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Vossler, Karl

Geb. 6.9.1872 in Hohenheim (bei Stuttgart), gest. am 18.5.1949 in München.

 

V. war als Philologe breit ausgewiesen. Promotion in der Germanistik 1897 in Heidelberg. Die Dissertation »Das deutsche Madrigal, Geschichte seiner Entwickelung bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts«[1] führte die Struktur dieser bis ins 18. Jahrhundert beliebten Gattung auf ihre italienischen und französischen Vorlagen zurück (besonders auch in der metrischen Form) und faßt so die nationale Literaturgeschichte in einem damit inkongruenten Bezugsrahmen. Daran schlossen eine Fülle größerer und kleinerer Arbeiten zur neueren deutschen Literatur(geschichte) an, bes. zu intellektuellen Größen wie Goethe und Hölderlin, bei denen er auch an editorischen Unternehmungen beteiligt war, vor allem aber durch romanistische Arbeiten, wobei Italien einen Schwerpunkt bil­dete,[2] daneben in der frühen Zeit altprovenzalische (Trobador-) und franzö­sische Literatur, später stand spanische Literatur im Zentrum.

Nach der Promotion war er in Heidelberg Assistent am Romanischen Seminar, wo er v. a. mit Italienischkursen befasst wurde, also dem Bereich jenseits der auf das Französische ausgerichteten Aufgaben des Ordinarius. 1900 habili­tierte er für Romanische Philologie (mit einer Arbeit über poeti­sche Theorien in der italienischen Renaissance). 1902 Ernennung zum a.o. Professor, 1909 Ordinarius für Romanische Philologie in Würzburg, 1911 in München, wo er bis zu seinem Lebensende blieb. 1926/27 war er dort Rektor. Hier wurde jetzt für den Ordinarius V. das Französische zu einem Hauptarbeitsgebiet.

Den Ersten Weltkrieg hatte V. als Frontoffizier mitgemacht; dessen Ende erlebte er 1918 als traumatisch erfahrene Niederlage, die sein späteres Verhältnis v. a. auch zu den Kriegsgegnern Frankreich und Italien nachhaltig beeinflusste. Er war ein konservativer Intellektueller, der das (Selbst-)Bild eines überpolitischen homme-de-lettre pflegte – der es aber auch auszufüllen verstand. Ihm war nichts mehr zuwider als die moderne »Massenzivilisation«; die Bedrohung der Kultur sah er in der Gleichmacherei, deren Anfang in Deutschland für ihn die November-Revolu­tion war, deren Folgen im sprachlichen Bereich für ihn im kul­turell konturenlosen Esperanto sinnfällig wurden, gegen das er bis in die letzten Jahre zu Felde zog (Esperanto und kommunistische Ge­sellschaftsveränderung waren für ihn offensichtlich eng assozi­iert).[3] Patriotische Hin­weise auf das Reich, auf Bismarck, das bayrische Königshaus, be­vorzugte Bilder aus der Militärszenerie des ersten Weltkrieges verweisen auf seine deutschnationale Gesinnung.[4]

Aber V. war ein engagierter Antifaschist, für den die Herrschaft spießeri­scher Denkweisen, oder besser: gärender Ressentiments, vor allem des Rassismus, die gesellschaftliche Bedrohung der 20er Jahre wa­ren, gegen die er öffentlich auftrat. Als große Ausnahme unter den damaligen Hochschullehrern war er aktiv in dem Kampf gegen den Antisemitismus, zu dem er polemische Beiträge in breiten Publikationsmedien beisteuerte, z.B. »Reine Sprache – reine Rasse«;[5] er engagierte sich im Verein zur Abwehr des Antisemitismus, für den er als Redner auftrat und in dessen »Abwehrblätter« er publizierte (z.B. mit einer Stellungsnahme in Nr. 40/1930).[6] So insbesondere auch als er (wohl als einer der renommiertesten Vertreter der Münchener Universität) 1926 zum Rektor gewählt wurde.

Seine Rektoratsreden sind deutlich (ei­nige davon 1927 nochmals gesammelt publiziert: »Politik und Geistesle­ben«.)[7] Er beschwört vor den Studenten die Pflicht zum Denken gegen »Biertischdenken« (14), »philiströsen« Provinzialismus (14), dessen Ausdruck vor allem der Rassismus ist. Als die »arischen« Korporationen sich weigerten, mit jüdischen Studenten gemeinsam aufzutreten bzw. jüdische Stu­denten ausschlos­sen, stellte V. ihnen das Ultimatum, diese Maßnahmen rückgän­gig zu machen – oder bei akademischen Feierlich­keiten nicht mehr »chargiert« in Erscheinung zu treten (die Korpo­rierten entschieden sich für das zweite). Aus der entsprechenden Rede aus dem Jahr 1926 verdient ein längeres Zitat den Wie­derabdruck: »Sie wer­den nun einwenden, meine Herren, daß trotz alldem (V. hatte vorher die Leistung der jüdischen Deutschen im Ersten Weltkrieg und im Osten hervorgehoben, der dank ihrer nicht »vom Slaventum überschwemmt worden« sei [!], U. M.) der Jude ein Fremder sei für den Deutschen: fremde Rasse, fremdes Blut. Von der Rasse lassen Sie mich schweigen, denn dies ist ein zoologisches, kein humanes Argu­ment, und wer sich im menschlichen Tierreich zu bewegen wünscht, der mag immerhin sich vor den Juden verschließen, als vor einer Tiergattung, die seiner (Hervorhebung im Text, U. M.) Tiergattung schädlich ist. Aber eine Universität ist keine Menage­rie« (a.a.O., S. 21). Damit provozierte er nationalsozialistische Angriffe, v.a. Dingen vom nationalsozialistischen Studentenbund.[8]

