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Hetzer, Hildegard

Geb. 9.6.1899 in Wien, gest. 12.8.1991 in Gießen.

 

H. ist ein kritischer Grenzfall in diesem Katalog, den ich nicht zuletzt deswegen dokumentiere, weil hier sowohl die problematische Grenzziehung zwischen Opfern und Tätern, wie auch die fachwissenschaftlichen Abgrenzungsprobleme besonders deutlich werden.

Nach dem Abitur 1919 in Wien machte H. eine Ausbildung in »Volkspflege« und war an verschiedenen Wiener Kinderhorten und Tagesheimstätten tätig. Nach dem Abschluß 1922 arbeitete sie bis 1926 als Horterzieherin in Wiener Kindestagesstätten. Seit 1923 studierte sie bei dem Ehepaar Bühler nebenher Psychologie, seit 1926 war sie Assistentin von Charlotte Bühler. 1927 promovierte sie bei Karl Bühler mit einer Arbeit über Schulreife. Ihre Dissertation bildete die Grundlage für ihre späteren Forschungen in diesem Bereich, worauf ein noch lange nach dem Krieg als Standardtest genutzter Schulreifetest zurückgeht. Am Wiener psychologischen Institut war sie in unterschiedliche Forschungstätigkeiten, vor allen Dingen aber auch in die praktischen Ausbildungsaufgaben eingebunden, in enger Verbindung mit Charlotte Bühler im Bereich der Kinder- und Jugendpsychologie.

1931 erhielt sie eine Professorenstelle an der Pädagogischen Akademie Elbing (heute Elbląg, Polen), wo sie 1934 entlassen wurde, ohne Angabe von Gründen,[1] nach ihrer eigenen Auskunft »als politisch unzuverlässig«, weil sie durch die Wiener Aktivitäten kompromittiert war. Als Frau war sie zudem i. S. der nationalsozialistischen Hochschulpolitik ohnehin auf einer Professorenstelle nicht gewünscht. Daß H. Opfer von Repressionsmaßnahmen des NS-Regimes wurde, ist der Grund dafür, daß sie hier aufgenommen ist – obwohl ihre Darstellung in der einschlägigen Fachliteratur sie auf dem Gegenpol zur Verfolgung ansiedelt. Nach ihrer Entlassung war sie bis zum Kriegsende nicht mehr auf einer akademischen Stelle tätig, sondern vielmehr im Bereich der Sozialfürsorge, mit dem Schwerpunkt bei der Jugendfürsorge/dem Jugendschutz, zunächst bei »freien« Trägern, ab 1939 bei der NSV. Während des Weltkrieges leistete sie in diesem Rahmen ihren »Einsatz« im besetzten Polen (»Warthegau«), worauf die später gegen sie vorgebrachten Vorwürfe zurückgehen (s.u.). 1944 erkrankte sie und kam in ein Sanatorium im Harz. Ihr Versuch, nach Kriegsende in der SBZ wieder eine Anstellung zu finden, scheiterte an politischen Bedenken. Ähnlich war es 1946 in Wien. Sie ging daraufhin in die Westzonen, wo sie 1947 Dozentin am Pädagogischen Institut Weilburg wurde. 1959 erhielt sie dort den Status einer Professorin, seit 1961, mit der Verlagerung des Pädagogischen Instituts an die Universität Gießen, war sie dort bis zu ihrer Emeritierung 1967 Professorin.

