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Mautner, Franz H.

Geb. 8.6.1902 in Wien, gest. 6.2.1995 in Media/Pennsylvania.

 

Studium der Germanistik und Romanistik in Wien und Heidelberg, 1926 in Wien mit der Promotion abgeschlossen. Von 1927-1938 mit Unterbrechungen Studienrat an Wiener Gymnasien; 1929-1930 Dozent an der Univ. Besan­çon; 1936-1938 außerdem Dozent an der Wiener Volkshochschule. Im März 1938 wurde er aus rassistischen Gründen entlassen. Er emigrierte nach London, wo er allerdings keine richtige Arbeit fand; daher noch im Herbst des gleichen Jahres weiter in die USA, wo er 1939 eine Gastdozentur an der Johns Hopkins Univ. bekam. Von 1939 bis zur Emeritierung 1972 lehrte er Germanistik an verschiedenen Universitäten: als Assist. Prof. in Indiana (1939-1940), dann Hobart Coll., New York (1944), Ohio Wesleyan Univ., Delaware (1946-1948), dann als Assoc. Prof. Kenyon Coll., Ohio (1948-1952), Sarah Lawrence Coll. und Queens Coll., New York (1953-1955), danach Swarthmore Coll., Pennsylvania. Zwischenzeit­lich war er für das Auswärtige Amt der USA als Übersetzer tätig (1945) bzw. hatte Forschungsstipendien.

M. ist Literaturwissenschaftler mit dem Schwerpunkt bei der moder­nen Literatur (Büchner, Lichtenberg, Nestroy, Schnitzler...), der schon seine Dissertation galt (zum »Deutschen Schicksalsdrama«). In diesem Feld veranstaltete er auch Textausgaben, u.a. zu Nestroy und eine sechsbändige Lichtenberg-Ausgabe. Als »Sprachforscher«  ist er zu berücksichtigen, weil bei ihm die systematische Analyse der sprachlichen Form im Vordergrund steht, nicht nur in kleineren sprachwissenschaftlichen Studien, die er außerhalb seines literarischen Arbeitsfeldes vorgelegt hat. Das gilt besonders für seine Beschäftigung mit Lichtenberg, in dessen sprachkritischen Bemerkungen er offensichtlich sein eigenes Unternehmen gespiegelt sah. Seine große Monographie "Lichtenberg. Geschichte seines Geistes" [1]  ist durchzogen von Abschnitten mit detaillierten sprachanalytischen Beobachtungen, vom Metapherngebrauch bis zur Syntax. Bei der Einordnung von Lichtenbergs Sprachkritik geht M. bis zu Parallelen bei Wittgenstein und generell der "lingustischen Philosophie" (bes. S. 337-8). In dem autobiographischen Nachwort zu seinen »Kleinen Schriften«[2] beschreibt er seine Arbeitsweise als »unmittelbare Sprachbetrachtung« (S. 328): insofern steht er hier exemplarisch für eine Sprachforschung außerhalb der sprachwissenschsatlichen Disziplin im engeren Sinne.

Das gilt so auch für seine literaturwissenschaftliche Arbeit, die quer zu der dominant positivistisch-literaturgeschichtlich ausgerichteten Vorgehensweise aus der Zeit seines Studiums steht: Literatur ist für ihn gestaltete sprachliche Form, und in seiner Arbeitsweise ist er wohl nicht nur in der Frühzeit beeinflußt von Karl Kraus. In dessen Sinne betrieb er Sprachkritik, bestimmt von der »Liebe zur deutschen Sprache«, die er auch unter dem Eindruck der Repression 1938 herausstellt. Damit stand er aber auch quer zu den soziologisch verstandenen Neuansätzen der zeitgenössischen Literaturwissenschaft, die soziale Gegensätze betonte, für die Nestroy vor allen Dingen ein Repräsentant des Volkstheaters war, während für M. an diesem interessant war, wie er die Potentiale der deutschen Sprache auslotete. Von daher hatte er keine Chance, das zunächst in Wien beabsichtigte Habilitationsverfahren erfolgreich zu bestehen (s. dazu die Hinweise bei Meissl, Q).

