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Schindler, Bruno

Geb. 16.10.1882 in Leschnitz (Oberschlesien, heute poln. Leśnica), gest. 29.7.1964 in London.

 

S. hatte durch seine eigenen wissenschaftlichen Beiträge, insbesondere aber durch seine herausgeberischen Tätigkeiten eine Schlüsselstellung in der (nicht nur deutschen) Sinologie, aber keine akademische Position. Nach dem Abschluß einer Oberrealschule 1903 in Gleiwitz erlernte er zunächst noch die klassischen Spra­chen, bevor er in Berlin und Breslau Geschichte, Volkswirtschaft und Jura studierte. Von 1907-1910 war er in England in verschie­denen Bibliotheken tätig und war schließlich Privatsekretär bei dem Judaisten und Slawisten Moses Gaster, dem er sich wohl auch als praktizierender Jude verbunden fühlte.[1] Unter dem Einfluß von Gaster kam er zur Philologie, die er nach seiner Rückkehr 1910 in Leipzig studierte: Orientalistik im umfassenden Sinne, mit dem Schwerpunkt Chine­sisch (bei Conrady) und Semitistik. 1912-1914 war er auf Conradys Rat in China, wo er u.a. die Probleme der chinesischen Juden untersuchte (und in einer jüdischen Gemeinde in Schanghai tätig war). 1914-1918 absolvierte er den Militärdienst; anschließend unterrichtete er Griechisch und Latein und betrieb privat seine chinesischen Studien, aus denen seine ersten Aufsätze über die chinesische Schrift hervorgingen. 1919 promovierte er in Leipzig mit einer Arbeit über das Priestertum im alten China (das Dissertationsverzeichnis der Universität Leipzig nennt als Datum des Rigorosums den 19.7.1915).

Jetzt begann er, mit Rückgriff auf sein eigenes Vermö­gen, eine umfassende editorische Aktivität, insbesondere mit einem eigenen Verlag und der Zeitschrift Asia Major seit 1920, aber auch einer Reihe weiterer Unterneh­men, die vom vorderasiatischen Islam bis zum Fernen Osten spann­ten. 1933 emigrierte er vor der rassistischen Verfolgung nach Eng­land. Dort unterrichtete er zeitweise mit seiner Frau an einer Schule für jüdische (Emigranten-)Kinder; später trat er in englische Verlage ein, die auf asiatische und slawische Werke spezialisiert waren.1949 gründete er in England seine Zeitschrift Asia Major neu, die nach seiner Emigration zum Erliegen gekommen war und jetzt mit einem internationalen wissenschaftlichen Beirat zu einer der führenden sinologischen Zeitschriften wurde.

Neben seiner editorischen Tätigkeit war sein Hauptarbeitsgebiet die Schriftgeschichte, mit dem Schwerpunkt bei der chinesischen Schrift (aber auch kleinere Arbeiten zu semitischen Schriften, bes. auch typographischen Fragen). Hier hatte er bereits vor seiner Promotion mit Conrady für die Leipziger »Weltausstellung für Buch, Gewerbe und Graphik« (1914) zusammengearbeitet und auf der Grundlage von dessen Ausarbeitungen eine Abhandlung über »Die Entwicklung der chinesischen Schrift aus ihren Grundelementen«[2] publiziert, die gegen die damals nicht zuletzt auch in sprachwissenschaftlichen Darstellungen vorherrschende Vorstellung von einer zumindest im Ursprung »pasigraphischen« Bilderschrift anging und ihren formalen, mnemotechnischen Grundcharakter herausstellte, der graphische Formen aus ornamentalen (z.B. Webmustern) und diakritischen Elementen (mnemotechnischen Formen wie Kerben, Handzeichen zum Zählen u. dgl.) zugrunde lagen. Bei seiner umfassenden Kritik der bis dahin vorliegenden Literatur ist für ihn außer Conrady Laufer wichtigster Bezugspunkt.

In einer Folgearbeit »Die Prinzipien der chinesischen Schriftbildung«[3] stellt er den Ausbau des chinesischen Schriftsystems als zunehmende Anpassung an die Sprachstruktur dar (»Der inneren Sprachform ist die innere Schriftform angepaßt«, S. 285), wobei neben semantischen Extensionen (metaphorische Gebrauchserweiterung) vor allem die Phonetisierung der Zeichen (durch eine Rebustechnik) produktiv war. Dieser »spontanen« Entwicklung des chinesischen Schriftsystems stellt er dessen normative Systematisierung gegenüber: die kalligraphische Stilisierung, die Vorgaben für den Schriftunterricht, die Klassifizierung in Wörterbüchern u. dgl. Später hat er auch die verschiedenen Schriftreformbewegungen in China verfolgt, sowohl die Einführung vereinfachter Schriftzeichen in der Volksrepublik China wie die Versuche zu einer lateinisch-basierten Schrift (Romanisierung), wo er z.B. der 1942 von Yuen-Ren Chao vorgelegten den Vorzug gibt (gegenüber Vorformen des heute gebräuchlichen Pinyin).[4]

Neben weiteren kulturgeschichtlich orientierten Studien stehen auch kleinere sprachwissenschaftliche Arbeiten, die nicht nur ein umfassendes Belegmaterial beibringen (vor allem auch in Ergänzung zu sinologischen Standardwerken), sondern sich auch auf eine gründliche syntaktische Analyse stützen, z.B. »Über einige altchinesische Hilfswörter«[5] zu pronominalen Formen, »Grammatical Notes«[6] zu Partikeln, die als Konjunktionen, Fragewörter und auch adverbial genutzt werden können. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt war bei ihm die sinologische Fachgeschichte, zu der er bereits in seiner ersten Asia Major publizierte (z.B. zum wissenschaftlichen Nachlaß A. Conradys),[7] so auch seine Laudatio für Erich Haenisch.[8]

Q: BHE; Nachruf von W. Simon in dem Gedenkband von Asia Ma­jor NS 11/1965 (dort auch ein Schriftenverzeichnis); E. Haenisch, »Bruno Schindler und die alte Asia Major«, in: Asia Major NS 12/1965 (Heft 1: 7-9); Kern 1998: 523-524; E. Bruce Brooks in Sinology Project University of Massachussetts, s. www.umass.edu/wsp/sinology/persons/schindler.html (Febr. 2009); Leibfried 2003: 105-119; Hinweise von H. Worm.



[1] Für Gaster gab S. 1936 und 1958 eine Fest- bzw. Gedenkschrift heraus. Gaster war in der zionistischen Bewegung aktiv.

[2] Ostasiatische Zeitschrift 3/1915: 451-469 + 7 Tafeln.

[3] Ostasiatische Zeitschrift 5/1916: 284-315.

[4] »Reforming the Chinese Script«, Asia Major NS 5/1956: 230-234.

[5] Asia Major 10/1934-1935: 251-261.

[6] Asia Major NS 3/1953: 19-27 und 162-168.

[7] Asia Major 3/1926: 104-115.

[8] Asia Major NS 2/1951: 71.