Die Arbeiten von H. werden, wenn überhaupt, dann in der Päd­agogik (pädagogische Psychologie/Sozialpädagogik) rezipiert, eher mit einem historisierenden Interesse, denn als aktuelle Position – selbst der Herausgeber eines Sammelbandes ihrer Schriften, J. P. Ruppert, konnte sich im Vorwort den einschränkenden Hinweis auf die nach der heutigen (quantitativen) Methodologie unzureichenden Untersuchungspopulationen nicht verkneifen.[2] In der soziolinguistischen Fachgeschichtsschreibung kommen ihre Arbeiten gar nicht vor.[3] Die Blindheit gegenüber der disziplinär nicht zurechtgestutzten Forschungsgeschichte betrifft allerdings die gesamte pädago­gische bzw. Sozialpsychologie der 20er Jahre, in der die sozialen Bedingungen der Sprachpraxis eingehend erforscht wurden – s. hier bei Anneliese Argelander.[4] Sie ist allerdings nicht nur zufällige Unkenntnis, sondern markiert ein Konstruktionsprinzip akademischer Forschung, das an der Arbeit von H. deutlich wird. Hier markieren H.s Arbeiten ein besonderes Feld der Sprachforschung, wie an ihrem Beispiel ausführlicher dargestellt werden soll.

Innovativ, wie sie mit der Sozialethnographie des Sprachverhaltens waren, sind ihre Arbeiten nicht aus wissenschaftlichen Traditionen alleine zu verstehen (die folgenden Bemerkungen profitieren außer von ihrer Autobiographie von 1988 von einem ausführlichen Gespräch): Gegen­stand wie Methode sind viel­mehr eng verknüpft mit der Umbruchsi­tuation der spätfeudalen Ge­sellschaft im Nachweltkriegs-Wien, in dem die regierende Sozialde­mokratie die sozialen Gegensätze zum praktischen Thema der Politik machte. H.s erste Arbeit veröf­fentlichte sie selbständig als Beitrag zu einem Wettbewerb des da­maligen sozialdemokratischen Stadtschulrates: »Das volkstümliche Kinderspiel«[5] – in Auf­satzform dazu schon Veröffentli­chungen 1925 und 1926.[6] Die sorgfältige Eth­nographie von 19 Monaten teilneh­mender Beobachtung im Wiener Ar­beitervorort Kaisermühlen zeigt Spiele als autonome kulturelle Praxen auf, mit denen sich die Kinder ihr Umfeld aneignen: die Kontrolle der sprachlichen Form (gerade auch im souveränen Explorieren »un­sinniger« formaler Möglichkeiten) ist ein Zugewinn an Autonomie, der aber rigide in der sozialen Gruppe kontrolliert wird (s. bes. S. 31ff, 64); diese Untersuchung ist bis heute für die Methodo­logie von Arbeiten zur Kindersprache aufschluß­reich (s. etwa S. 15 zur Kinderbefragung: damit generell zu der Möglichkeit ethnogra­phischer und »experimenteller« Arbeit mit Kindern, die diese als Subjekte ernst nimmt).

Zwar bearbeitete sie hier ein vorgegebenes Thema, aber sie löste damit zugleich ein sehr persönliches, politisch zu verstehendes Engagement ein: nach eigener Auskunft galt sie in ihrer gutbürgerlichen Familie als »rote Hilde«, die im Gegensatz zu ihren Schwestern die Expedition zu den Exoten am anderen Donauufer der konventionellen kolonialen Fernreise vorzog – und das in einem Viertel, in dem ein Onkel eine Fabrik besaß (diese Spannung ist durchaus wörtlich zu verstehen: Trophäen der Reisen in die »Kolonien« gehörten zum familialen großbürgerli­chen Ambiente in Wien, s. auch die Autobiographie, S. 17-19). Ju­gendbewegter Elan ist hier am Werk, der sich anders als bei ihren Schwestern nicht in berührungsgeängstigtem Volkstanz er­geht, son­dern praktisch im Volk arbeitet (zu ihren frühen jugendbewegten Ausbruchsversuchen, auch in literarischen Schreibversuchen, s. die Autobiographie S. 32). Ausschlaggebend war für sie die Ausbildung in Volkskunde und in einer Pädagogik, die als Reflexion prakti­scher Tätigkeit betrieben wurde – gegen die akademi­sche Psycholo­gie, aber auch gegen die Trivialisierung akademischer Gemeinplätze (wie sie damals als Trivialpsychologie, bes. Adler­scher Machart, gerade in politisierten Kreisen verbreitet waren).

