Steindorff, Georg
Geb. 12.11.1861 in Dessau, gest. 28.8.1951 in North Hollywood/Los Angeles.
Nach dem Abitur 1872 in Dessau Studium der Orientalistik in Berlin und Göttingen, das er 1885 mit der Promotion in Berlin abschloß. Laut Vita hatte er die Altorientalistik in ihrer ganzen Breite studiert (u.a. bei dem 1883 schon in die USA ausgewanderten. P. Haupt),[1] hatte aber schon als Schüler sein Hauptinteresse beim Ägyptischen, das er bei A. Erman studierte, mit dem er später eng zusammenarbeitete. Die Dissertation »Prolegomena zu einer koptischen Nominalclasse«[2] ist eine strikt deskriptive Arbeit, z.T. in direkter Anlehnung an Erman, die aufgrund der graphischen Variation in den Handschriften (mit der Isolierung von Lehnformen) das produktive System des Koptischen rekonstruiert und im Sinne einer ägyptischen Sprachgeschichte als Regularisierung/Ausbau eines transparenten Systems in Reaktion auf den Lautwandel analysiert.
Im Rahmen der Berliner Forschungsgruppe um Erman hatte seine Rekonstruktion des (älteren) Koptischen eine Schlüsselrolle, da er mit ihr die Dynamik der 4000-jährigen Sprachentwicklung des Ägyptischen von ihrem Endpunkt her greifbar machte: in der Grammatik durch den zugrundegelegten analytischen Umbau auf der einen Seite, durch die strikten Filter der Wortphonologie (mit nur einem »vollen« Vokal im phonologischen Wort) auf der anderen Seite. Grundlage dafür war bei ihm wie bei Erman die Isolierung eines homogenen Textcorpus, wofür er das Sacidische (Oberägyptische) herauspräparierte, im Gegensatz zum bis dahin allgemein als Bezugsgröße gewählten jüngeren Koptischen der liturgischen Praxis der koptischen Kirche (das unterägyptische Bohairische in seiner späteren Form). 1885-1890 war er Assistent am Ägyptischen Museum in Berlin; 1890 habilitierte er in Berlin mit einer Habilitationsschrift, die wiederum dem Koptischen galt. Seit 1893 lehrte er in Leipzig, zunächst als a.o. Professor, seit 1900 als Honorarprofessor, schließlich 1904 als ordentlicher Professor für Ägyptologie. 1923 war er dort auch Rektor der Universität. In Leipzig baute er ein Ägyptisches Museum auf, das heute noch besteht.
Schon im Studium hatte er Studienreisen nach Ägypten, Libyen und Nubien unternommen. Später führte er mehrere große Expeditionen mit Ausgrabungen durch (1903-1906 bei den Pyramiden in Ägypten, 1912-1914 und dann 1930-1931 in Aniba, Nubien). Seine zentrale Stellung im Fach wird daran deutlich, daß er seit 1894 die Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde herausgab, zeitweise auch die Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft. 1934 wurde er emeritiert, aus rassistischen Gründen wurde ihm 1935 die Lehrbefugnis entzogen (er war getauft). 1937 wurde ihm die Zeitschriftenherausgabe entzogen, 1938 wurde er zum Austritt aus der Sächsischen Akademie genötigt. Daraufhin emigrierte er in die USA, aufgrund seiner Prominenz unter relativ privilegierten Bedingungen.[3] Dort konnte er als ägyptologische Autorität seine Forschungen fortsetzen, mußte seinen Lebensunterhalt aber durch die Arbeit für Museen finanzieren.[4]
Auch über das Koptische hinaus war er mit zahlreichen historischen und vor allem auch kunstgeschichtlichen Beiträgen an der Ägyptologie beteiligt. Für das Koptische verfaßte er grammatische Handbücher, jeweils in philologischer Auseinandersetzung mit den griechischen Vorlagen der einschlägigen christlichen Texte. Das gilt so schon für sein frühes Lehrbuch »Koptische Grammatik mit Chresthomathie, Wörterverzeichnis und Literatur«,[5] das die Texte (für Anfänger!) ohne Umschrift präsentiert und beim grammatischen Abriß relativ ausführlich die Syntax behandelt. Im Zentrum steht der analytische Umbau des Ägyptischen (bes. die Ausbildung der periphrastischen Konjugation), die mit der Bewahrung archaischer Elemente zusammengeht. Weiter ausgearbeitet hat er seine Analyse in dem späteren Handbuch »Lehrbuch der Koptischen Grammatik«[6] (im Manuskript schon 1941 fertiggestellt; für die Publikation war eine englische Übersetzung vorgesehen, die aber nicht fertiggestellt wurde); auch hier nimmt die Syntax wieder den größten Raum ein (111 von 246 Seiten).
Auf seine Vertreibung aus Deutschland reagierte er nach dem Krieg mit einem Rundschreiben an seine Fachkollegen in den USA, in dem er die politische Rolle der im Reich verbliebenen Altorientalisten darstellt bzw. einschätzt.[7] Die Universität Leipzig hat 2008 S. durch die Benennung ihrer ägyptologischen Einrichtungen als »Georg Steindorff Institut« geehrt.[8]
Q: V; BHE; Assmann 1990; Walk 1988; DBE 2005; Hanisch 2001; Lambrecht 2006; Briefe an Erman, s. bei diesem.
[1] S. Anhang zum Auswertungskapitel, Abschnitt 2.5.
[2] Leipzig: Hinrich 1884. Er hatte sie vorgesehen als Abschnitte einer »Lautlehre und Nominalbildung des Aegyptischen«, die aber offensichtlich nicht erschienen ist.
[3] So konnte er seine private ägyptische Sammlung der Universität Leipzig verkaufen. Darum gab es ab 2009 einen juristisch ausgetragenen Streit, weil die US-amerikanische »Jewish Claims Conference« diese Bestände als vorgeblich unter Zwang verkauft reklamierte und damit auch 2011 vor dem Berliner Verwaltungsgericht recht bekam. Als der Ägyptologe J. Assmann darlegen konnte, daß es für S. ein persönliches Anliegen gewesen war, seine Sammlung von der Universität Leipzig weiterführen zu lassen, verzichtete die »Jewish Claims Conference« auf ihre Ansprüche, s. dazu den Bericht in der Frankfurter Allg. Zeitung v. 24.6.2011.
[4] Seine Briefe an Erman (s. bei diesem Q: Nachlaß) machen deutlich, wie sehr S. versuchte, seine Arbeit zunächst trotz aller selbst erfahrenen und bei anderen beobachteten Repression weiterzuführen. Am 20.9.1935 schrieb er dann: »Ich war stolz darauf, sagen zu können ›civis Germanus sum‹, und kann es nicht ertragen, mit russischen und galizischen Rassegenossen in ein Ghetto gesperrt zu werden« (dort S. 48). Zu diesem Zeitpunkt war für ihn noch nicht klar, was er machen würde.
[5] Berlin: Reuther & Reichard 1894, 2. Aufl. 1904, 3. Aufl. 1930 (Repr. Hildesheim: Gerstenberg 1979).
[6] Chicago: Univ. Press 1951.
[7] Wieder abgedruckt bei S. Stadnikow, »Die Bedeutung des alten Orients für deutsches Denken. Skizzen aus dem Zeitraum 1871-1944«, (s. http://archiv.ub.uniheidelberg.de/propylaeumdok/frontdoor.php?source_opus=40&la=de, Dez. 2008).
[8] S. http://idw-online.de/pages/de/news260104 (Oktober 2012).