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Auerbach, Erich

 

Geb. 9.11.1892 in Berlin, gest. 13.10.1957 in Wallingford/Connecticut.

A. studierte nach dem Abitur 1910 zunächst Jura und promovierte in Heidelberg 1913 mit einer Dissertation zum Strafrecht. Im Anschluß daran begann er nach 1913 mit einem romanistischen Zweitstudium in Berlin, das von seiner Kriegsteilnahme als Freiwilliger 1914-1918 unterbrochen wurde (er wurde verwundet). Nach dem Krieg setzte er sein Studium in Berlin fort,[1] ging mit seinem Lehrer Lommatzsch nach Greifswald und promovierte dort 1921 mit einer Arbeit »Zur Technik der Frührenaissancenovelle in Italien und Frankreich«.[2] 1922 legte er das Staatsexamen ab, absolvierte dann aber eine Bibliothekarsausbildung und war von 1923-1929 an der Preußischen Staatsbibliothek Berlin, seit 1927 als planmäßiger Bibliothekar, seit 1929 an der Universitätsbibliothek Marburg tätig (zwischenzeitlich für Studienaufenthalte in Frankreich und Italien beurlaubt). Hintergrund für den Wechsel waren Konflikte am Berliner Romanischen Seminar, wo Wechssler A. nicht erlaubte zu lehren. Vossler vermittelte ihm den Kontakt zu Spitzer (s. dazu die Briefe an Vossler).  In Marburg habilitierte er 1929 in Romanischer Philologie mit einer literaturwissenschaftlichen Arbeit über Dante (Betreuer und Hauptgutachter war Spitzer). Zunächst vertrat er im SS 1930 den vakanten Lehrstuhl von Spitzer, dann wurde er noch 1930 als dessen Nachfolger zum o. Professor ernannt.

Der literaturwissenschaftliche Schwerpunkt seiner Arbeiten ist bis dahin offensichtlich: Entschieden abgestellt auf ästhetisch goutierbare »Meisterwerke«, stellte er diese in einen historischen Zusammenhang i. S. der von ihm systematisch aufgearbeiteten historisch-hermeneutischen Tradition von Vico. Zu Vico war er über sein Studium bei Troeltsch gekommen (s. dazu Della Terza 1987); 1924 hatte er auch eine Teilübersetzung von Vicos »Neuer Wissenschaft« vorgelegt.[3] Die Auseinandersetzung mit Giambattista Vico (1668-1744) bestimmt sein ganzes Werk und gibt ihm eine sprachanalytische Ausrichtung. Von Vico nimmt er den grundlegenden Dualismus einer mehr intuitiven, im Alltag verankerten Sprachpraxis auf der einen und einem reflektierten, wissenschaftlich ausgebauten Umgang mit der Sprache auf der anderen Seite. Immer wieder veröffentlichte er Studien zu Vico, von denen er einige nicht zufällig Spitzer widmete, in der Auseinandersetzung mit dem er seine methodische Ausrichtung entfaltete,  so »Sprachliche Beiträge zur Erklärung der Szienza nuova in G.B.Vico«[4] und zuletzt noch postum einschienen »Vico’s contribution to literary criticism«, in der FS Spitzer (1958). Charakteristisch für ihn ist, daß er in seinem Aufsatz (1937) Spiegelungsbeziehungen zwischen Vicos Auffassung und der sprachlichen Form seines Textes nachgeht, vor allem in der Syntax: im Periodenbau. Schon für die Dissertation hatte er eine Stilanalyse als eigenen Teil geplant, hatte diesen dort aber noch aus arbeitsökonomischen Gründen zurückgestellt (a.a.O., S. 65). In dieser Hinsicht verschieben sich die Akzente in seinem späteren Œuvre, in dem er zunehmend philologisch genaue Textanalyse betrieb, die sich den globalisierenden Neigungen der »geisteswissenschaftlichen«/ »kulturkundlichen« Orientierung des Faches verweigerte (aufschlußreich in diesem Sinne ist seine Rezension von Vosslers »Racine und die Leidenschaften«).[5] So lagen bis dahin seine Arbeitsgegenstände auch im sprachwissenschaftlich anspruchsvollen Bereich der »Alten Abteilung« (seine forschungsorientierten Lehrveranstaltungen waren für Studenten offensichtlich eher abschreckend).[6]