Die Grundkonstellation einer praktisch gewendeten Reflexion auf der Basis sensibler Beobachtung (meist auch vor dem Hintergrund eigener pädagogischer Arbeit, etwa im Hort) bestimmt ihre Arbeiten durchgängig. So wertet H. in der Untersuchung »Der Einfluß der negativen Phase auf soziales Verhalten und lite­rarische Produktion pubertierender Mädchen« in dem gemeinsamen Band mit C. Vecerka »Soziales Verhalten pubertierender Mädchen«[7] Tagebuchaufzeichnungen pubertierender Mädchen aus.

Ihr Hauptwerk in diesem Feld ist »Kindheit und Armut. Psychologische Methoden in Armutsforschung und Armutsbekämpfung«.[8] Es handelt sich um eine umfassende empirische Untersuchung, die auf ihre Arbeit in einem Kinderhort zurückgeht (im Arbeiterbezirk Meidling) und eine engagierte Kritik der Konsequenzen der Heimunterbringung vorbringt. Zugleich liegt in dieser Arbeit eine Kritik der damaligen Jugendpsychologie, wie sie nicht zuletzt von Charlotte Bühler betrieben wurde, deren idealisierte Kategorisierung von Lebensaltern sie den sorgfältigen Vergleich »gepflegter« und »ungepflegter« (sie spricht auch von »proletarischen«) Kindern gegenüberstellt. Sorgfältig registriert sie die Sprachentwicklung – in der Spannung zwischen Ausdrucksbedürf­nissen und den durch die kulturellen Potentiale der Umwelt be­schränkten Ausdrucksmöglichkeiten, in der H. die kulturelle Diskrepanz sieht – wobei sie weiter (im Anschluß an die vorge­nannte Arbeit) die geschlechtsspezifischen Differenzen aufzeigt: daß proletarische Jungen die Spannungen dramatisch unter Bedingun­gen der Berufstätigkeit aushalten müssen, die ihnen keine symboli­schen Freiräume mehr läßt. Daran schließt sich der Nachweis der kumulativen Wirkungen dieser Faktoren in der Schulzeit an.

In der gleichen Weise ethnographisch basiert sind auch spätere Ar­beiten wie vor allem (gemeinsam mit Georg Morgenstern) »Kind und Jugendlicher auf dem Lande«,[9] wo die schulischen Leistungen (auch hier wieder besonders das Sprachverhalten) vor der Folie der Lebensentwürfe der Jugendlichen (geprägt durch die selbstverständ­liche Kinderarbeit!) als durchaus realistisch gezeigt wird; Grund­lage ist die sorgfältige Protokollierung der Tagesabläufe (24-Stunden-Beobachtung!) der Jugendlichen auf dem Dorf, bei der die verschiedenen Übergangssituationen (die Generationenspannung, aber auch die Transformation des Dorflebens durch die Urbanisie­rung, einschließlich der Integration der Flüchtlinge) analysiert werden. Ebenso (gemeinsam mit Inge Stoll) »Tischgespräche mit Kleinkindern. Was Kinder dabei lernen«,[10] auf der Basis von Beobachtungen des Gesprächsverhaltens in einer Kindergarten­gruppe über ein halbes Jahr hin: sowohl in Hinblick auf die so­ziale Dynamik (Partizipation am Gespräch) wie die thematische und argumentative Entwicklung.

