Fritz, Kurt von
Der Vater war preussischer Berufsoffizier, der den Sohn ebenfalls für eine Offizierslaufbahn vorgesehen hatte, die F. 1911-1914 in die Kadettenausbildung führte. Aus gesundheitlichen Gründen gab F. diese Karriere auf. 1918 machte er in Freiburg das Abitur, mit einer naturwissenschaftlichen Ausrichtung. Um seinem Interesse für Griechisch im Studium nachzugehen, mußte er 1919 noch eine Ergänzungsprüfung machen. Er studierte dann Klass. Philologie, Philosophie, Arabistik und Mathematik in Freiburg/Br. und München. 1923 Promotion, danach Hauslehrer und im Schuldienst; später für die Vorbereitung der Habilitation beurlaubt. 1927 Habilitation in München (aufgrund fehlender materieller Unterstützung als Werkstudent). Seit 1931 war er Assistent an der Universität Hamburg. 1933 a.o. Professor für Griechisch in Rostock (nachdem dort Hermann Fraenkel aus rassistischen Gründen nicht berufen worden war).
Im August 1934 verweigerte er den Treueeid auf Adolf Hitler. Da er sich darauf berief, daß er als Professor auf die Wahrheit verpflichtet sei und daher nicht auf »die bedingungslose Vertretung bestimmt formulierter Lehren« verpflichtet werden könne, sah das Reichserziehungsministerium keine disziplinarrechtliche Handhabe gegen ihn. Darauf verfügte der Gauleiter direkt seine Versetzung in den Ruhestand mit auf ein Drittel gekürzten Bezügen.[1]
F. zog zur Familie seiner Frau nach Starnberg, wurde aber auch in seiner Privatgelehrtentätigkeit zunehmend behindert (u.a. Verbot der Bibliotheksbenutzung). Er bemühte sich vergeblich, wieder auf eine Hochschullehrerstelle zu kommen (u.a. in Dorpat und in Wien) und emigrierte schließlich 1936 nach England, wo er zunächst ein Stipendium, dann einen Lehrauftrag in Oxford für Geschichte der Mathematik erhielt (durch die Unterstützung durch Eduard Fraenkel). Im selben Jahr emigrierte er weiter in die USA, wo er zunächst verschiedene »Gastprofessuren« (faktisch: Assistentenstellen), 1937 dann eine Professur an der Columbia Univ. in New York erhielt, zeitweise in Verbindung mit der New School for Social Research. 1954 remigrierte er: zunächst als Professor an der Freien Univ. Berlin (wohin er schon vorher sporadisch aus Gründen der »Reedukation« von den USA geschickt worden war), seit 1958 o. Professor an der Univ. München.
Sein Werk ist sehr breit gespannt: von allgemein kultur- und geistesgeschichtlichen Arbeiten zur Antike über die Geschichte der Mathematik bis zur Philosophie (mit detaillierten Untersuchungen vor allem zu Platon, insbes. auch zu Platons »ungeschriebener« Lehre). Entsprechend seiner frühen Studienmotivation waren am Anfang die logisch-wissenschaftlichen Arbeitsgebiete dominant, in den USA kamen staatsrechtliche und historiographische Arbeiten hinzu (jetzt auch auf das Lateinische ausgedehnt), seit der Rückkehr nach Deutschland zunehmend auch literaturwissenschaftliche- bzw. literaturgeschichtliche.