1935, nach Aufhebung der Sonderregelung für Teilnehmer am Ersten Weltkrieg, wurde er aus rassistischen Gründen entlassen; 1936 emigrierte er über Italien in die Türkei. Er bemühte sich, die Auswanderung möglichst formal korrekt abzuwickeln und erhielt auch alle entsprechenden Genehmigungen, einschließlich der Zusicherung der gewahrten Ruhestandsbezüge (die ihm allerdings für die Zeit der Tätigkeit im Ausland nicht gezahlt wurden).[7] Zuletzt sorgte er noch dafür, daß sein Assistent Krauss mit der Vertretung seiner Marburger Stelle beauftragt wurde. An der Universität Istanbul trat er ein weiteres Mal die Nachfolge Spitzers an und stellte u.a. Anhegger, Tietze und Weiner als Mitarbeiter ein. In Istanbul firmierte er seit 1937 auch als Mitherausgeber der Istanbuler Fakultätsschriften. Unter den beschränkten institutionellen Bedingungen veränderte sich das Profil seiner Lehre zwangsläufig – abgesehen davon, daß er dort auch die praktische Fremdsprachenausbildung zu organisieren hatte. Er mußte gewissermaßen die gesamte westeuropäische Literatur vertreten. Wie auch bei Spitzer war seine Professur für »westeuropäische Philologie« denominiert. Das kam seiner Aversion gegen »kulturkundliche« Nationalphilologie entgegen und dem Bemühen, in der gemein-abendländischen Hochkultur einen Fixpunkt gegenüber der nationalistischen Politisierung der Wissenschaft (und der damit verbundenen eigenen Vertreibung aus Deutschland) zu finden. Vor allem mußte er das universitäre Curriculum sehr elementar aufbauen, wie sein Lehrbuch »Introduction aux études de philologie romane«[8] zeigt. Der literarische Schwerpunkt ist auch hier offensichtlich (126 von 216 Seiten); Sprachwissenschaft ist eher Hilfswissenschaft, die zusammen mit (umfangsmäßig wieder überwiegenden) kulturgeschichtlichen sowie weiteren Hilfswissenschaften eingeführt wird. Andererseits aber zeigte er hier eine bemerkenswerte Offenheit für die methodischen Entwicklungen der Sprachwissenschaft. Die Stilistik steht im Vordergrund (Vossler, Spitzer), daneben die Sprachgeographie und die Phonologie – also keineswegs die junggrammatische Tradition der Alten Abteilung (für sein systematisches Interesse an sprachtheoretisch-sprachsoziologischen Fragen zeugt auch der Briefwechsel mit Benjamin und vor allem mit Krauss).[9]

