Brinkmann, Hennig
Promotion in Bonn 1923 (zur Dissertation »Anfänge lateinischer Liebesdichtung im Mittelalter«, s.u.). 1923-1925 Schulunterricht in Jena, wo er 1924 habilitierte; danach unterrichtete er an der dortigen Universität zunächst Latein, dann ab 1929 als Assistent am Deutschen Seminar. 1930 wurde er zum a.o. Prof. ernannt und vertrat für eine Jahr das vakante Ordinariat. 1937 Vertretung einer Professur in Berlin, 1938 o. Prof. in Frankfurt/M., 1938-1941 Kriegsdienst, 1943 für zwei Jahre beurlaubt, um in Istanbul eine Abteilung für deutsche Philologie aufzubauen (nach eigenen Angaben wurde er 1942 von der Univ. Istanbul berufen und erhielt 1943 einen Zweijahresvertrag). Dort Vertretung des gesamten Faches und Beteiligung an der Reform des Deutschunterrichts.[1] Bei Kriegseintritt der Türkei 1944 Wechsel nach Zagreb (damals Agram; Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur).[2] Bis Mai 1945 (?, so nach Auskunft von H. B.) dort Lehrtätigkeit, dann Rückkehr nach Deutschland.[3] Seine alte Fakultät in Frankfurt war geschlossen für seine Entlassung, da B.s Verhalten (nicht nur seine Gesinnung) seine Wiederbeschäftigung dort unmöglich machte (so Hammerstein 1989: 631). B. erhielt Berufsverbot. Später wurde er zwar »entnazifiziert«, aber zunächst nicht wieder in den Hochschuldienst übernommen (insbes. nicht in Frankfurt, wo seine Professur 1952 wieder zu besetzen war).[4]
B. entfaltete aber eine ausgedehnte Tätigkeit als Privatgelehrter mit zahlreichen Veröffentlichungen. Von 1948-1956 unterrichtete er an Gymnasien in Lippstadt und Düsseldorf; 1951 hatte er dazu noch das 2. Staatsexamen abgelegt. 1956 wurde er vom Schuldienst für die Mitarbeit an dem von Leo Weisgerber geleiteten DFG-Schwerpunkt »Sprache und Gemeinschaft« freigestellt. 1957 wurde er a.o. Prof. für mittellateinische Philologie an der Universität Münster, 1959 o. Prof. und von 1963-1969 bis zur Emeritierung Direktor des mittellateinischen Seminars.[5] In dem Kreis seiner politisch-fachlich affinen Kollegen zeichnet ihn das ehrliche Bekenntnis zu seiner Vergangenheit als NS-Aktivist aus (aktives SA-Mitglied seit 1933, NSDAP-Mitglied seit 1937 – zu seinen Schriften s.u.): Sein entsprechendes Eingeständnis in Seeliger, Heft 3/1965, ist in diesem Kreis eine beachtliche Ausnahme.
