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Schmidt-Rohr (bis 1931 Schmidt), Georg

Geb. 24.7.1890 Frankfurt/Oder, gest. 1945 (vermutlich gefal­len).

 

S.-R. ist in diesen Katalog aufgenommen, weil an seinem Fall deutlich wird, wie problematisch der Begriff der Verfolgung sein kann. S.-R. agierte zuletzt auf Seiten der Täter; er wurde aber nach dem Zweiten Weltkrieg in Hinblick auf seine Rolle in den Anfangsjahren des Regimes und seine gescheiterte akademische Karriere als politisches Opfer des Nationalsozialismus hingestellt.[1]

Nach dem Abitur 1909 in Frankfurt/O. studierte S.-R. Germanistik, Neuere Fremdsprachen und Pädagogik in Berlin und Jena. In Jena machte er 1914 sein Staatsexamen. Gleichzeitig hatte er eine Promotion geplant, mit einer Dissertation über die englische Boyscout-Bewegung. Bis Kriegsbeginn war er dazu auch in England gewesen, konnte dann das Vorhaben aber nicht abschließen.

1914 meldete er sich freiwillig an die Front, betrieb von dort aus aber sowohl seine publizistischen Wandervogel-Aktivitäten weiter wie auch seinen Studienabschluß. 1917 promovierte er schließlich in Pädagogik.[2] In der Studentenzeit war er als Wandervogel aktiv, der auch eine emsige publizistische Tätigkeit entfal­tete.[3] Die Themen der Reformbewegung sind bei ihm bestimmend: Naturerleben, Antialkoholismus, Dienst an der Gemeinschaft...und vor allem das völkische Erleben auf den Fahrten zu den Auslandsdeutschen. Bei diesen Fahrten wurde das »Spra­cherlebnis«, die Erfahrung der Sprache als Verbindung über poli­tisch schwierige Konstellationen hinweg, zwangsläufig thematisch. Für den »Grenzlanddeutschen« S.-R. war es offensichtlich lebensgeschichtlich nahe­liegend. Bemerkenswert bei diesen Aufsätzen sind seine Distanzierungsbe­mühungen gegen die antisemitische Ausrichtung des Wandervogels.[4]

Nach dem Krieg heiratete er (von der Frau stammt der zweite Teil seines späteren Doppelnamens) und war seit 1920 in sei­ner Heimatstadt Frankfurt/Oder als Studienrat tätig. Er bemühte sich neben den auf Funktionärsebene weitergeführten Wandervo­gelaktivitäten um seinen akademischen Aufstieg, u.a. auch mit Auslandsaufenthalten (England, Frankreich), für die er vom Schuldienst beurlaubt wurde. Seine »völkische« Orientierung gab ihm Zugang zur 1925 gegründeten »Deutschen Akade­mie« in München, in deren Beirat er später erscheint. Das schwie­gerväterliche Ver­mögen gab ihm die Möglichkeit zu den Studienauf­enthalten im Aus­land und vor allem dazu, an seinem Hauptwerk zu arbeiten, das er 1932 publizierte: »Die Sprache als Bildnerin der Völker. Eine Wesens- und Lebens­kunde der Volkstümer«.[5]

