Pachter, Henry M.
Geb. 22.1.1907 in Berlin, gest. 10.12.1980 in New York.
P. war Historiker, der nach einem Studium in Freiburg und Berlin 1929 mit einer Dissertation über den Vormärz an der Universität Berlin promovierte. Seit 1930 war er Assistent am historischen Seminar, daneben politisch engagiert im Feld sozialistischer Jugendgruppen und als Dozent für Abendkurse der Volkshochschule. Er war journalistisch tätig und publizierte nicht nur zu den politischen Verhältnissen in Deutschland, sondern früh auch zu den faschistischen Verhältnissen in Italien (später dann entsprechend im Exil zu Spanien). 1933 war er im Untergrund aktiv (in Opposition zu Gruppierungen der KPD, s. seine Autobiographie, Q),[1] auch noch nachdem er 1933 aus rassistischen Gründen entlassen worden war. Bis Juli 1933 publizierte er eine Untergrundzeitschrift.
Im Dezember 1933 emigrierte er mit der Unterstützung jüdischer Organisationen nach Frankreich, wo er von Gelegenheitsjobs lebte, publizistisch tätig war und auch an der Université populaire in Paris lehrte. 1939 wurde er interniert, konnte aber fliehen und sich eine Zeit lang im Untergrund verstecken, bis er 1941 in die USA emigrieren konnte. Dort lebte er von verschiedenen Jobs, unterrichtete an der New Yorker New School for Social Research, wo er eine enge Verbindung mit anderen politisch tätigen Emigranten hatte, und war schließlich für den amerikanischen Geheimdienst tätig (OWI und OSS).
In diesem Rahmen entstand sein »Nazideutsch. A Glossary of Contemporary German usage«.[2] Es ist im wesentlichen ein Glossar von Termini des publizierten zeitgenössischen Deutsch, die sich in zweisprachigen Wörterbüchern nicht finden (laut Vorwort geprüft an Cassel's »German-English Dictionary«); in einem ausführlichen Anhang (S. 71-128) gibt er Erklärungen zur Organisationsstruktur und politischen Institutionen des NS-Regimes (an diesem Teil hat wohl ein anderer Emigrant, K.O. Paetel [1906-1975], maßgeblich mitgearbeitet, der als Publizist tätig war).
Vorangestellt ist dem Glossar eine Studie »The spirit and structure of Nazi Language« (S. 5-15), die so ziemlich alle Topoi der konservativen Sprachkritik versammelt, die auch im deutschen Nachkriegsdiskurs die sprachliche Vergangenheitsbewältigung bestimmen (s. hier auch bei Marcuse).[3] Die »Nazisprache« wird charakterisiert als »destruction of language«, als Ausdruck eines bürokratischen Regimes, für dessen Sprachform die Dominanz von Nominalisierungen symptomatisch ist (»noun-disease«, S. 10), unpersönliche Ausdrucksweisen, Passivierung u. dgl., die auf den Nenner einer antirationalen Sprache gebracht werden (in diesem Sinne spricht er von »magic«). Bemerkenswert ist an der Darstellung der Hinweis auf die begrenzte Wirksamkeit dieser Sprachform, die sich an subversiven Praktiken der Verballhornung ihrer Terminologie und an Witzen zeigt (S. 14-15). Ihren Wert hat diese Zusammenstellung wohl bis heute noch durch die Dokumentation der zeitgenössischen Terminologie, deren relative Vollständigkeit der Auswertung von vorausgegangenen derartigen Dokumentationen zu verdanken ist (in diesem Sinne verweist P. auf eine solche Zusammenstellung der englischen BBC).
Nach dem Krieg war P. weiterhin publizistisch tätig, u.a. auch als USA-Korrespondent für deutsche Zeitungen. Von 1952 bis 1967 lehrte er an der New Yorker New School for Social Research, danach hatte er (bis 1978) verschiedene Gastprofessuren und Forschungsstipendien an anderen Universitäten der USA. Seine weiteren Publikationen sind breit gestreut im zeitgeschichtlichen Kontext (zu den Konstellationen des Kalten Krieges, insbesondere auch zu osteuropäischen Verhältnissen, zu denen er auch in Deutschland publizierte) und generell zu den Entwicklungen in Europa.
Sprachliche Fragen spielen dabei nur eine sekundäre Rolle, allenfalls in einem ideengeschichtlichen Zusammenhang wie in seinem Buch »Modern German. A social, cultural and political history«,[4] wo sich auch nur ein beiläufiger Hinweis auf sein Buch von 1944 findet. Eine aktive Rolle spielte er bei der Aufarbeitung der jüngeren Migrationsgeschichte der USA, vor allem mit einer autobiographisch angelegten Darstellung (Q) der widersprüchlichen Spannung von Exil (bei ihm ja auch im politischen Sinn) und regulärer Einwanderung, die eine Rückkehr ausschließt.
Q: BHE; Autobiographisches in Boyers: 12-51.[5]
[2] New York: Unger 1944 – vorher schon als interne Vervielfältigung »Dictionary of Nazi Terms«.
[3] Das gilt so z.B. für D. Sternberger u.a., »Aus dem Wörterbuch des Unmenschen«, zuerst 1945-1947, Neuausgabe Hamburg: Claasen 1967. Zu diesem diskursiven Zusammenhang s. Maas, »Sprache im Nationalsozialismus«, in: Sprache und Literatur 31/2000: 103-126; gekürzt auch als »Sprache in der Zeit des Nationalsozialismus«, in: W. Besch u.a. (Hgg.), [Handbuch] »Sprachgeschichte«, 2. Aufl., Berlin: de Gruyter 2000: Bd. II: 1980-1990.
[4] Boulder, Col.: Westview 1978.
[5] In diesem Band übersetzte er auch den Beitrag von Habermas zu Bloch.