, wo er von 1964-1967 eine Honorarprofessur für Sinologie wahrnahm.
L.s Arbeiten galten der Kultur- und Religionsgeschichte, mit einem Schwerpunkt bei philosophischen Fragen. Aber durch seine philologisch genauen Studien und seine (auch kommentierten) Übersetzungen sowie durch seine lexikographischen Studien ist er zu den Sprachforschern zu rechnen: s. bes. seine umfangreich eingeleitete und kommentierte Übersetzung »The book of Chao«,[1] die einen zentralen Text der buddhistischen Mystik textkritisch im »Urtext« zugänglich macht und vor allem im lexikalischen Bereich (in Hinblick auf die Sanskrit-Terminologie der Vorlagen) in den Anmerkungen erschließt (an dieser Übersetzung hat er seiner Vorbemerkung nach über 15 Jahre im Gespräch mit chinesischen und japanischen Kollegen gearbeitet).
Im gleichen Sinn sind die philologischen Anmerkungen in seiner Übersetzung mit Kommentar in seiner Dissertation »Satkārya in der Darstellung seiner buddhistischen Gegner«[2] oder seine Edition und Übersetzung (wieder mit philologischen, kulturgeschichtlichen und vor allem auch sanskrit-chinesischen lexikographischen Anmerkungen) einer weiteren mystischen Textsammlung »Yung-chia cheng-tao-ko«;[3] zuletzt etwa »Wu-men Hui-K'ai, Ch'an-tsung Wu-men kuan ›Zutritt nur durch die Wand‹«.[4]
Seine lexikographischen Arbeiten brachten ihn auch zur Auseinandersetzung mit formalen sprachwissenschaftlichen Problemen, s. bes. seinen Aufsatz »On Chinese-Sanskrit Comparative Indexing«,[5] mit einer kontrastiven Typologie von Übersetzungsproblemen in Hinblick auf die syntaktischen Probleme (Wortarten, flexivisch-markierte syntaktische Relationen im Sanskrit) und die Wortbildung (orientiert an der chinesischen Grammatik von von der Gabelentz); s. auch seinen Forschungsbericht »The Problem of a Chinese-Sanskrit Dictionary«.[6] Bei Übersetzungsproblemen argumentiert er mit der unterschiedlichen »inneren« Form des Deutschen und z.B des Indischen, s. etwa in dem Satkârya, S. 89. Daß er nicht im engeren Sinne zu den Sprachwissenschaftlern zu rechnen ist, zeigt seine Festschrift (1957, Q), in der, abgesehen von einem Aufsatz über tibetanische Lehnwörter im Mongolischen, kein Beitrag mit sprachlicher Thematik vertreten ist.
Q: BHE; K. Ray (Hg.), »Liebenthal-Festschrift«, in: Sino-India St. V/3-4, Santiniketan 1957; Wikipedia (abgerufen im April 2013).