Menzel, Theodor
Geb. 2.12.1878 in München, gest. 10.3.1939 in Kiel.
Nach dem Abitur Studium in München, zunächst der klassischen Philologie, dann der Jura und der Orientalistik als Vorbereitung auf den diplomatischen Dienst. 1902 studierte M. in Berlin am Seminar für orientalische Sprachen und legte eine Abschlußprüfung als Übersetzer für Türkisch ab. Nach der juristischen Promotion 1903 in München ging er zunächst in den juristischen Vorbereitungsdienst, siedelte dann 1904 nach Odessa um, wo er wohl eine Tätigkeit an der dortigen Universität bzw. am Museum hatte (u.a. hat er dortige türkische Inschriften bearbeitet). 1905 promovierte er ein zweites Mal in Erlangen in der Turkologie über türkische Literaturgeschichte (über den Roman von M. Tevfiq, »Ein Jahr in Konstantinopel«, dessen 6-bändige kommentierte Übersetzung ins Deutsche er 1905-1909 besorgte).
Im Ersten Weltkrieg war er zunächst als feindlicher Ausländer in russischer Kriegsgefangenschaft; nach dem Waffenstillstand entlassen, leistete er noch den deutschen Kriegsdienst, kehrte dann wieder nach Odessa zurück, wo er seit 1919 als Privatdozent, seit 1921 als Professor für Türkisch lehrte. 1922 kehrte er nach Deutschland zurück, wo er in Kiel 1922 zuerst Lektor für Türkisch wurde, 1924 habilitierte und seit 1926 eine Professur für islamische Philologie (seit 1929 als Ordinarius) bis zu seiner Emeritierung 1937 innehatte. Während dieser Zeit war er auch in sozialen Fragen der Studentenschaft engagiert. Als Direktor des Orientalischen Seminars führte er Veranstaltungen zum Türkischen durch, unterrichtete aber auch Arabisch.
Innerhalb der Turkologie ist M.s Rolle besonders durch seine explizite Hinwendung zum modernen Türkischen definiert; er verfaßte zahlreiche Übersetzungen und Ausgaben der modernen Literatur mit umfangreichen Glossaren und Erläuterungen, sowie vor allem volkskundliche Studien – wobei eine Tendenz zur Romantisierung des Volkes deutlich ist (dessen »Kultur« für ihn durch die Modernisierungsprozesse, insbes. auch die Alphabetisierung bedroht ist). Ergänzt werden diese Studien durch systematische Forschungsberichte und literaturgeschichtliche Darstellungen, die seine gründlichen Kenntnisse des Landes unter Beweis stellen, s. etwa »Meddâh. Schattentheater und Orta Ojunu«.[1]
Außer seinen handwerklich unter Beweis gestellten sprachwissenschaftlichen Analysen spricht für seine Einstufung als Sprachforscher auch, daß er an den ersten Internationalen Linguistenkongressen teilnahm. Entsprechend einer Bemerkung von Rypka (s.u.) war seine fachliche Ausrichtung vielleicht auch als Gegenreaktion auf die zu Beginn der Jahrhundertwende rein sprachwissenschaftlich ausgerichtete Turkologie zu verstehen (er rezensierte aber für Rypka fachlich einschlägige sprachwissenschaftliche Arbeiten, s. die Bibliographie, Q). Insofern spielen sprachwissenschaftliche Probleme (die er in der Lehre behandelte) in seinen Publikationen eine untergeordnete Rolle; eine Ausnahme bilden lexikographische Probleme, die bei seinen zahlreichen Texteditionen einen großen Raum einnehmen. Außer kulturgeschichtlichen Problemen im weiteren Sinne stehen volkskundliche Themen für ihn im Vordergrund, denen er ethnographisch nachging; Grundlage für seine Edition »populärer« literarischer Texte (darauf bezogen sind etwa Veröffentlichungen zum »Zecherwesen in Konstantinopel«, zur »Brautschau« u. dgl.). Jan Rypka rühmt ihn in seinem Nachruf als einen der großen Erneuerer der Turkologie.[2]
Seine Aufnahme in die Londoner »Lists of displaced scholars«, die seine Berücksichtigung hier begründet, beruht offensichtlich auf einer Fehlinformation der Londoner Agentur. Nach mündlicher Aussage von K. H. Menges hatte M. keinerlei Probleme mit dem NS-Regime; dafür spricht auch, daß er von 1934-1936 Dekan der Philosophischen Fakultät in Kiel war. Seine vorzeitige Versetzung in den Ruhestand hatte offensichtlich universitätsstrukturelle Gründe: mit den dadurch freiwerdenden Haushaltsmitteln wurde an der juristischen Fakultät ein Lehrstuhl für Bauernrecht eingerichtet.[3]
Q: LdS (1937): unplaced; Volbehr/Weyl 1956; J. Rypka, Nachwort in »Meddâh« (s.o.), S. IX-XIV (S. IX-X autobiogr. Lebenslauf; S. XVI-XX Bibliographie); Hanisch 2001; Ellinger 2006; Hinweise von K. H. Menges.
[1] Postum hg. von J. Rypka, Leipzig: Harrassowitz/Prag: Orientalisches Institut = Archiv Orientálni, Monogr. Bd. 10, 1941: XI-XIV; dort S. XV-XX eine Bibliographie seiner Veröffentlichungen.
[2] Erschienen im postum edierten Band »Meddâh« a.a.O.
[3] S. Universität Kiel: Fach und Geschichte der Islamwissenschaft (http://www.islam.uni-kiel.de/fach-und-geschichte, abgerufen am 10. Juni 2013).