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Hübener, Gustav

Geb. 4.7.1889 in Hamburg, gest. 30.9.1940 in Kanada.

 

Nach dem Abitur 1908 in Hamburg Studium der dt. Philologie, Anglistik, Volkswirtschaft, Geschichte, Philosophie und Psychologie in Ber­lin, Edinburgh, Paris und Göttingen (1909-1913). Promotion in der Anglistik 1913 in Göttingen, danach u.a. Militärdienst (1916-1918), seit WS 1918/1919 Lehrauftrag an der Univ. Göttingen und Vorbereitung der Habilitation, die 1920 mit einer lite­raturgeschichtlichen Arbeit erfolgte (s.u.). Seit 1921/1922 anglistische Lehrstuhlvertretung in Marburg; 1922 habilitierte er nach Marburg um (Habilitationsvortrag über die neuenglische Schriftsprache, s.u.). Danach Lektor für Englisch in Marburg; zum 1.10.1922 o. Professor der Anglistik in Königsberg, 1925 in Ba­sel, 1930 in Bonn. 1937 mit der Unterstützung der Carnegie Stiftung als »displaced scholar« Gastprofessur an der Mount Allison Univ. (Sackville, New Brunswick). Faktisch war es für ihn eine Emigration: er ließ seine Beurlaubung verlängern, kehrte aber auch nicht zurück, als die Ver­längerung 1938 nicht mehr genehmigt wurde. 1940 wurde er daraufhin (zum 1.4.1941) offiziell (in Unkenntnis seines zwischenzeitlichen Todes) entlassen.

In seiner Dissertation »Die stilistische Spannung in Miltons ›Paradise lost‹«[1] ist das Programm seiner späteren Arbeiten schon angelegt: eine ambitionierte Stiltheorie, die Stil einerseits in deskriptiver Hinsicht als Beschränkung über den grammatischen Optionen einer Sprache faßt, andererseits psychologisierende Erklärungen sowohl für die grammatischen Beschränkungen der sprachlichen Form im Volkscharakter wie für stilistische Beschränkungen im individuellen Charakter einer »schöpferischen Persönlichkeit« sucht. Theoretisch richtet sich sein Unternehmen gegen den damals im junggrammatischen Kontext üblichen Ansatz einer Syntaxanalyse als Anhang zur »Formenlehre« und den damit in der Regel verbundenen psychologisierenden Erklärungsversuchen im Wundtschen Fahrwasser einer Assoziationspsychologie (polemische Bemerkungen gegen eine solche »naturwissenschaftliche« Ausrichtung der Sprachwissenschaft durchziehen sein ganzes Werk). Ausdrücklich reklamiert er in seiner Dissertation und auch in den späteren sprachwissenschaftlich ausgerichteten Arbeiten Husserl als Grundlage, also ein Feldverständnis der sprachlichen Formgebung, das die syntaktischen und semantischen Bindungspotentiale der sprachlichen Formen rekonstruiert. Im Aufbau solcher Feldstrukturen sieht er den Ausdruck einer seelischen Haltung, für die er dann Belege durch Homologien mit anderen Kulturerscheinungen anführt (in der Dissertation z.B. zum Baustil, S. 57).

In diesem Sinne arbeitete er an einem ambitionierten Projekt »Grundriß der mittelalterlichen englischen Kultur«, das er in der Druckfassung seines Habilitationsvortrages ankündigt: »Scholastik und Neuenglische Hochsprache«.[2] Dort wendet er sich gegen die (nicht nur damals) verbreitete Vorstellung von der Entwicklung der modernen Nationalsprachen als einer pragmatischen Lösung von Verständigungsproblemen im überregionalen Verkehr, der er die kulturelle Arbeit an der sprachlichen Form entgegenstellt, die sich an dem Modell der lateinischen Bildungssprache abarbeitete, nachdem deren Domänen zunehmend »volkssprachlich« artikuliert wurden. Dadurch ist für ihn die englische Entwicklung auch nur eine Erscheinungsweise für einen übergreifenden europäischen kulturellen Prozeß.

