Bloch, Ariel A.
Geb. 14.5.1933 in Heidelberg.
1937 emigrierte er mit den Eltern (die beide in der zionistischen Bewegung aktiv waren) nach Palästina. Dort (bzw. im späteren Israel) Militärdienst und Beginn des Studiums. 1957 (nach dem Tode des Vaters) Fortsetzung des Studiums an der Universität Münster (Semitistik), dort Promotion 1962, im Rahmen eines Arbeitsvorhaben des Semitisten Hans Wehr (s.u.). Bis 1965 Lehrtätigkeit an den Universitäten Münster und Erlangen; dann Wechsel an die Universität Berkeley, wo er seitdem lehrt (Sprache und Literatur im Syrischen, Palästinensischen, Ägyptischen; arabische Dialektologie; auch ältere Sprachstufen: Syrisch, Aramäisch). B. ist sowohl in den USA als Sprachwissenschaftler etabliert (z.B. Mitglied der Linguistic Society of America), wie er als praktizierender Jude die Verbindung zu Israel (z.B. mit einem Studienjahr/Gastprofessur dort 1984/1986) und zu Deutschland gehalten hat.
Die Dissertation »Die Hypotaxe im Damszenisch-Arabischen mit Vergleichen zur Hypotaxe im Klassisch-Arabischen«[1] und die dieser zugrundeliegende Edition gesprochener Texte (gemeinsam mit Heinz Grotzfeld) »Damaszenisch-Arabische Texte mit Übersetzung, Anmerkungen und Glossar«[2] gehen zurück auf ein Forschungsvorhaben von Wehr, das mit solchen Textsammlungen (spontane Erzählungen, aber auch Aufnahmen von Rundfunk-Sketchen) nicht nur traditionelle volkskundliche Erzählforschung betrieb, sondern auch die kulturanalytische (bzw. sprachsoziologische) Frage der Aneignung der Schriftsprache verfolgte. Dazu trug schon das Forschungsdesign bei, das neben den Tonaufzeichnungen von den Informanten eine orthographisch orientierte Rohabschrift erhob. B. wie auch sein Mitforscher Heinz Grotzfeld[3] verfolgten diese Fragestellung weiter: B. durch die Untersuchung poetischer Formelemente der Erzählungen (z.B. den Parallelismus, S. 79ff.), auf der analytischen Folie einer hocharabischen Syntax bzw. mit deren »Idealtyp«, der für die Informanten orientierend ist (dabei sind für ihn Arbeiten von M. Bravmann vorbildlich).
Was schon diese frühe Arbeit wie auch die späteren bestimmt, ist ein breiter »kulturanalytischer« Horizont, der neben den klassischen ethnologisch-volkskundlichen Gesichtspunkten insbesondere sprachsoziologische (passim die wechselseitige Durchdringung von literarischer und mehr oder weniger dialektal geprägter Umgangssprache) und stilanalytische (Analyse der Heterogenität der sprachlichen Texte, z.B. Abhängigkeit der Wahl der Sprachform vom Thema) einbezieht. Die Analysen sind bei ihm ausführlich methodologisch reflektiert, wie er auch bei seinen relativ umfangreichen Rezensionen methodologische Gesichtspunkte bis hin zu Ansätzen einer strukturalen Sekundäranalyse der besprochenen Arbeiten herausstellt.[4]
Dabei rekurriert er nicht nur differenziert auf die unterschiedlichen Richtungen des deskriptiven (wie auch generativen) US-amerikanischen Strukturalismus, sondern auch auf die vergleichende bzw. grammatiktheoretische europäische (vor allem deutsche) Tradition (Havers, Koschmieder u.a.). So gehen seine eigenen Untersuchungen wie seine in den Kritiken explizierte Position einerseits von strikt corpusbasiertem Arbeiten aus, stehen andererseits aber unter der Zielsetzung, das so operational Ermittelte semantisch zu interpretieren. Dabei ist dann sowohl die phonetische »Enge« der Beobachtung selbstverständlich (einschließlich Fragen der Intonation, deren Dominanz für die Interpretation gegenüber evtl. nicht kongruenten segmentalen Kategorisierungen er herausstellt, s. »Intonation und Satzgefüge«),[5] wie die Einbeziehung pragmatischer Gesichtspunkte (z.B. das Ich-Du-Er-Koordinatensystem der Sprecherperspektive für die Modusbestimmung in: »Direct and indirect relative clauses«).[6]