An diese Arbeiten kann nicht der Standard ethnolinguistischer Un­tersuchungen der letzten Jahre angelegt werden – die Protokollie­rung erfolgt aufgrund von Notizen in der Situation und nach dem Gedächtnis, entsprechend der wissenschaftlichen Zielsetzung: das Protokollieren als methodische Stütze zum Beobachten zu nutzen – und nicht an die Stelle des Beobachtens zu setzen; diese Beobachtungstechnik sollte von jeder/-m Praktiker(in) handhabbar sein (so explizit in der letztgenannten Arbeit an die Adresse von Kindergärtnerinnen). Das methodische Vorgehen war praktizierte Wissenschaftskritik, mit der sich H. auch noch als alte Dame (in Publikationen, mehr noch aber im Gespräch) als Kulturrevolutionärin zeigte. Die disziplinären Frontstellungen artikulieren in ihren Arbeiten eine grundsätzlichere gesellschaftliche Positionierung: ihr persönliches Engagement für die gesellschaftlich Unterdrückten drückt sich nicht zuletzt in einem persönlichen Habitus aus, mit dem sie sich schon auf frühen Familienfotos von ihren eleganten Schwestern distanziert, und diese Haltung führt sie gewissermaßen professionell als Psychologin fort, die auf den sozialen Faktoren insistiert, die die kognitive Entwicklung steuern, gegen deren biologistische Reduktion in der medizinischen Tradition (mit dem Gegensatz von Psychologie und Psychiatrie), wodurch sie den Raum für pädagogische Arbeit bestimmt.

H.s Arbeiten sind von dem Wiener psychologischen In­stitut geprägt, an dem sie bis 1931 Assistentin war – und doch ist der Gegensatz ihrer Arbeiten zu der dortigen Grundrichtung enorm.[11] Nach H.s Selbstaussage war sie selbst am Institut für praktisch-organisatorische Dinge zuständig, im wissenschaftlichen Bereich für das sozial fremde Terrain; zum Mißfallen Karl Bühlers, der selbst Vorträge in Volksbil­dungsveranstaltungen hielt und damit gegen die Standesetikette verstieß, betrieb sie das in einer praktisch-volks­bildnerischen Weise in lesbaren, kleineren Schriften, die in der klaren begrifflichen Aufbereitung auch nach Jahren manchen wissen­schaftlichen Handbuchdarstellungen überlegen sind, so etwa zur Sprachentwicklung der Abriß (gemeinsam mit Herbert Flakowski) »Die entwicklungsbedingten Stilformen von kindlichem und jugendlichem Schreiben«.[12] Arbeitsbeziehungen bestanden am Institut insbesondere aber auch zu den politisch engagierten Marie (Albu-) Jahoda und Paul Lazarsfeld.[13]

Erstaunlich wenig Zusammenarbeit bestand dagegen offensichtlich zwischen dem Hamburger Institut und dem in Wien – H. hatte allerdings selbst direkten Arbeitskontakt zu Martha Muchow, mit der sie u.a. bei dem Wiener Psychologenkongreß 1929 eine informelle Arbeitssek­tion über Kinderpsychologie durchführte, wie sich wohl auch Stern direkt für ihre Arbeiten interessierte und H. dazu in Wien be­suchte. 1931 wurde H. nach Elbing berufen, mit der Venia für Pädagogische Psychologie und Sozialpädagogik, wo sie 1934 entlassen wurde (s.o.).

Was ihren »Fall« so schwierig, zugleich aber auch zum Prüf­stein für eine kritische Analyse werden läßt, sind ihre im Natio­nalsozialismus weitergeführten Arbeiten. Sie erhielt eine Stelle in Berlin bei dem privaten Verein zum Schutze der Kinder vor Aus­nutzung und Mißhandlung, an dessen Forschungsstelle sie mit Zeller zusammenarbeitete (s. Autobiographie, Q: S. 51ff.). Das Dilemma die­ser Arbeit ist offensichtlich: das Engagement für die soziale Sa­che ließ sich nicht ohne zumindest symbolische Zugeständ­nisse realisieren, wie sie in den deklamatorischen (später dann eben »entnazifizierten«) Stellen etwa der 2. Auflage von »Kindheit und Armut«[14] abzulesen sind. Es war ein heikler Balanceakt, der in jüngeren Publikationen zu ihrem Fall oft vereindeutigt wird, wo ihre Aktivitäten auch schon einmal direkt als »faschistisch« apostrophiert werden.[15]