Die Grundideen finden sich schon in seiner frühen »Tatflugschrift«: »Unsere Muttersprache als Waffe und Werkzeug des deutschen Gedankens«[6]. Er reflektiert den Ersten Weltkrieg als Prozeß der Neuordnung der globalen Machtverhältnisse, als Abgrenzung von großräumigen Einflußsphären, die er als kulturell und d.h. für ihn vor allem: sprachlich artikuliert betrachtet. Im globalen Maßstab muß sich seiner Meinung nach hier das Deutsche gegenüber dem Englischen und insbesondere auch dem Russischen behaupten. Diese Schrift setzt sehr elementar an und bemüht sich auch, sprachwissenschaftliche Grundstrukturen zu explizieren (angefangen bei den phonetischen Sachverhalten), die in Hinblick auf die Bauprinzipien der jeweiligen Sprachen ausgerichtet werden, die in seiner Sicht das Denken binden. Als politische Kraft steht für ihn die sprachliche Artikulation insofern gleichwertig neben anderen Kräften wie der Rasse, gegen die sie sich durchsetzen kann. Besonders bemerkenswert ist dabei sein Hinweis, daß sich das Übergewicht des sprachlichen Faktors in der Migration zeigt, wo Migranten, unabhängig von ihrer Herkunft, durch die sprachliche Assimilation zu Mitgliedern einer politischen Gemeinschaft werden (S. 27) – ein durchaus aktueller Aspekt in Hinblick auf die heutige Diskussion in der Migrationsforschung. S.-R. hatte bis dahin eine Reihe von fachdidaktischen Aufsätzen zu seinen Schulfächern Englisch und Französisch veröffentlicht und zunächst wohl auch an eine Habilitation in der Anglistik gedacht.[7] An deren Stelle trat die Ausarbeitung seiner sprachsoziologischen Überlegungen.

Das spätere Buch ist sprachtheoretisch ambitio­niert, mit weitschweifigen Argumentationen, dabei unter »moder­ner« Zu­hilfenahme von zahlreichen Diagrammen – aber mit bemerkens­wert dürftiger Materialbasis bzw. sprachlichem Belegmaterial. Hier entwic­kelte er seine Position von der kulturell dominanten Rolle der Sprache, die nicht auf ihre materielle Seite, dazu auch die kommunikativen Funktionen gerechnet, reduziert werden darf (»Die Sprache ist nicht der Diener, sondern der Herr un­seres Denkens«, S. 298). Im einzelnen zeigt er genuine sprachwissenschaftliche Einsichten, so z.B. mit seiner Explikation des Sprachbaus, die sich von naiven Vorstellungen löst, etwa mit der sprachbauspezifischen verbalen Struktur des Prädikats in den ie. Sprachen – gegen postulierte universale Wortarten (S. 396), vor allem auch in der Differenzierung verschiedener sprachlicher Praxisdomänen, bes. in Hinblick auf den schriftkulturellen Sprachausbau. Dieses Sprachverständnis wendet er politisch: Sprache muß in ihr politisches Recht gesetzt werden – als »staatsbildende Kraft« (S. 375) bei der Nationwerdung eines Volkes. Darin lag die wandervogelische Emphase auf der »Tat«, die sich auch in dem gewollt »unakademischen« Stil geltend macht, wobei S.-R. zugleich aber passim mit Hinweisen auf die moderne sprachwissen­schaftliche Literatur, u.a. z.B. auch auf Saussure, seine Position als Neuerer zu unterstreichen weiß. Seine Argumentation richtete sich gegen regressive Determinationsphantasien, vor allem gegen die rassistischen Versuche, Sprache (und von ihr bestimmt: Volk) durch das Blut zu definieren – so ja nicht nur im allgemei­nen politi­schen Diskurs, sondern auch innerhalb der Disziplin als Konstruk­tion einer »arteigenen Sprache« (S. 224, 298 – von S.-R. als »geistige Falschmünzerei« apostrophiert).

Das brachte ihm po­sitive Reak­tionen von Seiten der Sprachwissenschaft ein (s. etwa A. Debrunner),[8] war aber für die Bestre­bungen im Umfeld von A. Rosenberg eine Kampfansage, die sie gerade bei einem selbsterklärten Parteigänger oder doch Sympathisanten (vgl. etwa S. 383) nicht dulden konnten (auch sonst gab es hier eine Reihe von Konfliktlinien – so z.B. bei S.-R.s Verteidigung des Katholi­zismus gegen den nationalsozialistischen Antiklerikalismus, S. 324).[9] Das galt erst recht, als S-R. in die NSDAP eintrat:[10] sofort wurde gegen ihn ein formal lange Zeit schwebendes Par­teiausschlußverfahren eingeleitet.[11] Vor allem aber diente der Verweis auf S.-R. von jetzt an in Arbeiten aus dieser Ecke als Schibboleth zur Aus­grenzung nicht to­lerierbarer Positionen.

