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Debrunner, Albert

Geb. 8.2.1884 in Basel, gest. 2.2.1958 in Bern.

 

D. stammte aus ärmlichen und sehr religiös geprägten Familienverhältnissen, aus denen ein Aufstieg wohl nur im Lehrerberuf möglich schien. Ein Stipendium machte ihm die Fortsetzung der Schulausbildung bis zum Abitur 1902 möglich und damit auch die weiterführende Ausbildung zum Gymnasiallehrer (Examen 1907). Von 1907 bis 1918 unterrichtete er an verschiedenen Schulen in Basel und in Zürich. Aus seiner Schulzeit stammte schon die intensive Beschäftigung mit dem neutestamentarischen Griechischen, die einen seiner späteren Arbeitsschwerpunkte bildete. Sein Studienfach war zunächst die Klassische Philologie in Basel bei F. Sommer, der ihn zur Indogermanistik brachte, die er zeitweise auch bei einem anderen Schweizer, Jacob Wackernagel, in Göttingen studierte, Promotion 1907 in Basel (bei Sommer). 1917 habilitierte er bei Schwyzer in Zürich mit seiner inzwischen erschienenen Neubearbeitung der Grammatik des neutestamentarischen Griechischen (s.u.). 1918 a.o. Professur für Klass. Philo­logie mit sprachwis­senschaftlichem Schwer­punkt in Greifswald, 1920-1925 Professur für Klass. Phi­lologie in Bern, 1925 o. Professor in Jena.

D. hatte eine Schlüsselstellung im (indogermanistischen) Wissenschaftsbetrieb. Er war an der Erstellung maßgeblicher Handbücher betei­ligt: seit 1929 an der monumentalen Altindi­schen Grammatik sei­nes Leh­rers J. Wackernagel;[1] seit 1935 an dem Ge­genstück zum Griechi­schen (Brugmann-Schwyzers Gram­matik Bd. II, Syntax);[2] bereits 1913 hatte er die in der philologi­schen Theologenausbil­dung bis heute maßgebliche »Grammatik des neutestamenta­rischen Griechischen« von F. Blass neu bearbeitet (und damit habilitiert, s.o).[3] Seit 1926 hatte er die Schriftlei­tung der »Indogermanischen For­schungen«, seit 1927 die des »Indogermani­schen Jahr­buchs«, wo er mit der Fülle seiner regelmä­ßigen Bespre­chungen eine Institution war (sein Literatur­verzeichnis beläuft sich in der unvollstän­digen [s.u.] Bibliogra­phie von 1954 auf 584 Nummern). Seit 1927 gab er mit F. Som­mer das für das Selbstverständ­nis des Faches emblemati­sche Großunterneh­men der »Geschichte der indogerma­nischen Sprachwissenschaft« her­aus.[4]

Dabei war er allen Politisierungseinflüssen und vor al­lem dem An­tisemitismus gegenüber unzu­gänglich, be­stimmt wohl von seiner großen Reli­giosität, die ihn auch auf (evangelischen) kirch­lichen Veranstaltungen das Wort er­greifen ließ; 1944 wurde ihm in Basel der Dr. theol. h.c. verliehen. Seine po­litische Einstel­lung wird eher indirekt in manchen Beiträgen deut­lich – aber 1918 steu­erte er auch zu der pazifi­stisch ori­entierten Internationalen Rundschau (Zürich) einen Beitrag über eine (alt-)griechische Parallele zur Weltkriegspro­blematik bei (»Aus einem antiken Friedenskon­gress«).[5] Er gehörte zu den wenigen, die sich für rassistisch verfolgte Fachkollegen einsetzten, so etwa für E. Fiesel in Mün­chen.[6] An der weitgehend poli­tisierten Univer­sität Jena (s. Stein­metz 1958) ge­riet er zwangsläufig in Konflikt: 1935 wurde ge­gen ihn wegen kritischer Äußerungen ein Disziplinarver­fahren eingelei­tet und er daraufhin amtsenthoben. Da D. schweizer Staatsbür­ger war, intervenierte die Schweizer Botschaft und ver­mittelte einen Stellen­tausch (s. Heiber 1992, Bd. 2: 214): gleichzei­tig war in Bern Walter Porzig wegen sei­ner Nazi-Ak­tivitäten ent­lassen und der Schweiz ver­wiesen wor­den, so daß D. mit ihm den Lehrstuhl (in Bern für In­dogermanische Sprachwis­senschaft und Klassische Philolo­gie) tauschen konnte (1936 figu­rierte D. aber noch in den Londoner Li­sten der »Notgemeinschaft«). Neben seiner Berner Professur lehrte er auch noch von 1939-1949 in Basel. 1954 wurde er emeritiert.