B. hat in seinem Werk die philologische Einheit des Faches praktiziert, obwohl er nach eigenen Aussagen von Anfang an stark unter dem Einfluß der Bonner »Frings-Schule« gestanden hat, der bis in die späten Arbeiten an der Vorliebe für große Entwürfe mit globalen Perspektiven deutlich ist (s. etwa »Sprachwandel und Sprachbewegung in althochdeutscher Zeit«).[6] Die Akkumulation von Einzelbelegen wird von ihm dabei direkt auf großräumige Verhältnisse bezogen: Die Herausbildung der (ahd). Schriftsprache auf die gesamtgermanische Entwicklung (vom Altnordischen bis zum Langobardischen) auf der einen Seite, einzelsprachübergreifende »Sprachbünde« (ohne daß sich der Terminus allerdings bei ihm findet) auf der anderen Seite: Die fränkische Diphthongierung, die binnendeutsche Konsonantenschwächung usw. verbinden das Hochdeutsche mit dem Französischen (ähnliche Thesen vertrat auch Frings), die oberdeutschen Geminaten, Konsonantenschärfung etc. das Hochdeutsche mit dem Italienischen usw. (s. noch »Frühgeschichte der deutschen Sprache«,[7] auch in seinen »Studien zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur«).[8]
So reklamierte er ausdrücklich eine anti-junggrammatische Programmatik (mehrfach im Rückgriff auf Schuchardt, vor allem aber auf Vossler, dessen Frankreichbuch ihm auch bei Einzelargumentationen als Vorbild dient, s. z.B. in dem »Sprachwandel«-Buch zur Ausbildung des Artikelsystems S. 8, des (periphrastischen) Tempussystems S. 16 u.ö. Programmatisch praktizierte er so eine historische Sprachsoziologie, s. etwa die zusammenfassende Schlußbemerkung in dem Buch von 1931: »Dies war die befreiende Erkenntnis des Untersuchungsganges: Sprachgeschichte fügt sich der Geschichte zwischenmenschlicher Beziehungen ein. Die Geschichte der althochdeutschen Sprachbewegungen beleuchtet die Frühgeschichte des deutschen Volkes« (S. 236) – praktisch verblieb er aber in »kulturgeschichtlichen« Stereotypen, ohne eine soziale Differenzierung zu versuchen (trotz seines Protestes gegen derartige Kritik von Rezensenten).
So ist der Umgang mit dem Material auch ambivalent: Auf der einen Seite forderte (und praktizierte) er philologische Kontrolle der Belege am (Kon-)Text, nicht nur, aber insbes. auch dem syntaktischen Zusammenhang gegen junggrammatisches Operieren mit Einzelworten (hier bezog er sich gelegentlich auf Spitzer als Vorbild), auf der anderen Seite griff er direkt durch den sprachlichen Befund hindurch auf ethnische Kategorien (die germanischen Stämme) und verband formale Charakterisierungen mit Wertungen: Der germanische Sprachbau ist »einfach«, »großartig« u. dgl., in ihm drückt sich eine besondere »Haltung« aus... Obwohl so die Analysen im Sinne strukturaler Methodologie unzureichend kontrolliert sind, ist doch die durchgehend funktionale Betrachtungsweise bei ihm bemerkenswert, mit der er sich von dem üblichen Positivismus abhob, so z.B. wenn er die Durchsetzung/Ausbreitung einer sprachlichen Innovation an ihre funktionale Nutzung im grammatischen System bindet, den Umlaut z.B. nicht auf eine »lautgeschichtliche« Erscheinung reduziert, sondern als Markierung grammatischer Formklassen betrachtet (s. etwa ebd. S. 88 u.ö.).
Die gleiche Ambivalenz ist in seinen »geistesgeschichtlichen« Arbeiten deutlich, wo er denn auch schon einmal die methodische Kontrolle an der Formanalyse ablegt und sich ganz auf die Extrapolation von Haltungen »hinter« den Texten verlegt (etwa »Die Idee des Lebens in der deutschen Romantik«)[9] – vor allem »heroischer«, »wesentlicher« Haltungen.
Das Epigonenhafte vieler seiner Äußerungen kompensierte er mit einer Vorliebe für einen heroischen Monumentalstil. So passen seine Arbeiten in das völkische Umfeld, in dem der Nationalsozialismus ein akademisches Echo fand. Hier war B. expliziter als die meisten seiner Kollegen, s. bes. »Die deutsche Berufung des Nationalsozialismus«[10] – eine Rekonstruktion der »deutschen Bewegung« von Karl dem Großen bis Adolf Hitler. Wieviel davon Anbiederung oder Naivität war, ist schwer auszumachen – manches liest sich heute eher komisch, so wenn dem Messias Hitler auch ein Prophet vorausgeschickt wird (»Es war Zeit, daß der von George verkündete Täter kam«, S. 69). Sieht man von der Ausdehnung des Textcorpus auf das Parteiprogramm der NSDAP ab, das dort z.T. paraphrasiert wird, so handelt es sich überwiegend um eine kultursoziologisch orientierte Literaturgeschichte, die in den Polen von »schöpferisch-wesentlichem Denken« (dem germanischen Erbe) und fremdem »Rationalismus« (der Aufklärung, vor allem den französischen Einflüssen) operiert.