Es gibt keinen Grund daran zu zweifeln, daß H. hier eine Möglichkeit sah, ihr Engagement für die Sache der Unterprivilegierten fortzuführen, deren »Ma­nagement« aber auch den Pragmatikern nationalsozialistischer Herr­schaft angelegen war (H. berichtet von dem völligen Abschotten der akademischen Psychologie gegenüber diesen Fragen – aber von produktiven Kontakten zu Wehrmachts­psychologen). Dabei war die öffentliche Thematisierung sozialer Mißstände ein Sa­krileg nach der »nationalen Revolution«, die ja gleich zu Beginn mit einem Gesetz zum Kinderschutz die Pro­bleme »beseitigt« hatte und in dem offiziellen wie offiziösen Dis­kurs harmonisierende Bil­der propagierte. Daraus resultiert eine argumentative Spannung, die an den Veröffentlichungen bis Kriegsbeginn abzulesen ist – die zweite Auflage von »Kindheit und Ar­mut« verschwand dann auch bald aus den Anzei­gen. H.s Erfahrungen sind ambivalent und zeigen die Widersprüche der Kollusion: Schikanen, vor allem bei der öffentlichen Selbstpräsenta­tion (ihr Name wird bei Veröffentlichungen nicht genannt) – aber doch Fortsetzung der Arbeit und Publikationen, vor allem auch Vor­tragsreisen ins skandinavische Ausland, wo sie bis heute eine Au­torität in ihrem Gebiet ist.[16]

1939 wurde ihr arbeitgebender Verein aufgelöst bzw. in die NSV integriert und H. »kriegsver­pflichtet«. Damit war in jedem Fall eine Politisierung ihrer Ar­beit verbunden, die H. in ihren späteren Selbstdarstellungen ausspart (s. dazu Vorländer 1988); das gilt insbes. für den Ausbil­dungsbereich der NSV, der »fanatische Nationalsozialist(inn)en« produzieren sollte, die die Logistik der Heimatfront bewerkstel­ligten – und in diesem Bereich war H. primär tätig. 1942 wurde sie von Berlin in den »Warthegau« versetzt, wo sie direkt im Aufgabenbereich der SS arbeitete, die hier die NSV unmittelbar kontrollierte. Ihre Aufgabe war es, i. S. der rassistischen Germanisierungspolitik Kinder und Jugendliche zu »erfassen« bzw. »auszusondern«. Sie selbst sah diese Tätigkeit später (und vielleicht auch damals) vor allem in der Spannung zu der »erbbiologischen« Sichtweise der damaligen Psychiatrie – sie sah hier die Möglichkeit zur erzieherischen Beeinflussung zumindest eines Teiles der Kinder. Daß sie dadurch an der Umsetzung der rassistisch definierten Politik in Polen mitgewirkt hat, steht außer Frage.[17] Sie berichtet von Spannungen und Widerstandshandlungen zum Schutze der »erfaßten« Kinder und Jugendlichen, die nach wenigen Monaten zu ihrer erneuten Versetzung an eine politisch weniger exponierte Stelle in Posen (damals Litzmannstadt) führten (s. ihre Autobiographie, S. 59-60; Th. Herrmann, Q, hat die verfügbaren Unterlagen zu Hs. Tätigkeiten in Polen und deren Nachkriegsaufbereitung zusammengestellt).