Seine zunächst noch beibehaltene Herausgeberschaft bei den Zeit­schriften schuf aller­dings weiterhin Kon­flikte. Er ver­suchte wohl vorsichtig zu taktie­ren, hatte aber auch schon bei seinem fachgeschicht­lichen Un­ternehmen unorthodox agiert, wo er dem Nazi W. Wüst die Abteilung Indisch und der Jüdin E. Fiesel die für Etrus­kisch über­tragen hatte. Das brachte ihn bei Jokl in den Ver­dacht, an­tisemitischem Druck nachgege­ben zu ha­ben, was dessen ei­gene Beiträge anbe­trifft (dazu gibt es einen Briefwechsel im Nach­laß Jokl), und als der Druck zunahm, auch poli­tisch-ideologisch ge­nehme, aber wissen­schaftlich indis­kutable Beiträge aufzunehmen. Auch hier löste ihn Por­zig ab[7] (für D.s Haltung ist charakteri­stisch, daß er da, wo die wissenschaftlichen Prä­missen gege­ben wa­ren, den Kontakt zu allen Sei­ten beibehielt – wie z.B. die Korrespon­denz mit Jokl [in dessen Nach­laß] zeigt, aber etwa auch die beibehalte­nen engen Kontakte zu W. Wüst und Porzig, die z.B. beide auch zu seiner Fest­schrift 1954 einen Beitrag liefern – ne­ben Emi­granten wie H. Hoenigswald, E. Lewy und M. L. Wagner).

D.s wissenschaftliches Profil hat seinen Kern bei den sprachge­schichtlich-philologischen Un­tersuchungen zum Grie­chischen (vor allem auch dem nach­klassischen Griechisch) und Sanskrit, die außer in einer Fülle von Detailstudien in der akribisch auf Vollständig­keit bedachten Bear­beitung der ge­nannten großen Handbücher ihren Nie­derschlag fanden. Seine Dissertation (»Zu den konsonan­tischen io-Präsentien im Griechi­schen«)[8] ist auf der Grundlage einer umfang­reichen Materialaufnahme (auch der Inschrif­ten) eine akribi­sche ety­mologische Analyse, die ins­bes. chronologische und quellenspe­zifische Schichten der Überlieferung berücksich­tigt. Die Arbeit überschnei­det sich teilweise mit E. Fraenkels Dis­sertation, derge­genüber er sogar auf dessen spezifischem Be­reich (die Denominativa auf -aino und -uno) umfassender ist (zu seiner detail­lierten Auseinanderset­zung mit Fraenkel s. etwa 42-45). In der gleichen akribischen Material­auswertung, hier be­merkenswert synchron in der morphologi­schen Analyse, prä­sentiert sich seine »Griechische Wortbildungs­lehre«.[9]

Er arbeitete umfas­send zur Ge­samtheit der indo-europäi­schen Spra­chen: seine Berner Antrittsvor­lesung widmete er dem He­thitischen, das er (explizit mit dem Hin­weis auf zeitgenös­sisch stigmatisierte Sprachformen wie Jid­disch) als Misch­sprache bestimmte: indo-europäisch in der Morpho­logie, andersspra­chig im Le­xikon.[10] Wie schon in dieser Arbeit er­gänzte er seine de­skriptiven sprachwissenschaft­lichen Analysen durch komplementäre Studien zur entspre­chenden Kultur- (vor allem auch Religi­ons-) Ge­schichte, sy­stematisch aus­gearbeitet so insbes. in den Sprachgeschichten zum Lateini­schen und Griechi­schen – bemerkenswerterweise je­weils auch wie­der als Bearbeitung älterer Darstellungen (seit 1922 F. Stolz, »Ge­schichte der lateinischen Sprache«,[11] »Ge­schichte der griechi­schen Spra­che«).[12]