Sein Hauptwerk »Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur«[10] ist im Istanbuler Exil entstanden und verdankt seine Anlage den gleichen Faktoren: Im kursorischen Durchgang durch die abendländische »realistische« Literatur von der Antike (Homer) bis zur Gegenwart (1949 fügte er ein Kapitel zu Virginia Woolf an, der ursprüngliche Text endete mit einem Beispiel der Brüder Goncourt) zieht er eine kulturelle Höhenlinie in aristokratischer Distanz von den Niederungen (der Gegenwart wie der Sozialgeschichte!).[11] Methodisch reizt er die Interpretationsmöglichkeiten der Textbeispiele aus (er bekennt sich bewußt zu der »Methode« eines solchen »Spiels« mit dem Text, S. 517) und beansprucht die Interpretation gewissermaßen als Fortführung des gestaltenden Aktes des Autors. Dabei versteht sich eine philologisch genaue Arbeit am Text, die seine sprachwissenschaftliche Qualifikation unter Beweis stellt. Vergleicht man im Buch Passagen mit Parallelen in früher veröffentlichten Arbeiten, wird ein praktisches Moment seiner Istanbuler Arbeitssituation greifbar: ohne auf die großen philologischen Bibliotheken mit ihrer Fülle an Sekundärliteratur zugreifen zu können, konzentriert er sich auf die mikroskopische Analyse der Primärtexte, zwangsläufig auch auf deren sprachliche Form. Ein schönes Bespiel dafür ist das Kapitel »Farinata und Cavalcante«  (S. 167 – 194) zu einer Passage in Dantes Divina Commedia (Inferno, X), die Ausführungen in seinem Figura-Aufsatz (1937) aufnimmt, jetzt aber formal systematisch unterfüttert, indem er die spezifisch hybride Mischung von Stilelementen mit syntaktischen und lexikalischen Mitteln herausarbeitet,  z.B. ausgehend von allor surse … in Vers 52, das er mit »Da ist (Farinata, der) sich aufgerichtet hat« übersetzt, wobei er sich auf Parallelen im Stil von Ciceros Briefen, bei Plautus, im Altfranzösischen usw. stützt (S. 173). Damit wurde dieses Buch für die dominante »immanente Methode« der Literaturinterpretation der 50er und 60er Jahre bestimmend.

Die materialfundierten Analysen des Buches beruhen so auf den umfangreichen Vorarbeiten zu diesem Projekt, die er seit den 20er Jahren unternommen hatte (s. dazu Della Terza 1987); das Buch ist aber nicht nur in der Form von den Arbeitsumständen im türkischen Exil bestimmt (ein Anmerkungsapparat fehlt hier bei dem sonst so »strengen« Philologen ganz; s. auch seinen Hinweis, »daß das Buch sein Zustandekommen eben dem Fehlen einer großen Fachbibliothek [in Istanbul bei der Niederschrift 1942-1945, U. M.] verdankt«, S. 518).[12] Den kursorischen Durchgang durch 3000 Jahre Literaturgeschichte anhand exemplarischer Textanalysen verbindet A. hier mit geschichtsphilosophischen Entwürfen des 19. Jhdts., die in der älteren Literaturgeschichtsschreibung dominant waren – und gegen die er sowohl in seinen frühen Arbeiten vor dem Exil wie denn auch in seinen späteren Arbeiten mit philologisch-sprachwissenschaftlich streng kontrolliertem Vorgehen immer angegangen ist. Dieses Bemühen um eine universalgeschichtliche Vergewisserung, gewissermaßen im Herausspringen aus den zünftig-methodischen Zwängen, ist hier deutlich dem Trauma der Vertreibung aus der deutschen Universität bzw. ihrer Wissenschaft geschuldet: Von den ersten bis zu den letzten Seiten durchziehen Anspielungen auf den »erlebten« (so passim) Zusammenbruch der europäischen Kultur im »Nationalsozialismus« (vgl. S. 22) oder noch umfassender: im »Fascismus« (S. 512), den Text. Die hier bearbeitete Verletztheit des Autors zeigt sich am unmittelbarsten wohl da, wo er in für ihn ungewöhnlich heftigen Worten (»Dreistigkeit«, S. 377) bei Voltaire die Techniken der nationalsozialistischen Propaganda (»Scheinwerfertechnik«, S. 378) wiedererkennt (vgl. 376-381).