Seiner politischen korrespondierte auch seine praktische Haltung gegenüber Verfolgten, auch wenn diese dann nach der Shoah von ihm eine »heldenhaftere Haltung« verlangt haben (s. hier bei Klemperer, Spitzer). Diese Haltung galt im übrigen nicht nur rassistisch, sondern auch politisch Verfolgten, s. bei W. Krauss. Gleiches gilt auch für seine fördernde Rolle gegenüber weiblichen Studierenden, s. hier bei Bach (Eisenberg).[9] Diese Gegnerschaft zum Faschismus setzte ihn Verfolgungsmaßnahmen aus, die seine Aufnahme hier begründen. Im September 1937 wurde er emeritiert und zunächst auch mit der Vertretung seiner freigewordenen Stelle beauftragt, die erst im Oktober 1938 mit Rohlfs wiederbesetzt wurde. Die Verlängerung des Vertretungsauftrages wurde aber im SS 1938 aus politischen Gründen verweigert. Auch in diesem Fall wurde die politische Repression im öffentlich sichtbaren Lehrbetrieb anders gehandhabt als im weniger öffentlichen Wissenschaftsbetrieb. So zog ihn auch in der Folgezeit der Rektor Wüst bei Habilitationsverfahren hinzu, u.a. bei dem strittigen Verfahren mit Schmidt-Rohr. Er war weiterhin in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften aktiv und auch in der politisch exponierteren Deutschen Akademie in München, bei der er als Gegenspieler von Haushofer auftrat.[10] Die politisch widersprüchlichen Verhältnisse spiegeln sich in den Vorgängen um seine späteren Auslandsreisen (v.a. nach Italien und Spanien). Gegen deren Genehmigung intervenierten das Amt Rosenberg und der Reichsdozentenbund mit Verweis auf seine früheren anti-antisemitischen Aktivitäten; aber das Reicherziehungsministerium genehmigte diese Reisen, da es sich von ihnen einen propagandistischen Gewinn durch das Auftreten des prominenten V. als Vertreter des neuen Deutschlands versprach.[11]

Fachlich repräsentierte V. die alte Einheit der philologischen Fächer: für ihn gab es programmatisch keinen Gegensatz zwi­schen den Aufgaben der Sprach- und der Literaturwissenschaft – ob­wohl er selbst überwiegend literaturwissenschaftli­che, bes. literaturgeschichtliche Veröffentlichungen vorgelegt hat, vor allem nach 1933; seitdem sind außer Rezensionen nur noch kleinere Aufsätze zu sprachanalytisch-stilistischen Problemen wie zur Emphase u. dgl. von ihm erschienen, s. die umfangreiche Bibliographie (Ostermann, Q). Auch darin folgte er dem von ihm immer als Vorbild und Lehrmeister hin­gestellten Benedetto Croce, der in seiner »Estetica« (zuerst 1902, im folgenden zitiert nach der 10. Auflage)[12] außer allgemeiner Sprachtheorie (»Sprachphilosophie«) nur eine Nachzeichnung der hi­storischen Sprachpraxis gelten läßt, die, inso­weit sie die Praxis in ihrem Optimum faßt, identisch mit Litera­turgeschichte ist (a.a.O., S.162).

In dem Sammelband "Sprachphilosophie" (1923, s. Anm. 3) hat er sein ausdrücklich als Sprachforschung verstandenes wissenschaftliches Projekt systematisch und programmatisch präsentiert. Die formorientierte Forschung fokussiert die sprachlichen Ressourcen und abstrahiert daher von deren spezifischer Nutzung in unterschiedlichen Domänen, auf die sie in der kulturellen Praxis kalibriert werden. Die "zweckorientierte" Praxis bildet den Sockel, aber auch die Alltagssprache ist nicht darauf beschränkt: zur Sprache gehört konstitutiv die "ornamentale" Nutzung der formalen Optionen, die in der Kunst weiter entfaltet wird (vgl. explizit so S. 257).

Wie Croce (dem er darin strikt folgt), faßt V. Sprache histo­risch als geformtes kulturel­les Material (der je­weilige »nationale Stil«), das die subjektive geistige Tätigkeit artikuliert. Inso­fern stellt das jeweils »gram­matikalisierte« Sy­stem nur das Poten­tial dar, in dem der subjek­tive Inhalt (bei Croce: die Intuition) ausgedrückt wird – der In­halt ist ohne diese sprachliche Form nicht gegeben, wie auch die Form nur sekundär als Artikulation ei­nes Inhaltes, in einer Äuße­rung, in einem Text ge­geben ist. Croce wie V. rekurrieren hier explizit auf Humboldt; s. V.s Aufsatzsammlung von 1923, in der er sich dazu extensiv mit Meillets Konzept der »Grammatikalisierung« auseinandersetzt (z.B. S. 70). Das grammatische Potential ist da am deutlich­sten greifbar, wo es am weitestgehenden verwirklicht wird – also in der nicht beiläufigen, sondern künstlerischen Ge­staltung (s. Croce, a.a.O., S. 11/12). Gerade weil für Croce (und mit ihm für V.) prinzi­piell kein Unterschied zwischen der alltäglichen Rede und der Dichtung besteht, ist Sprache am direktesten faß­bar in der künstlerisch vollendeten Gestaltung; daher ist historische Sprachge­schichte als Literaturgeschichte zu be­treiben. Diese polemi­sche Überspitzung ist heute wohl nur noch von anek­dotischem Interesse; nicht so das Argument selbst: V.s Ein­wand, daß eine Sprachbetrachtung, die alle Art von Sprachpraxis homogenisiert, den Gegenstand nicht erfaßt, daß die Analyse die Besonderheiten der verschiedenen Praxen (der li­terarischen nicht anders als der »profanen«) erfassen muß, ist übersetzbar in die heutigen Ansätze zu einer Diskurs­analyse (s. a.a.O., S. 84-85).