In diesem Horizont unternahm er detaillierte sprachliche Untersuchungen und sicherte die Interpretation durch genaue etymologische und kontextuelle Analysen, so schon in seiner Dissertation »Quellenuntersuchungen zu Leben und Philosophie des Diogenes von Sinope«,[2] die eine akribische Quellenkritik der komplexen fragmentarischen Überlieferung dieses »Zynikers« leistete. Damit steht seine Arbeit gegen die in der Philosophie gängigen anachronistischen Interpretationsschemata; im Vordergrund stand für ihn die Beschäftigung mit mathematisch-naturphilosophischen Arbeiten bzw. Autoren, wie insbes. Platon, Aristoteles, Zenon, Demokrit, bei denen er die Argumentation auch formal vor dem Hintergrund neuerer mathematisch-geometrischer Theorien entwickelte, s. zusammenfassend seine »Schriften zur griechischen Logik. Bd. 1 Logik und Erkenntnistheorie«.[3]
Die wortgeschichtlichen Untersuchungen kontrollierte er systematisch am Wortfeld – sowohl im Kontext des jeweiligen Werkes wie synchron im Horizont der Überlieferung. In seinem frühen Buch »Philosophie und sprachlicher Ausdruck bei Demokrit, Plato und Aristoteles«[4] skizzierte er das Projekt einer umfassenden Untersuchung zu Sprachform und Denkform bei den griechischen Autoren, wobei er die verschiedenen philosophischen Typen unterschiedlichen sprachlichen Strukturen zuordnet (er spricht von der Rekonstruktion der »Arbeit am sprachlichen Ausdrucke«, S. 92). So untersucht er insbes. das Verhältnis terminologischer Neubildungen zum nicht-fachsprachlichen Vokabular, »volksetymologisierende« Einbindungen der philosophischen Artikulation in die Alltagssprache (so bei Demokrit, z.B. S. 25) gegenüber einer rein technischen Ausgestaltung eines terminologischen Systems (wie bei Aristoteles). Dieses Projekt stand offensichtlich in enger Verbindung zu Weisgerbers Sprachinhaltsforschung – Weisgerber hatte die Ausarbeitung wohl auch angeregt und für Wörter und Sachen vorgesehen, wie die explizit »freundschaftlich« und "kollegial« formulierten Vorbemerkungen an dessen Adresse im New Yorker Exil zeigen.[5] Es scheint, daß er diese Fragestellung in seinen späteren Arbeiten nicht mehr explizit, jedenfalls nicht systematisch weiterverfolgt hat.
Politisch war er konservativ geprägt durch das Elternhaus, wofür auch seine freundschaftliche Beziehung zu Weisgerber spricht (mit dem ihn wohl auch die gemeinsame Herkunft aus Metz verband).[6] Dafür, daß seine Protestgeste von 1934 aber nicht nur konservativ zu deuten ist, spricht sein späteres politisches Engagement, so z.B. sein öffentliches Eintreten für den Kampf gegen die Notstandsgesetze (1965).[7] So sehr er sich in den USA auch wohlgefühlt hat, so offensiv hat er auch die Auseinandersetzung mit der US-Kultur betrieben, z.B. als er wegen seines »europäisch-komplizierten« Sprachstils kritisiert wurde und diesen bzw. die Topoi der »Verständlichkeit« offen mit seinen Studenten bearbeitete (auch ein Indiz für seine Zugehörigkeit zur Sprachforschung!).
Q: LdS: temporary; BHE; DBE 2005; Autobiographisches im IfZ; Gedenkschrift »In Memoriam Kurt von Fritz 1900-1985« (München: Institut für Klassische Philologie 1986), dort Nachruf von W. Ludwig, S. 3-18, sowie Bibliographie.
[1] Ausführlich zum Verlauf dieses Konfliktes jetzt S. Müller: »Der nicht geleistete Eid des Rostocker Griechischprofessors Kurt von Fritz auf Adolf Hitler – ›preußisch-starre Haltung‹ oder staatsbürgerliche Verantwortung von Wissenschaft?«, in: Mitt. aus Mecklenburg-Vorpommern 9 (H. 2)/2005: 67-77; vorher schon Heidorn u.a. 1969, Bd. I: 265-266.
[2] Leipzig: Dieterich 1926.
[3] Stuttgart: Frommann-Holzboog 1978.
[4] Zuerst New York 1938, Repr. Darmstadt: Wiss. Buchges. 1963.
[5] Die Ablehnung der Veröffentlichung in WuS aus politischen Gründen exekutierte demnach der Herausgeber Güntert.
[6] F. kannte Weisgerber schon aus Rostock, wo dieser im übrigen auch in der Berufungskommission war, die F. nach dort geholt hatte.
[7] S. Heidorn u.a. 1969, Bd. I: 266 und auch Müller 2005 (s.o.), der auch von späteren Konflikten in Auseinandersetzungen mit der Studentenbewegung 1968ff. berichtet (Müller 2005: S. 73, FN 53).