Der methodologische Hintergrund für sein Vorgehen findet sich in seinen begriffsgeschichtlich umfassenden Studien, die um den figürlichen Horizont der sprachlichen Zeichen/Texte kreisen, den Sinn, der ihnen jenseits der unmittelbar präsenten Bedeutung abzugewinnen ist, wofür er das Modell in der christlichen Textexegese sieht (die in den Figuren des Alten Testamentes das Neue symbolisch repräsentiert sieht, s. »Figura«).[13] Für sein Buch »Mimesis« reklamiert er später denn auch die »figurale Methode« als grundlegend (z.B. S. 74). Nicht von ungefähr widmete er eine solche Studie, die sprachliche Verweisungszusammenhänge auf der semantischen und der syntaktischen Ebene verfolgt, Leo Spitzer zu dessen 50. Geburtstag (s.o.).

Weniger programmatisch als vielmehr exemplarisch entwickelte A. so die »Neue Philologie« im Sinne Vosslers, die literarische Praxis als höchste Realisierung des menschlichen Sprachvermögens analysiert (das emphatisch universal verstanden ist – gegen die rassistischen Bornierungen seiner Lebensgeschichte auf der einen Seite, in der Konsequenz folgerichtig auf das Studium der Weltliteratur ausgerichtet auf der anderen Seite). Speziell setzte er sich dabei mit der kulturell immer neu bestimmten Reartikulation tradierter Vorgaben auseinander (für die Biographie des Exilanten charakteristisch): das Spannungsfeld von (heidnischer) Tradition der Antike, jüdischer und christlicher Kultur, das er vor allem in der immer wieder neu artikulierten Spannung von »sermo humilis« gegenüber elaborierten Kunstformen verfolgte (auch hier also wieder eine spezifisch christliche Tradition, grundlegend für die Homiletik), letztlich eben auch als Umsetzung seiner Auseinandersetzung mit Vico. Seine sprachwissenschaftliche Qualifikation demonstrierte er am deutlichsten in seinen wortgeschichtlichen Studien (wie z.B. in »Figura«, s.o.), bei denen er kulturelle Lehn- bzw. Replikprozesse in eben diesem Feld rekonstruiert. Beispielhaft dafür ist eine Kontroverse mit Lerch zum Terminus passio / Leidenschaft. A erkennt Lerchs gründliche Aufbereitung der Beleglage an, ist sich mit ihm auch darin einig, daß die Begriffsentwicklung in einem Spannungsfeld von Alltagssprache zur Bildungssprache (in diesem Fall: dem christlichen Diskurs der Kirche) zu analysieren ist. In einer deskriptiv genauen Analyse, die methodisch an den damals aufkommenden Wortfeldanalysen orientiert ist, arbeitet er die historisch verschobenen Feldstrukturen anhand der sich ändernden lexikalischen Kontraste heraus, ausgehend vom antiken Erbe mit gr. pathos / lat. passio mit seinen negativen und passiven Konnotationen zu dem modernen Leidenschaft mit seinem positiven und aktiven Bedeutungskern, in der jüngeren sprachlichen Schicht abgegrenzt vom neutralen affectus. Dabei zeigt er, daß, solange der kirchliche Diskurshorizont bestimmend war, passio nicht in der Lyrik als positiver Term verwendet wurde. Dieses Verhältnis kippte mit der spätmittelalterlichen Mystik um, in der die passio Christi und daran angelehnt die der Märtyrer dieses Bedeutungsfeld neu orientierten. So kann er gegen Lerch zeigen, daß die Umstellung der Feldstruktur erst im 16. Jhd. erfolgte, wobei er auch hier seinen europäischen Horizont unter Beweis stellt und z.B. auch die deutsche Tradition mit Meister Eckart heranzieht; in der Hauptsache stützt er sich aber auf die patristische Literatur in der Istanbuler Galata-Bibliothek,[14] s. dazu weitere seiner Kl. Schriften.

