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Lindheim, Bogislav von

Geb. 4.11.1910 in Wien, gest. 17.1.1971 in Heidelberg.

 

L. gehört offensichtlich nicht zu den Verfolgten, war aber in dem kritischen Zeitraum vorübergehend im Ausland und ist deshalb aufgenommen.[1] Er studierte von 1930-1932 in Jena, Leipzig und Wien, aber auch in Birmingham und Durham mit dem Schwerpunkt Anglistik. 1937 promovierte er in Wien bei Luick mit der Arbeit »Die Sprache des Ywain und Gawain und des Pricke of Conscience«, die er für die Veröffentlichung um die vollständige Auswertung des Manuskripts ergänzte.[2] Gegen die damals noch praktizierte normalisierende »kritische« Editionspraxis analysierte er die individuelle Sprache (beschränkt auf die Lautlehre) der fünf identifizierbaren Schreiber der handschriftlichen Überlieferung, in der er (in der Tradition seines Lehrers Luick) den direkten Ausdruck ihrer gesprochenen (dialektalen) Sprache sieht.

1937-1939 war er Lektor in Durham (während dieser Zeit machte er 1938 sein Staatsexamen in Leipzig). Von 1940 bis 1945 leistete er den Militärdienst. Danach lebte er als Sprachlehrer in Berlin, habilitierte 1947 in Leipzig (mit einer ungedruckten Habilitationsschrift über »Die germanische Heldensage im Englischen«). Seine Leipziger Dozentur wurde 1949 in eine außerordentliche Professur umgewandelt. 1950 wurde er ordentlicher Professor für Anglistik an der FU Berlin, 1962 in Heidelberg. Verschiedentlich hatte er Gastprofessuren, u.a. in New York und Stanford.

Sein Arbeitsgebiet war zunächst eher philologisch bestimmt von dem Vorbild seiner Lehrer Luick und Förster, der ihn zur Herausgabe des altenglischen »Durhamer Pflanzenglossar«[3]anregte, mit einer ausführlichen etymologischen Kommentierung der Formen im Verhältnis zu den glossierten lateinischen Formen, insbesondere zur Wortbildung. Hier, im Bereich der historischen Wortbildung, lag einer seiner Arbeitsschwerpunkte, zu dem er umfangreiche Materialsammlungen anlegte, s. etwa »Die weiblichen Genussuffixe im Altenglischen«,[4] mit der Analyse der Produktivität der einzelnen Bildungselemente, für die er insbesondere in der Möglichkeit der Kombination mit französischstämmigen Elementen im Mittelenglischen ein Kriterium definiert (s. etwa S. 489).

Seine Arbeit war immer »positivistisch« auf die Manuskriptbefunde bezogen, wobei er aus diesen so auch Registerdifferenzen extrapolierte. Während das im Mittelenglischen und später im Frühneuenglischen (bei ihm öfters untersucht: Shakespeare) direkt greifbar ist, wird das im Altenglischen sehr viel schwieriger, aufgrund der komplexen Überlieferung mit den »hohen« Registern sowohl der germanischen Heldenepik wie der an lateinischen Vorlagen orientierten christlichen Dichtung und Übersetzungen. Die Möglichkeit, entsprechende Spuren zu finden, sieht er hier in der Auswertung der altenglischen Rätsel, s. »Traces of Colloquial Speech in O. E.«.[5]

Bei allem sprachwissenschaftlichen Positivismus seiner Analysen in der junggrammatischen Tradition blieb er aber Philologe, der auch keine Mühe hatte, seine Analysen als instrumental für die Textedition zu präsentieren, s. etwa »Problems and limits of textual emendation«.[6] Auch da, wo er gelegentlich systematischer intendierte Überblicksdarstellungen gab, zeigte er sich als traditioneller Vertreter des Faches, der im übrigen Sprache als Ausdruck des »Volkscharakters« versteht, s. »Deutsche Sprachwissenschaft«.[7] In der Anglistik hatte L. eine nicht unwichtige Position, u.a. als zeitweiser Mitherausgeber der Zeitschrift Anglia.

Q: Kürschner 1970; Haenicke/Finkenstaedt 1992; Weibel/Stadler 1993; H. Käsmann, in: Anglia 89/1971: 161-163.


 

[1] S. auch seine Aufnahme in den Katalog von Weibel/Stadler 1993.

[2] Als erweiterte Dissertation unter dem Titel »Studien zur Sprache des Manuskriptes Cotton Galba E IX« gedruckt in: Wiener Beitr. engl. Ph. 59/1937. Der Titel macht die positivistische Ausrichtung der Arbeit noch deutlicher: er nennt nicht den Text, sondern die Manuskriptbezeichnung im British Museum.

[3] In: Beitr. engl. Ph. 35/1941.

[4] In: Anglia 76/1958: 479-504.

[5] In: Anglia 70/1951: 22-42.

[6] In: D. Riesner/H. Gneuss (Hgg.), »FS W. Hübner«, Berlin: Schmidt 1964: 3-15.

[7] In: Westermanns Monatshefte 5/1944: 329-332.