Ben-Hajjim, Zecev
(früher: Wolf Goldmann)
Geb. 28.12.1907 in Mościska (Galizien/Öster.-Ungarn; heute: Mostiska, Ukraine), gest. 6.8.2013 in Jerusalem.
Studium in Breslau, 1932 mit der Promotion abgeschlossen. Die Dissertation »Die palmyrenischen Personennamen«[1] liefert ein Inventar der inschriftlich in Palmyra überlieferten aramäischen Namen und eine namenkundliche Analyse, einschließlich des römischen Einflusses, der Untersuchung von geschlechts- und schichtenspezifischen Unterschieden in Gebrauch u.dgl. (das Promotionsverfahren wurde erst 1936, nach Vorlage des Drucks, abgeschlossen). Gleichzeitig (1928-1933) studierte er auf der Jüdischen Hochschule in Breslau, wo er 1933 zum Rabbiner geweiht wurde.
Nachdem er bereits 1930 in Palästina gewesen war (mit einem Stipendium an der Hebräischen Universität Jerusalem), emigrierte er 1933 nach dort, wo er in der Miliz (Haganah), nach 1948 auch in der Armee war. Er war an der Hebräischen Sprachakademie tätig. In Jerusalem hatte er enge Beziehungen zu Bravmann (außerdem zu F. Rosenthal, dem er ebenso wie dem weiteren Herausgeber von palmyrischem Material, Cantineau, im Dissertationsdruck dankt). In Palästina, später Israel, war er in der konkreten sprachpolitisch-sprachpflegerischen Arbeit engagiert, wozu er zahlreiche Aufsätze veröffentlichte (insbes. in der Zeitschrift Lešonenu, s. seine Bibliographie dort Bd. 32/1967-68 u. 42/1978). Von seiner strikt philologischen Position aus nahm er in den sprachpolitischen Auseinandersetzungen um den Status des Ivrit eine explizite Gegenposition zu H. B. Rosén ein (s. bei diesem): Für ihn ging es um die normative Aufgabe, das klassische Hebräische gegen seine pragmatische Hybridisierung im Ivrit zu retten. Als zentrale Figur vor allem auch in der israelischen Akademie war für ihn die Wiederaneignung des biblischen Hebräischen als der Sprache der Juden das Ziel der israelischen Sprachpolitik (zu den Kontroversen s. dazu bei H. B. Rosén).[2] Auf der Grundlage seiner Arbeiten gab er das 1955-1965 erschienene Akademie-Wörterbuch des Hebräischen heraus, neben von ihm vorbereiteten Spezialwörterbüchern zu wissenschaftlichen Fachsprachen im Ivrit. Seit 1948 lehrte er an der Hebräischen Universität in Jerusalem (seit 1960 o. Professor). Seit 1961 war er Vizepräsident der hebräischen Sprachakademie in Jerusalem.
Sein spezifischer Forschungsschwerpunkt war die bewahrte hebräische Sprachtradition der Samaritaner (Gemeinschaft bei Nablus) und deren Verhältnis zur »heiligen Sprache« (i. S. der jüdischen Religion) der Pentateuch-Überlieferung, wie sie von den Masoreten vom 6. bis 9. Jhd. fixiert worden ist. Es handelt sich um eine jüdische Sekte, die sich in einer lokalen Enklave bewahrt hat (in den 1970er Jahren noch ca. 250 Menschen), die sich selbst als Nachfahren der Juden verstehen, die nicht ins babylonische Exil verschleppt wurden. Als eigene religiöse Gemeinschaft haben sie die orthodoxen Formierungsprozesse des Judentums, insbesondere die Etablierung eines kanonischen Textes (später durch die Masoreten), nicht mitvollzogen. Bei ihnen hat sich eine eigene Textphilologie herausgebildet, mehr oder weniger in direkter Auseinandersetzung mit der muslimischen für den Qur’an (Arabisch war ohnehin die Umgangssprache dieser Gmeinschaft). B.-H. hat im Sinne moderner Sprachwissenschaft eine systematisch synchrone Beschreibung dieser Sprachform gegeben und sie auf die verschiedenen rekonstruierbaren Stufen des Hebräischen bezogen. Im Gegensatz zur deutschen Semitistik (s. bei P. Kahle), die im Sinne des sprachwissenschaftlichen Positivismus die lebendige (mundartliche) Überlieferung hoch bewertete und so in der samaritanischen Sprachform den Ausgangspunkt für die Rekonstruktion des tatsächlichen Althebräischen (gegen die späteren philologischen Konstrukte der jüdischen Überlieferung) sah, »rettet« B.