Schließlich diente ihm als Kontrolle der Freisetzung von Interpretationspotentialen (ganz i. S. der exegetischen Lehre vom mehrfachen Sinn der Werke) ein sprachsoziologisches Kriterium: Die Rekonstruktion der Wirkung der Texte auf ihre Leser. Diese Fragestellung leitete schon seine Dissertation, in der er den Wandel im Aufbau der frühen Novellen in Italien (Boccaccio) zu den späteren Texten bes. in Frankreich mit einer gewandelten Verfassung des Publikums erklärt (insbes. was das andere Frauenbild betrifft). In seinem ausdrücklich als (unter günstigeren externen Bedingungen) fundierteres Folgeprojekt zum »Mimesis«-Buch präsentierten »Literatursprache und Publikum in der Spätantike und im Mittelalter«[15] rekonstruierte er über die Abhängigkeit der Autoren von ihrem Publikum – explizit gegen unsoziologisch-geisteswissenschaftlich argumentierende Autoren wie Burdach gerichtet (S. 251) und in Übereinstimmung mit dem Projekt seines germanistischen Kollegen Schirokauer (S. 252), die frühe romanische Literaturgeschichte als Ausdruck des so erzwungenen Ausbaus der regionalen Umgangssprachen (s. bes. 242ff.), bei dem inhaltlich die Kontinuität zur antiken Überlieferung gewahrt wurde (wenn er dabei gelegentlich strikt ökonomisch argumentiert, ist ihm das Anlaß, sich von marxistischen Argumentationsfiguren abzugrenzen, s. z.B. S. 21 u.ö.). Philologisch detailliert zeichnet er die Verschiebungen nach: in der spätlateinischen Predigtliteratur nicht anders als in der Heldenepik und schließlich bei seinem Promotionsgegenstand: der Renaissancenovelle, mit dem signifikanten Umschlag da, wo Figuren aus dem Volk nicht nur sprachlich charakterisiert werden, sondern den Erzählstil selbst prägen. Auch die am Ende seines Untersuchungszeitraums aufkommende bürgerliche Gesellschaft (deren kulturelle Anfänge in den mittelalterlichen Städten die Moderne bestimmten, S. 208ff.) steht für ihn noch in dieser Traditionslinie der Antike – den Bruch diagnostiziert er erst im 19. Jhd. und der Gegenwart mit ihren kulturellen Nivellierungen, die für ihn in der marxistischen Bewegung besonders bedrohliche Formen angenommen haben (S. 255). Gerade weil dieses Buch mit »Mimesis« die entwicklungsgeschichtliche Sichtweise teilt, ist der methodische Unterschied zum kursorisch-projektiv argumentierenden frühen Exilbuch greifbar: Nicht von ungefähr nennt er denn hier auch in der Einleitung neben Spitzer und Vossler ausdrücklich den positivistisch-philologischen E. R. Curtius als Vorbild (S. 9).[16]