Seine frühen Arbeiten hatten in Verbindung mit dieser deskriptiven Ausgangsposition vor allem auch die dialektalen Formen des gesprochenen Arabischen zum Gegenstand. In »Morphological doublets in Arabic dialects«[7] analysierte er wortprosodische Beschränkungen, die für freie Formen (in Pausa bzw. in analytischen Konstruktionen) zwei-(und mehr-)silbische Formen fordern, im Gegensatz zu gebundenen Formen, die auch einsilbig sein können (wie z.B. tlata »drei« aber telt ijam »drei Tage«). In diesen Arbeiten argumentierte er immer auch typologisch. Das wird noch deutlicher in einer späteren ähnlich angelegten Arbeit »Different ways, identical results: on parallel retention and parallel innovation in modern Arabic dialects«,[8] wo er die parallelen Innovationen in verschiedenen regionalen Varietäten des Arabischen betrachtet, die robuste Elemente des Sprachbaus zeigen im Gegensatz zu kontaktinduzierten Innovationen, hier z.B. mit der rekonstruierten Differenzierung der Unterscheidung der ersten und der zweiten Person Singular Perfektiv (alt -tu vs. -ti/-ta), die durch die Apokope der Kurzvokale im Neuarabischen bedroht war. Z.T. in direkter Anlehnung an Blau zeigt er, daß entgegen älteren fachlichen Positionen das Klassische Arabische nicht als Vorstufe der heute (regional differenziert) gesprochenen Varietäten angesehen werden kann: Sowohl bei der Etymologie, z.B. im Wortfeld SEHEN (beim Verdrängen der alten Wurzel √rʔj durch √šwf), s. »Verbs of topographical elevation«,[9] wie beim Aufbau der grammatischen Paradigmen, z.B. bei den vokalisch differenzierten Präfixen der Imperfektiv-Konjugation »The vowels of the imperfect preformatives in the old dialects of Arabic«[10] in Auseinandersetzung mit Arbeiten von Rabin.
In seinen jüngeren syntaktischen Analysen setzt er sich mit neueren deskriptiven Ansätzen auseinander und behandelt auch allgemein-sprachwissenschaftliche Fragen, etwa den Ausbau des Prädikatskomplexes mit nominalen Elementen (arab. masdar) im Vergleich zu ie. Infinitivkonstruktionen in: »On attractional pronouns in Classical Arabic: A contribution to general Syntax«.[11] In der Studie »Sandwich Syntax«[12] untersucht er im Vergleich von Arabisch zu anderen semitischen Sprachen die Wortstellungsbindung einer sekundären Konstituente (Genitivattribut, Adjektivattribut, auch Objekte) an ein determiniertes Element, die enger ist als dessen Koordination mit einer weiteren Konstituente. In der Abgrenzung von stilistischen Optionen zu grammatischen Normen zeigt er, daß diese Struktur schon früh im Schriftarabischen (nicht aber in den neuarabischen Dialekten!) grammatikalisiert ist - und so zur typologischen Charakteristik dieser Sprachen beiträgt; wenn er dabei explizit vom »Geist« (spirit, S. 87) der Sprache spricht, spielt er wohl bewußt auf die ältere deutsche Tradition an (s. hier bei Lewy, Vossler).
Über die deskriptiven Analysen hinaus befaßt er sich auch mit sprachgeschichtlicher Rekonstruktion, orientiert an philologischen Problemstellungen (z.B. »Zur Nachweisbarkeit einer hebräischen Entsprechung der akkadischen Verbalform iparras«).[13] Anläßlich seines oben erwähnten Israelaufenthaltes betrieb er auch Studien zum Ivrit, die sich u.a. in einer Untersuchung zu spontan neu gebildeten Pluralformen niederschlugen (mit Hinweis auf die Parallelen im Arabischen): »Plurals of multiplication, plurals of division«,[14] wie in Hinblick auf die dialektale Ausgliederung der semitischen (arabischen) Dialekte (z.B. »Rekonstruktion eines älteren Systems der Spaltung von Konsonantenbündeln im Kairinisch-Arabischen«).[15]
Auch hier liegt sein Arbeitsschwerpunkt im Bereich der Syntax, wie insbes. seine »Studies in Arabic Syntax and Semantics«[16] zeigen. Die dort behandelten Gegenstände sind zwar relativ speziell (pronominale Wiederaufnahme bei Herausstellung eines Satzgliedes, Relativsätze sowie am ausführlichsten: das Präsentativ ʔinna); er stellt seine Argumentation aber ausdrücklich in den Horizont der aktuellen Diskussionen der allgemeinen Sprachwissenschaft (s. Einleitung, S. xv), rekurriert auf die Generative Semantik bei der Diskussion von Kasuszuweisungen, die nach seiner Auffassung im Arabischen auch in verblosen Sätzen erfolgt (durch Präpositionen und eben ʔinna). Im Vergleich unabhängiger paralleler Entwicklungen in den semitischen Sprachen (insbes. im Hebräischen) zeigt er eine Dynamik jenseits von Kontakteinflüssen.