Aber S.-R. hatte Unterstützung: seine wissenschaftskongruente Argu­mentation und die Betonung auf der Sprachgemeinschaft, die Juden auch gerade dann einschloß, wenn sie »auf deutsche Art« politisch Schädliches betrieben (S. 299), wurde von Leuten wie Weisgerber mitgetragen; seine Absage an den kruden Antisemitismus entsprach den verbreiteten akademisch-zivilisierten Haltungen; durch distanzierende Aussagen über jüdische Son­derpraktiken im ethnographischen Sinne bemühte er sich, kein falsches »ju­denfreundliches« Bild entstehen zu lassen, vgl. S. 291). Vor allem hatte er mit seiner Position an der Deutschen Akademie eine recht feste Stelle im anarchischen Machtchaos des faschistischen Deutschlands der frühen 30er Jahre.[12] Als nach kurzer Zeit eine zweite Auflage nötig wurde (mit dem modifizierten Titel »Mutter Sprache. Vom Amt der Sprache bei der Volkwerdung«),[13] nahm er zugleich mit einem dithyrambischen Bekenntnis zu Adolf Hitler und dem »neuen Zeitalter« (Vorwort, datiert Mai 1933) nur einige Formulierungen zurück, die die Charakterisierung der gegnerischen Position betrafen,[14] nicht aber seine Kritik der Rassenkunde von Günther u.a. (insbes. der »Rassenseeleforschung«) und innerwissenschaft­lich an der »arteigenen« Sprachwissenschaft.[15]

Er publizierte weiter im völkischen Umfeld bei der Deutschen Aka­demie, vollzog dabei aber sukzessive eine Annäherung an die Par­teilinie, so wie diese für ihn deutlich wurde – ganz im Sinne ei­ner Unterordnung unter die sich formierende faschistische »Gemein­schaft«. Durchaus im Rahmen der an der Deutschen Akademie von ih­rem Gründer Karl Haushofer konzipierten Geopolitik entwarf S.-R. eine po­litische Sprachwissenschaft (er spricht sowohl von »politischer Sprachsoziologie« wie von »volkspolitischer Sprachwissenschaft«): »Die Sprache als raumüberwindende Macht«,[16] die sich anders als die akademisch eta­blierte Sprachwissenschaft den aktuellen politischen Aufgaben stellt. Die politische Protektion erlaubte ihm hier eine schroffe Absage an rassistische Fragestellungen, z.B. in einem gleichzeitigen Aufsatz »Stufen der Entfremdung. Ein Beitrag zur Frage der Assimilation von Sprachgruppen«[17] – wobei in die­sem Beitrag zur neuen Zeitschrift der Deutschen Soziologie (hg. von M. H. Boehm, H. Freyer u.a.) vor allem sein geradezu komisches Bemühen bemerkenswert ist, seine einfachen Symbolisierungen als revolutionäre wissenschaftliche Innovation hochzustilisieren.

Wie er es schon ausführlich in seinem Buch entwickelt hatte, bestimmt er Sprache als gewissermaßen subjektiven Faktor in dem histori­schen Prozeß der Aneignung der Welt – der sich in der Gegenwart in imperiali­stischen Di­mensionen vollzieht, und für den er keineswegs die Auf­hebung von ethnisch-nationalen Spannungen diagnostiziert, sondern (1934 mit bemerkenswertem Scharfblick) deren kontinuierliches An­wachsen in politischen Großräumen, die zwar eine materiale Infra­struktur ent­wickeln, die Menschen aber nicht als Volk binden. Vor allem aber differenziert er zwischen vorgesellschaftlichen Strukturen (Mundarten als gemeinschaftlichen Praktiken) und politischen Strukturen, die auf einer Form des Sprachausbaus beruhen. In diesem Sinne entwickelt er seinen Topos »Volk muß Nation werden«, bes. S. 283-288). Im Sinne des Sprachausbaus kommt dabei der Schriftsprache eine Schlüsselrolle zu (bes. S. 162-165).