Mit diesem Buch wurde er vor allem auch für Krauss bestimmend, der schon wegen A.s streng analytischen Arbeitsweise von Vossler zu A. nach Marburg gegangen war. Krauss setze sich lebenslang damit auseinander und legte es insbesondere auch beim Neuaufbau des romanistischen Studiums in Leipzig zugrunde, wobei er die sprachwissenschaftlichen Implikationen vereindeutigte. A. ist seinem Bemühen um eine »strenge« Kontrolle im Material einer Stilanalyse in seinem US-amerikanischen Exil systematisch nachgegangen, wohin er wiederum 1947 Spitzer folgte. Mit den Verhältnissen in der Türkei war er offensichtlich sehr anders umgegangen als Spitzer, der auf seine Art mit Erfolg versucht hat, ihnen etwas abzugewinnen. A. blieb nicht nur distanziert und beschränkte sich auf den engen Kreis seiner Mitarbeiter und SchülerInnen (er versuchte wohl auch nicht, Türkisch zu lernen); er sah in der kemalistischen Modernisierung, der er seine Stelle verdankte, vor allem den Bruch mit der kulturellen Tradition der Gesellschaft und den Oktroi eines fremden Modells, die für ihn nur ein kulturelles Vakuum schaffen konnten, dessen Ausdrucksformen er im universitären Alltag diagnostizierte (deutlich in den Briefen aus dieser Zeit).[17] Seine Briefe aus Istanbul machen deutlich, wie sehr er unter der Exilsituation dort gelitten hat – bei aller Dankbarkeit für die damit gebotene Überlebenschance. Allerdings ist auch deutlich, daß er sich mit den Verhältnissen arrangieren konnte, die ihm zuweilen sogar den Lebensbedingungen in den USA vorzuziehen erscheinen (so an Vossler am 8.6.1938). Gleich nach Kriegsende ventilierte er bei seinen Kontakten in Deutschland, vor allem bei Krauss, die Möglichkeit einer Rückkehr nach Deutschland. Krauss bemühte sich intensiv darum, aber A. lehnte die zunächst allein praktikable Variante einer Gastprofessur in Berlin ab und bestand auf einem Ruf auf einen Lehrstuhl.[18] Unter den gegebenen Bedingungen sah A. es als realistische Option für eine Rückkehr nach Deutschland an, zunächst in die USA zu gehen. Im August 1947 gab er seine Stelle in Istanbul auf (formal wurde er beurlaubt) und reiste, zunächst noch ohne eine Stelle zu haben, in die USA, wohin früher schon sein Sohn zum Studium gereist war. Anfang 1948 erhielt er eine Stelle am State College von Pennsylvania, wo die Einstellung zunächst allerdings noch wegen des geforderten Gesundheitszeugnisses Probleme machte.

Obwohl er sich dort wissenschaftlich unterfordert fühlte, lebte er sich zunehmend in die Verhältnisse in den USA ein, und sogar der elementare Französisch-Sprachunterricht machte ihm »Spaß« (Brief an Krauss vom 6.7.1948). 1949 erhielt er eine Forschungsstelle in Princeton, 1950 wurde er Professor für mittelalterliche Literatur in Yale. Nach H. Peyre litt er darunter, daß er nicht am Wiederaufbau der deutschen Universitäten teilnehmen konnte: demnach waren es wohl vor allem gesundheitliche Probleme, die ihn daran hinderten. Politische Gründe waren es jedenfalls nicht: er konnte Krauss in dessen Darstellung der Restauration in Westdeutschland offensichtlich nicht folgen – und den Verhältnissen in der SBZ bzw. der DDR stand er als »Libertärer« ablehnend gegenüber. Er zeigte sich ausgesprochen besorgt um das Schicksal der Kollegen, die er persönlich kannte, vor allem war er fürsorglich gegenüber Krauss, dem er »Care-Pakete« schickte (vorher schon aus der Türkei). Auf Versuche einer politischen Abrechnung nach 1945, etwa in Kahles Buch (1945), reagierte er ablehnend: dieses bezeichnete er als »absurde Broschüre« und »verantwortungsloses Geschwätz«.[19] In jüngerer Zeit ist der Verweis auf A. vor allem auch fachübergreifend zu finden. Der Ausgang dazu war das einflußreiche Buch von Edward Said zum Orientalismus, der A als den (entsprechend idealisierten) Gegenpol zu den westlichen Orientalisten aufgebaut hat, denen eine vergleichbare universale Offenheit des analytischen Horizonts abgeht, wobei für Said A.s Umgang mit seiner Exilsituation in der Türkei eine Schlüsselrolle hatte.[20]

