Steuerwald, Karl Wilhelm
Geb. 2.7.1905 in Kaiserlautern, gest. 1.11.1989 in Neu-Ulm.
Seit 1924 Studium der Anglistik in Frankfurt, Berlin und München, wo er 1929 bei Max Förster promovierte. Die Dissertation »Die Londoner Vulgärsprache in Thackerey's Yellowplush Papers, dargestellt auf historischer Grundlage«[1] analysiert die literatursprachlichen (graphischen) Mittel, sprachliche Alterität zu repräsentieren; sie unterscheidet dabei die Notierung dialektaler Besonderheiten (hier Cockney, vor allem im lautlichen Bereich) von der Markierung eines geringen Bildungsniveaus durch orthographische Fehler ohne direkte Fundierung in der gesprochenen Sprache. Nach der Promotion war er zunächst Assistent (vermutlich bei Förster),[2] ging dann 1930 an die Deutsche (Oberreal-)Schule in Istanbul, von wo er 1931 an die Hochschule für Lehrerbildung in Ankara wechselte. 1935 wurde er Professor der Deutsche Philologie an der neu gegründeten Universität Ankara und leitete dort das Deutsche Seminar.
Diese Tätigkeiten nahm er offensichtlich im Auslandsdienst der deutschen Schulbehörden wahr, zunächst noch besoldet als Studienassessor. Eine Ernennung zum Studienrat wurde 1937 wegen seiner negativen politischen Beurteilung durch den Gauleiter der NSDAP-Auslandsorganisation abgelehnt. 1936 war S. »nur« dem NSLB beigetreten – offensichtlich machte er danach größere Anstrengungen, war aktiv in der Deutschen Kolonie und arbeitete für das Presseamt. [3] Anfang 1939 wurde er aufgrund einer jetzt positiv ausfallenden Beurteilung doch zum Studienrat ernannt und stellte im November den Antrag auf Aufnahme in die NSDAP (1940 wurde er aufgenommen). Eine spätere politische Beurteilung fiel dann auch äußerst positiv aus (sie erwähnte seine Tätigkeit als »Block- und Organisationsleiter«), hob vor allem aber seine beruflichen Fähigkeiten hervor, die sein Ansehen bei den türkischen Behörden und Schülern bewirkten. U.a. arbeitete er auch bei den neuen türkischen Schulbüchern für den reformierten Deutschunterricht an Gymnasien mit (Almanca ders kitabı, 1-6).[4]
Im Oktober 1944 wurde S. vor dem Kriegseintritt der Türkei evakuiert, während die Exilanten in der Türkei verblieben, ggf. staatenlos erklärt und interniert wurden. In einer Stellungnahme vom Oktober 1944 wurde er als »einsatzfähig« eingestuft. Er war tätig bei der Berlin (Dekan war der SS-Mann Six) wo er noch vor Kriegsende für Islamwissenschaften mit besonderer Berücksichtigung der Turkologie habilitiert wurde. Die Habilitationsschrift "Die türkische Sprachpolitik seit 1928" [5], stellt mit einem faktenreichen Anmerkungsteil (58 von 136 S.) die Hintergründe der kemalistischen Sprachpolitik dar (z.B. auch die verschrobene "Sonnentheorie" der "Türkischen Sprachgesellschaft") und analysiert in formaler Hinsicht die Konsequenzen für die Reinigung von osmanischen (arabisch-persischen) und die Aufnahme von westlichen (französisch-englischen) Elementen. Für das Auslandswissenschaftliche Institut von Six lieferte er in Hinblick auf eine dort unternommene Strategieeinschätzung für die diplomatischen Möglichkeiten nach dem (verlorenen) Krieg eine Analyse der türkischen Kriegserklärung vom März 1945 (»Ayip«),[6] bei der er von innertürkisch abgelehnten außenpolitischen Zwängen und nach wie vor von positiven Möglichkeiten für eine deutsch-türkische Zusammenarbeit nach dem Krieg ausgeht.
Nach 1945 war er im deutschen Schuldienst: zunächst als Studienrat in Aschaffenburg,1952 fungierte er als Direktor des Gymnasiums in Schwabach.[7] Er ging dann wieder in die Türkei und leitete nach ihrer Wiedereröffnung 1953 die Deutsche Schule in Istanbul bis 1956.[8] Von 1956 bis 1970 war er an der Oberrealschule Neu-Ulm (heute: Lessing-Gymnasium) als Schulleiter tätig. In dieser Zeit setzte er seine Arbeit zum Türkischen fort. So verfaßte er für den Langenscheidt-Verlag das Taschenwörterbuch (den Dt.-Türk.-Band gemeinsam mit C. Köprülü)[9] und publizierte auch seine Habilschrift (s.o.), die er mit zwei weiteren Bänden fortsetzte: »Zur Orthographie und Lautung des Türkischen« (1964), wo er von einer radikal phonographischen Position aus z.B. gegen die Reste etymologischer Graphien im Türkischen (morphologische Konstantschreibung) argumentiert, sowie »Zur Ablösung des arabischen und persischen Grammatikgeistes« (1966), wo er die leichtere »Modernisierung« (»Türkisierung«) in der wissenschaftlichen Terminologie als im Wortschatz sonst analysiert.
Q: Materialien im Document Center Berlin; Biographie in H. Radspieler, von der Kgl. Realschule zum Gymnasium. 100 Jahre höhere Schule in Neu-Ulm 1880 - 1980, Neu-Ulm (ohne Verlagsangabe) 1980: 58 - 60;[10] Auskünfte des Langenscheidt-Verlags (Dr. Rühl); und des Lessing-Gymnasiums Neu-Ulm (F. Martin); Hinweise von C. Schröder (Potsdam) und M.Dichtl (Neu-Ulm).
[1] Leipzig: Tauchnitz 1930.
[3] Der Scurla-Bericht sieht in ihm einen problematischen Fall, verlangt vor allem eine Habilitation für die angestrebte germanistische Professur in der Türkei. Dabei ging es wohl um die germanistische Professur bei der neu zu gründenden deutschen Abteilung in Istanbul, die Brinkmann erhielt, s. hier bei Anstock.
[4] S. Widmann (1969-1970); s. dazu auch Anstock (Autobiographie).
[5] 1963 als Bd. I seiner »Untersuchungen zur türkischen Sprache der Gegenwart« erschienen, Berlin: Langenscheidt.
[6] In: Z. f. Politik 35/1944 [sic!]: 34.
[7] So nach der Chronik des Adam Kraft Gymnasiums Schwabach für das Jahr 1952
(http://www.akg-schwabach.de/archiv/chronik/index.html).
[8] S. den Bericht von H. Anstock in der Festschrift »Erinnerungen« zum 100 jährigen Bestehen der Deutschen Schule Istanbul 1968: 26-33.