Dar­aus folgert er die Notwendigkeit einer Sprachpolitik, die für ihn nicht einfach Zwang ist, sondern sich der Integrationsmechanismen der bürgerlichen Gesellschaft be­dient, des stummen Zwangs kul­turell avancierter Praxen, um deren Partizipation die Menschen spontan bemüht sind: die Volkwerdung der Deutschen diagnostiziert er so auch nicht als biologischen Prozeß, sondern als Integration ins­bes. der Slawen im Osten, die in den Städten kulturell zu Deut­schen wurden (er stellt – mit Frings u.a. – heraus, daß diese mo­dern produzierte Sprachform die Grundlage des Hochdeutschen ist – nicht eine quasi biologisch tradierte Form).[18] Es geht also um den »Sprachausbau« (der Terminus findet sich allerdings erst später bei S.-R.s Mitstreiter Kloss), insbes. um die Entwicklung der kulturellen Potentiale der Sprache für die Ver­schriftlichung. Er stellt fest, daß eine gesprochene Sprachform (eine Mundart) nur lebenskräftig bleibt, wenn sie von einer kon­gruenten Schriftspra­che (in der ihre Potentiale sich realisieren) überdacht wird – an­dernfalls kommt es zur Aufgabe der Mundart (zu­gunsten des Deut­schen früher auf slawischem Boden, heute aber auch als Sprachver­lust des Deutschen nicht nur in den USA, Australien usw., sondern etwa auch im Elsaß und in Lothringen; in extenso hat er diese Ver­hältnisse in seinem Buch analysiert).

Das war eine deutliche Absage an regressive Politikvorstellungen, wie sie beim Amt Rosenberg im Schwange waren – und so bleibt S.-R. auch später eine Referenz für entsprechende Analysen, gerade auch bei rassistisch Verfolgten wie z.B. U. Weinreich. Insofern liefert S.-R. hier eine heute noch aktuelle sprachsoziologische Programmatik; zugleich machte er aber deutlich, daß er damit selbstverständlich keine Frontstellung zur faschistischen Politik intendierte – er war weder gegen biologische Politik schlechthin (ausdrücklich trat er für eugenische Zwangsmaßnahmen ein),[19] noch gegen eine imperia­listische Außenpolitik: ist das Verhältnis der Men­schen zu ihrem Staat auch kulturell zu regeln, so daß sie sich mit ihm als Volk identifizieren, und nicht einfach durch externen Zwang, und hat die (ausgebaute) Sprache dabei eine Schlüsselrolle, so sind eben doch nicht alle Sprachen gleich, sondern sie weisen in ihrem Bau un­terschiedliche kulturelle Potentiale auf [20] – im Anknüpfen an die Humboldt-Finck-Tradition bastelte er hier ein Legitimationsargument für den deutschen Imperialismus.

Es ist deutlich, daß die auf eine moderne Politik und Herrschafts­technik zielenden Politiktechniker der SS ein Interesse an dem Sprachwissenschaftler S.-R. haben mußten – erst recht, als mit dem Krieg im Osten objektiv Bedarf für eine wissenschaftliche Anleitung der Herrschaftstechnik entstand. Ebenso deutlich ist aber, daß S.-R nicht nur die Protagonisten des rassistischen Diskurses gegen sich auf­bringen mußte, sondern auch die überwiegende Mehrheit der fachli­chen Zunft, insbes. bei den germanistischen Sprachwissenschaft­lern, für die die eigentliche Sprache die (mög­lichst bäuerliche) Mundart war, auf der bodenständig alle anderen Kulturformen gewis­sermaßen wuchsen. Beide Positionen fielen im Amt Rosenberg zusam­men, das denn auch erfolgreich die Versuche S.-R.s zum Eintritt in die akademische Welt abblockte.