Vor diesem Hintergrund erklärt sich bei V. (und allen, die ihm darin folgten, wie etwa Leo Spitzer) die Emphase auf der Stilana­lyse: Hier sind die Grenzen der Grammatikalisierung (Syntax) fließend, die kreative Reorganisation des grammatischen Systems ist in actu beobachtbar. V. hat seine Programmatik immer als sprach­wissenschaftlich begriffen – Hinweise auf Saussure, Meillet u.a. sind bei ihm durchgängig, ebenso wie der Begriff eines sprachli­chen Systems, das er allerdings nachdrücklich als sekundäres Pro­dukt der Sprachreflexion begreift, dessen methodologischen Als-Ob-Status er unterstreicht (s. etwa a.a.O. seine Auseinandersetzung mit dem Grammatikbegriff, bes. seine Argumentation gegen eine praktisch wirksame Grammatikkonzeption); so begreift er sich (wohl zu recht) in einer Linie mit den reflektierten Saussure-Schülern, die selbst die Saussureanische Orthodoxie der »Cours«-Philologie entschieden abgelehnt haben (s. etwa V.s Rezen­sion zu Bally »Le langage et la vie«;[13] und Meillets positive Rezension zu V.s w.u. erwähntem Frankreich-Buch).[14]

V. hat immer wieder betont, daß seine Argumentation sich nicht gegen eine formale sprachwissenschaftliche Analyse, sondern gegen deren Bornierung durch eine Ontologisierung der methodologi­schen Grenzen richte. Das war eine Position, die mit der genuinen strukturalen Reflexion kompatibel war: die Idealisierung des Zei­chenbegriffs Saussures, die von diesem herausgestellte »Arbitrarität« des Zeichens, war eine vor allem auch heuristische Fiktion, deren Brauchbarkeit zur Ex­trapolation der grammatischen Strukturen, also des Sprachsystems, auch V. nicht infragestellte. Er verlangte nur, in einer darauf aufbauenden weitergehenden Analyse die historisch-gesellschaftli­che Motiviert­heit der Zeichen-(System-)Strukturen wieder in die Forschung hereinzunehmen – und diese Programmatik einer »re­alistischeren« Sprachwissenschaft fand bei den ohnehin soziolo­gisch reflektier­teren französischen Sprachwissenschaftlern volle Zustimmung (s. etwa Meillet, a.a.O., S. 287).

So ist bei aller polemischen Überspitzung immer deutlich, daß sich V.s Positivismuskritik gegen die Beschränkung der Forschung, nicht aber gegen die methodische Kontrolle am sprachlichen Material der Untersuchungen richtete (in Hinblick auf das letztere war er daher auch in seinen eigenen Analysen immer angreifbar). Er war durch den fixen Blick auf das »Paradigma« der Junggrammatiker blockiert in der Art, wie er sein eigenes Forschungsvorhaben reflektierte, das er gewissermaßen an der junggrammatischen »Gesetzeswissenschaft« spiegelte (so bes. deutlich in dem Buch 1905).[15] Anders war es mit dem akademisch erstarrten junggrammatischen For­schungsbetrieb, der die deutsche Philologieszene der Jahrhundert­wende bestimmte, der zu einem zwanghaften Sammelbetrieb atomistischer Daten geraten war. V. stand mit seinem Unbehagen darin nicht allein, das insbesondere auch die Reaktionen der großen ausländi­schen Sprachwissenschaftler bestimmte, die vor dem Ersten Weltkrieg noch an deutsche Universitäten pilgerten; aber er brachte es auf einen fulminanten Punkt, vor allem in seiner Kampfschrift »Positi­vismus und Idealismus in der Sprachwissenschaft. Eine sprach-phi­losophische Untersuchung«,[16] die ihn schlagartig zu einer zentralen Figur der damaligen fachöffentli­chen Auseinandersetzungen machte (der Untertitel paraphrasiert Croce, dem er das Bändchen auch widmet). Die Art wie V. hier das Programm einer kritischen Sprachwissenschaft (S. 58) nach zwei Seiten entwickelt, ist durchaus aktuell:

– gegen jede Reduktion der Sprachanalyse auf naturgesetzliche Phä­nomene (Biologie, Psychologie, aber auch Soziologie, vgl. dazu deutlicher noch später in dem genannten Sammelband von 1923: 240f.) stellt er die relative Autonomie der sprachlichen Form heraus, die eine »immanente«, also strukturale Analyse verlangt (1904: 79 und 94-95);

– gegen die Hypostasierung der Artefakte sprachwissenschaftlicher Beschreibung und Theoriebildung verlangt er die Analyse der Sprachpraxis in ihrer historischen Bestimmtheit, die insbesondere weder mit einer »Sprachlogik« noch mit sonstigen Wertzuschreibungen zur Sprache selbst verträglich ist (1904: 21-29).