Ist diese Arbeit in dieser Hinsicht noch eher epigonenhaft-trivial, so ist sie es weniger in dem »entschiedenen« Rassismus. Rassische Zersetzung wirkt demnach durch die ganze deutsche Geschichte: »ostische« Einflüsse in den mittelalterlichen Städten (zu ihren Lasten geht der Trend zur »Gemütlichkeit«, S. 51), »südische« Einflüsse seit dem Christentum – vor allem aber jüdische Zersetzung durch den Intellekt: Nur dem oberflächlichen Schein nach gehören die Juden zur deutschen Sprachgemeinschaft (S. 76). Die Arbeit war schon 1934 gespickt mit den Topoi des nationalsozialistischen Diskurses des totalen Staates, der Inszenierung von Vernichtung und Weltkrieg: deutsch – das ist »rücksichtsloses Durchgreifen«, totale (S. 72) staatliche Kontrolle bis zur Euthanasie (S. 84), das ist Heroismus dem tragischen Schicksal gegenüber (S. 96), der »Stimme des Blutes« folgen, von der Vernunft nicht »angekränkelt« (S. 101). Die Einordnung in den faschistischen Staat geschieht dabei bruchlos von zivilisationskritischen Prämissen aus, die in den 20er Jahren die Jugendbewegung bestimmten: Es ging um Dienst an der Ganzheit (S. 83), an dem Volk gegen alles Trennende (insbes. den Klassenkampf (S. 79)), den Rückgang auf seine »wesentliche« »bäuerliche Gesittung« (S. 48-49), die Ablehnung des »Kapitalismus«, der »erwerbsgierigen Kräfte« (S. 45), die die Welt »mechanisieren«, mit Werbung überziehen und das Leben pervertieren (S. 42) usw.
B. engagierte sich i. S. der damals institutionalisierten Wehrkunde und führte Lehramtsveranstaltungen über den »Krieg als schöpferisches Ereignis« durch, s. den gleichnamigen Aufsatz,[11] eine Apotheose der Geburt des »organisch gegliederte(n) Volk(s) mit einem Führer an der Spitze« (S. 13) aus dem Geist des Kriegs, der jetzt endlich »die Macht der Ichsucht (Liberalismus, Kapitalismus und Judentum)« (S. 14) in Deutschland überwunden hat. So handelte es sich bei diesen Äußerungen nicht um eine einmalige Entgleisung in der euphorisch erlebten »Machtergreifungsperiode«. 1939 verfaßte er für das zur politischen Reform des Deutschunterrichts bestimmte Grundlagenwerk von Huhnhäuser u.a. (Hgg.)[12] den altgermanistisch-literaturwissenschaftlichen Beitrag »Die landschaftlichen und rassischen Kräfte in der deutschen Dichtung des Mittelalters« (a.a.O., S. 122-169), in dem die deutsche Literatur/Kultur als Ergebnis des »historischen Ringens« zwischen Germanischem bzw. Nordischem und Welschem bzw. Mediterranem präsentiert wurde. Biologisch-rassische Kräfte behalten immer in der Geschichte die Oberhand: deutsches, nordisches Rittertum wehrt sich gegen welsche (»höfische«) Einflüsse in der Ostkolonisation (S. 127), und so ist der Bogen zur imperialistischen Kriegsvorbereitung geschlagen (die dominant-nordische Eigenschaft ist die Treue, S. 132,…). Entsprechend wurde er bei den Frankfurter Hochschulwochen bestimmt, die Politisierung der Universität in einem öffentlichen Vortrag zu repräsentieren (Hammerstein 1989: 409-410).
