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Springer, Otto

Geb. 18.3.1905 in Aalen (Württemberg), gest. 15.9.1991 in Bryn Mawr/Pennsylvania.

 

Nach dem Abitur 1923 in Blaubeuren Studium der Theologie, klass. Philologie und Germanistik in Tübingen, Berlin, München und Uppsala. 1927 Promotion in Tübingen bei H. Schneider; Dissertation: »Die Flußnamen Württembergs und Badens«.[1] Im Anschluß an die Promotion Studienaufenthalte in England und Skandinavien, aus denen eine kultur- bzw. literaturgeschichtliche Arbeit resultie­rte: »Die nordische Renaissance in Skandinavien«[2] – in der Sache entsprechend seinen Aufent­haltsorten auf Dänemark und Schweden beschränkt. 1930 emigrierte er in die USA, wo seine Frau eine Professorenstelle hatte. Seit 1932 lehrte er selbst als Professor der Germanistik: zunächst in Nor­ton, Mass. (bis 1936); dann in Lawrence, Kansas (bis 1940), seit 1940 in Philadelphia. Während des Weltkriegs war er als Vernehmungsoffizier für deutsche Kriegsgefangene tätig.[3]

Seine namenkundliche Dissertation grenzt sich methodisch von dem auf diesem Gebiet verbreiteten Dilettantismus ab, indem er ein möglichst vollständiges Repertorium von Flußnamen einer Region zu­grundelegt, das er in Hinblick auf die dialektale Variation der Formen kontrolliert, statt atomistisch Einzelformen in die Frühge­schichte rückzuprojizieren. In inhaltlicher Hinsicht versteht er seine Arbeit als Beitrag zur historischen Volkskunde – mit einer polemischen Wendung gegen Hans Naumanns elitäre These vom »gesun­kenen Kulturgut« (s. bes. S. 233). Wenn auch sehr vorsichtig setzt er dem die Rekonstruktion einer germanischen (volkstümlichen) Namenspraxis entgegen, die er von einem mediterranen Typ abgrenzt.

In den USA vertrat er die Auslandsgermanistik in ihrer ganzen Breite – zumindest im Bereich der Älteren Abteilung auch in der Literaturwissenschaft. Die Verbindung zur Alten Welt war für ihn ein spezielles Anliegen, wobei er entsprechend der eigenen Bio­graphie die deutsche Immigration in die USA zu einem seiner Themen machte: so in Studien zum Pennsylvania-Deutschen, zu dem er einen umfassenden Forschungsbericht vorlegt (»The Study of the Pennsyl­vania German Dialect«).[4] In seiner eigenen Untersuchung nimmt er in der Perspektive eines selbst Immigranten sicher nicht zufällig Probleme der sprachlichen Unsicherheit zum Ausgangspunkt, zeigt dann aber, daß eine dialektologische Verortung charakteristischer Formen in einer kleinräumigen Heimatdialektologie der Siedler (aus der Pfalz) mög­lich ist (»Pennsylvania German Ochdem ›Atem‹ and the Problem of Hypercorrect Forms«).[5] Die gleiche »Heimattreue«, hier direkt bezogen auf seine eigene Heimatmundart, spiegelt auch seine Edition der Tagebuchaufzeichnungen eines schwäbischen Einwanderers aus dem frühen 19. Jhd.: »Aufzeichnungen eines Württembergischen Soldaten aus den Napoleonischen Kriegen«.[6] Detailliert rekonstruiert er hier in den Schwierigkeiten der Niederschrift dieses »derben«, »kernigen« Man­nes (S. 110 – von derartigen Stereotypen ist S.s Arbeit nicht frei, wie auch die auf den Seiten 132-147 reproduzierten Auszüge bei S. eine Vorliebe für Militaria zeigen) die Spuren seiner Mundart auf der grammatischen Ebene: von der Lautung bis zur Wortbildung und Syntax.

Für seine Integrationsbemühungen in die US-Sprachwissenschaft steht sein Aufsatz »Probleme der Bedeutungslehre«.[7] Hier entwickelte er das, was sich als Grundlinie durch sein Werk zieht: eine sprachhistorische Analyse ist nicht durch die Rekonstruktion formaler Strukturveränderungen (Etymologie) definiert: sie muß die historischen Bedingungen der Sprachpraxis in den Blick nehmen (er verweist vor allem auf H. Sperber), zu denen auch die Einflüsse der Mehrsprachigkeit gehören sowie die Integration in das Sprachsystem (mit einer Diskussion der Feldstrukturen, deren Gestalt-Charakter er betont). Er zeigt sich hier bewandert in der zeitgenössischen theoretischen Diskussion (mit Verweisen auf Husserl nicht anders wie auf Schmidt-Rohr) und ist dabei bemüht, darin das gleiche Arbeitsprogramm aufzuzeigen, das in den USA jemand wie Bloomfield betreibt (S. 168-169 und 174).