Insofern trifft sich seine Orientierung z.B. mit der von Spitzer: wie bei diesem gibt es bei ihm keinen Gegensatz zwischen den literaturwissenschaftlichen Arbeiten und den sprachwissenschaftlichen Studien im engeren Sinne. Auch bei den konkreten Gegenständen gibt es Berührungspunkte: so analysiert M. Wortspiele als sedimentierte Sprachreflexionen; er versucht, Aphorismen als eigene Textsorte zu bestimmen; und er legt schließlich eine Reihe von Wortbildungsstudien vor, etwa zu dem Feld der Bildungen mit tsch im Deutschen, in dem er ein formales Attraktionsfeld für Neubildungen sieht, die sekundär semantisch (konnotativ) aufgeladen werden, hier in expliziter Auseinandersetzung mit E. Lewy und Spitzer.[3] Im übrigen hatte er sich früh systematisch mit sprachtheoretischen Fragen auseinandergesetzt, wie seine ausgesprochen kritischen Rezensionen zu Hankamer und Fiesel zeigen.[4]

Er konnte sich erfolgreich in der US-amerikanischen Szene, auch der sprachwissenschaftlichen, profilieren; 1943 hielt er einen Vortrag auf der Jahrestagung der Linguistic Society of America, bei dem er Neubildungen in der politischen Sprache analysierte. Den Vortrag publizierte er in zwei Aufsätzen: »Nazi und Sozi«[5] zeigte die Entwicklung des politischen Terminus in einem Wortfeld auf, das einerseits durch die volkstüm­liche appellative Verwendung der Namenkurzform (Ignaz > Naz(i)) vorgegeben war und im politischen Spannungsfeld vor 1933 (in Öster­reich vor 1938!) auch als positives »Trutzwort« benutzt wurde – andererseits als Replik auf Sozi seine spezifischen politischen Konnotationen bekam; sowie »Word Formation by shortening and affixation: The ›Sudetens‹ and the ›Yugos‹«,[6] in dem er detailliert Neubildungen in der US-Presse vor dem Hintergrund einer detaillierten Analyse der geschichtlichen Zusammenhänge analysiert, die damit bezeichnet werden, und dabei auch die Mechanismen herausstellt, die für eine bestimmte Presse durch ein »intentionally careless English« charakteristisch sind (S. 204).

Im Exil gehörte er zu denen, die sich in der republikanischen Tradition politisch artikulierten, durchaus kritisch gegenüber nationalistischen österreichischen Tendenzen. Das erklärt wohl auch sein Engagement bei der Arbeit für das Auswärtige Amt, für das er Übersetzungen von Roosevelts Reden unternahm. Obwohl er in den späteren Jahren nach Deutschland und Österreich Einladungen annahm und auch zahlreiche Ehrungen erfuhr, verfolgte er mit einiger Bitterkeit die politische Restauration dort.

Q: BHE; DAS III; Kürschner 1983; S. Meissl, »Nestroy im Exil. Der Literaturwissenschaftler F. A. M.«, in: Weibel/Stadler Bd. II/1988 (22004): 575-583; IGL; J. Hein, »Wegbereiter der Nestroy-Forschung«, in: »Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung. Jahrbuch« 1995: 197-198.



[1] Berlin: de Gruyter 1968.

[2]  »Wort und Wesen. Kleinere Schriften zur Literatur und Sprache«, Frankfurt: Insel 1974.

[3] Die entsprechenden Studien sind in seinen »Kleinen Schriften« wieder abgedruckt: »Das Wortspiel und seine Bedeutung«, S. 247-248, »Der Aphorismus als Literatur«, S. 279-302; »Zum stilistischen Wert von Lautgruppen und seinen Ursachen. Neuhochdeutsch tsch- im Anlaut«, S. 303-314.

[4] In: Die neueren Sprachen 36/1928: 457-461.

[5] In: Mod .Lg. N. 59/1944: 93-100.

[6] In: American Speech 18/1943: 200-207.