Dieses spezifische Amalgam von Gedankenformationen hat B. auch später immer wieder in seine wissenschaftlichen Arbeiten hineingenommen. Aufschlußreich ist ein Aufsatz von 1951 (»Magie des Wortes«[13] – bemerkenswerterweise in dem der Literatur gewidmeten Band: Sprachwissenschaft begreift er also sehr eng grammatisch-philologisch!). Auch hier findet sich wieder die Kritik an der modernen entseelten Welt, in der das lebendige Wort durch die Herrschaft der totalen Schrift bedroht ist (u.a. auch mit Bezug auf die Werbung!). Damit befand er sich in Übereinstimmung mit der dominanten Auffassung der Sprachwissenschaftler von den Junggrammatikern bis zu den Strukturalisten – aber eben auch mit den nationalsozialistischen Propagandaspezialisten, deren Lob auf die Macht des gesprochenen Wortes er reproduzierte bis hin zur Apotheose des Rundfunks, der die alten Verhältnisse von Mündlichkeit wieder erwecken könne...
Ich gehe hier nicht auf das philologisch-literaturwissenschaftliche Œuvre von B. ein. Die meisten Arbeiten sind in den »Studien« zugänglich; sie zeigen überwiegend den Philologen, der kulturelle Zusammenhänge exploriert – und gegen seine völkischen Obertöne deutlich macht, wie sich die kulturellen Ressourcen im Deutschen (in Literatur wie Sprache) in der Auseinandersetzung mit der lateinisch-romanischen Tradition herausgebildet haben. Die mittelalterliche Latinität war ohnehin von Anfang an eines seiner Hauptarbeitsgebiete, angefangen bei der Dissertation, s. den Teil-Druck »Anfänge lateinischer Liebesdichtung im Mittelalter«,[14] woran die Habilitationsschrift zur »Entstehungsgeschichte des Minnesangs« anschloß. In Jena hielt er regelmäßig Lehrveranstaltungen zum Mittellateinischen ab, daraus ist dann sein späteres Arbeitsgebiet an der Universität Münster geworden – wo ihm als spezifische Form der »Vergangenheitsbewältigung« in der Lehre die Vertretung german(ist)ischer Belange verwehrt wurde; mittellat. Publikationen sind invers dazu in die »Studien« nicht aufgenommen.
Für die deutsche Nachkriegssprachwissenschaft ist B. vor allem durch seine Arbeiten zur Gegenwartsgrammatik wichtig geworden, die er z.T. im Rahmen des von Weisgerber geleiteten DFG-Arbeitskreises »Sprache und Gemeinschaft« vorgelegt hat (zusammenfassend als »Die deutsche Sprache. Gestalt und Leistung«).[15] Für diese Orientierung seiner Arbeit werden vielleicht auch die Anforderungen bei der Vertretung der »Auslandsgermanistik«, bes. ihre sprachpraktischen Anteile, während des Krieges in Istanbul und Zagreb wichtig gewesen sein:[16] nach eigener Auskunft hat er sich dort insbes. schon mit der deutschen Syntax befaßt und nachhaltige Wirkungen für die spätere einheimische germanistische Sprachwissenschaft hinterlassen (so etwa in Jugoslawien über seinen damaligen Mitarbeiter Zdenko Skreb; in Istanbul erschien 1950 auch noch eine literaturwissenschaftliche Arbeit von ihm).