Für seine »reguläre« Situation als Emigrant ist charakteristisch, daß er die Recherchen für diese Arbeit in Zusammenarbeit mit dem Militäratta­ché der Deutschen Botschaft in Washington durchführen konnte.[8] Als Verbindungsglied zu seiner alten Heimat, unabhängig von deren politischem Regime, muß sich S. bei seinen Ar­beiten aber immer gefühlt haben: in der Modern Language Associa­tion betreute er seit 1942 die deutsche Bibliographie und verfaßte Forschungsüberblicke – einen besonders ausführlichen aufgrund ei­gener Recherchen vor Ort im Rahmen seines Einsatzes als Zensurof­fizier bei der US-Besatzungsbehörde in Westdeutschland 1945 (»Ger­manic Bibliography 1940-1945«).[9] Zuvor hatte er schon für die US-Army 1943-1945 Deutschkurse durchgeführt. Sprachpraktische Probleme beschäftigten ihn auch weiterhin: so betreute er von 1952-1975 die Neuausgabe des großen Engl.-Dt. Wörterbuches des Langenscheidt Verlages. Die Ver­bindung zu Deutschland/Österreich hielt er auch durch Gastvorträge und seine Mitgliedschaft im Institut für deutsche Sprache in Mannheim auf­recht.

Sein Œuvre ist das eines Philologen der Alten Abteilung, das sich im wissenschaftlichen Profil nicht sonderlich von dem seiner Fach­kollegen im Reich unterscheidet, mit deren Mehrheit er auch eine Aversion gegen den junggrammatischen Schematismus teilt (s. z.B. seine polemische Bemerkung in seinem o.g. Aufsatz von 1943 über pennsyl­van. Ochdem, S. 144): entsprechend stehen neben sprachwissen­schaftlichen Studien i. e. S. (vor allem namenkundliche, aber auch solche zur Rechtssprache) auch Arbeiten zu den großen Texten der mittelhd. Dichtung (Wolfram, Hartmann u.a.). Außerhalb des Deut­schen hat er sich mit dem Altnordischen beschäf­tigt. In Hinblick auf die methodologische Stringenz der Argumentation verdient seine Studie »German and West Germanic«[10] hervorgehoben zu werden, in der er am Beispiel von Wredes »ingväonischer« Erklärung alemannischer Sprachformen grundsätzlich die Unmöglichkeit direkter Rückprojektionen aus arealen Befunden der Sprachgeographie ohne historische Kontrolle der Überlieferung demonstriert – wie die Fußnoten zeigen, in der Sache gegen die damals dominanten Vertreter der Zunft im Reich (Frings, Brinkmann, Baesecke...) gerichtet. Ähnlich ist seine methodologisch ausgerichtete Argumentation in mehreren kleineren Studien, z.B. zu einem Rechtswort für Verbannung/»Friedlos«-stellen, das er in einer Runeninschrift interpoliert: »Inscriptional evidence of early North Germanic legal terminology«[11] (mit einer formalen Kontrolle am Textbefund, die er auch in anderen Arbeiten durchspielt), oder zu Formativen der Wortbildung (bes. in Ortsnamen wie Heidelberg), bei denen er die nur fallweise zu klärenden Entwicklungen gegen eine müßige lautgeschichtliche Rekonstruktion stellt (»New High German -el- in nominal compounds«).[12] Auch sein entschiedenes Eintreten für die Zugehörigkeit des Altniederdeutschen zum Nordseegermanischen statt einem »urdeutschen« Sprachraum hatte politische Konnotationen.

Einen Überblick über die Bandbreite seines Werks liefern seine kleinen Schriften, hg. von P. Schach.[13] Im deutschen germanistischen Umfeld zeigt er eine bemerkenswerte Offenheit für sprachwiss. Neuansätze, wie etwa die Aufnahme laryngalistischer Erklärungsansätze in das von ihm betreute neu erscheinende »Etymologische Wör­terbuch des Althochdeutschen«[14] dokumentiert.

Q: Stammerjohann; IGL; Nachruf von R. Frank u.a., in: Speculum 67/1992: 791-792. (Teil-)Bibliographie in der FS: St. J. Kaplowitt (Hg.), »Germanic Studies in Honor of Otto Springer«, Pittsburgh: K&S 1978, S. 7-9; Who's who in America 1976/1977; Kürschner 1983. Hinweise von H. Penzl.



[1] Stuttgart: Kohlhammer 1930.

[2] Stuttgart: Kohlhammer 1936.

[3] F. Trommler, in: W. Schmitz 1994: 107.

[4] In: J. o. Engl. a. German. Ph. 42/1943: 1-40.

[5] In: Monatshefte f. dt. Unterricht, dt. Spr. u. Lit. 35/1943: 138-150.

[6] In: H. Biehl (Hg.), »Beiträge zur Geschichte, Literatur und Sprachkunde Württembergs« (= FS K. Bohnemeyer), Tübingen: Mohr 1938.

[7] In: Germanic Review 13/1938: 159-174.

[8] H. Penzl wies mich aber darauf hin, daß S. strikt anti-nazi ein­gestellt gewesen sei.

[9] In: J. of Engl. and German. Phil. 45/1946: 251-326.

[10] In: The Germanic Rev. 16/1941: 3-20.

[11] In: G. Cardona (Hg.), »Indo-European and Indo-Europeans«, Philadelphia: Philadelphia UP 1970: 35-48

[12] In: Lg. 25/1949: 410-415.

[13] »Arbeiten zur germani­schen Philologie und zur Literatur des Mittelalters«, München: Finck 1975.

[14] Zusammen mit A. L. Lloyd (später auch R. Lühr), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht Bd. 1 1988, Bd. 2 1998, Bd. 3 2007, Bd. 4 2009 (noch nicht abgeschlossen, das Gesamtwerk ist auf 10 Bände konzipiert).