Die Fülle des philologischen Materials struk­turierte er in Ein­zelstudien auch unter systemati­schen Gesichtspunk­ten, so bes. im Be­reich der Wort­bildung, die ihn von seiner Dis­sertation bis zu den letzten Arbeiten beschäf­tigte, vgl. »Zur Hypostasie­rung von Wünschen und der­gleichen«,[13] wo er in sei­nen Sprachge­bieten entspre­chend breit gespannt Kon­versionen von Syntagmen in (vor al­lem: verbalen) Stämmen un­tersucht (dt. (sei) willkommenwillkomm­nen; ngr. kali méra, »guten Tag« → kalimerazo »begrüßen, guten Tag sagen«). Syntaktische Fra­gen behan­delte er in Rezensio­nen, in beachtli­cher Skepsis gegen­über dem zeitgenössi­schen mo­dischen Psychologi­sieren; respektvoll gegenüber Brugmann,[14] deutlich kri­tisch gegenüber Lerch, dem er nicht nur man­gelnde diachrone Kon­trolle an der Überlieferung bei den po­stulierten Entwicklun­gen vorwarf, sondern auch die stati­stische (sic!) Überprü­fung für seine stereotypen Verall­gemeinerungen abver­langte.[15]

Im Kontext seiner Ausbildungsaufgaben hat D. sich immer wie­der mit dem Verhältnis von Sprachwissen­schaft und Lehreraus­bildung befaßt. Sein reformpädagogisches Engagement stellte er auch in seiner Autobiographie (Q) heraus. In sei­nem Vortrag vor dem Berner Lehrerver­ein »Sprachwissenschaft und Sprachrichtig­keit«[16] betonte er einerseits die Notwendig­keit sprachwis­senschaftlicher Kontrolle bei Fragen der Sprachbe­wertung (Beispiele sind wie­der Unsi­cherheiten bei der Wortbildung u. dgl.), kritisierte aber andererseits die de­skriptive Absti­nenz der Sprachwis­senschaftler, die sich mit dem »natürlichen Orga­nismus« ihres Gegen­standsverständnisses vor sprachkulturel­len Auf­gaben drücken (was er als spezifisch deutsche Haltung im Ge­gensatz etwa zur französi­schen Zunft kritisierte). Seine Bestimmung der Grenze von analyti­scher Sprachpflege ge­genüber beck­messerischer Sprach­normierung ist auch heute noch be­merkenswert. Dem gleichen Thema war auch noch seine Berner Rekto­ratsrede 1952 gewidmet (»Aktuelle Sprachwissen­schaft. Zeitgesche­hen und Zeitgeist im Spie­gel der Spra­che«)[17] – mit beschwörenden Untertönen, die Sprachpflege und Bewahrung einer menschlichen Welt (vor der Fo­lie der überstandenen Barbarei) in Ver­bindung bringen.

Wissenschaftlich stand hier das seit den Jung­grammatikern heikle Ver­hältnis zur Phi­lologie zur De­batte, das er aus­führlich in »Sprachwissenschaft und Philolo­gie«[18] behan­delte, wo er für ein breites Gegen­standsverständnis plä­dierte, das offen für die gesell­schaftlich um­fassenderen, nicht nur in der Schule sich stel­lenden Fragen der »Sprachkultur« ist – und so funktiona­listische Fragestellun­gen, aber auch die Frage nach dem Zusammen­hang von Sprache und Den­ken/Weltbild einbezieht. In diesen Beiträ­gen zielte er vor der Folie der klassischen Spra­chen auf die »mutter­sprachliche« Kultur, wie seine zahlrei­chen In­terventionen in die Sprachpflegedebatte des »Allgemeinen Deutschen Sprachver­eins«, in der Zeit­schrift Mut­tersprache genauso wie in dessen Schwei­zer Gegen­stück, sowie vor al­lem in Lehrerzeit­schriften zei­gen, wo er sich bemühte, die wertende De­batte mit strukturel­len Argumenten (Wortbildungstypen, Kasusge­brauch u.ä.) zu un­terfüttern. Nicht ohne Humor sind seine entsprechenden »Sprachliche[n] Beobachtungen«,[19] wo er wie­der vor allem Wort­bildungsfragen und ihre graphi­sche Markie­rung (Bindestrichsetzung) analy­sierte.

