Weinberg, Werner
Geb. 30.5.1915 in Rheda, gest. 27.1.1997 in Cincinnati/Ohio.
Nach dem Abitur 1934 in Bielefeld Studium (Rabbiner-Ausbildung) auf der Jüdischen pädagogischen Hochschule in Würzburg (1936 abgeschlossen). Danach Lehrer und Prediger in den jüdischen Gemeinden in Rheda (1936/1937) und Hannover (1937-1939). 1939 Emigration in die Niederlande, wo er in zionistischen Organisationen Kurse zur Vorbereitung der Palästina-Auswanderung (cAlijah) gab. Dadurch hatte er auch nach der deutschen Besetzung einen von der Gestapo genehmigten legalen Status. Als er mit dem Ende der Auswanderungspolitik 1942 sich aber weigerte, selbst nach Palästina zu emigrieren, verlor er seine Stelle bei der zionistischen Organisation (der Hachsharah) und damit seinen geschützten Status. Zunächst konnte er sich noch mit seiner Frau im Untergrund verstecken, wurde 1943 aber interniert und in das Konzentrationslager Bergen-Belsen gebracht. Vorher war es ihnen noch gelungen, ihre Tochter bei einer niederländischen Familie zu verstecken, wo sie die Verfolgung überleben konnte. Sie fanden sie nach Kriegsende dort wieder, als sie 1945 in die Niederlande zurückkehrten. 1948 emigrierte er mit Unterstützung jüdischer Organisationen in die USA, wo er seitdem an jüdischen Schulen unterrichtete (vor allem Hebräisch) bzw. sie leitete (mit häufigem Wechsel in den Staaten Michigan, New York, Kentucky und Ohio). 1961 Promotion an der jüdischen theologischen Hochschule in Cincinnati, Ohio;[1] seitdem lehrte er dort (seit 1970 Professor für Hebräische Sprache und Literatur).
Neben judaistischen Arbeiten (u.a. Mitarbeit bei der Gesamtausgabe der Schriften von Moses Mendelssohn)[2] hat er zur hebräischen Philologie und zur neuhebräischen Sprachwissenschaft gearbeitet, wobei er sich (vor allem nach einem Studienaufenthalt in Israel 1963) auch in die Ivrit-Sprachpflegedebatten eingeschaltet hat, indem er sich gegen die orientalische (bei ihm »arabisierte«) Aussprachenorm wendet und die der aschkenasischen Einwanderer beschreibt, zugleich aber auch gegen die an der Masorah orientierten Traditionalisten die Stabilität des Ivrit herausstellt (z.B. »Spoken Israeli Hebrew: Trends in the Departures from Classical Phonology«[3] – mit kritischen Anmerkungen vor allem gegen »Strukturalisten« wie H. B. Rosén, Ben-Hajjim u.a.). Sein Schwerpunkt lag bei philologisch-praktischen Fragen wie der Etablierung eines standardisierten Schriftsystems für den Unterricht bzw. die Editionen (auch etwa zu Fragen der Romanisierung, Wiedergabe von Fremdwörtern, Namen u. dgl.), s. etwa »Transliteration and Transcription of Hebrew«[4] oder »The History of Hebrew Plene Spelling«,[5] so auch in weiteren hebräisch verfaßten Publikationen.
Einen anderen Arbeitsschwerpunkt bildet das Jiddische, wozu er auf Deutsch publizierte. Hier hat er gegen die für ihn zu abstrakt-szientifischen Klassifizierungen von S. Birnbaum und M. Weinreich Stellung genommen und für die Übernahme der Terminologie plädiert, die in den jüdischen Gemeinschaften praktiziert wurde (z.B. Jüdischdeutsch nicht Jiddisch); damit wird für ihn die historische Dimension der Shoah in der wissenschaftlichen Diskussion markiert (s. z.B. »Die Bezeichnung Jüdischdeutsch«).[6]
Der Unterschied ist aber wohl weniger systematisch als durch seinen spezifisch biographischen Standpunkt bedingt: er hat es, vor allem in Verbindung mit einem Studienaufenthalt 1965 in Münster, unternommen, die Spuren der »westjiddischen« Sprachpraxis seiner Jugend zu rekonstruieren (»Die Reste des Jüdischdeutschen«),[7] bei der es sich nicht um eine ausgebaute Sprache handelte wie bei dem Ostjiddischen in slawischer Sprachumgebung, sondern um sondersprachliche Elemente innerhalb des (dialektal geprägten) Deutschen, die hier anders als beim Ostjiddischen i. d. R. auch nicht durch eine hebräische Kultsprache überlagert waren. Er lieferte insofern ein Idiotikon, mit einem Faible für die »unterhaltsame« Seite dieser Sondersprachform. Komplementär dazu veröffentlichte er ein »Lexikon zum religiösen Wortschatz und Brauchtum des deutschen Judentums«, [8] das die im Gegensatz zur Alltagssprache resistenteren Sonderformen dokumentiert (gelegentlich mit ausführlichen sachlichen und kulturellen Erläuterungen) – bewußt präsentiert als Dokument einer Kultur, die die Shoah nicht überlebt hat (er gibt die entsprechenden Erläuterungen in der Vergangenheitsform).
In den letzten Jahren schrieb er autobiographische Reflexionen eines Überlebenden der Shoah auf: »Self-portrait of a Holocaust Survivor«.[9]
Q: Autobiographie »Self-portrait« (s.o.); Bibliographie (bis 1978) im Arch. IfZ, München; BHE; DAS. Nachruf von W. Röll, in: Jiddistik Mitteilungen 17/1997: 18-19. Sein Nachlaß liegt in den American Jewish Archives (Beschreibung elektronisch zugänglich: http://www.americanjewisharchives.org/aja/FindingAids/WernerWeinberg.htm, Jan. 2009).
[1] Die Dissertation »The life and work of Aaron Abraham Kabrak« war mir nicht zugänglich.
[2] Mendelssohn (1729-1786) war einer der wichtigsten Vertreter der Haskalah, dessen Werke seit 1926 von der Akademie der Wissenschaft des Judentums hg. wurden (zu den Hgg. gehörte u.a. E. Mittwoch). Das Unternehmen mußte 1938 abgebrochen werden, wurde erst 1971 wieder aufgenommen (Stuttgart/Bad Cannstatt: Frommann). W. war daran für die hebräischen Teile beteiligt, insbes. für die Bibelübersetzung: Bd. 15-18/1990 für den Nachdruck der zweisprachigen Ausgabe von 1780-1782, Bd. 15 mit einer lateinschriftlichen Transliteration der in hebräischer Schrift gedruckten deutschen Version mit einer ausführlichen Einleitung, die sprachliche Besonderheiten erörtert.
[3] In: J. o. Sem. St.11/1966: 40-68.
[4] In: Hebr. Union Coll. Annual 50-51/1969/1970: 1-32 + Falttafeln.
[5] Cincinnati: Hebrew Union College Press 1985.
[6] In: W. Röll 1981: 253-290.
[7] Stuttgart: Kohlhammer 21973, 11969.
[8] W. Röll (Hg.), Stuttgart: Frommann-Holzberg 1994.
[9] Jefferson, North Carolina: McFarland 1985, auch elektronisch dokumentiert »Survivor of the first Degree« (http://www.religion-online.org/showarticle.asp?title=1423, Jan. 2009).
Zuletzt aktualisiert am Montag, 15. Juli 2013 um 13:25 Uhr