Nach dem Weltkrieg wurde H. wieder in der Lehrerbildung tätig, zunächst an der PH Weilburg, dann in Gießen. Der ungebrochene kämpferische Elan ihrer Arbeit wird in ihren Auseinandersetzungen mit den harmoni­sierenden Vorstellungen gerade der Landschulpädago­gik deutlich (wozu die genannte Veröffentlichung mit Morgenstern gehört); ihre Forschungstätigkeit verlagerte sich aber (wie schon in der Zeit des Weltkrieges) auf die Behinderten- bzw. Heilpädagogik und die Ent­wicklung von Testverfahren. Praktisches Engagement ent­wickelte sie vor allem im Kindergartenbereich – u.a. wieder mit Hilfe privater Organisationen (wie dem oben erwähnten »Arbeitsaus­schuß für gutes Spielzeug« in Ulm, s. etwa [m. Chr. Riftert u.a.] »Verhaltensauffällige Dreijährige im Kindergar­ten«,[18] oder [mit M. Gerund] »Spielen im Hort«[19] – mit Hinweisen zur begrifflich-sprachlichen Durch­dringung in dem Maße, wie Kinder lernen, selbständig zu handeln [bes. S. 32-33]).

In ihren letzten Jahren hat sie mit erstaunlichem Elan in die Aus­einandersetzung um die Methodenreflexion der Psychologie einge­griffen und in diesem Zusammenhang die eigene Fachgeschichte ein­gebracht, s. z.B. »Dükers Untersuchung minderbegabter Kinder im Einklang und im Gegensatz zu der kinderpsychologischen Forschung in den letzten 50 Jahren«[20] weiter »Kinder- und jugendpsycho­logische Forschung im Wiener Psychologischen Institut 1922-1938«[21] sowie »100 Jahre kinderpsychologische Forschung«.[22] Diese Diskus­sionen überschneiden sich mit den einschlägigen der empirischen Sprachwissen­schaft.

In den 1970er Jahren wurde H. vielfach ausgezeichnet (Th. Herrmann, Q, spricht von ihr als einer der »am höchsten ausgezeichneten Psychologinnen Deutschlands«). Das erklärt auch die Heftigkeit der Angriffe, die gegen H. vorgebracht wurden.

Q: Ihre Autobiographie »Eine Psychologie, die dem Menschen nützt. Mein Weg von Wien nach Gießen«, Göttingen: Hogrefe 1988; Interview mit H. H. am 20.8.1983. Schriftenverzeichnis in dem eingangs erwähn­ten Sammelband ihrer Schriften (hg. von Ruppert 1967) und in H. Düker/L. Tent (Hgg.), »Festschrift zum 65. Geburtstag von Pro­fessor Dr. Hildegard Hetzer« (= Psych. B. 8/1965, Heft 2-3)[23]; Boedeker/Meyer-Plath 1974; Keintzel/Korotin 2002. Nachrufe: E. Todt, in: Z. Entwicklungspsych. u. Päd. Psych. 24/1992: 1-2; G. Bruns/S. Grubitzsch, in: Psychologie u. Gesellschaftskritik 16/1992 (Heft 61): 83-95; DBE 2005. Zu ihrer politischen Rolle in der Zeit des Faschismus s. Theo Herrmann, »H. H. in Polen« (Psychologiegeschichtliche Beiträge 1) 2011, s.  http://www.dgps.de/fachgruppen/fgge/beitraege/psychgesch-beitr_1-2010.pdf (Feb. 2013).



[1] Das war aufgrund von § 6 des Gesetzes über das Berufsbeamtentum möglich.

[2] S. H. H., »Zur Psy­chologie des Kindes. Werke und Abhandlungen«, hg. von J. P. Rup­pert, Darmstadt: Wiss. Buchgesellschaft 1967, dort S. IX – der Band wurde übrigens vor einigen Jahren, offensichtlich mangels Nachfrage, verbilligt »ausverkauft«.

[3] Ausweislich des Registers fehlt z.B. jeder Hinweis auf H. in U. Ammon/N. Dittmar/K. J. Mattheier (Hgg.), »Soziolinguistik. Ein internationales Handbuch«, 2 Bde., Berlin: de Gruyter 1988; 2. überarb. Auflage, 3 Bde., Berlin: de Gruyter 2004-2006.