Mit der gleichen Offenheit nahm er sich auch ande­rer, zumin­dest damals vieldiskutierter, Fra­gen der Sprachkul­tur an, wie insbes. der Frage nach einer internationalen Hilfssprache, s. dazu schon den o.g. Vortrag vor Berner Lehrern von 1922, bes. S. 203-204. Es war sicher kein Zu­fall, daß ihm bei den gerade in diesem Bereich z.T. recht emotionali­siert geführ­ten Debatten die Sitzungs­leitung der Sektion »Interlinguistik« auf dem 6. Int. Ling. Kongr. in Pa­ris 1948 über­tragen wurde – mit seiner nüchter­nen Programmatik, daß ein Sprach­wissenschaftler sich mit allen sprachlichen Fragen befassen müsse, war er, wie seine wohlwollen­den, aber in­haltlich unspezifi­schen Aussagen dazu zeigen, die ge­eignete Integrati­onsfigur (s. z.B. seine Eröffnungsbemerkungen zur Sek­tion »Interlinguistik«).[20]

Diese Offen­heit zeigte sich in den Gegenständen sei­ner Besprechun­gen, die zumeist wohlwollend-in­teressiert von sei­nen philologi­schen Spezialge­bieten bis in die Sprachpsychologie, -soziologie und Dialekto­logie reichen, außer­halb der Indo­germanistik und klass. Philologie relativ breit in der Ger­manistik und Romanistik. In ei­nigen et­was ausführlicheren Be­sprechungen kommen D.s eigene weit­gesteckte Inter­essen zum Aus­druck, so etwa in der durch eigene Assoziatio­nen/Erinnerungen an­gereicherten Bespre­chung von Spitzers Versuch einer Sprachbiogra­phie seines Sohnes »Puxi«.[21] So hatte er auch selbst schon Beobachtungen zur Sprachentwick­lung seiner Kin­der publi­ziert (»Aus der Sprache eines Kin­des«),[22] die in Hin­blick auf den registrierten be­wußten Um­gang mit Dialektunterschie­den in­teressant sind. In seiner Jenaer Antrittsvorle­sung behan­delte er »Lautsymbolik in al­ter und neuer Zeit«,[23] u.a. auch wie­der in Hin­blick auf die Kindersprache, grundsätzlich gegen den akademischen »Positivismus« gerichtet, der sol­che Fragestellungen ver­drängt hat. In der Sache kam er in Anlehnung an Cassirer zu einer Be­stimmung der formalen Zeichenstruk­tur der Spra­chen, die ikoni­sche Elemente nicht aus­schließt (als stilistisch nutz­bar, S. 337).

In der gleichen Of­fenheit verfolgte er auch die struktu­rellen Entwick­lungen der Sprachwissen­schaft – wobei ihm die me­thodische Strenge der Deskripti­visten »als Gegengewicht ge­gen andere Bewegungen [...] nützlich« er­scheint, wie er in ei­ner Rezension zu Bloomfields »Language« schrieb[24] – er begrüßte das Buch dieses »Germanisten« (sic!) vor allem wegen seiner vorzüg­lichen Einfüh­rung in die hi­storisch-ver­gleichende Methode (!), konnte aber mit der »stark logi­zistischen« Darstellung in der Gram­matik und der »übertriebenen Vorliebe für sche­matisierende Termi­nologie« wenig anfangen; vor­nehm schob er die Pro­bleme auf seine unvollkomme­nen Englisch­kenntnisse – jedenfalls sah er kei­nen Bruch in der Wissen­schaftsauffassung! So konnte ihn die Linguistic So­ciety of America denn auch schon 1927 zu ihrem Ehrenmit­glied wählen.[25]