Im Nachkriegs(west)deutschland hat B. im Rahmen der Sprachinhaltsforschung neben H. Glinz die deskriptiv am weitesten abgestützten und operativ entwickelten Arbeiten vorgelegt (vor allem zur Syntax). Ein Beispiel für seine »synchrone« Reinterpretation des historisch-rekonstruierten Handbuchwissens ist seine Analyse »Zum grammatischen Geschlecht im Deutschen«,[17] wo er gegen die etymologische Blickrichtung (die auf die Sexus-Motiviertheit der Formdifferenzen fixiert ist) die funktionale Nutzung der Wortbildungs- bzw. Flexionsdifferenzen herausarbeitet, dabei semantische Teilklassen mit syntaktischen Funktionen koppelt: Maskulina als Agentive, primär in Subjektfunktion; Neutra und Feminina in Objektfunktion; Feminina als »durative« Verbalabstrakta in Opposition zu punktuellen Maskulina, syntaktisch bedingte Neutralisierungen (in prädikativer Funktion) u.dgl. Hier griff er ältere Traditionen auf, insbes. die funktionalistischen Ansätze, rezipierte aber auch neuere strukturale Arbeiten (vor allem aus Frankreich: Tesnière; er bezog sich auch auf die Glossematik – vermutlich hatte der französische Sprachwissenschaftler Jean Fourquet [1899-2001], der im Arbeitskreis öfters zu Gast war, eine vermittelnde Rolle).
Der von ihm so entwickelte Ansatz erhielt in den 60er Jahren nahezu eine Monopolstellung in der Schulgrammatik. Dabei ist die gleiche Ambivalenz im Herangehen deutlich, die ich oben schon für die frühen Arbeiten angesprochen habe. Der Zugang zu den Daten ist durchaus deskriptiv, geht von formalen Kontrasten aus, bildet Formklassen, die distributionell kontrolliert sind. Aber diese z.T. ad hoc gebildeten Formklassen werden direkt als »sprachliche Kategorien« im »Weltbild« der deutschen Sprache gedeutet – in den meisten Fällen liefert das nicht mehr als eine ansprüchlich reformulierte Wiederholung des deskriptiven Befundes, in anderen Fällen sind sie weitgehend inhaltsleer (z.B. »In Bildungen wie erfinden, erzeugen bekundet sich der entwerfende Mensch, der sich Ziele setzt, die dem Vorhandensein voraus sind, und sie zu erreichen sucht«, »Die deutsche Sprache«, S. 245). Der durchgängig bemerkenswerte Versuch zur methodologischen Reflexion (z.B. in der Kritik an sprachgeschichtlich anachronistischer Gleichsetzung isolierter Formen, etwa zu den Kasus ebd. 66-67; der Rekonstruktion der historischen Dynamik im sprachlichen Feld – also einer Struktur, nicht am Einzelwort u.dgl.) und auch die formale Explikation der Analyse (etwa das abhängigkeitsgrammatische Satzmodell S. 510ff.) weisen durchaus Affinitäten zu den strukturalen Entwicklungen in der neueren Sprachwissenschaft auf. Aber der Drang zu einer direkten »kulturmorphologischen« Deutung des Befundes verhindert eine methodisch-theoretisch befriedigende Durchführung einer kulturanalytisch ausgewiesenen Grammatikbeschreibung.
B. hatte in den letzten Jahren einen ambitionierten Versuch gemacht (er selbst sprach von einer »wissenschaftstheoretischen« Begründung), die eigenen Arbeiten mit den jüngsten Entwicklungen der Sprachwissenschaft (bis hin zur Generativen Transformationsgrammatik) zu harmonisieren (s. »Sprache als Teilhabe. Aufsätze zur Sprachwissenschaft«);[18] im Bezug zur lebendigen, gesprochenen Sprache sah er die gemeinsame Prämisse, und er konnte so insbes. die jüngsten Ansätze zur Pragmatik aufnehmen (S. 54 – ohnehin ist Bühler hier die von ihm am meisten zitierte Autorität); interessant sind in diesem Zusammenhang seine Überlegungen zur sprachlichen Heterogenität (»erlebte Rede« u.dgl.), die entsprechende Ansätze der 20er Jahre fortführen. Prämisse seiner Überlegungen ist aber ein »organischer« Sprachbegriff, den er ungebrochen im Stil der »ganzheitlichen« Ansätze der 20er Jahre gegen eine technische Reduktion der Sprache hochhielt, die mit den informationswissenschaftlichen Ansätzen droht (S. 17 u.ä.). Dieser umfassende Zugang zu deskriptiven Sprachproblemen erklärt, daß er in seiner Festschrift[19] als Pionier der Textlinguistik gewürdigt wurde. Bemerkenswert ist dabei, daß von den zwölf Beiträgern vier Japaner sind – der einzige andere Ausländer dort ist J. Fourquet.