An kursorischen Beispielen entwickelt, findet sich hier die Programmatik einer kulturanalytischen »Stil«-analyse, die zum Programm für eine halbe Generation jüngerer Sprachwissenschaftler wurde, sei es, daß sie wie Lerch, Spitzer u.a. sich direkt im V.schen Sinne um eine »verflüssigte« Syn­taxanalyse bemühten; sei es daß sie im Rahmen der junggrammatisch-philologischen Zunft kulturge­schichtlich orientierte Etymologie und Wortge­schichte trieben (s. Kahane, Malkiel u.a. – wobei Exkurse in die jeweils andere Domäne selbstverständlich sind); sei es, daß sie auch an dem neuen Elan einer antipositivistisch-kulturgeschichtlichen Sprachforschung partizi­pierten, wie es z.B. in der Germanistik für Leo Weisgerber galt.

Die »junggrammati­schen« Gegner aber reagierten gereizt – nicht unverständlich ange­sichts einer Polemik, die sie auf »licht­scheuen Pfaden« (86) or­tete, ihnen »geistige Impotenz« beschei­nigte (86) und darüber spot­tete, daß sie in einer Denkweise verfangen waren, bei der die Lautgesetze »wie eine Maulseuche« über die Sprecher käme (55) – demgegenüber der »leuchtende Idealismus« der V.schen Pro­grammatik strahlte (54). Dieses manichäische Wis­senschaftsbild pflegte V. und baute es in seinen Veröffentli­chungen, vor al­lem den zahlreichen vehementen Rezensionen aus: junggrammatische Forschungsweise wird da systematisch als »natur­wissenschaftliche« Pervertierung mit dem Tod assoziiert, die ei­gene »kulturgeschichtliche« Rich­tung mit dem Leben (vgl. etwa 1923: 89-93).

Während seine polemischen Schriften, wie die von 1904, V.s Bild vor allem bei den Gegnern bestimmt haben, wirkten auf die Anhänger mehr noch seine Versuche, die Programmatik einzulösen, so vor allem sein Buch »Frankreichs Kultur und Sprache. Geschichte der französischen Schriftsprache von den Anfängen bis zur Gegen­wart«.[17] Auf der Grundlage eines kursorischen Durchgangs durch die »Diachronie« der sprachlichen Verhältnisse (Schriftsprache gegenüber Dialekten, je­weils auf den Ebenen Laut- und Formenlehre, Syntax, Lexikon) entwickelte V. hier ein funktionalistisches Modell der Sprachentwicklung. Unter Anerken­nung der relativen Autonomie der sprachlichen Form (gebunden an nicht weiter thematisierte kognitive Randbedingungen, die etwa beim Lautwandel einen morphologischen Ausgleich, lexikalische Disambiguie­rungen u.dgl. verlangen) rekonstruiert er die historisch sich durchsetzenden formalen Entwicklungen als Adaptionsprozesse an wandelnde gesellschaftliche bzw. kulturelle Bedürfnisse (S. 142-143). Es ist nicht von ungefähr, daß er dabei in der Sache weitgehend der französischen »soziologisch aufgeklär­ten« Schule, insbes. Brunots großer Sprachgeschichte folgt.

Die Grenzen der V.schen Arbeit werden deutlich in seiner Neigung zu analytisch nicht ausgewiesenen Stereotypen (der Lateiner, der Franzose…, die schon in der Arbeit von 1904 den Gegnern Muni­tion für ridikülisierende Angriffe lieferten); generell in den metho­disch unzureichend kontrollierten Kausalverknüpfungen zwischen sprachlich-formalen und gesellschaftlich-kulturellen Erscheinungen (es fehlt die Gegenprobe bei partiell parallelen Bedingungen, wie sie etwa Meillet in seiner Rezension, Op. cit., im Sinne der Er­weiterung der vergleichenden Sprachwissenschaft gegen einige von V.s Beispielen durchgeführt bzw. für seinen Ansatz generell gefordert hat). Schließlich läßt der elitäre Blick auf die »hohe Literatur« für ihn die französische Sprachgeschichte im wesentlichen mit der Klassik abgeschlossen sein – danach folgen nur noch Auflösungserscheinungen, deutlich für ihn an der postromantischen Durchlässigkeit für Vulgarismen (S. 365ff.). Im einzelnen sind auch die formalen Analysen oft zu kursorisch und dadurch fehler­haft (was die Rezensenten der Gegenseite genüßlich im Detail nach­gewiesen haben).