Diese Konstellation brachte S.-R. (im übrigen vorübergehend die Deutsche Akademie insgesamt) in das Umfeld der SS, bei deren »Ah­nenerbe« er eine Anstellung fand bzw. von dem er ein Forschungs­stipendium erhielt, das ihm eine Freistellung von der Schule er­möglichte. Für seine endgültige Übernahme ins »Ahnenerbe« wäre der reguläre Eintritt in die Universität bzw. eine reguläre akademi­sche Position nötig gewesen, also zumindest die Habilitation – diese aber kam nicht zustande.[21] Als er 1941 vorübergehend einen Lehrauftrag an der Hoch­schule für Lehrerbildung in Frankfurt/Oder erhielt, führte das so­fort zu heftigen Protestaktionen des Amtes Rosenberg, die die Parteikanzlei beschäftigten.[22] S.-R. versuchte es vergeblich in Marburg bei Mitzka (der aber ebenso wie andere Dialektologen dort, vor allem Bretschneider, im gegnerischen Lager des Amtes Rosenberg standen), in Berlin, in München, wo trotz der vermutlich eher unterstützenden Rolle des Rektors (und SS-Mannes) Wüst die Widerstände der Fakultät (vor allem wohl Sommer, auch Vossler wurde beteiligt) zu groß waren, und schließlich in Wien (wo ebenfalls ein SS-Mann, V. Christian, Dekan war). Allerdings lehnte die SS-Führung (bzw. das »Ahnenerbe«) jede direkte Einflussnahme auf Habilitationsverfahren ab.[23]

In Wien kam es im August 1944 doch noch zur Eröffnung eines Habilitationsverfahrens, für das sich vor allem G. Ipsen stark machte, der dort auch die Unterstützung der Partei gewann (in Person des zuständigen »Dozentenführers« Marchet). Probleme machte vor allem die vorzusehende Venia, da S.-R. entsprechend seiner Tätigkeit bei der SS »(politische) Sprachsoziologie« beantragt hatte, die als Lehrfach nicht vorgesehen war. Ein Kompromißvorschlag von Christian, S.-R. nur den Titel eines Dr. habil. zu verleihen, der keine Lehrbefugnisse nach sich ziehen würde und daher kein Lehrgebiet zu spezifizieren verlangte, genügte S.-R. nicht für seine SS-Karriere. So beantragte schließlich der Psychologe F. Kainz als Hauptgutachter die Venia »Sprachpsychologie«, die seinem eigenen Lehr- und Forschungsgebiet entsprach (in seinem ausführlichen Gutachten vom 10.11.1944). Eine weitere positive gutachterliche Stellungnahme lag von dem Soziologen A. Gehlen vor. Die letzten Vorgänge in der Habilitationsakte sind von Januar 1945 datiert; das Verfahren wurde nicht mehr abgeschlossen.

So führte S.-R. eine recht prekäre Existenz als Wissenschaftler – ihm »drohte« in all diesen Jahren der Wegfall der politischen Unterstützung und damit der Rückverweis an die Schule bzw. nach Kriegsbeginn der Wehrdienst. Rückendeckung fand er bei der SS, die ihn im wissenschaftlichen Vorfeld ihrer rassisch-völkischen Raum­politik zu brauchen glaubte.[24] Für sie produzierte er eine Fülle von »sprachsoziologischen« Schriften, die auf die geplanten Umvol­kungs-, Germanisierungs- und Kommunikationsprobleme mit den zur Sklavenar­beit verurteilten Ostvölkern Bezug nehmen, und deklarierte diese Arbeit mit der Protektion des »Ahnenerbe« als eine eigene »sprachsoziologische Abteilung«.[25]