Q: LdS: unplaced; BHE; DBE; Gundlach/Auerbach 1979; H. Peyre, in: Schnack 1977: 10-21; Christmann/Hausmann (Hgg.) 1989: 270-271; Briefausgaben (zitiert nach den Briefpartnern): Benjamin (S. K. H. Bark, »Fünf Briefe A.s an W. Benjamin in Paris«, in: Z. f. Germanistik 9/1988: 688-693); Hellweg (M. Vialon [Hg.], E. A.s Briefe an Martin Hellweg [1939-1950], Tübingen: Francke 1997); Krauss (K. H. Barck [Hg.], Eine unveröffentlichte Korrespondenz: E. A. und Werner Krauss, in: Beitr. Roman. Ph. 27/1988: 161-186 und 26/1987: 301-326); Vossler (M. Vialon [Hg.], Und wirst erfahren wie das Brot der Fremde so salzig schmeckt. Erich Auerbachs Briefe an Karl Vossler 1926-1948, Warmbronn: Keicher 2007. Bio-Bibliographische Angaben in: Stauth/Birtek 2007: 275-279; Bibliographie in: Schalk/Konrad (Hgg.), »Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie«: 365-369, Bern: Francke 1967 (zitiert als Kl[eine] Schr[iften]); sowie in der B/J2; S. Sobecki in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 26/2006: Sp. 55-71 mit einem ausführlichen Verzeichnis des Sekundärschrifttums (http://www.bautz.de/bbkl/a/auerbach_er.shtml, Jan. 2009); H. J. Neuschäfer »Sermo humilis. Oder: was wir mit E. A. vertrieben haben«, in: Christmann/Hausmann (Hgg.) 1989: 85-94; K. H. Barck, »Flucht in die Tradition«. Erfahrungshintergründe E. A.s zwischen Exil und Emigration, in: Dt. Vj.schr. f. Lit.w. u. Geistesgesch. 68/1994: 47*-60*. Unter literaturwissenschaftlicher Perspektive s. Coser 1984: 262-264; und auch nahezu ausschließlich so bei den Beiträgen in K. H. Barck / M. Treml (Hgg.), E. A. Geschichte und Aktualität eines europäischen Philologen. Berlin: Kadmos 2007. Einen hübschen Querschnitt durch A.s Werk gespiegelt an seiner Rezeption bietet B. Dotzler / R. Stockhammer (Hgg.), Auerbach-Alphabet. K. H. Barck zum 70. Geburtstag. Berlin: Trajekte Sonderheft 2004. Speziell zur Wirkung im US-amerikanischen Exil s. H. Levin, »Two Romanisten in America: Spitzer and Auerbach«, in: Fleming/Bailyn 1969: 463-484.

 


[1] In seinem Lebenslauf bezeichnet er als seine Lehrer Lommatsch, Wagner, Norden und den Philosophen Troeltsch.

[2] Nachdruck Heidelberg: Winter 1971.

[3] Diese Ausgabe bleibt auch noch für jüngere sprachphilosophische Arbeiten grundlegend, s. z.B. K. O. Apel, »Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico«, Bonn: Bouvier 1963, bes. S. 319.

[4] Zuerst 1937 im Arch.Rom 21: 173-184, wieder in Kl.Schr.: 251-258, mit einer Widmung »Leo Spitzer zum 50. Geburtstag«.

[5] In: Germ.-rom. Ms. 14/1926: 371-380.

[6] Zur Affinität seiner ersten beruflichen Optionen (Jura, Bibliothekswissenschaft), zu seiner Art, Wissenschaft zu betreiben (vor allem auch im Gegensatz zu Spitzer), s. H. U. Gumbrecht, »›Pathos des irdischen Verlaufs‹. Erich Auerbachs Alltag«, in: Fürbeth u.a. 1999: 649-664.

[7] Nach dem Krieg strengte er erfolglos ein Wiedergutmachungsverfahren an, um sich seine Ruhestandsbezüge ausbezahlen zu lassen. Noch während des Weltkriegs waren ihm diese Ansprüche vom zuständigen Ministerium bestätigt worden, nachdem das Deutsche Generalkonsulat in Istanbul ihm ein korrektes »unpolitisches« Verhalten bescheinigt hatte, s. dazu Barck 1994 (Q).

