Kronik, John (Karl)
Geb. 18.5.1931 in Wien, gest. 22.1.2006 in Los Angeles.
Vor der rassistischen Verfolgung emigrierte seine Familie mit ihm 1939 in die USA. Dort studierte er in New York und an der Universität Wisconsin, Madison, wo er 1953 den M.A. machte. Sein weiteres Studium wurde vom Militärdienst unterbrochen (Einsatz im Koreakrieg), und er promovierte erst 1960 als »GI-Veteran«. Er lehrte aber bereits vor Abschluß des Promotionsverfahrens seit 1958 an Universitäten in New York, dann seit 1963 in Urbana, Illinois (bis 1966), seit 1966 an der Cornell University (seit 1971 als Professor bis zu seiner Emeritierung 2001).
K. war Literaturwissenschaftler mit dem Schwerpunkt bei der neueren spanischen Literatur (Spanien und Lateinamerika), wozu er zahlreiche Arbeiten publizierte (sein favorisierter Autor war offensichtlich Benito Perez Galdós, 1843-1920). Er war eine Schlüsselfigur in der US-amerikanischen Hispanistik, der in zahlreichen Kommissionen und Tagungen aktiv war und von 1986-1992 auch als Herausgeber der Publ. Mod. Lang. Assoc. fungierte.
Entsprechend der Bedeutung der Sprachreflexion in der modernen Literatur sind sprachliche Probleme auch in seinem ausgesprochen umfangreichen Werk präsent (er war ein sehr produktiver Schreiber und Konferenz-Beiträger), ohne aber im engeren Sinne den Gegenstand seines Werks zu bilden. Zwar bezog er sich öfters auf die neuere Sprachwissenschaft, aber seine Verweise auf Saussure, Jakobson u.a. standen bei ihm für den Horizont einer umfassenden Semiotik, nicht für eine strukturale Analyse.
Das wird gerade auch da deutlich, wo er seine Interpretationen auf eine dichtere Leseweise der Texte gründet, z.B. bei »Lector y narrador«.[1] Er bestimmte die narrativen Mittel, mit denen die Autoren die Voraussetzungen für die Produktion einer Erzählwirklichkeit durch den Leser schaffen: explizite sprachliche Mittel wie die Selbstinszenierung des Erzählers mit eingeschobenen textkommentierenden Passagen, die Anreden des Lesers u. dgl., vor allem aber die impliziten Mittel, von der »freien« indirekten Rede über die Lücken und Brüche im narrativen Verlauf, die der Leser heilen muß, wodurch er die »Verantwortung« für den interpretierten Text übernimmt (S. 102).
Eine explizite Modellierung der narrativen Struktur findet sich bei ihm nicht, eben so wenig wie ein Bezug auf die jüngeren sprachwissenschaftlichen Analysen narrativer Strukturen. In anderen Arbeiten fehlt eine Analyse der sprachlichen Form ganz; dort bleibt es bei dem reklamierten intertextuellen Verweisungszusammenhang, der von ihm i. S. der jüngeren »poststrukturalistischen« Literaturwissenschaft gerne auch mit Metaphern wie »Hypertext« apostrophiert wird (s. die Einleitung in dem mit J. Brownlow hg. Band »Intertextual pursuits: literary meditations in modern Spanish«).[2]
Bei K. wird deutlich, wie in den großen Philologien die disziplinäre Ausdifferenzierung der Sprach- und Literaturwissenschaft dazu geführt hat, daß die in diesem Katalog genutzte Figur des Sprachforschers inzwischen obsolet geworden ist. K. berief sich gelegentlich ausdrücklich auf Auerbach (so z.B. in »La danza de las basuras: La poética de la descripción y el arte realista«),[3] mit dem er das Bemühen um eine Rekonstruktion der im literarischen Akt vom Leser produzierten Realität teilte, nicht aber die methodische Bindung des Unternehmens an eine sprachwissenschaftlich-philologische Analyse. Insofern steht K. hier für eine disziplinäre Grenzziehung, die bei der jüngeren Generation der Emigranten anders verläuft als bei der älteren Generation[4]. Allerdings gibt es im Werk von K. auch landeskundliche Beiträge, die Sprachprobleme thematisieren, vor allem solche der Mehrsprachigkeit, z.B. zur Rolle des Baskischen.
Q: Persönliche Informationen (Lebenslauf, Schriftenverzeichnis) von K.; Weibel/Stadler 1993; Nachrufe von F. Crawford im Cornell Chronicle Online v. 1.2.2006; C. J. Alonso, in: PMLA 121 (2)/2006: 558-560; R. Cardona, in: Bulletin of Spanish Studies: Hispanic Studies and Researches on Spain, Portugal and Latin America 83(4)/2006: 553-556;
D. Castillo/P. Lewis 2006, in: Cornell University Faculty Memorial Statement (http://ecommons.library.cornell.edu/bitstream/1813/19089/2/Kronik_John_W_2006.pdf
abgerufen am 11. Juni 2013); P. Meléndez, in: Latin American Theatre Review 39(2)/ 2006: 199-200.
[1] In: Y. Arencibia u.a., »Creación de una realidad ficticia: ›Las novelas de Torquemada‹ de Pérez Galdós«, Madrid: Castalia 1997: 79-114 – B. Pérez Galdós (1843-1920) gelten ohnehin eine ganze Reihe seiner Arbeiten.
[2] Lewisburg: Bucknell UP 1998: 11-25.
[3] In: Insula 502/1988: 1-2.
[4] Vgl. aber das andere analytische Profil hier bei Perloff.