Auf der Basis solcher umfassenden syntaktischen Studien behandelt er in jüngerer Zeit auch philologisch-literarische Gegenstände, z.B. in »Questioning God's omnipotence in the Bible: A Linguistic case study«.[17] Im Rückgriff auf die erwähnte ʔinna-Studie kann er zeigen, daß die pietätvollen Auslegungen einer Stelle im Buch Daniel die aramäische Grammatik ignorieren - damit aber auch eine Stilfigur des biblischen Erzählers übersehen. Bei deutlichem Insistieren auf der methodologischen Differenz von Sprach- und Literaturwissenschaft plädiert er hier in Anknüpfung an die philologische Tradition für die Bearbeitung gemeinsamer Gegenstände (S. 188).[18] Die Auseinandersetzung mit dem biblischen Text führte er auch in einer literarischen Form weiter: mit seiner (später von ihm geschiedenen) Frau Chana[19] übersetzte er das Hohe Lied, dem die beiden dabei die ursprüngliche Form eines recht irdischen erotischen Textes zurückgeben wollen.
Ein weiteres systematisches Interessengebiet ist die Vermittlung des Arabischen: Dazu gab er einen Textband heraus »A Chrestomathy of Modern Literary Arabic«,[20] der ein Gegenstück zu dem traditionell im Vordergrund stehenden klassischen (Koran-)Arabischen bilden soll; eine entsprechende Grammatikdarstellung kündigte er dort als in Vorbereitung an.
Q: BHE; briefliche Angaben von B.; Hinweise von H. Grotzfeld.
[1] = Abh. z. Kunde d. Morgenlandes 35, Heft 4, Wiesbaden: Steiner 1965.
[2] Ebd., Heft 2, Wiesbaden: Steiner 1964.
[3] Der parallel mit einer Dissertation über die Phonologie und Morphologie dieses Corpus promovierte, publ. ebd. als Heft 3 / 1964.
[4] S. bes. seine Besprechungen in: Welt des Islam N.S. 10/1965: 95-98; Z. dt. Morgenländ. Ges. 116/1966: 380-387; Oriens 23/1974: 547-548 und 553-556; Wiener Z. f. Kunde d. Morgenlandes 67/1975: 308-311.
[5] In: Sprache, Zuordnung, Strukturen. Festschrift E. Zwirner, Den Haag: Nijhoff 1965: 40-49. Der Beitrag des exilierten Juden B. zur Festschrift für den politisch nicht unbelasteten Zwirner ist irritierend - reflektiert aber wohl B.s strikte Fokussierung auf die für ihn so nur in Deutschland mögliche Ausbildung zum Sprachwissenschaftler, wobei er nicht nur Wehr als Lehrer suchte, sondern eben auch das Münsteraner »Umfeld« nutzte.
[6] In: Z. f. arab. Ling. 5/1980: 8-34.
[7] In: J. Semitic St. 16/1971: 53-73.
[8] In: Jerusalem St. in Arabic and Islam 15/1993: 255-269.
[9] In: Z. f. arab. Ling. 25/1993: 100-107.
[10] In: Z. dt. Morgenländ. Ges. 117/1967: 22-29.
[11] In: J. of Afroasiatic Lg. 3/1991-1992: 1-8 (der Band war H. J. Polotsky gewidmet).
[12] In: M. Forstner (Hg.), »Festgabe für H.R. Singer«, Frankfurt: Lang 1990, Bd. 1: 79-87.
[13] In: Z. dt. Morgenländ. Ges. 113/1963: 41-50.
[14] In: Jerusalem St. in Arabic and Islam 12/1989: 118-134.
[15] In: »Festgabe für Hans Wehr«, Wiesbaden: Harrassowitz 1969: 143-152.
[16] Wiesbaden: Harrassowitz 1986, 21991.
[17] In: A.S. Kaye (Hg.), »Semitic Studies in Honour of Wolf Leslau«, Wiesbaden, Harrassowitz 1991: 174-188.
[18] Sein Verhältnis zum Deutschen wird hier (in der FS für einen anderen Exilanten - übrigens wie B. selbst ein expliziter Sprachwissenschaftler unter ihnen) deutlich, wenn er ironisch im exegetischen Kontext Christian Morgenstern (auf Deutsch!) zitiert.
[19] Geborene Florence Faerstein, *1940 in New York, selbst Professorin für Englisch und literarische Autorin und Übersetzerin.
[20] Wiesbaden: Harrassowitz 1974.