Hibler-Lebmannsport, Leo von
Geb. 18.12.1884 in Sillian/Tirol, gest. 20.11.1956 in Wien.
Nach dem Abitur in Innsbruck dort Studium der Anglistik (zeitweise in Verbindung mit einer Bibliothekarstelle am Engl. Seminar). Nach einer Studienreise nach England 1908 Promotion in Innsbruck, anschließend Lehramtsprüfung (in den Fächern Englisch, Deutsch, Französisch) und 1911-1927 Schuldienst in Maribor (Slowenien, damals Marburg/Drau) und Graz. Zeitweise auch Lehrer für Englisch in Graz und Lektor für Deutsch in London (1921 heiratete er eine Engländerin). 1925 habilitierte er in Graz in der Anglistik. 1928 a.o. Prof. in Prag, 1929 o. Prof. für engl. u. amerik. Kultur an der Handelshochschule Leipzig, 1932 o. Prof. TH Dresden, gleichzeitig weiterhin Honorarprofessor in Leipzig. Seine weitere Karriere ist reichlich verworren. 1933 erscheint er sowohl auf der Dresdener wie der Leipziger Liste der Unterzeichner des »Bekenntnisses deutscher Professoren zu Adolf Hitler«. Nach Haenicke 1981 wurde er 1936 zwangsemeritiert, als die Lehrerausbildung an der TH eingestellt wurde – und so wurde er auch in den Londoner Listen der Notgemeinschaft aufgeführt.[1] Er behielt aber seine Honorarprofessur in Leipzig und wird 1941 auch im »Kürschner« verzeichnet. Er publizierte in diesen Jahren weiterhin Aufsätze (insbes. in Anglia). Seine Frau verließ allerdings aus politischen Gründen mit den Kindern Deutschland (sie kehrten erst nach dem Krieg zu H.-L. zurück). 1946 wurde er o. Prof. an der Univ. Leipzig. Im gleichen Jahr nahm er einen Ruf nach München an, 1947 ging er an die Univ. Wien, wo er vor allem für die Dolmetscherausbildung zuständig war. 1951 wurde er emeritiert, vertrat seinen Lehrstuhl aber noch bis 1956.
H. publizierte entsprechend seiner Stellendenomination in Leipzig auf dem Gebiet der »Kultur- und Wirtschaftsgeschichte sowie Wirtschaftssprache des britisch-amerikanischen Sprachraums«, insbes. auch zum literarisch-publizistisch artikulierten Verhältnis zu Deutschland. Bemerkenswert sind schon in seinen frühen Veröffentlichungen in England kritische Untertöne: so wenn er in der zeitgenössischen Begeisterung in England für die Tiroler Aufstandsbewegung gegen Napoleon eine österreichfeindliche Grundhaltung diagnostiziert (»Wordsworth in seinen Tiroler Sonetten und in seinem Verhältnis zu Österreich«)[2] oder englische Parlamentsreden vor dem Hintergrund der repressiven englischen Politik analysiert, gegen die maschinenstürmerischen Aufstände und die Irlandpolitik (»Lord Byron in seinen Parlamentsreden«).[3]
Mit seinem Schwerpunkt bei fachsprachlichen Problemen des Fremdsprachunterrichts gehörte er zu den Modernisten, wie auch seine Beiträge zu den Germ.-rom. Monatsheften in den 20er Jahren zeigen. Seine akademische Karriere beruhte auf philologisch-deskriptiven Arbeiten, so insbes. seine Habilitationsschrift zur mittelenglischen Überlieferung eines Epos des Troja-Zyklus »The Seege of Troye«,[4] die im zweiten Band die drei überlieferten Handschriften synoptisch ediert (also bewußt keine »kritische« Ausgabe herstellt). Dem entspricht, daß er im ersten Band eine detaillierte (Dialekt-)Grammatik der Schreiber erstellt (Laut- und Formenlehre), und diese Schreibsprachen dem Urtext gegenüberstellt, dessen sprachliche Form er aus den Reimformen extrapoliert. In Hinblick auf sein Vorgehen reklamiert er bewußt Originalität und Eigenständigkeit gegenüber der Wiener Luick-Schule (»Methodisches zur Ermittlung der Schreiberindividualität in mittelenglischen Handschriften«).[5] Hier zeigt er sich als Vertreter der gegen die romantische Sichtweise (und »kritische« Editionspraxis) in der Tradition des 19. Jhdts. gerichteten »positivistisch« eingestellten Neuerer, die synchron die sprachlichen Verhältnisse in der Überlieferung bei den verschiedenen Schreibern untersuchen, um erst dann aufgrund indirekter Indizien (Inkonsistenzen in der Schreibpraxis, hier vor allem zwischen Reim und sonstigem Text) Rückschlüsse auf die Überlieferungsgeschichte anzustellen.
Spätere Veröffentlichungen passen sich in die damals dominierende »kulturkundliche« Ausrichtung der fremdsprachlichen Fächer ein, so mit einem bemerkenswert kritischen Touch gegenüber dem Kapitalismus der USA in: »Der Rail-Road-Trust in der neueren politischen Roman-Literatur Amerikas«,[6] nur gelegentlich mit expliziteren sprachwissenschaftlichen Bemerkungen wie in seiner Kommentierung von Mark Twains notorischen sprachkritischen Glossen zum Deutschen (»The awful German language«),[7] als deren Grundlage er Twains unzureichende Kenntnisse des Deutschen diagnostiziert. In der ihm gewidmeten Festschrift von 1955 (Q) figuriert er vor allem als Literaturwissenschaftler.
Q: LdS (Suppl. 1937): unplaced; Haenicke 1981; Nachruf von St. Wild, in: Forschungen und Fortschritte 31/1957: 93ff.; K. Brunner (Hg.), »Anglo-Americana: FS für H.-L.«, Wien: Braumüller 1955; Hausmann 2003; DBE 2005.
[1] Das Verzeichnis der »Wirtschaftswissenschaftlichen Hochschullehrer an Reichsdeutschen Hochschulen« 1938 vermerkt von ihm »bis 1937 Univ. Prof. in Dresden« (S. 472 ff.). H. Penzl (pers. Mitteilung) vermutete Probleme im persönlichen Bereich als Ursache: einerseits die von H.-L. 1937 wiedererworbene österreichische Staatsbürgerschaft, nachdem er mit der Professur in Deutschland die deutsche erworben hatte, andererseits Vermögensprobleme seiner englischen Ehefrau.
[2] In: Germ.-rom. Monatshefte 14/1926: 437-454.
[3] In: Germ.-rom. Monatshefte 14/1926: 52-65.
[4] 2 Bde., Graz: Moser 1928.
[5] In: Anglia 51/1928: 354-371.
[6] In: Anglia 62/1938: 423-436.
[7] In: Anglia 65/1941: 206-213.