In diesem Kontext adaptierte er seine Argumentation zunehmend an den rassistischen Diskurs. 1940 erschien von ihm »Die deutsche Sprache als politi­sche Aufgabe«;[26] in der er den »Ras­segedanken« als fundamental auch in der Sprachbetrachtung heraus­stellte, oder richtiger: ihn mit seinem sprachpolitischen Projekt harmonisierte. Fundiert Rasse auch Sprache und ihr geformtes Weltbild (i. S. der »Rassenseele«), so bleibt doch die Notwendigkeit, den »Sprachen­kampf« (neben dem »Schwerterkampf«) als einen eigenständigen Be­reich der Politik zu fassen – dazu nötigt schon die weltumspan­nende englische Sprachpolitik. Analytisch findet sich in diesem Beitrag nichts Neues, dafür jetzt aber platte Ermächtigungsformeln für den deutschen imperialistischen Krieg, der nur politisch um­setzt, was in der Sprache angelegt ist: »Auch von seinem Ahnenerbe Sprache her ist unserem Volk ganz unmittelbar der Anspruch auf Führung im europäischen Raum gesichert« (S. 420), ist die deutsche Hochsprache doch die »stolzeste Formwerdung, die je Menschengeist erreichte«, der gewissermaßen zwangsläufig die Nachbarvölker geopfert werden müssen; und »Um den deutschen Sprachraum liegen Klein­sprachen und Scheinsprachen, deren Völker [...] dazu bestimmt sind, ge­führt zu werden und nicht selbst zu führen« (S. 421) – das war von angemaßter »wissenschaftlicher« Warte aus ein Ermächtigungsgestus für die imperialistische Politik, dessen diese aber jetzt, im ein­mal entfesselten Krieg, nicht mehr bedurfte.

Waren S.-R.s Arbeiten zunächst wenigstens noch kongruent zur politischen Konjunktur, so machte die Praxis in den besetzten Gebieten derartige Schreibtischpro­dukte bald zur Makulatur. Seit dem 2.1.1943 war er der SS unterstellt und daher aus dem Heeresdienst entlassen. Aber die SS verlor ihr Inter­esse an seinen Produkten. S.-R. versuchte sich noch zu retten, in­dem er von der sprachpolitischen Politikanleitung auf programmati­sche Aufgaben umschwenkte und bei der Leitung des Ahnenerbe um einen Auftrag für sprachpolitische »Tornisterschriften« für SS-Männer nachsuchte, wobei er immer wieder (s.o.) auf die vorbildli­che Propagandaarbeit der Engländer verwies – aber zu diesem Zeit­punkt (1944) war das Interesse bzw. der Bedarf an derartigem nicht mehr da: die Frontbewegungen hatten die Rich­tung gewechselt. Zwar schirmten ihn seine Gönner bei der SS, Wüst und vor allem der Ge­schäftsführer Sievers,[27] bis Ende 1944 gegen die fortgeführten Angriffe vom Amt Rosenberg ab und hielten ihn. Damit verwahrten sie sich de facto aber wohl eher gegen des­sen Monopolanspruch auf Beschäftigung mit sprachsoziologischen Fragen (S.-R. fallen zu lassen hätte den Anschein erweckt, dem Amt Rosenberg nachgegeben zu haben!); sie drängten S.-R. aber, etwas praktisch Brauchbares zu bewerkstelligen. Sievers schwebte dazu ein »Basic Deutsch« vor (nach dem Vorbild des Basic English), das den Verkehr mit den unter­drückten Völkern bzw. rekrutierten Hilfstruppen be­fördern sollte. S.-R. weigerte sich aber, so triviale Aufgaben zu überneh­men. Als seine Position unhaltbar wurde (1945 wurde die reguläre Übernahme ins »Ahnenerbe« nochmals wegen seiner fehlenden akademischen Qualifikation ausgeschlossen)[28] und eine wei­tere Freistellung vom Kriegsdienst nicht mehr in Aussicht war, meldete sich S.-R. zum Volkssturm in Frankfurt/Oder, wo er dann ver­mutlich bei den letzten Kämpfen im Februar 1945 gefallen ist.