Auffallend »anlehnend« waren seine allgemeineren, theore­tisch inten­dierten Aus­sagen formu­liert – zu­meist in Re­zensionen. In Hinblick auf die Bewegung der Neuerer in den späten 20er Jahren war seine Replik auf E. Hermanns Kritik an dem jung­grammatischen Para­digma wich­tig, die er unter dem gleichen Titel wie H.s Schrift pu­blizierte (»Lautgesetz und Analo­gie«).[26] Recht plausi­bel zeigt er, daß die Ar­gumentation des frühen Struk­turalismus (extensiv mit Hinweisen auf Saussure und Trubetzkoy be­legt) das jung­grammatische Programm fort­schreibt, indem sie dessen psychologisti­sche Po­sition teilt (die auch die von D. ist). Die Aus­nahmslosigkeit der Lautge­setze ebenso wie die sie durchbrechen­den Ana­logien explizie­ren nichts anderes als die Integration der sprachlichen Formen in ein System statt ei­nes Kon­glomerats (er spricht von dem »Systemgefühl« als der in­tegrierenden Instanz). Zu­sätzlich stützt er die rekon­struierten Beispiele mit solchen aus der beobachtbaren Sprachpraxis: ausführ­lich mit Beispielen von analogi­schen Neubil­dungen in der Sprachentwicklung seines Soh­nes in Auseinanderset­zung mit dem wiederhol­ten Ortswech­sel, aber auch aus der Literatur (am Bei­spiel von J. Gotthelf), wobei deutlich wird, daß er (evtl. be­wußt-scherzhafte) Prakti­ken und »Grammatikalisierungen« (den Terminus verwendet er selbst, s. S. 289) »hinter dem Rücken« der Betreffen­den nicht unterschied.

Vor allem in seiner ausgedehnten Rezensionstä­tigkeit konnte er sehr scharf die methodischen Stan­dards des Fa­ches einfor­dern – einschließ­lich einer umfassenden Kenntnis der neueren Li­teratur (s. etwa seine Bespre­chung von Rogge,[27] in der er die Unkenntnis von Saussu­res »Cours« moniert). Er war regel­mäßig auf den interna­tionalen Linguistenkongressen an­wesend (s. z.B. sein Re­ferat zum 1. Kongreß 1928),[28] legte auf dem 2. Kon­greß gemeinsam mit J. B. Hofmann, A. Schmitt und L. Weisgerber ein Pro­jekt zu einem »Wörterbuch der sprachwissen­schaftlichen Terminologie« vor[29] und hielt auch schon einmal ein Grundsatzrefe­rat wie »Soziologisches zur Lautgesetzfrage« auf dem 3. Kon­greß 1933 in Rom,[30] wo er sich al­lerdings von Ja­kobson vor­halten lassen mußte, daß er die struktu­rale Grundargu­mentation nicht verstanden habe.

Das Einfordern »zunftmäßigen« (er benutzte das Wort gerne) Arbei­tens diente ihm durchgängig zur Abgren­zung gegen positivisti­sche Ansprüche: in seinem Zü­richer Habilitati­onsvortrag 1916 (»Die Be­siedlung des al­ten Griechenland im Licht der Sprachwissen­schaft«)[31] hatte er sich schon gegen anachro­nistische Rückprojek­tionen politischer Be­griffe (wie z.B. Nation) aus dem Kontext der »Weltkriegspsychose« (S. 435) auf das Altertum ausge­sprochen und gegen ethnisch-ras­sische Posi­tionen die grundsätzliche Unabhängig­keit von Sprache und Volk re­klamiert, dabei für das Indo­germanische wie seine Völker (hier in Griechen­land) ethni­sche Mi­schungen plausibel gemacht. Später ver­wahrte er sich scharf gegen die Ver­wechslung von »Wissenschaft und weltanschauli­chem Glau­ben«, so in einer Kontro­verse mit H. Wirth.[32] Entspre­chend lobte er auch Schmidt-Rohr in seiner Re­zension von des­sen Buch »Muttersprache«[33] – das er aber im großen und gan­zen als nicht-sprachwissenschaft­lich an­sah, und gegen den er das Eigengewicht von »Sittlichkeit« rekla­mierte.

Daß D. nicht einfach Traditionalist war, zeigt auch seine Offen­heit für die Laryngaltheorie, die er nicht nur in den Grundprämis­sen der Saussureschen Mor­phemstrukturregeln (des »Mémoire« von 1879) akzep­tierte, sondern auch in der vom Hethitischen ausgehenden phoneti­schen Interpre­tation der Laryngale im Hori­zont der von ihm oh­nehin angenommenen ie.-semiti­schen Sprach­verwandtschaft. Vorsichtig nüchtern in­sistierte er Laryn­galisten wie Kuryłowicz gegenüber auf einer breiteren empirisch (-philologischen) Ab­sicherung und gegen den sich verselbständigen­den »mathematisch-variierenden« Schematis­mus der Präre­konstruktion, die sich auf zu we­nig Be­legbeispiele stützt (s. seine Besprechung von Ku­ryłowicz' »Études indoeuropéen­nes«[34] – wobei er im übri­gen mit seiner vorsich­tigen Kritik K.s jüngere Position teilweise antizipierte!).