Davon unberührt ist aber, was die stimulierende Wirkung V.s im vorfaschistischen Deutschland und über zahl­reiche Übersetzungen in romanische Sprachen, aber auch ins Russi­sche und Japanische (s. die Bibliographie, Q) im internationa­len Raum bis heute ausmacht: das Programm einer kulturanalytisch realistischen Sprachwissenschaft. Denn so ästhetisch-abgehoben die V.sche Argumentation oft auch erscheint, tatsächlich enthält sie Prämissen, die vielleicht heute erst vor dem Hintergrund der jüngeren sprachsoziologischen Debatten richtig zu würdigen sind (V. akzeptiert im übrigen den Terminus und die Programmatik der Sprachsoziologie, wie vor allem sein Beitrag zur Gedenkschrift für Max Weber 1923 zeigt).[18]

Ein zen­traler Einwand gegen ein grammatiktheoretisch verkürztes Gegen­standsverständnis ist bei ihm, daß die Sprache für diejenigen, die sie ausüben, nicht durch die pragmatisch vorausgesetzten formalen Strukturei­genschaften definiert ist, sondern durch ein spezifisches Bewer­tungssystem (s. bes. »Die Nationalsprachen als Stile«);[19] gegenüber der Sprache als subjektivem Korrelat von Spracheinstellungen ist Sprache als System grammati­scher Relationen nur ein abgeleitetes Konzept. Analytisch sind beides für ihn duale Konzepte – nicht anders als für de Saussure;[20] so lehnt auch V. eine Reduktion von Sprache auf Kom­munikationsstrukturen (»intercourse« heißen sie bei Saussure) ab­.

V. radikalisiert auf seine Weise die neue, methodenbewußte Sprachreflexion. In seinem Frankreich-Buch bezieht er die Vorstellung einer nur kommunikativ-pragmatisch ver­standenen Sprache auf das mittelalterliche Bil­dungssystem, durch das die »triviale« Domäne der Volkssprache (im schriftlichen Gebrauch) bestimmt war – gegenüber der »vollen« Sprache, die nie nur kommunikativ, sondern immer Gegenstand einer ästhetischen Pra­xis ist. V. bemüht hier in seinen Werken eine wechselnde Ter­minologie: monumental, ornamental – letztlich ein Rückgriff auf Croces Bestimmung der historischen (Sprach-)Praxis als konstitutiv ästhetisch.[21]

Im Kontext dieser Überlegungen bleibt das begriffliche Modell des Frankreich-Buches für die neueren sprachsoziologischen Arbeiten zur Schriftsprache aktuell. Was diese jetzt herausarbeiten: die widersprüchlichen Ausgrenzungsmecha­nismen sozialer Demarkation, die den funktional bestimmten Aus­gleichsprozeß einer überregionalen Verkehrssprache überdeterminie­ren, schließt direkt an das Croce-V.sche Konzept der sozial bewerteten expressiven Form der Sprachpraxis an. Sind die einzel­nen faktischen Bemerkungen über die Herausbildung der französi­schen Schriftsprache bei V. auch weder originell noch die be­ste Quelle (er bezieht sie zum großen Teil von Brunot), so ist doch seine Rekonzeptualisierung des Gegensatzes von regionaler Dialektalität und überregionaler Schriftsprache, intellektueller Verkünstlichung bzw. normativer Monopolisierung der Schriftsprache über die »Sprachpflege« gegenüber funktionaler Dy­namisierung der Normen (gebunden an neue soziale Erfordernisse der erweiterten schriftsprachlichen Domänen) u. dgl. nach wie vor erhel­lend.

Die sprachanalytische Grundstruktur von V.s Arbeit wird vor allem da deutlich, wo sie weniger von Polemik überlagert wird (wie bei allem, was mit Frankreich zu tun hatte), so insbes. bei »Neue Denkformen im Vulgärlatein«.[22] Abstrahiert man von dem holistischen Tenor seiner Argumentation, liefert er eine recht genaue Analyse dessen, was die als »vulgärlateinisch« angesprochenen Texte ausmacht, die Dominanz von Strukturen des gesprochenen Lateins, die in den klassischen lateinischen Texten ausgeklammert werden: der Rückbau von Formendifferenzierungen (Passiv, Futur u. dgl.) mit der Einschränkung der Wortstellungsfreiheit als Gegengewicht, der Abbau komplexer Satzbildungen (Konjunktiv, infinite sekundäre Prädikate u. dgl.) gegenüber der Grammatisierung von adverbialen Markierungen bei Adjunkten u. dgl. Hier stützte er sich auf die Vorarbeiten von Löfstedt und vor allem auch von E. Richter.

Über den sprachsoziologischen Horizont hinaus war es das besondere Ziel des V.schen Unternehmens, das Individuelle im »Sprachwerk« (Bühlers Ausdruck) zu rekonstruieren. Gewissermaßen als Labor für dieses analytische Projekt sollte die künstlerische Sprachpraxis dienen, bei der diese Verhältnisse besonders sichtbar sind, also in einer Stilanalyse, die sich auf der methodischen Seite an der in Frankreich praktizierten explication des textes orientierte, wie er es in dem Buch »Sprache als Schöpfung und Entwicklung«[23] u.a. an einer Fabel von La Fontaine vorführte (dort bes. S. 83-95 »Ein Beispiel ästhetischer Stilanalyse«). Das galt auch für ein späteres Werk: »La Fontaine und sein Fabelwerk«,[24] bei dem er seine Übersetzungen bzw. Nachdichtungen als Medium nutzte, um die sprachlichen Differenzen zum Französischen auszuloten, besonders auch in der unterschiedlichen Passung von Inhalt und prosodischer Form (also dem, was heute als Informationsstruktur bezeichnet wird, etwa S. 156).[25]

