Bartholmes, Herbert
1941 machte B. ein Notabitur und wurde zum Kriegsdienst in Norwegen eingezogen. Praktische Hilfeleistungen für russische Kriegsgefangene führten zu einem Kriegsgerichtsverfahren wegen Wehrkraftzersetzung, dem er sich durch die Flucht nach Schweden entzog. Dort wurde er interniert, wodurch er in Verbindung mit dem Nationalkomitee Freies Deutschland kam. Seine Politisierung stand von Anfang an wohl in einer Spannung zu seiner moralisch bestimmten Haltung, die ihn dazu brachte, sich auch im Rahmen des schwedischen Roten Kreuzes an Hilfsmaßnahmen zu beteiligen. Politisch wurde er aktiv in der Formierung einer Dissidentenfraktion der politischen Linken, in der Organisation »Weg ins Leben«. [1]
1945 kehrte er nach Westdeutschland zurück, wo er die FDJ in Rheinland Pfalz begründete. 1948-1949 wechselte er in die Zentralleitung der FDJ in Berlin, geriet aber zunehmend in politische Konflikte und kehrte nach Westdeutschland zurück. In diesem Kontext entwickelte er eine strikt antikommunistische Position, die sich später auch in entsprechenden Veröffentlichungen niederschlug, so z. B. in einer gegen die DDR-Historiographie gerichteten Abrechnung mit der Volksfrontpolitik: »Der Kampf der Komintern gegen die deutsche Sozialdemokratie in der Weltwirtschaftskrise 1919-1933«.[2] 1948 wurde in Rheinland Pfalz die FDJ verboten und B. daraufhin nicht nur die Einstellung als Volksschullehrer verweigert, sondern auch die Aufnahme des Studiums in Mainz. Er ging nach Bonn, um dort Germanistik zu studieren, orientiert an der Weisgerberschen Sprachinhaltsforschung und der in Bonn von Betz, Moser u.a. betriebenen Analyse der politischen Sprache, insbes. der DDR.
1954 kehrte er nach Schweden zurück, wo er 1956 in Göteborg sein Studium mit einem Examen abschloß, auf der Grundlage einer Arbeit »Tausend Worte Sowjetdeutsch«, die in den einschlägigen germanistischen Arbeiten der Zeit als Grundlagenstudie diente.[3] Als Kronzeugen für seine Sprachkritik führt er Klemperer an, verbunden mit der Distanzierung, daß »Prof. Klemperer der Sprachvergewaltigung des Kommunismus nur in ihren äußersten Auswüchsen, nicht aber an ihrer Wurzel entgegentritt« (S. 54). Seit seinem Examen unterrichtete er in Vänersborg als Studienrat. 1970 promovierte er in Göteborg mit einer Erweiterung seiner Arbeit von 1956: »Brüder, Bürger, Feind, Genosse und andere Wörter der sozialistischen Terminologie«.[4] Trotz der z.T. heftigen antikommunistischen Polemik sind diese Studien deutlich um methodische Kontrolle bemüht, um mit deskriptiven Verfahren den Fallstricken der zeitgenössischen Sprachkritik zu entgehen (er wendet sich explizit gegen die Rede vom »Mißbrauch der Sprache« und zeigt strukturelle wie sachliche Übereinstimmungen in der BRD und der DDR auf). In mehreren zeitlichen Schnitten verfolgt er die Dynamik der Entwicklung, nicht nur im Wortschatz direkt, sondern auch in den Kontextualisierungsformen (Attribute u.dgl.), unter Zuhilfenahme statistischer Verfahren. Ein besonderes Gewicht legt er auf die Umnutzung historischer Vorgaben im politischen Diskurs, dessen Tradition er bis ins 19. Jhd. zurückverfolgt.
Die historische Orientierung ist noch deutlicher bei der vorher aufgrund eines Forschungsstipendiums in Bonn angefertigten Arbeit »Das Wort ›Volk‹ im Sprachgebrauch der SED. Wortgeschichtliche Beiträge zur Verwendung des Wortes ›Volk‹ als Bestimmungswort und als Genitivattribut«,[5] die in lexikalischer Anordnung exemplarisch diskursive Entwicklungen der deutschen Kommunisten seit 1919 verfolgt, dabei bes. die Rolle des Moskauer Exils in der Zeit des Faschismus für die spätere DDR analysiert. Auch hier ist wieder sein Bemühen um methodische Kontrolle deutlich, das die aufgezeigten Entwicklungen in einen breiteren Horizont (auch in anderen Sprachen) stellt. Die politische Stoßrichtung wird dafür umso deutlicher bei einer auf dieser Untersuchung fußenden Studie »Das Wort Volk im Dienst der Parteiterminologie der NSDAP und der SED«.[6] Explizit unter Berufung auf die Weisgerbersche Weltbildauffassung der Sprache (aber auch mit ambivalentem Bezug auf Klemperer) wertete er dort formale Übereinstimmungen im NS- und SED-Sprachgebrauch als Indikatoren für inhaltlich-politische Entsprechungen (er stellt dort in alphabetischer Ordnung korrespondierende Wortbildungen bzw. Kollokationen mit Volk aus SED- und NS-Quellen zusammen). Interessant ist seine angedeutete historische Perspektive: Bei den gemeinsamen historischen Traditionen von SED und SPD findet er eine unterschiedliche Sensibilität für die im Nationalsozialismus »verbrauchten« Wörter, wofür er bei der SED den Einfluß des Sprachgebrauchs der KPdSU in Betracht zieht.
In Aufsatzform publizierte er weitere wortgeschichtliche Studien zur politischen Sprache, die er in die Tradition der Arbeiterbewegung zurückverfolgt. Daneben hat er mehrfach wissenschaftliche Werke aus dem Schwedischen ins Deutsche übersetzt, u.a. 1976 B. Malmbergs »Einführung in die Phonetik als Wissenschaft«,[7] bei der er sich auch um erläuternde begriffliche Erklärungen bemüht.
Sprachwissenschaftlich hat er sich auch mit dem Schwedischen befaßt, so in seiner toponymischen Studie »Vägnamnen i Vargön«,[8] in der er 115 Wegbezeichnungen einer Gemeinde von Vänersborg (seiner Heimatgemeinde) in ihrer historischen Überlieferung registriert und etymologisch sowie nach der Wortbildung analysiert (den Aufsatz widmet er »meinem [Bonner] Lehrer Adolf Bach«).
Q: Müssener 1974; Nachruf: Manfred W. Hellmann in: Mitteldeutsches Jahrbuch für Kultur und Geschichte 8/2001: 235-238. Nachlaß im Exilarchiv der dt. Nationalbibliothek.
[1] S. dazu von einer kommunistischen Position aus Peters 1984, bes. S. 182; dort ist B. auf einem Foto gegenüber S. 147 auch abgebildet.
[2] Vervielfältigt, o.O., o.J. - aufgrund der zitierten Literatur nach 1957; Kopie im IfZ, München.
[3] Diese Arbeit hat er 1961 nochmals in Göteborg für die dortige Bibliothek vervielfältigt (masch.-schr. 59 S. – ergänzt um bibliographische Nachträge seit 1956).
[4] »Wortgeschichtliche Beiträge«, Göteborg: Acta Universitas Gothoburgensis 1970.
[5] Düsseldorf: Schwann 1964.
[6] In: Mitteldeutsche Vorträge H. 2/1963: 31-46; der Titel dort hat als offensichtlichen Druckfehler USDAP für NSDAP.
[7] München: Finck 1976.
[8] In: Ortnamnsällskapets Uppsala Aarsskrift Jg. 1980: 38-57.