[4] Vgl. auch die in der pädagogischen Ausbil­dung bis in die 60er Jahre wichtigen Arbeiten von Adolf Busemann (s. etwa das von diesem hg. »Handbuch der päd­agogischen Milieu­kunde«, Halle/S.: Schroedel 1932; oder direkt einschlägig seine Un­tersuchung über »Die Sprache der Jugend als Ausdruck der Entwick­lungsrhythmik«, Jena: Fischer 1925).

[5] Berlin usw.: Dt. Verlag für Jugend und Volk 1927 (= Wiener Arbeiten päd. Psych., H. 6).

[6] S. die bis 1966 reichende Bibliographie in dem von Ruppert hg. Sammelband S. 441-452.

[7] Jena 1926 (= Quellen und Studien zur Jugendkunde H. 4, S. 1-44).

[8] Leipzig: Hirzel 1929.

[9] Lindau: Piorkowski 1952.

[10] Ulm: Arbeitsausschuß Gutes Spielzeug e.V. 1976.

[11] Die Selbstaussagen in Charlotte Bühlers autobiographischer Skizze (in: L. J. Pongratz u.a. [Hgg.], »Psychologie in Selbstdarstellung«, Bern usw.: Huber 1972: 9-42) sind signifikant, die die Emanzipation der großbür­gerlichen Tochter im Drang nach Höherem zeigen – den sie wissen­schaftlich umsetzte, vor allem in Untersuchungen zu Jugendlichen ihrer eigenen sozialen Schicht.

[12] Frankfurt: Harms 1962, 4. Aufl. München: List 1972.

[13] Die sich auf H.s Arbeiten bei der methodischen Konzeption der »Marienthal«-Studie stützen, s. dazu http://agso.uni-graz.at/marienthal/bibliothek/biografien/07_04_Hetzer_Hildegard_Biografie.htm (Febr. 2009).

[14] Leipzig: Hirzel 1937 (in Bibliotheksexemplaren wurden diese Stellen im Rahmen der Entnazifizierung nach 1946 oft geschwärzt).

[15] R. Ziegler, »Zivilisationsschadenstheorie«, in: Online-Lexikon, http://www.vrzverlag.com/esoterik/leges13/html (nur bis 2002 im Netz).

[16] In Dänemark habe ich im übrigen Mitte der 70er Jahre auch zuerst von ihren Beiträgen zur Soziolinguistik erfahren!

[17] S. dazu E. Freundlich, »Deutsches Bundesverdienstkreuz für Kindesraub«, in: Forum 34/1987: 406-408, sowie G. Benetka, »Im Gefolge der Katastrophe. Psychologie im Nationalsozialismus«, in: P. Mecheril/T. Teo (Hgg.), »Psychologie und Rassismus«, Reinbek: Rowohlt 1997: 42-72, bes. 60-62.

[18] In: Sozialpädiatrie in Praxis und Klinik 3/1981: 388-394.

[19] Ulm: Arbeitsausschuß Gutes Spielzeug o. J.

[20] In: FS H. Düker, hg. von L. Tent, Göttingen: Hogrefe 1981: 427-443. Düker hatte im übrigen für H. in dem hessischen Entnazifizierungsverfahren 1949 das entscheidende Entlastungszeugnis ausgestellt (Heinrich Düker, 1896-1986, Psychologe. 1930-1935 Dozent in Göttingen. Nach 1933 im politischen Widerstand, von 1935-1939 wegen Hochverrats inhaftiert. Danach privatwirtschaftlich tätig, 1944 erneut im KZ. Nach Kriegsende wieder als Professor für Psychologie in Göttingen, dort aber 1946-1947 Oberbürgermeister. Danach bis zur Emeritierung 1967 Professur in Marburg).

[21] In: Z. Entwicklungspsych. u. päd. Psych. 14/1982: 175-224.

[22] In: Fortschr. d. Medizin 101/1983: 255-258.

[23] Die Beiträge dort sind pädagogisch-psychologi­schen Fra­gen gewidmet – ein Beitrag zu sprachlichen Problemen ist nicht vertreten!