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Scherman, Lucian Milius

Geb. 10.10.1864 in Posen, gest. 29.5.1946 in Hanson/Mass.

 

Seit 1882 Studium  der neueren Philologien (vor allem wohl Romanistik) und Indologie in Breslau und München. 1885 Promotion, 1892 Habilitation in Mün­chen; 1901 a.o. Prof., 1916 bis zur Entlassung aus rassistischen Gründen 1933 o. Professor für Indologie in München.

Die Dissertation hatte er 1885 als (prämierte) Preisschrift der Universität München eingereicht: »Philosophische Hymnen aus der Ṛig- und Atharva-Veda-Sanhitâ verglichen mit den Philosophemen der älteren Upanishad’s«.[1] Sie bietet im ersten Teil die Übersetzung einer Auswahl vedischer Hymnen, bei denen er auch sprachliche Probleme erläutert, allerdings nur in Rückgriff auf die Wörterbücher ohne eigenen sprachanalytischen Fokus. Der zweite (Haupt-)Teil gilt einer philosophiegeschichtlichen Erläuterung des »mystischen« Gedankengebäudes der Texte. Daran schloß die Habilitation an, mit einer Arbeit zur indischen »Visionsliteratur«. Auch der Habilitationsvortrag über »Kâlidâsa und seine Werke« (gehalten am 12.11.1892) hatte einen literaturgeschichtlichen Gegenstand.[2]

Bis zur Habilitation war er disziplinär offensichtlich noch relativ offen, allerdings schon mit einem deutlichen völkerkundlichen Schwerpunkt. So verfaßte er noch 1899 mit F. S. Kraus den volkskundlichen Teil der »Kritischen Jahresberichte über die Fortschritte der Romanischen Philologie« für die Jahre 1890-1897,[3] schied dort aber aus, weil er ab 1894 die Redaktion der »Orientalischen Bibliographie« übernommen hatte. Seit 1893 lehrte in der Indologie, zum Sanskrit, vor allem aber auch in einem breiten »völkerkundlichen« Spektrum. 1907 erhielt er die Leitung des »Ethnographischen Museums« in München, das er in den Folgejahren ausbaute (seit 1925 unter seiner Leitung als »Völkerkundemuseum«). Mit seiner Frau Christine (geb. Reindl) unternahm er 1910-1911 eine Forschungsreise nach Birma, über deren Ergebnisse er in einer Reihe von Arbeiten mit »Völkerkundlichen Notizen aus Oberbirma« berichtete, so z.B. »Webmuster der birmanischen Kachin, ihre Namen und Stilgrundlagen«, in der von ihm (mit C. Bezold) hg. Festschrift für seinen Lehrer E. Kuhn »Aufsätze zur Kultur- und Sprachgeschichte, vornehmlich des Orients«.[4] Obwohl z.T. in Anlehnung an die Wörter-und-Sachen-Forschung verfaßt, geht er in sprachlichen Fragen nicht über das hinaus, was vor ihm schon Kuhn zu dieser tibeto-burmanischen Sprachgruppe festgestellt hatte.

1916 erhielt er in München einen eigens für ihn geschaffenen Lehrstuhl »für die Völkerkunde Asiens mit besonderer Berücksichtigung des indischen Kulturkreises«. So sind denn auch seine weiteren Veröffentlichungen völkerkundlich/kunstgeschichtlich ausgerichtet (u.a. zu China). Seine Entlassung aus rassistischen Gründen (nicht zuletzt auch aufgrund von massiven persönlichen Diffamierungen) war 1933 aufgrund seiner Verbeamtung vor 1914 formal (noch) nicht möglich. Außerdem stützte ihn die Fakultät, aber auf Druck des Ministeriums reichte er ein Gesuch um Emeritierung ein.[5] Nach seiner Entlassung lebte er noch bis 1939 in München, bis er in die USA emigrierte (zu seinem Sohn, der dort bereits als Mediziner tätig war). In Verbindung mit der Harvard Universität konnte er seine wissenschaftliche Arbeit dort weiterführen (u.a. am Fogg Museum of Art) und auch publizieren. 1946 wurde er (kurz vor seinem Tod) formal wieder in sein Amt an der Universität München eingesetzt.

F. Wilhelm hat 2001 seine »Kleine Schriften« herausgegeben.

Aufgrund der allerdings eher kursorischen sprachlichen und sprachgeschichtlichen Erläuterungen in seinen Arbeiten, vor allem in seinen indologischen Arbeiten, kann er hier als ein marginaler Fall von »Sprachforscher« berücksichtigt werden.

Q: BHE; Walk 1988; B/J; Hanisch 2001: 93; NDB; Nachrufe: P. L. Hecht in: Aufbau 24/1946; L. Bachofer in: Artibus Asiae 10/1947: 69, s. auch F. Wilhelm in: [Bayrische Akademie] Akademie aktuell 4/2006: 29-30; S. Wirken in München ist Gegenstand verschiedener Aufsätze in den Münchener Beiträge zur Völkerkunde 6/2001.



[1] Gedruckt: Straßburg: Trübner 1887.

[2] Der »klassische« Autor Kâlidâsa (5. Jhd.) war auch einer der Arbeitsschwerpunkte von Ruben.

[3] Erlangen: Junge 1899: 1-21.

[4] Breslau: Marcus 1916, dort S. 502-523.

[5] Einzelheiten und Hintergründe bei Böhm 1995.