Wie oben angesprochen war zunächst Italien und damit die italienische Literatur V.s Hauptarbeitsgebiet, vorgegeben durch seine Lehraufgaben in der Zeit vor der regulären Professorenstelle. Dazu gehört insbesondere auch das große Dante-Buch (4 Bde., 1907-1919), das sein fachliches Renommee definierte. Andererseits war er, wie angedeutet, der französischen und der italienischen Kultur gegenüber ambivalent, die für ihn die Kulturen der Weltkriegsgegner blieben.[26] Das führte dazu, daß er 1922 auf dem Neuphilologentag ausdrücklich für eine Abkehr vom Französischunterricht am Gymnasium (der »Feindessprache«) zugunsten des Spanischunterrichts plädierte.[27] Er forderte ein neusprachliches Curriculum, das mit Spanisch beginnt und dann zum Italienischen fortschreitet. Dafür sprach in seiner Sicht die leichtere Zugänglichkeit des Spanischen (mit dem Französischen als Gegenpol) und vor allem auch die Weltgeltung des Spanischen. Allerdings war das für ihn nur ein sekundärer Gesichtspunkt, bei dessen Dominanz er die Tür für das von ihm verabscheute Esperanto offen sieht, auf dem Weg wohin er auch das Englische plaziert.

Spanisch war seitdem sein Hauptarbeitsgebiet, deutlich an dem Buch zu »Lope de Vega und sein Zeitalter«,[28] das eine umfassende literaturgeschichtliche Darstellung beinhaltet, die die biographischen und gesellschaftlichen Hintergründen aufbereitet, vor allem aber Lopes Texte »intertextuell« aufbereitet in Hinblick auf Vorlagen, von ihm bewerkstelligte Kontrafakturen u. dgl.; dabei stützt er auch hier wieder die formale Analyse auf die Besonderheiten in seiner Übersetzung bzw. Nachdichtung. Explizite Sprachanalysen fehlen hier demgegenüber.[29] Zu dieser Umorientierung gehörte auch, daß V. nach seiner Emeritierung und politischen Kaltstellung 1938 bemüht war, immer wieder nach Spanien zu reisen, wobei er auch problematische Kompromisse mit einer politischen Indienstnahme in Kauf nahm.[30]

Es sollte deutlich sein, daß V.s sprachwissenschaftliche Arbeiten eine andere als nur die historisch-anekdotische Rezeption verdienen, die ihnen in den fachgeschichtlichen Darstellungen zuteil wird.[31] Daß er dort nicht ernsthaft betrachtet wird, stützt sich allerdings auf die methodisch völlig unzureichend kontrollierten Pseudoargumentationen mit Stereotypen, die ohne jede typologische Kontrolle daher kommen, so etwa wenn in dem Frankreichbuch die Herausbildung von Partitivpartikeln im Französischen mit dem »rechnerischen Geist« der Franzosen begründet wird, ohne die gewissermaßen endemische Dynamik der Herausbildung solcher morphosyntaktischer Systeme in den Blick zu nehmen. Insofern ist auch die von V. gerne praktizierte Berufung auf Humboldt nur sehr vordergründig gerechtfertigt. Es bleibt aber die Tatsache, daß V. mit seinem Werk, wenn auch mit unzureichenden Mitteln, ein kulturanalytisches Programm der Sprachwissenschaft entworfen hat, das seine Aktualität nicht verloren hat.[32]

Das gängige V.-Bild entspricht seinem vom Faschismus erzwungenen Rückzug in die weit unverbindlicheren »ästhetischen« Bereiche der Literatur­wissenschaft seiner letzten 15 Lebensjahre. Denn V. war nicht nur in den sprachwissenschaftlichen Auseinanderset­zungen des vorfaschistischen Deutschlands eine Ausnahmefigur – er war es auch in den politischen Auseinandersetzungen: es ist wohl auch kein Zufall, daß beide zugleich zum Schweigen gebracht wurden. Allerdings fand V. zuletzt einen Weg, sich mit den faschistischen Verhältnissen zu arrangieren: nach der großen Vortragsreise in Spanien und Portugal im Januar / März 1944 (s.o.) nahm er im August dieses Jahres formal sogar die Leitung des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Madrid an, die er allerdings nicht mehr antrat. In jüngeren Arbeiten wird darauf gestützt gelegentlich ein anderes Bild von V. gebaut, das dem hier skizzierten widersprechen soll. Dafür sehe ich allerdings (außer durch einen rigiden moralischen Maßstab) keine Grundlage.[33]

Jedenfalls konnte V. nach dem Zwei­ten Weltkrieg international für das »andere Deutschland« sprechen – als einer der wenigen, die dabei waren. Nach dem Krieg wurde er aus eben diesen Gründen als 74-jähriger nochmals für das Rektorat mobilisiert (als Nachfolger von Wüst!). So konnte er auch die »Gedenkrede für die Opfer an der Universität München« halten, also für K. Huber und die Studenten der Weißen Rose, in der er sein Dilemma als Flucht in die Distanz beschreibt.[34]

Q: Stammerjohann; DBE 2005; Drüll; Biographisches: H. Rheinfelder (in Bibliographie 1951): 5-12. Über V.s Position gibt die Festschrift 1922 (Viktor Klemperer/Eugen Lerch, Hgg.), »Idealistische Neuphilologie. Fest­schrift für Karl V. zum 6. September 1922«,[35] nur bedingt Aufschluß – s. dazu w.o. im Text. Bibliographie: Th. Ostermann, »Bibliographie der Schriften Karl Vosslers 1897-1951«, eine umfassende Bi­bliographie mit insgesamt 747 Titeln, allerdings Übersetzungen und auch Zeitungsartikel mitgerechnet.[36] Außerdem Christmann 1974, sowie ausführ­lich auch bei Jordan/Bahner 1962: 105 ff. Nachruf: Gamillscheg 1949 (nachgedruckt in Sebeoks Katalog großer Linguisten 1966). Auskünfte des Universitätsarchivs München (Prof. Dr. Boehm 1988); H. U. Gumbrecht, »K. V, und die Ambivalenzen der ›inneren Emigration‹«, in: ders., »Vom Leben und Sterben der großen Romanisten«.[37]



[1] Weimar: Felber 1898.