Im engeren Sinne sprachwissenschaftlich ist in dieser Linie sein Versuch »Zur Erklärung der Wortstellungsentwicklung im Ags.«,[3] wo er in einer Sekundäranalyse der damals bereits umfassend vorliegenden statistischen Auswertungen altenglischer Texte den Wandel von der alten Verb-final-Stellung zur neuenglischen SVO-Stellung als einen Wandel von einem »pathetischen« zu einem »normalen«, verständigungsorientierten Stil rekonstruiert (s. besonders S. 291). Wie schon bei seiner Dissertation ordnet er dieses Unternehmen in eine völkerpsychologisch orientierte Sprachtypologie ein, wobei er Humboldt in der Steinthalschen Leseweise reklamiert, wie auch bei Lewy mit Byrne als Kronzeugen und schließlich auch mit Hinweisen auf Lewy selbst.[4] Ausdrücklich richtet er sich gegen andere Erklärungsversuche, insbesondere solche durch den Sprachkontakt (zum französischen Einfluß, S. 296), und operiert auch hier wieder mit ausgreifenden Homologien, so etwa in Hinblick auf die andere Entwicklung im Althochdeutschen (zur anglo-friesischen Landnahme S. 295).

Diese Untersuchung hat er später mit einer um einiges analytischeren Herangehensweise wieder aufgenommen in »Das Problem des Flexionsschwundes im Angelsächsischen«,[5] wo er den Änderungen im syntaktischen Bau ein Primat gegenüber dem Abbau der Flexionsmarkierungen einräumt. Er geht dabei von zwei syntaktischen Bautypen aus: einem losen Bau, bei dem die Abfolge von syntaktischen Köpfen und ihren Satelliten linear ist und in Kontaktstellung erfolgt, und einem gespannten Bau, bei dem das nicht der Fall ist: die Satelliten stehen voran und können insbesondere auch in Distanzstellung stehen. Nur der gespannte Bau verlangt eine reiche Flexion. Die Umstellung im syntaktischen Bau zeichnet sich nach den von ihm angeführten Befunden schon im frühen Mittelenglischen ab, ihre Grammatikalisierung erfolgt allerdings erst zu dem Zeitpunkt, als der Abbau der Flexionsformen alternative Ausdrucksmöglichkeiten nicht mehr zuläßt.

In seinen späteren Arbeiten dominieren zunehmend völkerpsychologisierende Argumentationsformen, als er sich vorwiegend mit literaturwissenschaftlichen Gegenständen beschäftigte, wobei dann die Beschwörung völkerpsychologischer Haltungen, etwa des germanischen »Tatwillens« im altgermanischen Epos, sich auch in seinem eigenen Sprachduktus spiegelt, vgl. etwa »Beowulf und die Psychologie der Stammesentwicklung«.[6] In der »jungrammatisch« orientierten zeitgenössischen sprachwissenschaftlichen Diskussion stießen H.s Arbeiten auf schroffe Ablehnung.[7]

 

Q: Wenig 1968; Haenicke 1981: 86; Archiv der Rockefeller Foundation; Hausmann 2003.



[1] Halle/S.: Niemeyer 1913.

[2] In: Germ.-rom. Ms. 10/1922: 88-101, hier S. 92 Fn.

[3] In: Anglia 39/1916: 277-302.

[4] Er schreibt »Levy« S. 295.

[5] in: Beitr. z. Geschichte d. dt. Spr. u. Lit. 45/1920: 85-102.

[6] In: Germ.-rom. Ms. 14/1926: 352-371.

[7] S. z.B. die Kritik von O. Behaghel, »Deutsche Syntax«, Bd. IV, Heidelberg: Winter 1932: *9-*10 (Vorwort).