-H. mit sprachwissenschaftlichen Argumenten die Position der jüdischen Orthodoxie: Das Samaritanische ist demnach nur ein Zeuge für die spätere (wenn auch chronologisch vor-masoretische!) nach-althebräische Umgangssprache in Palästina; ihm kommt insofern kein Eigengewicht bei der Rekonstruktion des (Pentateuch-)Althebräisch zu, während es sehr wohl wichtig für die genaue Rekonstruktion der späteren Rechtsüberlieferung aus Palästina (Mischnah, seit dem 3. Jhd.) ist, s. in diesem Sinne seine Ausgabe (mit hebräischer Übersetzung) »The literary and oral traditions of Hebrew and Aramaic amongst the Samatarians«.[3] Der abschließende 5. Band enthält eine systematische strukturale Beschreibung (beim Lautlichen ausdrücklich »phonologisch«, also funktional, nicht naturalistisch-phonetisch, so Kap. 2 »Phonologie«, Einleitung), mit einem ausführlichen Formeninventar.[4]
Eine Schlüsselrolle spielt bei seiner Argumentation die Analyse der ältesten Handschriftenfunde aus dem 3. Jhd. (Qumran, »Schriftrollen vom Toten Meer«), in deren Sprachform, die einer damals exilierten Sektenbewegung, er Vorformen des heutigen Samaritanisch findet.
Abgesehen von den hier ausgetragenen religiösen Positionen sind seine Arbeiten von methodologischem Rigorismus bestimmt: Bei der Interpretation der Textbefunde operiert er mit der Annahme von phonologisch kontrollierten Schreibungen - gegen die in der Hebräistik übliche diffuse Argumentation mit einer phonetischen Interpretationsbasis, auf deren Grundlage deskriptive, historische und vor allem vergleichende Argumente vermischt werden. Gerade auch für diese methodologische Argumentation s. seinen (ursprünglich 1957 auf hebräisch in Jerusalem veröffentlichten) Beitrag: »La tradition samaritaine et sa parenté avec les autres traditions de la langue hébräique«.[5] Wo er sich systematischer zu methodologischen Fragen äußert, kritisiert er scharf die junggrammatisch-akademische Konstruktion von schematischen »Lautgesetzen«, denen gegenüber er die Widerständigkeit der Überlieferung betont - hier gelegentlich auch explizit mit Bezug auf den in diesem Sinne programmatischeren Yakov Malkiel, s. etwa »Mono- and bi-syllabic middle guttural nouns in Samatarian Hebrew«.[6] Sein Rang innerhalb der Hebräistik wird auch von seiner Mitarbeit an der Neubearbeitung von Koehler/Baumgartners »Hebräische(m) und Aramäische(m) Lexikon zum Alten Testament« unterstrichen, dessen 4. Band[7] ihn im Titel aufführt.
Q: BHE; Schriftenverzeichnis in: Lešonenu 64/2002: 201-226. Materialien im IfZ. Eine Würdigung von B. H. s Rang in der Judaistik findet sich im Artikel »Masorah« der E/J 2006, außerdem Kuzar 2001.
[1] Leipzig: Teicher 1935.
[2] Zu seiner Position in diesen Auseinandersetzungen s. Kuzar 2001, bes. S. 161-176; dort auch zu dem medialen Echo von. B.-H.s Position, mit dem sie noch drastischer, weniger wissenschaftlich distanziert vorgetragen wurden.
[3] Jerusalem: Bialik Institute u. Academy of Hebrew Language Bd. 1 u. 2/1957, Bd. 3/1961 mit ausführlicher sprachwissenschaftlicher und kulturgeschichtlicher Kommentierung, Bd. 4 und 5/1977.
[4] Von diesem Band stellte er auch eine englische Ausgabe her: »A grammar of Samatarian Hebrew: based on the recitation of the Law in comparison with the Tiberian and other Jewish traditions«, Jerusalem: Magnes Press 2000.
[5] In: Mél. de phil. et de litt. juives 3-5 /1958-1962: 89-128.
[6] In: J. Near Eastern Soc., Columbia Univ. 11/1978: 19-29, bes. S. 20 u. 29 - also in der Gedenkschrift für M. Bravmann.
[7] Leiden: Brill 1990.