[2] Seit einem längeren Studienaufenthalt in Rom 1895/1896 hatte er zu Croce eine enge persönliche Beziehung, die ein Leben lang bestehen blieb. Sie zeigt sich u.a. auch in Croces programmatischem Beitrag »Per una poetica moderna« in der Festschrift 1922 (S. 1-9), in der er eine Absage an alle Art akademischer Klassifikationstätigkeit vorbringt, ganz analog zu der Argumentation in V.s früher Kampfschrift von 1904. V.s Beziehungen zu Italien waren außer in der Freundschaft zu Croce seit seinem Romaufenthalt v.a. auch durch seine Heirat (1900) mit einer Italienerin begründet. Der programmatische Wandel seiner Orientierung mit der Rede auf dem Neuphilologentag 1922 fiel wohl auch nicht zufällig mit dem Tod seiner Frau in diesem Jahr zusammen.

[3] In seiner Aufsatzsammlung »Gesammelte Aufsätze zur Sprachphilosophie«, (München: Hueber 1923) hat er diese Zusammenhänge herausgestellt; zum Esperanto dort S. 259.

[4] 1914 unterschrieb er den Aufruf »An die Kulturwelt«, mit dem Deutschland von der Schuld an dem Ersten Weltkrieg freigesprochen werden sollte, s. Hausmann in Christmann/Hausmann 1989: 25. Später allerdings beteiligte er sich an liberalen Diskussionszirkeln, die ausdrücklich i. S. des Völkerbunds auch für den Ausgleich mit Frankreich eintraten; so war er 1928 Mitglied in der »Deutschen Kommission für geistige Zusammenarbeit«, s. Gantzel 1986: 219.

[5] In: Der Morgen 1 (NF 5)/1925: 574-577.

[6] Zu diesem Verein und zu V.s Ausnahmestellung, s. Suchy 1983-1985.

[7] = Münchener Universitätsreden Heft 8, München: Hueber. Sei­tenhinweise beziehen sich auf diese Ausgabe; zu ihrer früheren Veröf­fentlichung in Tageszeitungen sowie seiner sonstigen politischen Publizistik, s. die genannte Bibliographie (Q).

[8] S. von diesem »Professor Voßlers ›muntere Gäste aus dem Morgenland‹« in seiner Zeitschrift Die Bewegung 2-7 vom 17.6.1930.

[9] S. dazu Häntzschel 1997: 115-116.

[10] S. Korinman: 282.

[11] Die entsprechenden Vorgänge liegen in Kopie beim Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München (Az.: Ma 116). Ende 1943 wurde ihm eine große Vortragsreise in Portugal und Spanien genehmigt, die er von Januar bis März 1943 durchführte und bei der er als großer deutscher Wissenschaftler gefeiert wurde. Es ist davon auszugehen, daß ihm die Nutzung dieser Wirkung für die Außenpolitik des Reichs bewußt war; er nahm sie wohl als unvermeidbare Randbedingung in Kauf. Zu V.s Rolle an der Universität München, insbesondere auch in der Romanistik dort, s. Seidel-Vollmann: 236-237; außerdem H. Böhm; Zu seinen Rationalisierungen der Umorientierung, s. v.a. Dingen auch sein Vorwort zu »Südliche Romania« (s.u.). Wichtig war für ihn auch die Art, wie er durch Mitgliedschaften in den Akademien und sonstigen Ehrungen in der spanischen Welt, später auch in Südamerika gefeiert wurde (aber auch als Mitglied der italienischen Akademie Crusca). Irritierend ist, wie wenig ihn die politische Entwicklung in Spanien an seiner Neuorientierung gehindert hat – im Gegensatz zu den politischen Irritationen, die sein Verhältnis zu Frankreich und Italien bestimmten.

[12] Bari: Laterza 1958.

[13] In: Germ.-rom. Ms. 7/1915-1919: 85-88.

[14] In: Bull. Soc. Ling. Paris 18/1912-1913: 287-290.

[15] Davon ist allerdings die breite Rezeption zu trennen, die diese polemischen Bemerkungen aus dem systematischen Zusammenhang herauslöste. Hier wurde V. v.a. Dingen aufseiten der Studenten als Befreiung von dem akademischen Druck erfahren, vgl. etwa die Erinnerungen von Mona Wollheim (1972), die sich erinnert, daß V. in ihrer Studienzeit »unser Gott« war. Im übrigen geht auch die systematische Rezeption von V. weit über die Romanistik hinaus, wo er z.B. auch in der muttersprachlichen Sprachdidaktik als bahnbrechend rezipiert wird, s. etwa die Rezension von E. Drach zu seiner Aufsatzsammlung (1923) in: Deutsches Philologenblatt 39/1925: 627.

[16] Heidelberg: Winter 1904.

[17] Heidelberg: Winter 1913, ergänzt 1921, 2. überarbeitete Auflage 1929 (Zitate nach dieser). Die Titel der späteren Auflage nahmen auch den Anspruch der Erstausgabe etwas zurück. Deren lautete: »Frankreichs Kultur im Spiegel seiner Sprachentwicklung«.

