Wilhelm, Helmut
Geb. 10.12.1905 in Tsingtao (Quingdao), gest. 5.7.1990 in Seattle.
W.s Vater, Richard W., war Missionar in der deutschen Kolonie Tsingtao, der mit der Familie am Ende des Ersten Weltkrieges nach Deutschland zurückkehrte. Der Vater übernahm an der damals neu gegründeten Universität Frankfurt die erste sinologische Professur, wobei sein Sohn ihm assistierte. Dieser studierte dann aber Jura und Politologie (in Kiel und Grenoble) und arbeitete seit dem Staatsexamen 1928 beim Gericht in Frankfurt. 1929 (nach dem Tod des Vaters) nahm er in Berlin ein sinologisches Studium auf, 1930 Übersetzerexamen, 1932 Promotion (mit einer philosophiegeschichtlichen Arbeit über einen chinesischen Ethiker aus dem 17. Jahrhundert [Gu Ting Lin]).
1932 ging er nach Peking als Zeitungskorrespondent, wo er zugleich ein Deutschlandinstitut gründete und leitete. Da seine Frau von der rassistischen Gesetzgebung betroffen war, mußte er die offizielle Funktion niederlegen.[1] Seitdem arbeitete er mit chinesischen Kollegen an dem Vorhaben eines großen Deutsch-Chinesischen Wörterbuchs (seit 1935, s.u.). Seine Korrespondententätigkeit für deutsche und schweizer Zeitungen führte er daneben bis zur Ausreise (bis Kriegsende) weiter. Zugleich übernahm er ein Lektorat für Deutsch an der Peking-Universität (Fu-jen, Kath. Universität), wo er auch als Herausgeber an der Zeitschrift Monumenta Serica fungierte. Dort wurde er auch zum Professor für Deutsch ernannt.
Er verfaßte eine Reihe großer Überblicksdarstellungen zur chinesischen Geschichte, besonders auch der Philosophiegeschichte (mit einem Schwerpunkt bei Konfuzius). 1948 nahm er ein Angebot amerikanischer Kollegen auf eine sinologische Professur an der Washington Universität in Seattle an, wo er am Aufbau einer sinologischen Abteilung im Sinne der Area-Studies für den Fernen Osten beteiligt war (u.a. mit Reifler und Wittfogel) und seine Forschungen weiter verfolgte. In den letzten Jahren war er zunehmend angezogen von mystischen europäischen Gedankensystemen, die er mit altchinesischen synkretistisch verknüpfte. So beschäftigte er sich intensiv mit Jungs Tiefenpsychologie, an deren Tagungen in der Schweiz er auch seit 1951 regelmäßig teilnahm. Ein Angebot auf eine Professur im deutschsprachigen Raum lehnte er aber ab, da er sich in den USA zu Hause fühlte. Nach seiner Emeritierung arbeitete er an einer großen chinesischen Literaturgeschichte, die er aber nicht mehr fertig stellte.
Seine historischen und literarischen Arbeiten gelten als Standardwerke und sind auch ins Deutsche übersetzt worden: »Gesellschaft und Staat in China. Zur Geschichte eines Weltreiches« (zuerst 1944);[2] vor allem auch seine Interpretationen zum Buch der Wandlungen (I Ging), das sein Vater übersetzt hatte: dt. »Sinn des I Ging«.[3]
Berücksichtigt ist er hier wegen seiner Wörterbucharbeit, wobei sein umfangreiches »Deutsch-chinesisches Wörterbuch« (1236 Seiten, 1945 von einer deutschen Firma in Shanghai publiziert)[4] seine Besonderheit in dem umfangreichen technischen Wortschatz hat (v.a. auch musikologisch). Für die chinesischen Nutzer sind die deutschen Lemmata mit morphologischen und Silbengliederungen versehen, die chinesischen Entsprechungen nach Wortfeldern und syntaktischen Kontexten differenziert.
Q: F. M. Mote in: Monumenta Serica 29/1970: 3-6; Nachrufe in der Gedenkschrift Oriens Extremus 35/1992 (D. R. Knechtges, G. E. Taylor, D. W. Treadgold, F. W. Mote, H. Franke); Bibliographien: F. W. Mote (bis 1968) in: Monumenta Serica 29/1970: 7-12, Addenda von H. Walravens, in: Monumenta Serica 30/1972: 634 und 32/1976: 400-403; D. R. Knechtges in der o.g. Gedenkschrift Oriens Extremus 35/1992: 23-34 (einschließlich der Korrespondenzberichte für die Frankfurter Zeitung). E. Bruce Brooks, in: Sinology Project, Amherst College/Mass., s. www.umass.edu/wsp/sinology/persons/wilhelmh.html (Jan. 2009); M. Kern: 525-526.
[1] S. dazu und zu W.s Funktion beim Deutschland-Institut in Peking M. Kern 1998: 515 und Jansen 1999: 190-191.
[2] Hamburg: Rowohlt 1960.
[3] Köln: Diederichs 1972 (7. Aufl. 1986), engl. »Heaven Earth, and Man in the Book of Changes«, Seattle-London: University of Washington Press 1977.
[4] Im Untertitel »In Gemeinschaft mit chinesischen Fachgelehrten ausgearbeitet«, Repr. Hildesheim: Olms 1970.