Bei S.-R. werden die Schwierigkeiten eindeutiger Zuschreibungen sinnfällig: er ist im Verlauf der 30er Jahre und dann im Zweiten Weltkrieg eindeutig in das Lager der Täter gewechselt und insofern niemand, dem man als Verfolgtem gedenken wird. Aber es liegt eine makabere Tragik darin, daß er im Lager der SS landete, die von ihrem wissenschaftlichen Führungspersonal verlangte, daß es sich seine Position im akademischen Feld unabhängig »erkämpft« hatte, und das war S.-R. aufgrund der politischen Widerstände in der Partei nicht möglich. Seine gescheiterten Karriereerwartungen machen die politischen Konfliktfelder deutlich, rechtfertigen aber sicherlich nicht, ihn im engeren Sinne zu den Verfolgten zu rechnen. Ihn geradezu zu einem »Widerstandskämpfer« zu stilisieren, ist nachgerade absurd. Hier haben vor allem die Arbeiten von Gerd Simon die Verhältnisse eindeutig zurecht gerückt.

Anders sieht es aber bei einer fachgeschichtlichen Perspektive aus, für die die von S.-R. insbesondere in seinem Buch von 1932 entwickelte Position auch heute noch ein wichtiger Anknüpfungspunkt für eine sprachsoziologische Theoriereflexion abgibt (und so ja auch international rezipiert worden ist bzw. wird, z.B. von U. Weinreich). Diese Position konnte öffentlich und d.h. im wissenschaftlichen Lehrbetrieb in der Zeit des Nationalsozialismus nicht weiter verfolgt und entwickelt werden. Insofern zeigt sich hier, anders als bei den meisten der in diesem Katalog dokumentierten Fällen, bei denen die Wissenschaft der Vertriebenen und Verfolgten sich inhaltlich nicht grundsätzlich von der unterschied, die im Reich weiter praktiziert wurde, ein Eingriff der politischen Verhältnisse in die Wissenschaftsentwicklung. Daß S.-R. opportunistisch seine eigene wissenschaftliche Position aufgegeben hat, ist insofern der am wenigsten interessante Aspekt seines Falles.

Q: Archivbestände des Bundesarchiv Koblenz (BundesA. NS 21/11, NS 21/19, NS 21/41 und NS 21/97); Universitätsarchiv Wien (Habilitationsakte S.-R.); IGL (G. Simon); Arbeiten von Gerd Simon: »Die sprachsoziologische Abteilung der SS«, in: Wilfried Kürschner (Hg.), Akten des 19. Linguistischen Kolloquiums Vechta 1984, Bd. 2, Tübingen: Niemeyer 1985: 375-396; ders.: »Wis­senschaft und Wende 1933«, in: Das Argument 158/1986: 527-542; ders.: »Der Wandervogel als ›Volk im Kleinen‹ und Volk als Sprach­gemeinschaft beim frühen Georg Schmidt-Rohr«, in: Herbert E. Bre­kle/Utz Maas (Hgg.), »Sprachwissenschaft und Volkskunde«, Opladen: West­deutscher Verlag 1986: 155-183; ders. »Materialien über den Widerstand in der deutschen Sprachwissenschaft des Dritten Reichs: Der Fall Georg Schmidt-Rohr«, in: ders. (Hg.), »Sprachwissenschaft und politisches Engagement«, Weinheim: Geltzer 1979: 153-206; sowie Kater 1974.



[1] So insbesondere von seinem ideellen Mitstreiter Leo Weisgerber, s. v. diesem z.B. »Die Lehre von der Sprachgemeinschaft«, in: Frankfurter Hefte März 1965: 197-205, bes. S. 203; ähnlich in einer Stellungnahme in der Zeitschrift Muttersprache 81/1971: 105-106 (»Abwehr des Nazismus«, 106).