[18] Nachgedruckt in der Aufsatzsammlung von 1923: 210ff.

[19] In: Jb. Ph. 1/1925: 1-23, bes. S. 2-3.

[20] Der in seinen Vorlesungen der Als-Ob-Fiktion der Sprache als gram­matisches System die komplementäre Betrachtung ihrer sozial-emble­matischen Funktion gegenüberstellt (allerdings im »Cours« nur mar­ginal: Im 4. Teil über die »Linguistique géographique« im 4. Kapi­tel).

[21] Es ist wohl kein Zufall, daß die damalige russische sprach- und literaturtheoretische Debatte V. sorgfältig rezipierte, wie die durchgängigen Verweise auf ihn bei Medvedev, Vološinov u.a. deutlich machen. Diese Rezeption ist dort auch nie abgebrochen, wie auch Hinweise in jüngeren Gesamtdarstellungen auf V. zeigen; so firmiert er noch mit einem eigenen Kapitel als »spezifische Sprachtheorie« in dem Überblickswerk von A. Amirova u.a., »Abriss der Geschichte der Linguistik«, Leipzig: Bibliographisches Institut 1980,: 440-451 (1. Aufl. Moskau 1975). Insofern gehört V. aber auch in die sprachwissenschaftliche Traditionslinie, in der Jakobson später die »poetische« Funktion der Sprache als konstitutives Moment der Sprachreflektion herausstellte (s. Jakobson 1960: 356-357).

[22] »Hauptfragen der Romanistik« (FS P. A. Becker), Heidelberg: Winter 1922: 170-191.

[23] Heidelberg: Winter 1905.

[24] Heidelberg: Winter 1919.

[25] Gerade auch in dieser populären Schrift (laut Vorwort geht sie auf eine Volkshochschulveranstaltung zurück) wird seine politische Haltung deutlich: Im Vorwort rechtfertigt er die Beschäftigung mit einem französischen Text dadurch, daß »bei ihm kann auch der deutscheste Germane sich Freude und Erholung suchen, ohne eine gallische Vergiftung befürchten zu müssen« (S. 5*). Hier wird seine Neigung zu völkerkundlichen Stereotypen deutlich, wenn er den Gegenstand als das Herauspräparieren des »allgemein Französischen« bezeichnet (S. 8).

[26] Siehe dazu auch den Nachruf von Gamillscheg (Q).

[27] »Vom Bildungswert der romanischen Sprachen«, in: Die neueren Sprachen 30/1922: 226-234. Zur Rolle von V. für die in diesem Sinne sich neu formierende Hispanistik, v.a. auch nach 1933, s. Bräutigam 1997.

[28] München: Beck 1932, 2. Aufl. 1947.

[29] Vor allem dieses Buch begründet V.s Ansehen in Spanien.

[30] Darum rankt sich eine heftige Polemik in den einschlägigen Auseinandersetzungen v.a. der Romanistik, s. etwa Hausmann 2000: 488-489 und Gumbrecht (Q). V. war wohl 1940 für die Leitung des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Madrid vorgesehen, was aber durch eine Intervention des Amtes Rosenberg verhindert wurde. 1944 wurde dieser Vorschlag erneut aktuell, jetzt aber auch von V. in Hinblick auf die kriegsbedingten Probleme abgelehnt, s. dazu Hausmann in der Neubearbeitung 2008 des Buchs von 2000: 509 und 518-520.

[31] S. Christmann (1974) für eine Auflistung der Stellungnahmen zu V. Ausdrücklich als »zukunftweisend« für die Sprachwissenschaft wird V. von K. Bochmann gewürdigt (»Sprache und Kultur bei K. V.«, 1996, repr. in ds., Lebendige Philologie, Leipzig: Universitätsverlag 1999: 139-147).

[32] S. zu einer entsprechenden Würdigung von V. als Sprachwissenschaftler auch J. Trabant, »50 Jahre nach Vossler: Geist und Kultur in der Sprachwissenschaft, Vortrag auf dem Romanistentag 1999«, abgedr. in den Mitteilungen des Romanistentags 1999, Heft 2. Pointiert hat W. Krauss V.s Position dadurch bestimmt, daß bei ihm die literaturwissenschaftliche Zielsetzung ohne »die dienende Stellung der Sprachwissenschaft« nicht erreichbar ist – so eben auch als Spiegelung von Krauss' eigenem Unternehmen (in seinem Nachruf auf V. 1950, repr. in WW 1: 67-68).

[33] Die Leitung des DWI in Madrid war durch den Rücktritt des damaligen Leiters Heuermann (im übrigen der Nachfolger Lerchs in Münster, s. dort) frei geworden, s. dazu Hausmann (2001 / 2002). Die Leitung eines solchen Instituts war mit der Ernennung zum „Reichsprofessor" verbunden, die ausdrücklich durch wissenschaftliche und nicht politische Aufgaben definiert war. Daß eine solche Funktion im Rahmen der Außenpolitik des faschistischen Deutschlands definiert war, liegt auf der Hand. Daß sie als Freiraum gesehen werden konnte, aber auch.

[34] München: Pflaum 1947.

[35] Heidelberg: Winter 1922.

[36] In den Sb. Bayr. AdW, Phil.-hist. Kl., Jg. 1950, Heft 11, München: Beck 1951.

[37] München: Hanser 2002: 24-48.