Q: LdS: permanent; DBE 2005; Bibliographie in der FS »Sprachgeschichte und Wortbe­deutung« (hgg. von G. Redard u.a.), Bern: Franke 1954: 447-473; Kürschner 1931; Hochschulge­schichte Berns 1984; Autobiographische Aufzeichnungen von 1957/1958 (Originalmanuskript in der Idg. Bibliothek, Basel, s. http://pages.unibas.ch/klaphil/idg/allg/debrunner.html, Jan. 2009).



[1] Bd. III/1, 1929; III/2, 1930; II/2, 1954, Göttingen: Vanden­hoeck & Ruprecht.

[2] München: Beck 1950. D. war in dieses Unternehmen nach dem Tod von E. Schwyzer (1943) eingetreten, der nach dem ersten Band (1938) bereits eine erste Manuskriptversion des Syntaxbandes fertiggestellt hatte.

[3] Bis zur 9. Aufl. 1954; 1984 in der 16. Aufl. betreut von Reh­kopf, Göttingen: Vandenhoeck & Ru­precht.

[4] Er steuerte auch Fachgeschichtliches zur internationalen De­batte bei, so publizierte er einen Brief seines Lehrers Wackerna­gel in Lg. 16/1940: 71-72.

[5] Bd. 4: 176-177.

[6] S. dort die Hinweise bei Häntzschel 1994.

[7] Der in »zackiger« Manier (mit »Heil Hitler« in der Schriftlei­tungskorrespondenz, auch an Ver­folgte wie Jokl) das Geschäft bei gleichzeitigem Versuch, das wissenschaftliche Ni­veau nicht zu kom­promittieren, weiter­führte.

[8] In: Idg. F. 21/1907: 13-98 und 201-276.

[9] Heidelberg: Winter 1917.

[10] »Die Sprache der Hethi­ter«, Bern: Haupt 1921, bes. S. 21.

[11] Berlin: de Gruyter (Göschen), neubear­beitet wieder 1953, 1953-1954.

[12] Berlin: de Gruyter (Göschen) – der Teil II »Grundfragen und Grund­züge des nachklassischen Grie­chisch« war al­lerdings seine Neuerung.

[13] In M. Woltner u.a. (Hgg.), »FS Max Vas­mer«, Wiesbaden: Harrassowitz 1956: 113-123.

[14] S. »Seelenfunktionen und Satzgestaltung«, in: Dt. Literaturz. 40/1919: Sp. 705-711.

[15] »Das romanische Heischefuturum«, in: Dt. Literaturz. 41/1920: Sp. 377-382, s. Sp. 380.

[16] In: Jb. f. d. Klass. Altertum, Gesch. u. dt. Lit. u. f. Päd. 50/1922: 201-224.

[17] Bern: Haupt 1952.

[18] Jena: Frommann 1931.

[19] In: Sprachspiegel (Zürich) 1/1945: 38-43.

[20] In den Akten 1949: 585-586.

[21] In: Idg. F. 46/1928: 192-195.

[22] In: Festgabe A. Kaegi, Frauenfeld: Huber 1919: 1-11.

[23] In: Germ.- rom. Ms. 14/1926: 321-338.

[24] In: Idg. F. 54/1936: 148-149.

[25] In: Lg. 16/1940: 71.

[26] In: Idg. F. 51/1935: 269-291.

[27] In: Dt. Literaturz. 22/1929: Sp. 1039-1042.

[28] In: Idg. Jb. 12/1928: 367-368.

[29] S. die Akten, Genf 1931: 43-46.

[30] Kurzfassung in den Akten, Florenz 1935: 52-4.

[31] In: Neue Jb. f. d. Klass. Altertum, Gesch. u. dt. Lit. u. f. Päd. 41/1918: 433-448.

[32] In: Idg. F. 50/1932: 156-159; 283-287, Zitat S. 157.

[33] In: Idg. F. 50/1932: 306-307.

[34] In: Idg. F. 56/1938: 55-58.