[2] Die Dissertation befaßte sich mit »militärischen Jugendpflege in pädagogischer Beleuchtung«, gedruckt 1917.

[3] S. Simon (Q) 1985 u. 1979.

[4] S. Simon (Q) 1979: 161-162.

[5] Jena: Diederichs 1932, als Band 12 der Schriftenreihe der Deutschen Akademie.

[6] Jena: Diederichs 1917.

[7] In den einschlägigen Organen (z.B. der Z. franz. u. engl. Unterr.) publizierte er sprachdidaktische Arbeiten: »Das deutsche ›ihr‹ als Fehlerquelle im Französischen«, »Der Konjugationsschrank«, »Die Nebeneinanderordnung des muttersprachlichen und fremdsprachlichen Wortschatzes«, »Die Betonung der englischen Präpositionen«.

[8] In: Idg. F. 59/1932: 307.

[9] Für eine differenzierte Analyse von S.-R.s Position einerseits im damaligen politischen Spannungsfeld, andererseits im akademisch-universitären, s. C. Knobloch 2005; außerdem C. M. Hutton 1999: 288-294.

[10] Wohin ihn außer dem Bedürfnis, an der »Revolution« zu partizipieren, wohl der propagierte Antimaterialismus und seine antikommunistische (gegen Rußland gerichtete) Reinterpretation lenkte. Sein Buch hatte er bereits im Juli 1932 mit einer Widmung an Hitler geschickt »Dem Führer zu neuer deutscher Sonne« (nach Gassert/Mattern, »The Hitler library«, Westport 2001: 264, Hinweis von O. Plöckinger).

[11] S. dazu Si­mon (Q) 1985.

[12] Das galt insbes. für den an der deutschen Akademie für die Spracharbeit, d.h. vor allem die Auslandsinstitute des Auswärtigen Amtes (den Vorläufern der heutigen Goethe-Institute), zuständigen Franz Thierfelder, s. dazu Michels 2005.

[13] Jena: Diederich 1933.

[14] Vgl. etwa 1. Aufl.: 299 die polemischen Bemerkungen gegen die rassenkundliche Sprachforschung, die er in der ersten Auflage als »Wahnbegriffe« apostrophierte, und 2. Aufl.: 298.

[15] Vgl. 1. Aufl.: 296 und 2. Aufl.: 304. Daß die Überarbeitung der 2. Auflage nicht eindeutig opportunistisch zu sehen und S.-R. die antirassistische Polemik keinesfalls durchgehend gestrichen hat, vermerkt auch Simon (Q) 1986.

[16] In: K. Haushofer (Hg.), »Raumüberwindende Mächte« = »Macht und Erde«, Bd. 3, 1934: 202-232, hier S. 203.

[17] In: Volksspiegel 1/1934: 75-82.

[18] In: Haushofer (Hg.) 1934: 219.

[19] In: Haushofer (Hg.) 1934: 229.

[20] So etwa in »Sprachen­kampf im Völkerleben«, in: Volksspiegel 1/1934: 226-237, hier 232.

[21] Zum Folgenden s. Simon (Q) 1985. Nach Simons Recherchen war es vor allem, und so gesehen auch zwangsläufig, die Marburger Dia­lektologin A. Bretschneider, die als Referentin im Amt Rosenberg S.-R.s geschwo­rene Gegenspielerin war.

[22] S. BundesA Koblenz NS 21/41, Schreiben der Parteikanzlei an Rosenberg vom 26.3.1941.

[23] S. die entsprechenden Schriftwechsel BundesA Koblenz NS 21/19.

[24] Hier sind noch genauere Untersuchun­gen über den »Generalplan Ost« nötig.

[25] S. Simon (Q) 1985 für das davon Bibliographierbare.

[26] In: Z. f .Politik 30: 418-422.

[27] Die ausführlichen Ta­gebücher von Sievers sind hier meine primäre Quelle, BundesA. Koblenz NS 21/11.

[28] BundesA Koblenz NS 21/97.