Q: IGL (H. Rüter); DBE 2005. Zum Werk s. auch die Laudationes von J. Erben[20] und H. Rüter;[21] Hammerstein 1989; Bundesarchiv; briefliche Auskünfte von H. B.
[1] Nach Anstock (s. dessen »Erinnerungen«) hatte die Istanbuler Universität über das deutsche Konsulat Vorschläge für die Besetzung der neu eingerichteten Professur angefordert. B. war einer von vier vorgeschlagenen Kandidaten, für den die fachliche Breite und vor allem die schulpraktische Erfahrung sprach. Anstock berichtet auch von politischen Vorbehalten, die zunächst bestanden, da B. seine Einstellung sehr offen vertrat, denen später aber eine sehr professionelle und kollegiale Arbeit beim Aufbau des Instituts gegenüberstand. Demnach soll B. sich sogar dafür ausgesprochen haben, daß der rassistisch verfolgte Klass. Philologe Kranz, den die Universität angefordert hatte, nach Istanbul kommen konnte (W. Kranz (1884-1960), wegen seiner »nicht-arischen« Frau 1933 als Lehrer entlassen, 1937 ebenso als Honorarprof. an der Univ. Halle, 1943 Emigration in die Türkei).
[2] S. dazu Hutton 1999: 74-77 (Antritt der Stelle in Agram am 16.11.1944). Nach Hausmann (2001) übernahm B. im Dezember 1944 kommissarisch die Leitung des Deutschen Wissenschaftlichen Instituts in Agram, dessen Leiter Maximilian Stadler seit September 1944 bei der Waffen-SS war (MS, 1906 - 1984, a.o.Prof. für Wirtschaftswissenschaft in Wien, [illegaler] NS-Aktivist seit 1930).
[3] Zu einem Gespräch über seine Tätigkeit in diesen Jahren war B. nicht bereit; er antwortete nur brieflich auf einige Fragen.
[4] S. Hammerstein 1989: 337-338.
[5] Zu den Einzelheiten dieser Wiedereinsetzung eines massiv belasteten Hochschullehrers, s. Pilger 2004: 429-454.
[6] Jena: Frommann 1921.
[7] Zuerst 1943, wiederabgedruckt in »Studien« (s.u.) Bd. 1/1965: 279-342.
[8] Bd. 1, Düsseldorf: Schwann 1965, dort auch auf S. 9-236 Wiederabdruck der Arbeit von 1931.
[9] Augsburg/Köln: Fischer 1926.
[10] Jena: Frommann 1934.
[11] In: Z. f. dt. Bildung 12/1936: 1-14.
[12] »Beiträge zum neuen Deutschunterricht«, Frankfurt a. M.: Diesterweg 1939.
[13] In den erwähnten »Studien« nachgedruckt in Bd. 2, 1966: 436-442.
[14] In: Neophilologus 9/1923 (!): 49-60.
[15] Düsseldorf: Schwann 1962. Nach eigener Aussage war eine erste Fassung des Werkes unter dem Titel »Morphologie der deutschen Sprache« schon 1948 fertig – der Titel markiert den ganzheitlichen Anspruch seines Vorhabens.
[16] Ausweislich der Vorlesungsverzeichnisse in Jena hat er dort noch keine sprachwissenschaftlichen sondern nur philologisch-literarische Veranstaltungen durchgeführt.
[17] In: Ann. Academicae Scient. Fennicae, Bd. 84/1954: 371-428 (= FS E. Öhmann).
[18] Düsseldorf: Schwann 1989.
[19] R. Harweg u.a. (Hgg.), »Die deutsche Sprache – Gestalt und Leistung. H. B. in der Diskussion«, Münster: Nodus 1991.
[20] In: Wirk. Wort 16/1966: 288.
[21] ebd. 21/1971.