[8] Frankfurt: Klostermann 11949, 31965 – der Text war seit 1944 auf Türkisch als Lehrbuch in Istanbul in Gebrauch (Roman Filojisine Giriş). Er ersetzte ein Skript, das vorher Spitzer zum gleichen Zweck verfaßt hatte, s. Konuk 2005: 39.

[9] Einen Versuch einer systematischen Würdigung des sprachwissenschaftlichen Teils der »Introduction« hat A. Steffenelli, »Ein Werk aus dem Exil: E. A.s ›Introduction aux études de philologie romane‹«, in: Christmann/Hausmann (Hgg.) 1989: 95-106, unternommen.

[10] Bern: Francke 11946, 71982; Seitenangabe nach der 7. Aufl.

[11] Aufschlußreich zum Hintergrund seiner Ablehnung der modernen »Esperanto-Kultur« (wozu er auch Atatürks Modernisierungsbemühungen in der Türkei rechnete) ist sein Briefwechsel mit Benjamin.

[12] Diese Bemerkung im Nachwort hat eine geradezu eponymische Rolle in der jüngeren Diskussion um eine vergleichende Literaturwissenschaft bekommen: E. Said u.a. sehen von daher in A.s Buch deren Gründungsakt, in dem hier in der Distanz des Exils die Lösung von nationalen Bindungen und damit die Offenheit für universale Horizonte geschaffen wird, s. Apter (2003), die auf das Moment der Selbststilisierung darin verweist. Auch der Literaturzugang in Istanbul war für A. bei weitem nicht so dramatisch reduziert, wie dieser es dort andeutet: Er hatte z.B. einen recht guten Zugang zu der für ihn wichtigen patristischen Literatur in der Klosterbibliothek in Galata.

[13] Zuerst 1939, nachgedruckt in seinen »Gesammelten Aufsätzen zur romanischen Philologie« (hgg. von F. Schalk/G. Konrad), Bern: Francke 1967: 55-92. Auf diesen Aufsatz verweist A. auch in »Mimesis« öfters als Schlüssel zu seiner methodischen Konzeption, vgl. etwa S. 74 und 516.

[14] »Passio als Leidenschaft«, in PMLA 56 / 1941: 1179-1196. Spitzer dürfte bei dieser Publikation in den USA (von Istanbul aus!) eine vermittelnde Rolle gehabt haben. Ihm dankt A. dort auch für konkrete Hinweise (FN 6).

[15] Bern: Francke 1958.

[16] Zu diesem Aspekt in A.s Werk s. z.B. P. Jehle, »E. A. – ein europäischer Philologe«, in Fürbeth u.a. 1999: 985-997.

[17] Die neuere Diskussion bescheinigt ihm in dieser Hinsicht allerdings einen realistischeren Blick auf die türkischen Verhältnisse, als Spitzer ihn hatte (der allerdings ja auch nur eine kurze Zeit in der Türkei war), s. Konuk 2005 und Vialon 2007.

[18] Brack druckt mit der Briefedition auch den entsprechenden Antrag von Krauss vom 20.3.1949 ab. Der Briefwechsel zwischen beiden bricht danach ab. Nicht zu klären war, was es mit einem Ruf für A. nach Münster auf sich hat, den A. in einem Brief an Krauss vom 22.2.1947 erwähnt. Auch in der Universität Marburg gab es wohl versuche, A. zurückzuberufen.

[19] So in einem Brief an Hellweg, datiert Ostern 1948. Ausschlaggebend war für ihn offensichtlich die aus seiner Sicht falsche Darstellung des von ihm geschätzten Marburger Anglisten Deutschbein bei Kahle.

[20]  E.W. Said, Orientalism, London 1978, zahlreiche Neuauflagen z.B. London: Penguin 2003, s. dort bes. S. 258 ff. aund auch im Vorwort zur Neuauflage (2003), S. xix.