Tille-Hankamer, Edda
(geb. Tille, Name zeitweise auch Hankamer)
Geb. 19.3.1895 in Glasgow,[1] gest. 29.1.1982 in Las Vegas/Nevada.
Schulabschluß in Berlin 1914. Danach Studium der Germanistik und Kunstgeschichte in Berlin und Bonn. Promotion in Bonn bei Frings 1920 mit der Dissertation »Zur Sprache der Urkunden des Herzogtums Geldern«.[2] Im Sinne ihres Doktorvaters analysierte sie für einen regional begrenzten Raum »kulturmorphologisch« die Umorientierung eines zunächst »ingwäonischen« Raumes auf das Deutsche. Anders aber als Frings operierte sie nicht mit Rückprojektionen aus dialektologischen Befunden, sondern analysierte die schriftliche Überlieferung in diesem bis in die Frühe Neuzeit niederländischen Raum in der detailliert beschriebenen Schreibpraxis – mit allen Widersprüchen (Umorientierungen, Unsicherheiten, Vermeidungspraktiken im Feld Niederländisch/Hochdeutsch, das letzte bestimmt vom Innovationszentrum Köln).[3] Insofern leistete sie einen Beitrag zur historischen Sprachsoziologie, in der Nachfolge der Pionierarbeit von Lasch.
Vor diesem methodischen Hintergrund erscheint die Einordnung in das Fringssche Programm etwas gewaltsam; sie paßt aber zu der »völkischen« Haltung, die sich bei ihr in gelegentlich pathetischen Anmerkungen verrät (etwa S. 5, 22). Nach der Promotion wurde sie Frings Assistentin[4] und hatte im Rahmen des Bonner landeskundlichen Großprojektes die Aufgabe, volkskundliche Befunde »kulturräumlich« zu kartographieren, s. ihre gemeinsame Publikation mit Frings »Kulturmorphologie«.[5] 1925 habilitierte sie in Köln (mit einer unveröffentlichten Arbeit »Studien zur Volkskunde des Rheinlandes«).[6] Das entsprach wohl auch ihrem Arbeitsauftrag am Bonner Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande, für den ein Aufsatz in der von ihr mitherausgegebenen Festschrift für P. Clemen steht: »Das Sankt-Martins-Lied«,[7] hinter dessen zersungener/zerreimter Form sie eine Tradition bis zurück zu altdeutschen Zaubersprüchen und ihrer Christianisierung rekonstruiert. Seit 1925 lehrte sie in Köln mit einer Venia für Deutsche Philologie mit besonderer Berücksichtigung des Rheinischen und Niederländischen.
Sie ging dann in die USA, wo sie 1926-1932 als Assistenzprofessorin der Germanistik am Wellesley College (einer Frauen-Hochschule in der Nähe von Boston) tätig war; von 1932-1933 als Lehrerin der deutschen Abteilung. In Köln war sie dafür beurlaubt. Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland ging sie mit ihrem Mann Paul Hankamer (den sie 1928 geheiratet hatte) nach Königsberg, wo sie wohl noch zur a.o. Professorin für Volkskunde ernannt wurde. Noch 1933 legte sie selbst ihre Venia nieder, um dem Entzug aus rassistischen Gründen (sie war »Nicht-Arierin«) zuvorzukommen,[8] und so wurde sie auch in den Londoner Listen der »Notgemeinschaft« geführt. 1938 emigrierte sie schließlich in die USA (wohl nach der Scheidung von ihrem Mann), wo sie zunächst von Gelegenheitsjobs lebte. 1939 erhielt sie eine Stelle als Lehrerin an einer privaten Schule in Richmond/Virginia, 1943 in New Hope/Pennsylvania. Erst 1945 kam sie wieder an eine Hochschule: 1945 an das kleine College Seton Hill in Greensburg/New Jersey, ab 1953 an die Univ. von Tennessee in Knoxville (1959 reguläre Professur); 1965 Emeritierung. Die für 1970 in Bonn vorgesehene Erneuerung ihres 50 jährigen Promotionsdiploms kam nicht zustande. Wissenschaftliche Publikationen nach der Zeit ihrer Bonner Mitarbeit am Fringsschen kulturmorphologischen Projekt habe ich nicht ermitteln können.
Q: V: Kürschner 1931-1983; Auskunft des Univ. Archivs Bonn (wo die älteren Unterlagen im Krieg vernichtet wurden); Boedecker/Meyer-Plath; IGL (M. Hinterberger).
[1] Ihr Vater war ein englischer Dozent für deutsche Sprache (1866-1912).
[2] Bonn/Leipzig: Schroeder 1925.
[3] Eine Kurzfassung ihrer Dissertation hatte sie bereits 1921 in der Zeitschrift für deutsche Mundarten veröffentlicht: »Niederfränkisch-niederländische Studien I. Wechselformen in der Geldernschen Urkundensprache, in: Z. f. dt. Mundarten 17/1921: 13-33.
[4] Bereits vorher arbeitete sie als wissenschaftliche Hilfskraft bei Frings, s. ihre Erwähnung in Th. Frings/J. Vandenheuvel: »Die südniederländischen Mundarten«, Marburg: Elwert 1921, S. xxvii.
[5] In: Teuthonista 2/1925-1926: 1-18.
[6] An deutschen Bibliotheken nicht nachgewiesen.
[7] Bonn: Fr. Cohen 1926: 55-63
[8] Grüttner/Kinas: 179. Das IGL (Q) vermerkt dagegen, daß ihr 1933 die Lehrbefugnis entzogen wurde.